13.01.2014 Aufrufe

Aufreger

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

nord |KULTUR<br />

SONNABEND/SONNTAG,28./29.DEZEMBER2013 apple TAZ.AMWOCHENENDE 47<br />

Die Musiker der Klassikphilharmonie Hamburg lassen sich auf der Bühne im Großen Saal der Laeiszhalle<br />

bejubeln: Das Publikum feiert auch sich selbst Fotos: Hinrich Schultze<br />

................................................................<br />

GEWALT &MUSIK<br />

Umgehend<br />

analysiert<br />

Nach all der Gewalt im UmfeldderDemonstrationam<br />

letzten AdventswochenendebefindetsichHamburgweiter<br />

inderPhasekonzentrierterAufarbeitung.<br />

Einen, nunja, ungewöhnlich<br />

weit vorpreschenden<br />

VorschlagzumUmgangmitGewalttätern<br />

hatetwaflugs Karl-<br />

Heinz Warnholz unterbreitet:<br />

Der CDU-Mann möchte den Zugang<br />

zu Abiturund Hochschule<br />

erschweren.Aberauchdieklassischen<br />

„Analysen“ sind umgehendeingetroffen:KaiVoetVan<br />

Vormizeele (CDU): „Psychopathen“;<br />

Björn Werminghaus<br />

(Deutsche Polizeigewerkschaft):<br />

„Abschaum“.<br />

Auch das eine oder andere<br />

Konzert der kommenden WochenlässtsichdurchausalsBeitragzurDebattelesen:Dieklassische<br />

Analyse aus der anderen<br />

PerspektivegibtesdiesenSamstagetwavon<br />

Dritte Wahl in der<br />

Markthallezuhören:EinePunkband,diesichbereitszuDDR-Zeiten<br />

gegründet und vor allem<br />

durch polizeifeindliche Texte<br />

aufsich aufmerksam gemacht<br />

hat: „GSG9 und Terroristenjäger/Todesschützen<br />

und brutale<br />

Schläger“.<br />

HAMBURGER SOUNDTRACK<br />

.......................................................<br />

NILS<br />

SCHUHMACHER<br />

.......................................................<br />

Die leichte MuseanSilvester<br />

ORCHESTERDasalljährlicheSilvesterkonzertderKlassikphilharmonieHamburgistmitHitsausdemKlassik-<br />

Repertoire,buntenLuftballonsundetwasaufgelockertenRitualenauchwasfürEinsteigerinsGenre<br />

VON ILKA KREUTZTRÄGER<br />

Aufden Balustraden der vorderen<br />

Logen liegen Bastelscheren<br />

bereit. Kurz vorEnde des Silvesterkonzerts<br />

huschen Frauen mit<br />

LuftballonsanSchnürengeduckt<br />

die Gänge entlang, greifen nach<br />

den Scheren, durchschneiden<br />

die Schnüre und lassen die Ballons<br />

frei. Die sinken gemächlich<br />

ins Parkett hinab und das PublikumreißtdieArmeindieHöhe.<br />

SiestupsendieBallonsan,halten<br />

siesoinderLuftundeinigefliegen<br />

aufdie Bühne zu den GeigernundBratschisten.DasPublikumimwunderschönenGroßen<br />

