HRRS Ausgabe 3/2013 - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen<br />
che Untersuchung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sanwalts gegen Nada in<br />
Ermangelung von Beweisen (schon 2005) eingestellt<br />
wor<strong>de</strong>n war. Die Löschung erfolgte prompt am<br />
23.9.2009. Die Streichung hatte in<strong>de</strong>ssen nicht <strong>de</strong>n Fortfall<br />
<strong>de</strong>r Beschwer im Verfahren vor <strong>de</strong>m EGMR zur Folge.<br />
10 Der Straßburger Gerichtshof sah vielmehr – nochmals<br />
3 Jahre später! – sowohl das Recht auf Achtung <strong>de</strong>s<br />
Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) als auch das<br />
Recht auf wirksame Beschwer<strong>de</strong> (Art. 13 EMRK) als<br />
verletzt an. Die Rüge <strong>de</strong>s Rechts auf Freiheit und Sicherheit<br />
(Art. 5 EMRK) hatte keinen Erfolg. Diese Entscheidung<br />
ist im Ergebnis aus menschenrechtlicher Perspektive<br />
sicherlich zu begrüßen, gibt in grundsätzlicher Hinsicht<br />
aber Anlass zu einiger Kritik.<br />
III. Kritikpunkte<br />
Der EGMR prüft zunächst das Vorliegen seiner Jurisdiktion<br />
ratione materiae. Er verwirft das Vorbringen Frankreichs,<br />
wonach die Schweiz nicht unter <strong>de</strong>r EMRK zur<br />
Verantwortung zu ziehen sei, weil das Sanktionsregime<br />
und ihre Umsetzungsakte <strong>de</strong>n Vereinten Nationen zuzurechnen<br />
seien. Einer solchen Argumentationslinie war<br />
<strong>de</strong>r EGMR in seiner Entscheidung in <strong>de</strong>r Rechtssache<br />
Behrami u. Saramati gefolgt. 11 In <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Konstellation<br />
lagen die Dinge aber entschei<strong>de</strong>nd an<strong>de</strong>rs.<br />
We<strong>de</strong>r ging es um die Ausübung von Kompetenzen, die<br />
<strong>de</strong>r Sicherheitsrat eigens an die Mitgliedstaaten <strong>de</strong>legiert<br />
hatte, noch ging es um Handlungen von Nebenorganen<br />
<strong>de</strong>r Vereinten Nationen (Z. 120). Trotz <strong>de</strong>s Tätigwer<strong>de</strong>ns<br />
im Interesse <strong>de</strong>r kollektiven Sicherheit <strong>de</strong>r Staatengemeinschaft<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Vereinten Nationen erfolgte<br />
die grundrechtsrelevante Umsetzung vielmehr gestützt<br />
auf nationale Kompetenzen und das Han<strong>de</strong>ln nationaler<br />
Organe. Diese aktive Mitwirkung <strong>de</strong>s Staates bei <strong>de</strong>r<br />
Umsetzung <strong>de</strong>r Sanktionen hat gegenüber <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>ln<br />
<strong>de</strong>r internationalen Organisation einen selbstständigen<br />
Charakter. Die Implementierung <strong>de</strong>s Sanktionsregimes<br />
und ihre Folgen waren daher <strong>de</strong>r Schweiz zuzurechnen.<br />
Auch wenn diese Aussage rechtlich grundsätzlich überzeugt,<br />
12 ist damit noch nicht gesagt, dass auch <strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>führer<br />
dieser jurisdiktionsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Hoheitsgewalt<br />
<strong>de</strong>r Schweiz unterfällt. Als ägyptischitalienischer<br />
Doppelbürger mit Wohnsitz in Italien be-<br />
