Die Untersuchung können Sie hier aus dem Netz als pdf-Datei ...
Die Untersuchung können Sie hier aus dem Netz als pdf-Datei ...
Die Untersuchung können Sie hier aus dem Netz als pdf-Datei ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Holger Backh<strong>aus</strong>-Maul / Thomas Groß<br />
Treuhandverträge in der Freien<br />
Wohlfahrtspflege des Landes Berlin<br />
MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT<br />
HALLE-WITTENBERG<br />
P H I L O S O P H I S C H E F A K U L T Ä T III
Holger Backh<strong>aus</strong>-Maul / Thomas Groß<br />
Treuhandverträge in der Freien<br />
Wohlfahrtspflege des Landes Berlin<br />
MARTIN-LUTHER-UNIVERSITÄT<br />
HALLE-WITTENBERG<br />
P H I L O S O P H I S C H E F A K U L T Ä T III
AUFTRA GGE BER:<br />
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband/Landesver band Berlin<br />
AUFTRA GNEHME R:<br />
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
Philosophische Fakultät III<br />
Erziehungswissenschaften<br />
Fachgebiet „Recht, Verwaltung und Organisation“<br />
Halle, im Februar 2008
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Kurzfassung ................................................................................................................................................ 5<br />
Einleitung .................................................................................................................................................... 9<br />
I. Wohlfahrtsstaatliches Kontraktmanagement .................................................................. 11<br />
II. Berliner Treuhandverträge ..................................................................................................... 21<br />
III. Forschungsdesign ....................................................................................................................... 24<br />
IV. Ergebnisse der <strong>Untersuchung</strong> ................................................................................................ 26<br />
a. Rollenverständnis der Akteure ................................................................................ 28<br />
b. Steuerung über Kontraktmanagement ................................................................. 31<br />
c. Politische Einflussnahme ........................................................................................... 45<br />
d. Autonomie der Träger ................................................................................................. 48<br />
e. Finanzielle Ressourcen ............................................................................................... 50<br />
f. Transparenz in der Aufgabenwahrnehmung ...................................................... 59<br />
g. Qualität der Leistungserbringung .......................................................................... 63<br />
h. Intermediäre Verhandlungsposition der Verbände ......................................... 65<br />
V. Zusammenfassung und Fazit .................................................................................................. 70<br />
Literaturverzeichnis ................................................................................................................................. 75<br />
Anlagenverzeichnis .................................................................................................................................. 81<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 3
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 4
KURZFASSUNG<br />
Das Bundesland Berlin schließt seit Mitte der 1990er Jahre im Bereich der über Zuwendungen<br />
finanzierten gesundheitlichen und sozialen Leistungen Treuhandverträge mit den<br />
Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege ab. <strong>Die</strong> Verbände werden <strong>als</strong> intermediäre<br />
Beliehene zwischen Verwaltung und Zuwendungsempfänger eingeführt, die einerseits ein<br />
vertragliches Treuhandverhältnis mit der zuwendungsgebenden Verwaltung und andererseits<br />
ein Förderverhältnis mit den Leistungsanbietern eingehen. <strong>Die</strong> Beleihung muss durch<br />
einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, den sogenannten Treuhandvertrag, erfolgen.<br />
Nach über zehnjähriger Erfahrung mit den Treuhandverträgen lag es im Interesse des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes, eine Zwischenbilanz zu ziehen, und festzustellen, welche<br />
Erfahrungen und Einschätzungen die an den Treuhandverträgen beteiligten Akteure haben.<br />
Anfang 2006 wurde die Philosophische Fakultät III/Erziehungswissenschaften/Fachgebiet<br />
„Recht, Verwaltung und Organisation“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
mit der Durchführung dieser <strong>Untersuchung</strong> beauftragt. Mit Hilfe von Experteninterviews<br />
sollte geklärt werden, ob und wenn ja, wie sich die Einführung von Treuhandverträgen <strong>aus</strong><br />
Sicht der beteiligten Akteure auf die Leistungserbringung <strong>aus</strong>gewirkt hat. Als Experten für<br />
Treuhandverträge wurden solche Interviewpartner/innen 1 <strong>aus</strong>gewählt, die auf den verschiedenen<br />
Hierarchieebenen in Politik, Verwaltung und Verbänden in den Entscheidungsprozess<br />
über die Ein- und Fortführung von Treuhandverträgen involviert waren und sind. Insgesamt<br />
wurden zwischen April und November 2006 vierzehn Interviews mit siebzehn Experten geführt.<br />
<strong>Die</strong> Befunde machen deutlich, dass die Praxis der Treuhandverträge unterschiedlich gedeutet<br />
und bewertet wird:<br />
Rollenverständnis der Akteure: Sachverhalte, wie Aufgabenkritik der Senatsverwaltung, Verantwortungsübernahme<br />
der Verbände und der damit zusammenhängende Rollenkonflikt<br />
infolge des „doppelten Mandats“ der Verbände sowie die kooperative Zusammenarbeit zwischen<br />
den Vertragsparteien, die schließlich mit den Erfordernissen staatlicher Fachaufsicht<br />
kollidiert, geben Grund zu der Annahme, dass es auf beiden Seiten, sowohl bei den Verbänden<br />
<strong>als</strong> auch bei der Senatsverwaltung im Zuge der Einführung von Treuhandverträgen zu<br />
einer veränderten Wahrnehmung und relativen Unklarheit ihrer bisherigen Rollen und Funktionen<br />
gekommen ist.<br />
Steuerung über Kontraktmanagement: <strong>Die</strong> Verträge würden sowohl der Senatsverwaltung<br />
<strong>als</strong> auch den Verbänden relativ große Gestaltungsspielräume ermöglichen. <strong>Die</strong> Verbände<br />
heben besonders hervor, dass sie durch die Verträge aktive Steuerungsmöglichkeiten unter<br />
Beteiligung ihrer <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen gewonnen hätten. <strong>Die</strong> Steuerungsmöglichkeiten<br />
jedoch, die die Verbände durch die Verträge bekommen haben, „gehören ihnen eigentlich<br />
1 Im Folgenden wird <strong>aus</strong> Gründen der besseren Lesbarkeit nur die männliche Kurzform verwand; selbstverständlich<br />
sind aber immer – wenn nicht <strong>aus</strong>drücklich anders vermerkt – beide Geschlechter gemeint.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 5
nicht“ – so Verbandsvertreter – da Steuerung Staatsaufgabe sein solle. Kritisiert werden von<br />
den Verbänden fehlende Steuerungsleistungen der Senatsverwaltung. Es wird sogar davon<br />
gesprochen, dass die Senatsverwaltung sich selbst nicht mehr in der Lage sähe, Umverteilungsprozesse<br />
und Kürzungen allein zu steuern. Hinzu kommt, dass auch aufseiten der<br />
Verbände die Gestaltungsspielräume infolge ständiger Mittelkürzungen immer kleiner würden.<br />
Politische Einflussnahme: <strong>Die</strong> wechselseitige politische Einflussnahme zwischen Einrichtungen<br />
und <strong>Die</strong>nsten einerseits sowie Politik andererseits hat sich nach Einschätzung der<br />
interviewten Experten durch die Treuhandverträge stark reduziert. Als Gründe werden die<br />
mehrjährigen Laufzeiten der Verträge, die in der Folge ein jährliches Eingreifen im Rahmen<br />
der H<strong>aus</strong>haltsplanung verhindern sowie die Übertragung von (Mit-) Entscheidungsrechten an<br />
Wohlfahrtsverbände und der Bedeutungsverlust des klassischen Projekt-Lobbyismus gegenüber<br />
Abgeordneten angegeben.<br />
Autonomie der Träger: <strong>Die</strong> <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen haben durch die Planungssicherheit<br />
