HRRS Ausgabe 3/2013 - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen<br />
native Maßnahmen. Allerdings han<strong>de</strong>lt es sich dabei<br />
nicht um Maßnahmen zur Anpassung <strong>de</strong>s Sanktionsregimes<br />
an die beson<strong>de</strong>re Situation <strong>de</strong>s Betroffenen, son<strong>de</strong>rn<br />
um die Befreiung <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers von <strong>de</strong>n<br />
Sanktionen als solche. Der zweite Vorwurf knüpft nämlich<br />
an die unzureichen<strong>de</strong>n Schweizerischen Bemühungen<br />
um ein <strong>de</strong>listing <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers an (Z. 188).<br />
Während die Bun<strong>de</strong>sanwaltschaft ihr Untersuchungsverfahren<br />
bereits 2005 eingestellt hatte, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sanktionsausschuss<br />
<strong>de</strong>s Sicherheitsrats hierüber erst 2009 in<br />
Verbindung mit einem <strong>de</strong>listing-Antrag Nadas in Kenntnis<br />
gesetzt. Das eigentlich zuständige Heimatland Italien war<br />
ebenfalls nicht frühzeitig, d.h. unverzüglich im Jahr 2005,<br />
informiert und zur Stellung eines <strong>de</strong>listing-Antrags aufgefor<strong>de</strong>rt<br />
wor<strong>de</strong>n. 28 In tatsächlicher Hinsicht mag man <strong>de</strong>m<br />
EGMR in diesem Punkt recht geben, dass die Schweiz zu<br />
formalistisch, umständlich und schwerfällig vorgegangen<br />
ist. Auch aus ethischer Sicht mag klar sein, dass ein Tätigwer<strong>de</strong>n<br />
durch Intervention beim Sanktionsausschuss<br />
ungeachtet <strong>de</strong>r UN-internen Zuständigkeiten geboten<br />
gewesen wäre. Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r EMRK ist hingegen<br />
einzig relevant, ob die Schweiz eine entsprechen<strong>de</strong><br />
Schutzpflicht traf. Dies unterstellt <strong>de</strong>r EGMR ohne Begründung.<br />
Unter <strong>de</strong>m Strich bleibt es für <strong>de</strong>n EGMR daher dabei,<br />
dass die zuständigen Stellen in <strong>de</strong>r Schweiz ihren Umsetzungsspielraum<br />
und alternative Möglichkeiten, um<br />
gegenüber Nada das in einer <strong>de</strong>mokratischen Gesellschaft<br />
notwendige Eingriffsmass als Schranken-Schranke<br />
nicht zu überschreiten, nicht adäquat genutzt haben. 29<br />
Dieses Ergebnis dispensiert <strong>de</strong>n EGMR von weiteren<br />
Ausführungen zur Hierarchie zwischen Verpflichtungen<br />
aus <strong>de</strong>r UN-Charta und <strong>de</strong>r EMRK (Z. 197). Der EGMR<br />
darf sich in dieser Hinsicht glücklich schätzen, dass Nadas<br />
Name bereits 2009 gestrichen wur<strong>de</strong>. An<strong>de</strong>rnfalls<br />
hätte sich erweisen müssen, ob sich die als effektive<br />
Abhilfemöglichkeiten <strong>de</strong>klarierten Maßnahmen wirklich<br />
als hinreichend effektiv erwiesen hätten, um die Annahmen<br />
<strong>de</strong>s EGMR zu verifizieren. Diese Nagelprobe bleibt<br />
aus.<br />
28<br />
Z. 194. Zum damaligen Zeitpunkt konnte nur <strong>de</strong>r Heimatbzw.<br />
Wohnsitzstaat einen Antrag auf Delisting beim Sicherheitsrat<br />
stellen. Die Rechtslage hat sich bis heute stark<br />
gewan<strong>de</strong>lt, vgl. SR-Res. Nr. 1988 (2011), SR-Res. Nr. 1989<br />
(2011). So wur<strong>de</strong> zwischenzeitlich nicht nur die Institution<br />
einer Ombudsperson (SR-Res. Nr.1904 (2009), son<strong>de</strong>rn<br />
auch ein neuer Sanktionsausschuss geschaffen, <strong>de</strong>r sich anstelle<br />
<strong>de</strong>s „1267-Committee“ speziell mit Anträgen auf<br />
Aufnahme in die Liste und Streichung von <strong>de</strong>r Liste befasst.<br />
Aktuell könnte je<strong>de</strong>r Mitgliedstaat einen Antrag stellen.<br />
. Das aktuelle Sanktionsregime differenziert allerdings<br />
stärker zwischen <strong>de</strong>n Taliban und ihren Unterstützern<br />
einerseits und mit Al-Qaida assoziierten Personen und<br />
Gruppen an<strong>de</strong>rerseits. Daher können das Verfahren und die<br />
Entscheidungsstandards danach variieren, in welchem Abschnitt<br />
<strong>de</strong>r UN-Terrorliste die betroffene Person, Gruppe<br />
o<strong>de</strong>r Einrichtung aufgeführt ist und ob ein Drittstaat, <strong>de</strong>r<br />
listen<strong>de</strong> Staat, die Ombudsperson o<strong>de</strong>r die betroffene Person<br />
<strong>de</strong>n Antrag stellen.<br />
29<br />
Nicht endgültig klar wird, ob bei<strong>de</strong> Erwägungen alternativ<br />
tragen o<strong>de</strong>r erst kumulativ zur Unverhältnismäßigkeit <strong>de</strong>s<br />
Eingriffs führen.<br />