10<br />
Da die Schweiz die Grundrechtsverletzung ungeachtet <strong>de</strong>r<br />
Unterstützung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>listing-Antrags nicht anerkannt und<br />
keine Wie<strong>de</strong>rgutmachung geleistet hatte, konnte keine Heilung<br />
<strong>de</strong>r Verletzung eintreten. Der Beschwer<strong>de</strong>führer durfte<br />
daher auch die nicht mehr gegenwärtige Verletzung seiner<br />
Konventionsrechte zulässig rügen.<br />
11<br />
EGMR, 2.5.2007, Behrami u. Saramati, Nr. 71412/01,<br />
78166/01, Z. 149; ferner Karpenstein/Mayer-Johann, EMRK<br />
(2012), Art. 1 Rn. 15; IntKomm-Fastenrath, 14. Lfg. (2012),<br />
Art. 1, Rn. 144.<br />
12<br />
Vgl. auch IntKomm-Fastenrath (Fn. 11), Art. 1, Rn. 63: die<br />
Umsetzung von Rechtshandlungen einer internationalen<br />
Organisation durch die mitgliedstaatlichen Gewalten ist<br />
staatliches Han<strong>de</strong>ln (und als solches <strong>de</strong>m Staat zurechenbar;<br />
nicht <strong>de</strong>r internationalen Organisation). Trotz Wahrnehmung<br />
völkerrechtlicher Verpflichtungen wer<strong>de</strong>n sie dadurch<br />
nicht zu Organen <strong>de</strong>r internationalen Organisation;<br />
Die Praxis <strong>de</strong>s EGMR ist aber sehr unbeständig und inkohärent,<br />
Rn. 64; kritisch auch Peters/Altwicker, Europäische<br />
Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2012, § 22 Rn. § 2 Rn.<br />
29.<br />
Meyer – Der Fall Nada vor <strong>de</strong>m EGMR<br />
fand sich <strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>führer außerhalb <strong>de</strong>s Jurisdiktionsbereichs<br />
<strong>de</strong>r Schweiz i.S.d. Art. 1 EMRK. Erst sein<br />
Wunsch, aufgrund seines prekären Gesundheitszustan<strong>de</strong>s<br />
Ärzte in Italien zu konsultieren o<strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong> und<br />
Bekannte außerhalb <strong>de</strong>r Enklave aufzusuchen, brachte<br />
ihn faktisch in <strong>de</strong>n Wirkungsbereich Schweizerischer<br />
Hoheitsgewalt. Der EGMR akzeptiert extraterritoriale<br />
Jurisdiktion in ständiger Rechtsprechung jedoch nur in<br />
Ausnahmefällen. 13 Außerhalb <strong>de</strong>s Territoriums <strong>de</strong>r Vertragspartei<br />
bedarf es eines beson<strong>de</strong>ren jurisdictional link. 14<br />
Es müssen beson<strong>de</strong>re Umstän<strong>de</strong> im Einzelfall vorliegen,<br />
die es rechtfertigen, gegenüber einem Vertragsstaat,<br />
menschenrechtliche Verpflichtungen aus Sachverhalten<br />
abzuleiten, die außerhalb seines Hoheitsgebiets liegen.<br />
Durch die grenzüberschreiten<strong>de</strong> Wirkung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns<br />
einer Vertragspartei allein gelangen die betroffenen Personen<br />
nicht unter <strong>de</strong>ren Jurisdiktion. 15 Anerkannte Fallgruppen<br />
sind unmittelbare Gewalt über eine Person<br />
(Kontrolle über Person) und effektive Gebietsherrschaft<br />
über frem<strong>de</strong>s Territorium (Kontrolle über Territorium).<br />
Die bloße Betroffenheit eines Auslän<strong>de</strong>rs im Ausland<br />
genügt grundsätzlich nicht. 16 Ein Recht auf Einreise o<strong>de</strong>r<br />