der Treuhandverträge an fachlicher Autonomie gewonnen. <strong>Sie</strong> könnten ihre Ressourcen für<br />
die fachliche Arbeit anstatt für lobbyistische Zwecke einsetzen. Gleichzeitig erzeugten die<br />
Treuhandverträge aber eine stärkere Abhängigkeit der <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen von ihren<br />
jeweiligen Verbänden.<br />
Finanzielle Ressourcen: <strong>Die</strong> Treuhandverträge haben zu einer Stabilisierung der Mittel geführt.<br />
Ohne die Verträge hätte das Land in seiner momentanen H<strong>aus</strong>haltslage vor<strong>aus</strong>sichtlich<br />
höhere Mittelkürzungen vollzogen. Allerdings seien Mitteleinsparungen auch im Bereich der<br />
Treuhandverträge notwendig, sodass man eine Kürzung des Gesamtangebotes allerdings in<br />
Kauf nehmen würde. Jedoch steigt mit zunehmenden Mittelkürzungen auch der Widerstand<br />
der Verbände, weiterhin die Treuhänderrolle für die Senatsverwaltung zu übernehmen. Belegt<br />
sind jedoch die hohen Einsparungen, die die Verbände in den letzten Jahren innerhalb<br />
der Verträge umsetzen konnten.<br />
Transparenz in der Aufgabenwahrnehmung: Mit den Treuhandverträgen sei erstm<strong>als</strong> eine<br />
Vergleichbarkeit von Leistungsangeboten ermöglicht worden. Sowohl bei den Leistungsbeschreibungen<br />
<strong>als</strong> auch bei der Dokumentation der erbrachten Leistungen habe man – nach<br />
Selbsteinschätzung – beachtliche Erfolge erzielt. Seitens der Politik werden jedoch fehlende<br />
Einblicke in die Entscheidungsgrundlagen der LIGA beklagt. Darüber hin<strong>aus</strong> würden die Auswertungen<br />
und Erfolgskontrollen nur ansatzweise Realität widerspiegeln. „Das heißt, es geht<br />
nicht mehr darum, was wirklich ist, sondern wie es sich in Statistiken und sonst wo darstellen<br />
lässt.“<br />
Qualität der Leistungserbringung: Qualitätsverbesserungen seien nicht allein durch die Übertragung<br />
der Aufgaben auf Wohlfahrtsverbände zu erwarten. Man müsse mit allen Beteiligten<br />
kooperieren, um bei Problemen „partnerschaftliche“ Lösungen zu erarbeiten. Allerdings<br />
kann sich die Planungssicherheit langfristiger Verträge, wie sie durch die Treuhandverträge<br />
bewirkt wird, durch<strong>aus</strong> nicht ganz unproblematisch auf die Qualität der Arbeit <strong>aus</strong>wirken,<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 6
soweit eine weitere Finanzierung der <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen nicht vorrangig von der<br />
Qualität ihrer erbrachten Leistungen abhängen sollte; auch sei nicht zu erwarten, dass sich<br />
qualitativ bessere Arbeit nicht automatisch und allein durch höhere Zuwendungen erreichen<br />
ließe.<br />
Intermediäre Verhandlungsposition der Verbände: <strong>Die</strong> Aufgabe der Verbände bestünde vor<br />
allem darin, einen Interessen<strong>aus</strong>gleich zwischen <strong>dem</strong> Staat auf der einen und den Leistungsträgern<br />
auf der anderen Seite zu schaffen. <strong>Die</strong> Verbände seien näher an den<br />
Leistungserbringern „dran“ <strong>als</strong> die Senatsverwaltung und daher <strong>als</strong> Vermittler besser geeignet.<br />
Ein relevantes Problem sei momentan, nicht zu wissen, wer alles in die<br />
Planungsprozesse mit einzubeziehen ist. „Es scheint sich momentan eher in die Richtung zu<br />
entwickeln, dass wir immense Abstimmungs- und Abspracheprobleme kriegen.“ Auch die<br />
Verbindung zur Politik müsse wieder stärker gesucht werden, da sie durch die Treuhandverträge<br />
etwas abhanden gekommen sei.<br />
<strong>Die</strong> Studie zeigt, dass mit Hilfe der Verträge positive Entwicklungen eingeleitet, aber auch<br />
Unzulänglichkeiten zu Tage getreten sind. Das „Experiment Treuhandverträge“ des Landes<br />
Berlin wird am Ende der Einführungsphase von den beteiligten Akteuren in Abwägung der<br />
Vor- und Nachteile <strong>als</strong> grundsätzlich sinnvoll und zweckmäßig eingestuft.<br />
Offen geblieben ist, was – unter Kontraktbedingungen – eine erfolgreiche politische Steuerung<br />
<strong>aus</strong>macht und welche beobachtbaren und gegebenenfalls messbaren Effekte sie erzielt.<br />
