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HRRS Ausgabe 3/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

nen Konventionsrechts gebietet und für <strong>de</strong>n Vertragsstaat<br />

eine entsprechen<strong>de</strong> Schutzpflicht auslöst. 17<br />

Der EGMR hat sich mit dieser Problematik nicht ernsthaft<br />

auseinan<strong>de</strong>rgesetzt. Sein Hauptaugenmerk lag auf<br />

<strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n Normkollision von UN-Recht und EMRK,<br />

welche eine Entscheidung über die Hierarchie <strong>de</strong>r völkerrechtlichen<br />

Verpflichtungen unausweichlich gemacht<br />

hätte. Seit die grundrechtlichen Implikationen <strong>de</strong>r smart<br />

sanctions in das Bewusstsein <strong>de</strong>r Wissenschaft gerückt<br />

sind, hat diese Streitfrage große Aufmerksamkeit erfahren.<br />

18 War <strong>de</strong>r EGMR für die einen am Anfang Hoffnungsträger<br />

auf effektiven Grundrechtsschutz, mahnten<br />

an<strong>de</strong>re Stimmen zur Zurückhaltung, um <strong>de</strong>n Auftrag <strong>de</strong>r<br />

Vereinten Nationen nicht zu gefähr<strong>de</strong>n. 19 Das Momentum<br />

schien nach <strong>de</strong>r Kadi-Entscheidung <strong>de</strong>s EuGH eine<br />

weitere Grundsatzentscheidung für effektiven, unhintergehbaren<br />

Grundrechtsschutz zu begünstigen. Der EGMR<br />

wollte eine solche Entscheidung aber offensichtlich nicht<br />

fällen. Seine Erwägungen sind von <strong>de</strong>m spannungsgela<strong>de</strong>nen<br />

Bemühen geprägt, einerseits wirksam die Konventionsrechte<br />

zu schützen, an<strong>de</strong>rerseits aber einen grundsätzlichen<br />

Normkonflikt zu vermei<strong>de</strong>n. Um die im Raum<br />

stehen<strong>de</strong> Suprematie <strong>de</strong>s UN-Rechts aus Art. 103 UN-<br />

Charta zumin<strong>de</strong>st vor<strong>de</strong>rgründig nicht anzutasten, war es<br />

dabei primär erfor<strong>de</strong>rlich, <strong>de</strong>r Schweiz als Vertragsstaat<br />

durch Interpretation <strong>de</strong>r Sicherheitsresolutionen Manövrierraum<br />

zu verschaffen, <strong>de</strong>r hinreichend für die Wahrung<br />

<strong>de</strong>r Konventionsrechte ist. Auf diese Weise ist die<br />

Rangordnung aus Sicht <strong>de</strong>s Gerichtshofs nicht mehr<br />

entscheidungsrelevant. Die Herausarbeitung dieses Entscheidungsspielraums<br />

hinterlässt jedoch einen konstruierten<br />

Eindruck. Die Ungenauigkeiten und Kritikpunkte<br />

sollen nachfolgend aufgezeigt wer<strong>de</strong>n. Genügt <strong>de</strong>m<br />

EGMR bei <strong>de</strong>r Prüfung von Art. 8 EMRK methodisch das<br />

Instrument <strong>de</strong>r Interpretation, um das gewünschte Ziel<br />

zu erreichen, setzt er bei Art. 13 EMRK auf einen recht<br />

kühnen normtheoretischen Ansatz, <strong>de</strong>r im Anschluss<br />

ebenfalls beleuchtet wird.<br />

1. Art. 8 EMRK<br />

Der EGMR geht bei seinem Bemühen um Konfliktvermeidung<br />

zunächst auf seine Al-Jedda-Entscheidung ein,<br />

in welcher er sich bereits mit <strong>de</strong>r Implementierung von<br />

Sicherheitsratssanktionen durch Vertragsstaaten ausei-<br />

17<br />

In diesem Sinne ordnet Fastenrath Einreise- und Transitverbote<br />

gegenüber Bewohnern einer fremdstaatlichen Enklave<br />

bereits als anerkannte Ausnahme ein, wobei er ausdrücklich<br />

darauf hinweist, dass <strong>de</strong>r EGMR hierfür in Nada<br />

eine Begründung schuldig geblieben ist, IntKomm- Fastenrath<br />

(Fn. 11), Art. 1, Rn. 94; zur Begründungsmöglichkeit<br />

über die Lehre vom Konventionsraum, Rn. 109 f.<br />

18<br />

Milanovic 20 Duke Journal of Comparative & International<br />

Law 69 (2010), 76 ff.; Frowein, FS Tomuschat, S. 785, 795;<br />

Orakhelashvili 16 European Journal of International Law 59<br />

(2005), 60; De Wet, The Chapter VII Powers of the United<br />

Nations Security Council, 2004, S. 187 ff.; Martenczuk,<br />

Rechtsbindung und Rechtskontrolle <strong>de</strong>s Weltsicherheitsrats.<br />

Die Überprüfung nicht-militärischer Zwangsmaßnahmen<br />

durch <strong>de</strong>n Internationalen Gerichtshof, 1996, S. 272<br />

ff.; Hörmann, Archiv <strong>de</strong>s Völkerrechts 44 (2006), 267–327;<br />

Payan<strong>de</strong>h, ZaöRV 66 (2006), S. 41–71.<br />

19<br />

Reich Yale Journal of International Law 33 (2008), S. 505,<br />

510; Meyer ZEuS 2007, 1, 43 ff.<br />

<strong>HRRS</strong> März <strong>2013</strong> (3/<strong>2013</strong>)<br />

Meyer – Der Fall Nada vor <strong>de</strong>m EGMR<br />

nan<strong>de</strong>rgesetzt und versucht hat, eine praktische Konkordanz<br />

zwischen <strong>de</strong>n Verpflichtungen aus UN-Charta und<br />

EMRK herzustellen. 20 Ausgangspunkt <strong>de</strong>r Überlegungen<br />

<strong>de</strong>s EGMR ist die Stellung <strong>de</strong>r Menschenrechte in <strong>de</strong>r<br />

