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Wirtschaftswoche Pendler-Manie (Vorschau)

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Management&Erfolg<br />

Kandidaten über Führungspositionen<br />

spricht, zählt die Frage nach dem Wohnsitz<br />

zu den wichtigsten. Erst recht, seit die<br />

Bahn mit ihren Hochgeschwindigkeitstrassen<br />

lockt: Wenn alles glattgeht, schafft<br />

der ICE die 280 Kilometer von Berlin nach<br />

Hamburg in einer Stunde und 42 Minuten.<br />

Köln–Frankfurt (189 Kilometer)<br />

klappt im Schnitt in 75 Minuten, Hannover–Kassel<br />

mit Ausstieg ICE-Bahnhof Wilhelmshöhe<br />

(168 Kilometer) in 55 Minuten.<br />

Wer kommt da nicht in Versuchung,<br />

sich eine weite Anfahrt kurzzurechnen.<br />

„Viele reden sich ein, sie könnten auch<br />

im Zug arbeiten. Aber wenn der Zug voll<br />

ist, wird das schwierig“, sagt Personalberawegen<br />

psychischer Erkrankungen, je weiter<br />

sie vom Arbeitsplatz weg wohnen.<br />

Der typische <strong>Pendler</strong> ist männlich, älter<br />

als 35, hat Frau und Kinder. Doch die sind<br />

im Unterschied zu früher nicht mehr bereit,<br />

bedingungslos hinterherzuziehen.<br />

Auch, weil die Partnerin heute oft selber<br />

Karriere macht. „Männer sind lieber auf<br />

Achse“, sagt Norbert Schneider, Leiter des<br />

Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung<br />

in Wiesbaden. Sie verließen nur<br />

ungern ihre gewohnte Umgebung. Andere<br />

pendeln, weil ihr Büro umgezogen ist<br />

oder weil sie Angst haben, keinen anderen<br />

Job zu finden. „Manche leiden Jahrzehnte<br />

unter dieser Situation, ohne etwas daran<br />

zu ändern“, sagt Soziologe Schneider. Wochenendpendler<br />

wiederum bildeten sich<br />

sogar ein, mit der Reiserei ihre Karriere zu<br />

befördern. Ihr Kalkül: Werktags gilt die<br />

volle Konzentration dem Beruf, das Wochenende<br />

gehört der Familie. „Der typische<br />

Wochenendpendler ist hoch qualifiziert<br />

und gebildet“, sagt Schneider. Eine<br />

Zweitwohnung oder ständige Hotelübernachtungen<br />

können sich oft nur Top-Verdiener<br />

leisten.<br />

»<br />

Täglich quer durchs Ruhrgebiet<br />

Autorin Jule Körber, 30, pendelt<br />

130 Kilometer zwischen Essen<br />

und Gütersloh<br />

»Wohnte ich allein, wäre ich schon<br />

längst umgezogen«<br />

Körner eine Zweitwohnung am<br />

Rhein und pendelt jedes Wochenende<br />

mit dem Auto über die<br />

A 3. Rund 200 Kilometer, sieben<br />

Jahre lang. Allein für die Heimfahrt<br />

am Freitagabend braucht<br />

Körner oft bis zu vier Stunden.<br />

„Die Raststätten konnte ich irter<br />

Busold. „Mit der Zeit geht Ihnen die<br />

Pendelei gewaltig auf den Keks. Und nach<br />

spätestens zwei Jahren belastet der Stress<br />

die Arbeitsleistung.“<br />

Wie stark <strong>Pendler</strong> unter Strom stehen,<br />

hat bereits 2004 der britische Stressforscher<br />

David Lewis untersucht. Sein Ergebnis<br />

ist alarmierend: Droht ein<br />

<strong>Pendler</strong> seinen Zug zu verpassen,<br />

kann sein Stresspegel stärker<br />

steigen als der von Kampfpiloten<br />

im Einsatz. Die Gesundheit<br />

leidet mit steigender Entfernung.<br />

Laut einer von der AOK<br />

veröffentlichten Studie fehlen<br />

Arbeitnehmer umso häufiger<br />

Reportage<br />

Lesen Sie in der<br />

App, wie <strong>Pendler</strong><br />

unter dem Hochwasser<br />

zwischen<br />

Wolfsburg und<br />

Berlin leiden<br />

AUF DER ÜBERHOLSPUR<br />

So wie Peter Körner. Der 49-Jährige hat<br />

jahrzehntelang ein Leben auf der Überholspur<br />

geführt:Nach seinem Studium in Kiel,<br />

Informatik und Wirtschaftswissenschaft,<br />

und ersten Jobs bei TUI-Vorgänger Preussag<br />

in Hannover und dem genossenschaftlichen<br />

Berater Genoconsult bei Frankfurt<br />

holt ihn die Telekom als Personalentwickler.<br />

Schon in den Neunzigerjahren ist Körner<br />

berufsbedingt ständig auf Achse, den<br />

Kontakt zu seiner Frau hält er vor allem<br />

übers Handy. „Unter 600 Mark im Monat“,<br />

erinnert sich Körner, „hatte ich selten auf<br />

der Rechnung.“<br />

Bis in den Zirkel der 70 wichtigsten Konzernmanager<br />

steigt Körner auf, verantwortet<br />

die gesamte Personalentwicklung seines<br />

Arbeitgebers. Als er 2006 von Darmstadt<br />

wieder in die Zentrale nach Bonn beordert<br />

wird, bleibt seine Frau mit den beiden Kindern<br />

in Hessen. Die Berufsschullehrerin<br />

hatte sich gerade erst nach Darmstadt versetzen<br />

lassen. Also nimmt sich<br />

FOTO: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

86 Nr. 42 14.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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