Auf Seiten der Freien Wohlfahrtspflege stellt sich angesichts der mit dieser Studie vorgelegten<br />
Befunde die Grundsatzfrage, wie sich das verbandliche Selbstverständnis im<br />
Spannungsfeld zwischen Beauftragung und Beleihung entwickelt, beziehungsweise welchen<br />
Sinn und Zweck die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege mit der neu gewonnenen<br />
Autonomie und ihrer wachsenden Bedeutung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis verbinden.<br />
Und nicht zuletzt wäre zukünftig zu untersuchen, welche Verbesserungen und ggf.<br />
Verschlechterungen die Einführung von Treuhandverträgen auf Seiten der Klienten – um die<br />
es eigentlich geht – zur Folge haben.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 7
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 8
EINLEITUNG<br />
Seit einigen Jahren hat Berlin etwas zu bieten, was in dieser Form in Deutschland bisher<br />
einmalig ist: <strong>Die</strong> Initiative des Staates zur Beteiligung von Nonprofit-Organisationen, d.h. <strong>hier</strong><br />
der Freien Wohlfahrtspflege, an der Aufgabenerbringung im zuwendungsfinanzierten Sozialund<br />
Gesundheitsbereich. Das Bundesland Berlin verzichtet dabei nicht nur zugunsten der<br />
Freien Wohlfahrtspflege auf die direkte Leistungserbringung, sondern gibt sogar seine bisher<br />
ureigene Aufgabe, die Vergabe der Fördermittel, an die Wohlfahrtsverbände ab, die seit<strong>dem</strong><br />
im Auftrag des Staates mittels sogenannter Treuhandverträge <strong>als</strong> Zuwendungsgeber gegenüber<br />
den betroffenen Einrichtungen und Projekten fungieren. <strong>Die</strong>se spezielle Form<br />
sozi<strong>als</strong>taatlichen Kontraktmanagements verdient besondere sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit.<br />
Der vorliegende Bericht „Treuhandverträge in der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Berlin“<br />
stellt die Befunde des gleichnamigen Forschungsprojektes dar, dass an der Martin-<br />
Luther-Universität Halle-Wittenberg/Philosophische Fakultät III/Erziehungswissenschaften/<br />
Fachgebiet „Recht, Verwaltung und Organisation“ im Auftrag des Deutschen Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes/Landesverband Berlin in den Jahren 2006-2007 durchgeführt wurde.<br />
Im Rahmen dieses empirischen Forschungsprojektes wurde untersucht, welche Erfahrungen<br />
Expertinnen und Experten in Politik, Verwaltung und Wohlfahrtspflege mit Treuhandverträgen<br />
gemacht haben und wie sie diesen Gegenstandsbereich einschätzen. Zu diesem Zweck<br />
wurden leitfadengestützte Expertengespräche mit Vertretern der an den Verträgen beteiligten<br />
Senatsverwaltungen, parlamentarischen Ausschüsse, Spitzenverbände der Freien<br />
Wohlfahrtspflege sowie Fachverbände und <strong>Die</strong>nstleister geführt.<br />
Der vorliegende Bericht skizziert eingangs die aktuelle Debatte zum wohlfahrtstaatlichen<br />
Kontraktmanagement und den aktuellen Stand der sozial- und verwaltungswissenschaftlichen<br />
Forschung zu diesem Thema (Kapitel I). Anschließend werden der konkrete<br />
<strong>Untersuchung</strong>sgegenstand, d.h. die in die <strong>Untersuchung</strong> einbezogenen Treuhandverträge<br />
(Kapitel II), sowie das Forschungsdesign dargestellt (Kapitel III). Im Hauptteil des Berichts<br />
werden die Befunde der <strong>Untersuchung</strong> präsentiert. <strong>Die</strong> Darstellung folgt dabei den thematischen<br />
Schwerpunkten der Experteninterviews, d.h.:<br />
<strong>dem</strong> Rollenverständnis der Akteure,<br />
der Steuerung mittels Kontraktmanagement,<br />
der politischen Einflussnahme,<br />
der Autonomie der Träger,<br />
den finanziellen Ressourcen,<br />
der Transparenz in der Aufgabenwahrnehmung,<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 9
der Qualität der Leistungserbringung und<br />
der intermediären Verhandlungsposition der Verbände (Kapitel IV).<br />
Der Bericht schließt mit einer zusammenfassenden Darstellung und Analyse der Kernbefunde<br />
(Kapitel V).<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 10
I. WOHLFAHRTSSTAATLICHES KONTRAKTMANAGEMENT<br />
New Public Management<br />