Saal der Laeiszhalle feiert sich<br />

selbst und die Klassikphilharmoniker.<br />

WAS TUN IN HAMBURG?<br />

■ Di, 31.12., 23 Uhr, Hafenklang<br />

Traurige Party<br />

Bislang hat Silvesterhier die schöne Regelmäßigkeit<br />

geherrscht: Seit einer gefühlten<br />

Ewigkeit haben die traditionsbewussten Motorbooty!-DJs<br />

im Molotow das Jahr ausgeläutet.<br />

Eigentlich sollteamDienstag noch ein allerletztes<br />

Mal „in unserem gemütlichen Keller“amSpielbudenplatz<br />

gefeiertwerden.<br />

Weil aber vorzweiWochen die Wände der<br />

Esso-Häuser darüber wackelten und auch das<br />

Molotow geräumtwerden musste, wirddaraus<br />

leider nichts.Zumindestein Obdach hat<br />

„Dein besterSilvester“ noch kurzfristig gefunden:<br />

Am Dienstag steigt die traurigste Silvesterparty<br />

der Stadt im Hafenklang.<br />

Seit 1986 spielt die Klassikphilharmonie<br />

Hamburg am Silvesterabend<br />

in der Laeiszhalle<br />

als Kammersinfonieorchester<br />

mit55Musikernauf.DiesesJahr<br />

stehen etwadas Walzerlied von<br />

„Romeo und Julia“, die Arie der<br />

Butterflyaus Puccinis „Madame<br />

Butterly“ und Rossinis Ouvertüre<br />

zu „Semirade“auf dem Programm.<br />

Als Zugabe gibt es bei<br />

diesen Silvesterkonzerten gern<br />

etwaden Radetzky-Marsch, also<br />

wasbekanntSchwungvolleszum<br />

Mitklatschen und Schunkeln.<br />

Selbst Klassik-Neulinge erkennen<br />

die Stückeinden Zugaben<br />

bereitsandenerstenTakten.Das<br />

Publikum goutiertdie Hits und<br />

begrüßtjubelnd die ersten Töne<br />

von dem Präludium aus „Car-<br />

Foto: dpa<br />

men“. SoalsspieltedieLieblingsbandendlichnacheinemlangen<br />

Konzertabend nurmit Stücken<br />

vonderneuenPlatteendlichdas<br />

eine Lied, das sie vor30Jahren<br />

malbekanntmachte.<br />

Das Orchester selbst nennt<br />

dieseSilvesterabendeseine„ÖffnunghinzurleichtenMuse“und<br />

demPublikumgefällt’s.Esgefällt<br />

ihnenauch,weildieRegelnnicht<br />

ganzsostrengsind,wiebeiklassischen<br />

Konzerten sonstüblich.<br />

Die Luftballons sind ein Zeichen<br />

fürerwünschteAusgelassenheit.<br />

Auch Zwischenapplaus und<br />

Juchzen sind willkommen. Die<br />

Stimmung im Großen Saal erinnert<br />

andie seit 1996 jährlich<br />

stattfindete „Hamburg Proms –<br />

Last Night“, bei dem auch die<br />

■ Do, 2.1., 20 Uhr, Lustspielhaus<br />

Phrasenmüllmann<br />

„Einer mussdasein, aufräumen, sonstersticken<br />

wir am ideologischen Unrat.“Das klingt<br />

nichtungefährlich und istvermutlich, bei allem<br />

Augenzwinkern, sogar ernstgemeint.<br />

Wersich hier alljährlich aufmacht, den „Phrasenmüll,<br />

der sich in einem Jahr ansammelt“<br />

hinauszukehren, istglücklicherweisekein politischer<br />

Hasardeur,sondern ein<br />

verdienterKabarettist, der darin<br />

jahrelange Erfahrung hat: Henning<br />

Venskeräumtin<br />

Alma Hoppes Lustspielhaus<br />

wie jedes<br />

Jahr „den Mistweg“.<br />

klassischen Konzertrituale fehlenunddasPublikumsingenderund<br />

pfeifenderweise Teil des<br />

Konzerteswird.<br />

1978wurdedasOrchestervom<br />

mittlerweile über 80-jährigen<br />

Schweizer Dirigenten Robert<br />

StehlialsHamburgerMozart-Orchester<br />

gegründet. Der Name<br />

warProgramm, sie spielten vor<br />

allem Mozart. Am 28. Juni gab<br />

dasOrchesterseinerstesKonzert<br />

im Kleinen Saal der Laeiszhalle,<br />

die damals noch Musikhalle<br />

hieß.ZufriedenesPublikumund<br />

wohlwollende Presse waren das<br />

Ergebnis. Gleich im GründungsjahrspieltedasOrchester13Konzerte<br />

im norddeutschen Raum.<br />

Heute reichtihr Repertoire weit<br />

