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Musik › POP & ROCK<br />
| POP | OLDIES | JAZZ | KLASSIK | auf CD, SACD und LP<br />
POP-CD DES MONATS<br />
das Starten, das landen und der ganze rest<br />
Mit Album Nummer 6 gelingt den britischen Leisetöner Elbow eine wunderbar unprätentiöse<br />
Analogie auf das Leben am Rand des Wahnsinns – inspiriert von der umtriebigsten Stadt der Welt<br />
Manchen Dingen rückt man besser<br />
nicht zu sehr zu Leibe, sondern<br />
bewahrt eine gewisse Distanz. Aus nächster<br />
Nähe betrachtet und allzu rational analysiert,<br />
verliert das ein oder andere dann<br />
nämlich etwas an Glanz. Und: Man sollte<br />
Ähnliches nicht zu sehr miteinander vergleichen.<br />
Klar, dass das manchmal schwerfällt<br />
.... wer etwa schon sagen wir: drei Alben<br />
von Elbow (oder, eine Band, bei der es sich<br />
ähnlich verhält, von Element of Crime) im<br />
Regal stehen hat, der neigt wohl unweigerlich<br />
dazu, die Dinge in Relation, in Konkurrenz<br />
zueinander zu setzen.<br />
Und nicht zuletzt ist da noch die Gefahr der<br />
Gewöhnung, der Abnutzung. Die Stimme<br />
von Guy Garvey etwa hat man nun schon<br />
so oft gehört in der letzten Dekade, und so<br />
sehr man den Elbow-Sänger schätzt, so<br />
sehr beschleicht einen irgendwann der Gedanke:<br />
Herrje, ist der Kerl eigentlich immer<br />
so nachdenklich, melancholisch? Geht es<br />
nicht irgendwann mal etwas weniger graugetönt,<br />
etwas zupackender, unmittelbarer?<br />
All diese Gedanken begleiten den Hörer bei<br />
der Annäherung an das neue Album der britischen<br />
Leisetöner, und es dauert ein wenig,<br />
bis man dazu die richtige Haltung, sozusagen<br />
den Trick beim Hören findet. „Tritt<br />
zurück“, sagt aber irgendwann eine innere<br />
Stimme, „geh’ auf Distanz, hör’ die Disc,<br />
als wär’s das Debüt album.“ Und dann ist<br />
er wieder da, der Zauber des Elbow’schen<br />
Edel-Pops. Songs wie der kunstvoll-ruhige<br />
Opener „This Blue World“, „Fly Boy Blue<br />
+ Lunette“ (mit tatsächlich einmal akzentuierteren<br />
Vocals von Harvey) oder, top,<br />
„Charge“ mit schlanken Riffs und dezenter<br />
Elektronik, entpuppen sich als Beispiele<br />
präziser Erzählkunst – und als wunderbare<br />
Entschleunigungsmusik, die zwar Worte<br />
bedächtig abwägt und Harmonien fein dosiert<br />
(also nie zu viel von allem), aber immer<br />
hochkonzentriert und hellwach auftritt. Klar,<br />
dass hier auch eine strahlende Trompete<br />
in Verbindung mit einem Gospelchor („My<br />
Sad Captains“) zwar feierlich, aber ohne jedes<br />
aufdringliche Pathos daherkommt.<br />
Ideen sammelte der Bandleader diesmal<br />
übrigens in New York, direkt nachhörbar<br />
etwa in „New York Morning“. Sechs Monate<br />
verbrachte Harvey im big apple – „dort<br />
habe ich das Gefühl, dass meine Antennen<br />
ausgefahren sind“, erklärte er in einem Gespräch<br />
mit dem englischen Q Magazine, „in<br />
Manhattan fühlt es sich die ganze Zeit an,<br />
als ob jeden Moment jemand diese Sache<br />
in Umlauf bringt, die die Welt verändern<br />
wird.“ Wie der Elbow-Chef darauf reagiert –<br />
analytisch, reflektierend –, das ist denn auch<br />
eine feine Charakterstudie darüber, wie gelassen<br />
ein Brite mittleren Alters dem Trubel<br />
im „hot spot“ der Neuen Welt begegnet.<br />
Nein, Guy Harvey wird man garantiert nie<br />
vor einem Apple-Store campen und mit<br />
einem neuen iPhone jubelnd aus dem Shop<br />
stürmen sehen. Lieber sitzt er in der Bar nebenan<br />
und schreibt kluge Lieder über derlei<br />
soziologische Merkwürdigkeiten. Christof<br />
Hammer<br />
The Seldom Seen Kid (2008); National, Teardrop<br />
Explodes, The Blue Nile, R.E.M.<br />
Elbow<br />
The Take Off And Landing<br />
Of Everything<br />
Fiction/Universal (CD, LP)<br />
Pop<br />
Musik:<br />
Klang:<br />
76<br />
www.audio.de ›04 /2014