Von den USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland <strong>aus</strong>gehend erfährt das Modell des<br />
New Public Management (NPM) seit den 1970er Jahren zunehmende Aufmerksamkeit. In<br />
der deutschen Debatte ist dieses Modell zur Reform der öffentlichen Verwaltung zeitverzögert<br />
in den 1990er Jahren vor allem unter <strong>dem</strong> Namen Neues Steuerungsmodell bekannt<br />
geworden. Mit <strong>dem</strong> Neuen Steuerungsmodell wird das Ziel verbunden, die Kosten der öffentlichen<br />
Verwaltung durch Steigerung von administrativer Effizienz und Effektivität zu<br />
senken; darüber hin<strong>aus</strong> soll mehr Wettbewerb unter den Anbietern öffentlicher Leistungen<br />
hergestellt, den Bürgern Wahlmöglichkeiten bei der Inanspruchnahme des öffentlichen<br />
<strong>Die</strong>nstleistungsangebotes eröffnet sowie die Transparenz, Innovation und Qualität der Leistungserbringung<br />
gefördert werden (vgl. Dahme/Kühnlein/Wohlfahrt/Burmester 2005: 50;<br />
Maelicke 2005: 151; Ruflin 2006: 59; Schröter/Wollmann 2005: 63).<br />
Aufgabenkritik<br />
Im Zentrum von NPM steht die Frage, welche Leistungen der Staat in Zukunft selbst erbringen<br />
sollte, und welche Leistungen dagegen von Privaten erbracht werden <strong>können</strong>. Im Kern<br />
geht es <strong>hier</strong>bei <strong>als</strong>o um eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft<br />
und Bürgern. Der Staat hat dabei in einem ersten Schritt zu entscheiden, für welche Aufgaben<br />
er grundsätzlich Verantwortung übernehmen will (Zweckkritik), um anschließend zu<br />
überlegen, wie er diese Aufgaben wahrnehmen möchte (Verfahrenskritik). Dabei legt er fest,<br />
in welcher Organisationsform diese Aufgaben in politischer, qualitativer und ökonomischer<br />
Hinsicht sinnvoll und zweckmäßig zu erfüllen sind (vgl. Naschold/Budäus/Jann/Mezger/<br />
Oppen/Picot/Reichard/Schanze/Simon 1996: 13). Der Staat übernimmt bei diesen Aufgaben<br />
die Verantwortung, dass diese Aufgaben auch tatsächlich erbracht werden (Gewährleistungsverantwortung).<br />
Wie er diese Verantwortung versteht und definiert, kann<br />
nation<strong>als</strong>taatlich unterschiedlich sein. Eine umfassende Verantwortung übernimmt er, wenn<br />
er selbst die Leistung erbringt (Vollzugsverantwortung). Er kann sich allerdings auch darauf<br />
beschränken, <strong>aus</strong>schließlich die finanziellen Mittel zur Wahrnehmung der Aufgabe zur Verfügung<br />
zu stellen (Finanzierungsverantwortung) oder aber lediglich eine Garantie dafür<br />
übernehmen, dass eine Aufgabe auch dann noch angeboten wird, wenn Private diese nicht<br />
mehr selbst anbieten <strong>können</strong> oder wollen (Auffangverantwortung) (vgl. Röber 2005: 89).<br />
Durch diese Differenzierung kann der Staat sicherstellen, dass er trotz Privatisierung staatlicher<br />
Aufgaben nicht per se auch seine Verantwortung verliert oder aufgibt. Überall dort, wo<br />
zu erwarten ist, dass Private eine Leistung qualitativ besser bzw. eventuell sogar wirtschaftlicher<br />
erbringen <strong>können</strong>, müsste sich der Staat unter der ordnungspolitischen Prämisse des<br />
Subsidiaritätsprinzips <strong>aus</strong> seiner Vollzugsverantwortung her<strong>aus</strong>lösen und Privaten die Aufgabenerbringung<br />
überlassen. Allerdings ist es im wohlverstandenen Eigeninteresse des<br />
Staates eine derartige Privatisierung steuernd umzusetzen, in <strong>dem</strong> die Rahmen vorgegeben<br />
werden, innerhalb derer die Aufgabe durch Private erbracht werden soll.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 11
Kontraktmanagement<br />
Ein wichtiges Instrument des NPM ist das Kontraktmanagement, d.h. die Steuerung über<br />
Zielvereinbarungen. Kontrakte basieren auf Zielen, die unter den Kontraktpartnern für einen<br />
bestimmten Zeitraum vereinbart worden sind (vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für<br />
Verwaltungsvereinfachung 1998: 12 f.). Nach den Vorschlägen der Kommunalen Gemeinschaftsstelle<br />
für Verwaltungsvereinfachung sollten Kontrakte insbesondere Vereinbarungen<br />
enthalten über die Quantität und Qualität der zu erstellenden Leistungen, über das dafür<br />