Transit aus <strong>de</strong>m Ausland steht nur <strong>de</strong>n eigenen Staatsangehörigen<br />
zu. Nada war aber we<strong>de</strong>r Staatsbürger <strong>de</strong>r<br />
Schweiz, noch lebte seine Familie dort. Der vorliegen<strong>de</strong><br />
Fall fällt mithin in keine <strong>de</strong>r anerkannten Kategorien. Es<br />
han<strong>de</strong>lt sich um einen echten Son<strong>de</strong>rfall. Aufgrund <strong>de</strong>r<br />
lokalen Gegebenheiten hat eine rein innerstaatliche<br />
Maßnahme für <strong>de</strong>n Beschwer<strong>de</strong>führer erhebliche Auswirkungen<br />
auf die Ausübungsmöglichkeit eines materiellen<br />
Konventionsrechts, namentlich Art. 8 EMRK. In einen<br />
rein tatsächlichen „cause and effect“-Zusammenhang<br />
kann zwar keine Zusicherung von Konventionsrechten<br />
hineingelesen wer<strong>de</strong>n. An<strong>de</strong>renfalls wür<strong>de</strong> man implizit<br />
behaupten, dass mit <strong>de</strong>r Ausführung <strong>de</strong>r verletzen<strong>de</strong>n<br />
(bzw. im Ausland tatsächlich spürbaren) Handlung einer<br />
Vertragspartei die Begründung <strong>de</strong>r (angeblich) verletzten<br />
Rechtsposition <strong>de</strong>s Betroffenen gegenüber <strong>de</strong>r Vertragspartei<br />
einhergeht. Dies wäre schon rein logisch schwer<br />
nachvollziehbar. Eine materiell-rechtliche Berechtigung<br />
kann jedoch dann erwachsen, wenn die Inanspruchnahme<br />
<strong>de</strong>r Konventionsrechte ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit<br />
voraussetzt. Kommt einem Vertragsstaat<br />
dabei aufgrund <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren räumlichen Lage eine<br />
ganz beson<strong>de</strong>rs herausgehobene Verantwortung für die<br />
wirksame Ausübung <strong>de</strong>s Grundrechts zu bzw. hat es ein<br />
Staat aufgrund seines im Ausland spürbaren Han<strong>de</strong>lns in<br />
<strong>de</strong>r Hand, ob ein Grundrecht praktisch überhaupt effektiv<br />
ausgeübt wer<strong>de</strong>n kann, lässt sich argumentieren, dass<br />
eine hinreichend konkrete und spezifische Wirkung auf<br />
die betroffene Person feststellbar ist, die eine Einbeziehung<br />
<strong>de</strong>s Betroffenen in <strong>de</strong>n Schutzbereich <strong>de</strong>s betroffe-<br />
13<br />
Karpenstein/Mayer-Johann (Fn. 11), Art. 1 Rn. 20 ff.;<br />
IntKomm-Fastenrath (Fn. 11), Art. 1 Rn. 97 ff.; Milanovic,<br />
Extraterritorial Application Of Human Rights Treaties:<br />
Law, Principles (2011).<br />
14<br />
IntKomm- Fastenrath (Fn. 11), Art. 1 Rn. 118.<br />
15<br />
IntKomm- Fastenrath (Fn. 11), Art. 1, Rn. 92 unter Verweis<br />
auf EGMR, 12.12.2001, Nr. 52207/99, Bankovic u.a. v. Belgien<br />
u.a., Z. 67 und EGMR, 8.7.2004, Nr. 48787/99, Ilascu,<br />
Z. 314.<br />
16<br />
An<strong>de</strong>rs hat <strong>de</strong>r EGMR bisher teilweise bei Ausübung unmittelbarer<br />
kausaler körperlicher Gewalt von Organen<br />
eines Vertragsstaats im Ausland entschie<strong>de</strong>n, Karpenstein/Mayer-Johann<br />
(Fn. 11), Art. 1 Rn. 30f.<br />
<strong>HRRS</strong> März <strong>2013</strong> (3/<strong>2013</strong>)<br />
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