über Mozarthinausvon Klassik,<br />

■ Mo, 30.12., 21 Uhr, Fabrik<br />

Alle Jahrewieder I<br />

Es isteine bemerkenswert eingeschworene<br />

Fangemeinde,die seit 35 Jahren zumJahresende<br />

in der Fabrik zusammentrifft. „[D]ie<br />

Jungs schaffen es,die Leuterichtig zu begeistern,<br />

sogar mich, der ich in Hamburgalles<br />

kenne,was seit 1975 über die Bühne gelaufen<br />

ist!“,weiß der Kollege Bruno Werther etwa<br />

über Hannes Bauer und sein OrchesterGnadenlos<br />

zu berichten. Das Trio mit den „bärenstarken<br />

Texten“,das grundsätzlich „mit Volldampf“durch<br />

die Lande ziehe,sei der festen<br />

Überzeugung, den Rock ’n’Roll entweder erfunden<br />

zu haben, „oder er istfür sie erfunden<br />

worden“.<br />

leichter Muse über Filmmusik<br />

bis zumJazz. Und wegen dieser<br />

musikalischen Öffnung haben<br />

siesich2011auchinKlassikphilharmonieumbenannt.<br />

Am Endes Konzertes spuckt<br />

dieLaeiszhalledieBesucherwieder<br />

ausund die schlendern zu<br />

Fuß von der hell erleuchteten<br />

Konzerthalleweg.KleineGrüppchen,<br />

die Frauen haben sich bei<br />

denMännernuntergehakt,erim<br />

Anzug,sieinKleidoderKostüm.<br />

Allesindsieheiter,plaudernentspannt.<br />

Ganz offensichtlich hattensieeinenschönenAbend.<br />

Silvesterkonzert der Klassikphilharmonie<br />

Hamburg: 31.Dezember,19<br />

Uhr, Großer Saal der Laeiszhalle,<br />

Johannes-Brahms-Platz<br />

■ Mo, 30.12., 21 Uhr, Markthalle<br />

Alle Jahrewieder II<br />

Vorein paar Jahren hat auch Kai Havaii seinen<br />

Beitrag „Hartwie Marmelade“ ins Regal<br />

„Rocker-Leben in der westdeutschen Provinz“<br />

gestellt. Der Mann kann ja auch mit einigem<br />

aufwarten: Eingerahmtvon Heroin kennter<br />

so ziemlich alle Drogen und weiß nichtnur<br />

vomsteilen Aufstieg, sondern auch vomnoch<br />

viel steileren Untergang zu berichten. Über<br />

die literarische Gütemag man streiten, eines<br />

aber weiß man danach: Der Mann machtimmer<br />

weiter und treibtseine immer wieder irgendwie<br />

zumLeben erweckteBand Extrabreit<br />

auch diesen Winterwieder per „Weihnachts-Blitz-Tournee“<br />

durchs Land. MATT<br />

Ein wenig genauer hinhören<br />

muss manhingegen bei diesen<br />

beiden: Der Singer/Songwriter<br />

BerndBegemannkommentiert<br />

dieaktuelleLageamSonntagim<br />

Knust ingewohnt ironischer<br />

Brechung: „Oh St. Pauli“ bzw.<br />

„Man fühltsich wie ein Gewinner,<br />

obwohl man nichts erreicht“.AmFreitagnächsterWoche<br />

dann streichtder stets mit<br />

scharfer Zunge ausgestattete<br />

Liedermacher und Kabarettist<br />

RainaldGrebeimThaliaTheater<br />

einen zentralen motivationspsychologischenAspektheraus:<br />

„Ichbraucheeinfach[...]Chaos“.<br />

BeimbestenWillennichtherauszuhören–aberalsBeitragzur<br />

Debattedurchauserhellend–ist<br />

allerdings die Geschichte, die<br />

hinter diesem Konzert steckt:<br />

Zwischen der Musikabteilung<br />

der Hamburger Ordnungspolizei<br />

und dem sozialdemokratischen<br />

„Reichsbanner Schwarz-<br />

Rot-Gold“, das die Republik gegen<br />

ihre Feinde an den politischen<br />

Rändern schützen sollte,<br />

bestandinden1920er-Jahreneine<br />

enge Kooperation, die ihresgleichen<br />

suchte. Grundlage war<br />

dieSchirmherrschaftdesSenats<br />

über das Reichsbanner,die es<br />

auch Polizeibeamten möglich<br />

machte,Mitgliedzuwerden.Die<br />

Nachfolgerin der „Orpo-Kapelle“,<br />

das Hamburger Polizeiorchester,spieltamFreitagnächster<br />

Woche aufdem Norderstedter<br />

Neujahrskonzertinder Tribühneauf.<br />

ANZEIGE

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!