UN-Charta. Die För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Menschenrechte ist eines<br />

<strong>de</strong>r Hauptziele <strong>de</strong>r UN (Art. 1 Abs. 3 UN-Charta), auf<br />

die auch <strong>de</strong>r Sicherheitsrat verpflichtet ist (Art. 24 Abs. 2<br />

UN-Charta). 21 Hieraus leitet <strong>de</strong>r EGMR die Vermutung<br />

ab, dass <strong>de</strong>r Sicherheitsrat nur solche Maßnahmen anordnen<br />

wollte, die sich mit diesem Ziel vereinbaren lassen.<br />

22 Sicherheitsratsresolutionen ließen sich daher menschenrechtskonform<br />

interpretieren und in Einklang mit<br />

<strong>de</strong>n Konventionsrechten bringen. 23 Diese Vermutung gilt<br />

freilich nur, solange die konkreten Vorgaben <strong>de</strong>r Resolutionen<br />

tatsächlich noch mit <strong>de</strong>r EMRK vereinbar sind. Im<br />

Fall Al-Jedda war <strong>de</strong>r Wortlaut sehr allgemein gehalten,<br />

woraus ein weiter Spielraum für eine konventionskonforme<br />

Umsetzung resultierte. In diesem Punkt ist <strong>de</strong>r<br />

Fall Nada an<strong>de</strong>rs gelagert. Sowohl die Pflichten <strong>de</strong>r Mitgliedstaaten<br />

als auch die Ausnahmetatbestän<strong>de</strong> sind<br />

ein<strong>de</strong>utig formuliert. Das Drohen eines Normkonflikts<br />

war mithin unübersehbar.<br />

An diesem Punkt beginnt nun <strong>de</strong>r eigentliche und kritikwürdige<br />

Teil <strong>de</strong>r Entscheidung. Vorgeworfen wird <strong>de</strong>r<br />

Schweiz nicht, das Sanktionsregime überhaupt implementiert<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Betroffenen nicht gelöscht zu haben.<br />

Die Sanktionen wer<strong>de</strong>n nicht als solche für unvereinbar<br />

mit Art. 8 EMRK eingestuft. Ausschlaggebend ist statt<strong>de</strong>ssen<br />

die Erwägung, dass <strong>de</strong>r Schweiz nach Auffassung<br />

<strong>de</strong>s Gerichtshofs trotz <strong>de</strong>r klaren Fassung <strong>de</strong>r Sanktionsresolutionen<br />

hinreichen<strong>de</strong> Entscheidungsspielräume<br />

zugestan<strong>de</strong>n hätten, um die beson<strong>de</strong>re Lage <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers<br />

zu erleichtern und die Wirkung <strong>de</strong>s<br />

Sanktionsregimes damit auf ein Maß zurückzufahren, das<br />

<strong>de</strong>r Schranken-Schranke von Art. 8 EMRK genügt; d.h.<br />

konkret als necessary in a <strong>de</strong>mocratic society bewertet wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Diese Möglichkeit sei nicht hinreichend ausgeschöpft<br />

wor<strong>de</strong>n. Hierbei kumuliert <strong>de</strong>r EGMR zwei Erwägungen,<br />

wobei nicht recht <strong>de</strong>utlich ist, welche tragend<br />

ist. Unterstellt wur<strong>de</strong> zum einen, dass <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

territorialen Lage und <strong>de</strong>n gesundheitlichen Problemen<br />

besser hätte Rechnung getragen wer<strong>de</strong>n können. Zum<br />

an<strong>de</strong>ren seien Möglichkeiten nicht genutzt wor<strong>de</strong>n, um<br />

ein <strong>de</strong>listing von Nada zu erwirken. Wie sich diese Optionen,<br />

die ganz unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben,<br />

24 in <strong>de</strong>r Prüfung von Art. 8 EMRK argumentativ<br />

zusammenfügen, bleibt offen. Im Ergebnis wähnt sich<br />

<strong>de</strong>r EGMR von <strong>de</strong>r Entscheidung dispensiert, in welchem<br />

Rangverhältnis EMRK und UN-Recht zueinan<strong>de</strong>r stehen.<br />

Dieses Wunschresultat erzielt <strong>de</strong>r EGMR durch eine sehr<br />

oberflächliche und ergebnisorientierte Auslegung <strong>de</strong>r<br />

Sicherheitsresolutionen, über die <strong>de</strong>r Schweiz Handlungsspielraum<br />

zur Wahrung von Art. 8 EMRK zuge-<br />

20<br />

EGMR, 7.7.2011, Nr. 27021/08, Al-Jedda v. Vereinigtes<br />

Königreich, Z. 102 ff.<br />

21<br />

Ausführlich zu <strong>de</strong>n rechtlichen Bindungen <strong>de</strong>s Sicherheitsrats<br />

Fn. 18.<br />

22<br />

Vgl. schon Thallinger ZaöRV 67 (2007), 1015, 1028 f.<br />

23<br />

EGMR, 7.7.2011, Nr. 27021/08, Al-Jedda v. Vereinigtes<br />

Königreich, Z. 102 ff.<br />

24<br />

Bei <strong>de</strong>r einen geht es um die Sicherstellung <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />

<strong>de</strong>s Eingriffs, bei <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren um die Beseitigung<br />

<strong>de</strong>s Eingriffs insgesamt.<br />

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