benötigte Budget sowie Inhalt und Art der Berichterstattung über die Umsetzung der Ziele.<br />
Das Kontraktmanagement richtet folglich die Aufmerksamkeit auf das Leistungsergebnis und<br />
stellt damit einen paradigmatischen Wechsel von der klassisch administrativen Input-<br />
Steuerung zur neuen wirtschaftlichen Output-Steuerung dar (vgl. Jann 2005: 77; Nullmeier<br />
2005: 431).<br />
Es soll dazu beitragen, die Verantwortung von dezentralen Einheiten der Staatsverwaltung<br />
zu stärken, dabei jedoch die Steuerungsmöglichkeiten durch die übergeordnete Instanz sicherstellen<br />
(vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1998: 10 f.).<br />
Kontraktmanagement vollzieht sich von daher in vier Phasen (siehe Grafik): (1) Zielfindung,<br />
(2) Zielvereinbarung, (3) Zielvollzug und (4) Rechenschaft, die jeweils durch ein kontinuierliches<br />
Controlling unterstützt werden, das die Kontraktpartner mit entscheidungsrelevanten<br />
Informationen versorgt und die Leistungen und Planungen der einzelnen Bereiche aufeinander<br />
abstimmt (vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1998:<br />
28).<br />
Managementzyklus Kontraktmanagement<br />
• Controlling<br />
• Controlling<br />
Zielfindung<br />
Zielvereinbarung<br />
(Kontrakt)<br />
Rechenschaft<br />
(Ziel-) Vollzug<br />
• Controlling<br />
• Controlling<br />
Quelle: In Anlehnung an KGSt 1998: 22.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 12
Dasselbe gilt auch im Außenverhältnis zwischen Staat und privaten Leistungsanbietern. Der<br />
Staat entscheidet über spezifische öffentliche Aufgaben und bestellt die entsprechenden<br />
Leistungen bei Privaten, die <strong>als</strong> <strong>Die</strong>nstleister diese Leistungen erbringen. Bei wohlfahrtsstaatlichen<br />
Leistungen spricht man auch vom wohlfahrtsstaatlichen Kontraktmanagement.<br />
Einzelheiten dieser Aust<strong>aus</strong>chbeziehung zwischen Staat und privaten Leistungserbringern<br />
werden in Kontrakten vereinbart. <strong>Die</strong>se <strong>können</strong> sowohl in Form von Zielvereinbarungen oder<br />
in Form von rechtlich verbindlichen Leistungsverträgen bestehen. <strong>Sie</strong> sollen sicherstellen,<br />
dass die Aufgaben in der Art und Weise erbracht werden, wie es der Staat <strong>als</strong> Auftraggeber<br />
vorsieht. In Einzelfällen kann es zu einem reinen <strong>Die</strong>nstleistungseinkauf kommen, was den<br />
freien Trägern kaum noch eigenständige Gestaltungsspielräume bzw. Autonomie gewährt<br />
(vgl. Goetz 1999: 21).<br />
Theoretische Bezüge<br />
<strong>Die</strong> theoretischen Bezüge des NPM sind über<strong>aus</strong> vielfältig; eine einheitliche theoretische<br />
Grundlegung ist nicht gegeben. Ein Grund <strong>hier</strong>für dürfte darin zu sehen sein, dass sich im<br />
Rahmen der Verwaltungsmodernisierung vor allem Experten engagiert haben, die an praktischen<br />
Lösungen für anstehende Probleme interessiert sind. Je nach fachlicher Ausrichtung<br />
der beteiligten Experten werden unterschiedliche theoretische Ansätze favorisiert. Im Folgenden<br />
werden <strong>aus</strong>gewählte praxisrelevante Ansätze <strong>aus</strong> den Bereichen Mikroökonomie,<br />
Wohlfahrtsstaatspolitik und Sozialarbeit skizziert, die zu<strong>dem</strong> für das Verständnis und die<br />
Analyse der Treuhandverträge von besonderer Bedeutung sind.<br />
Mikroökonomische Ansätze<br />
Mikroökonomische Ansätze sind von allgemeiner und grundlegender Bedeutung für das<br />
NPM. Leitende Fragestellung dieser Ansätze ist die Bedeutung von institutionellen Regelungen<br />
für das Marktverhalten bzw. wie sich das Handeln der Marktteilnehmer auf Institutionen<br />
<strong>aus</strong>wirkt. Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses steht dabei das Verhältnis zwischen Staat,<br />
Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bürgern. Als besonders wichtige mikroökonomische Ansätze<br />
sind in diesem Zusammenhang der Transaktionskostenansatz, die Property-Rights-Theorie<br />
sowie die Principle-Agent-Theorie zu nennen.<br />
Transaktionskostenansatz<br />