<strong>HRRS</strong> März <strong>2013</strong> (3/<strong>2013</strong>)<br />
2. Art. 13 EMRK<br />
Meyer – Der Fall Nada vor <strong>de</strong>m EGMR<br />
Interessanterweise kommt <strong>de</strong>r EGMR bei Art. 13 EMRK<br />
noch einmal auf diese Problematik zurück. Im Unterschied<br />
zu Art. 6 EMRK ist das Recht auf wirksame Beschwer<strong>de</strong><br />
in Art. 13 EMRK akzessorisch. Er begrün<strong>de</strong>t<br />
ein Individualrecht auf wirksame Überprüfung von Maßnahmen,<br />
die in Konventionsrechte eingreifen. Alle in <strong>de</strong>r<br />
EMRK und ihren Zusatzprotokollen anerkannten Rechte<br />
und Freiheiten erfahren auf diese Weise eine zusätzliche<br />
prozessuale Absicherung. 30 Art. 13 EMRK ist daher stets<br />
zusammen mit einem an<strong>de</strong>ren materiellen Konventionsrecht<br />
geltend zu machen. Seine erfolgreiche Geltendmachung<br />
setzt zwar nicht voraus, dass eine Verletzung im<br />
Gleichschritt mit <strong>de</strong>r Prüfung von Art. 13 EMRK nachgewiesen<br />
wird, <strong>de</strong>nnoch muss zumin<strong>de</strong>st ein vertretbarer<br />
Anspruch (arguable claim) vorliegen. 31 Bei offensichtlicher<br />
Unbegrün<strong>de</strong>theit <strong>de</strong>r behaupteten Konventionsrechtsverletzung<br />
wäre <strong>de</strong>r Schutzbereich von Art. 13 EMRK in<strong>de</strong>ssen<br />
nicht eröffnet. 32 Der EGMR fasst sich hier kurz und<br />
stellt das Vorliegen eines auf Art. 8 EMRK gestützten<br />
arguable claim knapp fest (Z. 209). Blickt man auf die<br />
anschließen<strong>de</strong> Prüfung von Art. 13 EMRK wird jedoch<br />
<strong>de</strong>utlich, dass es um einen ganz an<strong>de</strong>ren Anspruch geht.<br />
Der EGMR befasst sich nicht mit Rechtsbehelfen, die<br />
sich auf die oben angesprochenen Abhilfemöglichkeiten<br />
beziehen. Prüfungsgegenstand ist <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong> Rechtsschutz<br />
gegen die Listung selbst. Dies impliziert aber, dass<br />
dieses Konventionsrecht aus Sicht <strong>de</strong>s EGMR zumin<strong>de</strong>st<br />
bei kursorischer Betrachtung durch die Listung und die<br />
mit ihr aktivierten Sanktionen verletzt sein könnte. Damit<br />
tätigt <strong>de</strong>r EGMR – ungewollt? – doch eine Aussage<br />
zum prekären Rangverhältnis. Ein arguable claim ist nur<br />
dann begründbar, wenn Art. 103 UN-Charta keine Suprematie<br />
<strong>de</strong>s UN-Rechts gegenüber <strong>de</strong>r EMRK begrün<strong>de</strong>t.<br />
An<strong>de</strong>rnfalls müsste Art. 8 EMRK hinter <strong>de</strong>r Sanktionsverpflichtung<br />
zurücktreten und <strong>de</strong>r Anspruch wäre<br />
offensichtlich unbegrün<strong>de</strong>t. Der EGMR scheint also zumin<strong>de</strong>st<br />
implizit nicht von einem ein<strong>de</strong>utigen Vorrang<br />
<strong>de</strong>s UN-Rechts auszugehen. Gleichwohl kann die Prüfung<br />
von Art. 13 EMRK wohl nicht als eine vorläufige<br />
Aussage zum Rangverhältnis ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n, weil <strong>de</strong>r<br />
EGMR einen durch die Kadi-Entscheidung <strong>de</strong>s EuGH<br />
inspirierten normtheoretischen Ausweg fin<strong>de</strong>t (Z. 212),<br />
<strong>de</strong>r es ihm auch im Rahmen von Art. 13 EMRK gestattet,<br />
keine verbindliche Aussage dieser Art zu treffen. Dies<br />
erreicht <strong>de</strong>r Gerichtshof, in<strong>de</strong>m er einen Dualismus von<br />
UN-Rechtsordnung und nationaler Rechtsordnung annimmt.<br />
33 Das UN-Recht beschnei<strong>de</strong> nicht die Kompetenz<br />
<strong>de</strong>r Schweizer Gerichte, Umsetzungsmaßnahmen im<br />
30<br />
F. Meyer, <strong>HRRS</strong>-Festgabe für Gerhard Fezer, S. 131, 204.<br />
31<br />
EGMR, Powell u. Rayner v. Vereinigtes Königreich, Serie A<br />
Nr. 172, § 31; Boyle u. Rice v. Vereinigtes Königreich, Serie<br />
A Nr. 131, § 52; Camenzind v. Schweiz, Reports 1997-VIII,<br />
§ 53; EGMR, 18.7.2006, Nr. 28867/03, Keegan, Z. 41; Peters/Altwicker<br />
(Fn. 12), § 22 Rn. 5; Grabenwarter/Pabel,<br />
Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. (2011),<br />
Rn. 177.<br />
32<br />
Karpenstein/Mayer-Breuer (Fn. 11), Art. 13 Rn. 13f.<br />
33<br />
Diggelmann Schweizerische Zeitung für internationales und<br />
europäisches Recht 2009, 301, 334, bezeichnet dies als<br />
selbstreferenziellen Ansatz, bei <strong>de</strong>m im Fall <strong>de</strong>r Überlappung<br />
mehrerer Normordnungen die integrale Beachtung<br />
<strong>de</strong>r eigenen Zentralnormen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund gerückt<br />
wird.<br />
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