Der Transaktionskostenansatz beleuchtet den Aspekt, dass bei der Übertragung von (wohlfahrtsstaatlichen)<br />
Aufgaben transaktionsbedingte Zusatzkosten entstehen und<br />
Transaktionen daher nicht kostenneutral erfolgen. Das <strong>Untersuchung</strong>sinteresse richtet sich<br />
auf die Betriebskosten des Wirtschaftens, um festzustellen welche Einrichtung und welcher<br />
<strong>Die</strong>nst eine Leistung vergleichsweise effektiv und effizient erbringt (vgl. Ruflin 2006: 63; Williamson<br />
1985).<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 13
Property-Rights-Theorie<br />
<strong>Die</strong> Property-Rights-Theorie 2 thematisiert die Eigentums- und Verfügungsrechte, die den<br />
handelnden Akteuren einen institutionellen Rahmen vorgeben, innerhalb dessen sie agieren<br />
und auch Transaktionskosten erzeugen. Angenommen wird, dass Akteure <strong>als</strong> Eigentümer<br />
grundsätzlich gewinnorientiert handeln und bestrebt sind, effizient zu wirtschaften und die<br />
Transaktionskosten niedrig zu halten. <strong>Die</strong> offene Frage ist allerdings, durch welche Anreize<br />
und Sanktionen man sicherstellen kann, dass Individuen auch in den Fällen bestrebt sind,<br />
effizient zu wirtschaften, in denen sie nicht die Eigentümer sind (vgl. Grüning 2000: 205 ff.;<br />
Proeller 2002: 68; Ruflin 2006: 64).<br />
Principle-Agent-Theorie<br />
Bei der Principle-Agent-Theorie steht das Verhältnis zwischen Auftraggeber (Principle) und<br />
Auftragnehmer (Agent) im Fokus der Aufmerksamkeit. Der Auftraggeber <strong>als</strong> Nicht-Fachmann<br />
hat gegenüber <strong>dem</strong> Auftragnehmer häufig ein Informationsdefizit und muss daher darauf<br />
vertrauen, dass der Auftragnehmer in seinem Sinne handelt. Problematisch an diesem Verhältnis<br />
ist allerdings, dass sowohl Auftraggeber <strong>als</strong> auch Auftragnehmer jeweils eigene<br />
Interessen haben, die nicht unbedingt deckungsgleich sind. Um Schaden an seinem Eigentum<br />
zu vermeiden, muss der Auftraggeber Überwachungs- und Kontrollmechanismen sowie<br />
Anreizsysteme entwickeln und die entsprechenden Kosten einkalkulieren. <strong>Die</strong> Beziehung<br />
zwischen Principle und Agent sowie die gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen<br />
werden üblicherweise in einem Kontrakt kodifiziert (vgl. Proeller 2002: 68 f.; Ruflin 2006:<br />
64 f.).<br />
Leistungstiefenpolitik<br />
Im deutschsprachigen Diskurs wird versucht, die genannten Ansätze im Konzept der Leistungstiefenpolitik<br />
zu integrieren. Im Kern geht es <strong>hier</strong> um die Frage „was macht ein Staat<br />
mittels seiner Verwaltung selber und was kauft er bei Privatpersonen oder Privatorganisationen<br />
zu welchen Bedingungen, warum und zu welchem Zeitpunkt und für welche Dauer<br />
ein“ (Ruflin 2006: 66). Der Staat versteht sich in diesem Sinne zunehmend <strong>als</strong> Gewährleistungsstaat<br />
und stellt lediglich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die unterschiedlichen<br />
Leistungserbringer zur Verfügung (vgl. Dahme/Kühnlein/Wohlfahrt/Burmester 2005: 53).<br />
In einer kritischen Betrachtung der genannten mikroökonomischen Ansätze wird hervorgehoben,<br />
dass das zugrunde liegende Menschen- und Weltbild vor allem an Vorstellungen von<br />
Gewinnmaximierung orientiert ist und dass tradierte gesellschaftliche Werte wie Gerechtigkeit,<br />
Chancengleichheit, Toleranz und Integration vernachlässigt werden (vgl. Taylor-Gooby<br />
1999). Der flexible Mensch, der sich ständig neu an veränderte Rahmenbedingungen anpassen<br />
muss, verhält sich zwar ökonomisch sinnvoll, ist aber – so der Kulturphilosoph Richard<br />
Sennett – <strong>dem</strong> Risiko der seelischen und sozialen „Verarmung“ <strong>aus</strong>gesetzt (vgl. Sennett<br />
2000; Ruflin 2006: 67).<br />
2 Auch: Theorie der Verfügungsrechte.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 14
Wohlfahrtsstaatliche Ansätze<br />
Einen anderen Zugang zum Thema Kontraktmanagement eröffnen wohlfahrtsstaatliche Ansätze,<br />
deren Ausgangspunkt die jeweiligen nationalen Varianten von Sozialpolitik darstellen.<br />
Der Staat wird <strong>hier</strong> <strong>als</strong> eine Institution betrachtet, die ihren Bürgern eine Reihe von Leistungen<br />
zur Verfügung stellt, auf die sie individuelle Rechtsansprüche haben. <strong>Die</strong>se Leistungen<br />
werden allerdings nicht nur vom Staat selbst, sondern auch von Dritten bereitgestellt, derer<br />
sich der Staat bedient. Somit entstehen zwischen Staat und Gesellschaft Interdependenzen,<br />
die durch Abhängigkeiten und Ungleichgewichte gekennzeichnet sind (vgl. Smith/Lipsky<br />
1998: 4 f.). Dem Kontraktmanagement und der Rolle der Nonprofit-Organisationen <strong>als</strong> Leistungserbringer<br />
sowie den zugrunde liegenden politischen Prozessen, ökonomischen<br />
Alternativen und gesellschaftspolitischen Präferenzen kommt <strong>hier</strong>bei besondere Aufmerksamkeit<br />
zu.<br />
Dritte-Sektor-Forschung<br />
<strong>Die</strong> Dritte-Sektor-Forschung bietet theoretisch-konzeptionelle Anknüpfungspunkte für die<br />
Bearbeitung dieser forschungsleitenden Fragestellungen. <strong>Sie</strong> definiert Nonprofit-<br />
Organisationen und Zivilgesellschaft <strong>als</strong> Dritten Sektor zwischen Markt und Staat (vgl. Anheier/Seibel<br />
1990; Birkhölzer 2005). Dabei wird Nonprofit-Organisationen eine hohe<br />
volkswirtschaftliche Signifikanz sowie hohe Bedeutung <strong>als</strong> gesellschaftspolitischer Akteur<br />
bescheinigt (vgl. Meyer 1999; Salamon/Anheier 1997; Zimmer/Hallmann 2002: 23). <strong>Die</strong> Dritte-Sektor-Forschung<br />
ist aber nicht nur makrosoziologisch <strong>aus</strong>gerichtet, sondern untersucht<br />
auch die Meso- bzw. Organisationsebene dieses Sektors, etwa organisationspolitische Konflikte<br />
und Effizienzmängel (vgl. Salamon 1997). So wird etwa her<strong>aus</strong>gearbeitet, dass die<br />
Forderung öffentlicher Mittelgeber nach Transparenz und Systematik der Handlungsprozesse<br />
zu Konflikten mit den Ansprüchen der ehrenamtlich Tätigen an ihre Arbeit führe, die <strong>als</strong><br />
Nichtprofessionelle und Freiwillige den gestellten Handlungsanforderungen nur zum Teil<br />
gerecht werden <strong>können</strong> und wollen. 3 Auf deren Unterstützung sind die Nonprofit-<br />
Organisationen jedoch in starkem Maße abhängig. Für die Nonprofit-Organisationen erfordert<br />
die Steuerung dieser ungleichen Anforderungen besondere organisatorische und<br />
gesellschaftliche Her<strong>aus</strong>forderungen (vgl. Backh<strong>aus</strong>-Maul 2003; <strong>Sie</strong>bart/Reichard 2004:<br />
271 ff.; Zimmer/Hallmann 2002: 23). <strong>Die</strong> Organisationen sind aufgrund der gesellschaftlichen<br />
Veränderungen 4 verstärkt in eine Identitätskrise zwischen Wertorientierungen und marktwirtschaftlichen<br />
Anforderungen geraten. „Das Selbstverständnis der Freien Wohlfahrtspflege,<br />
in einer pluralistischen Gesellschaft mit unterschiedlichen wertgebundenen Angeboten<br />
und <strong>Die</strong>nstleistungen zu konkurrieren, weicht einer Marktlogik, in der es nur noch um finanzielle<br />
Ressourcen und um Sicherung von Marktanteilen geht.“ (Olk 1996: 114 f.) <strong>Die</strong>se auf<br />
Effizienzsteigerung <strong>aus</strong>gerichtete Strategie kommt dabei zwangsweise auch mit den Imperativen<br />
der Mitgliedschaftslogik der Organisationen in Konflikt, die vor allem durch<br />
3 Zunehmend kritisiert werden u.a. mangelnde Transparenz und Überschaubarkeit bis hin zu dilettantischen<br />
Verhaltensweisen ehrenamtlichen Führungsperson<strong>als</strong> (vgl. Olk/R<strong>aus</strong>chenbach/Sachße 1996: 29).<br />
4 Darunter fallen insbesondere <strong>dem</strong>ographische, ökonomische sowie kulturelle Entwicklungen, die für die<br />
Nonprofit-Organisationen von besonderer Prägnanz sind (vgl. Öhlschläger 1995).<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 15
konsensorientierte Handlungsformen bestimmt wird. Denn die Mitglieder dieser Organisationen,<br />
die ihr Engagement, ihre spezifischen Werte und Interessen dort einbringen,<br />
erwarten im Gegenzug nicht nur Unterstützung, persönliche Beteiligungsmöglichkeiten und<br />
Akzeptanz, sondern eben auch Identifikationsmöglichkeiten, die wenig gemeinsam haben<br />
mit der auf organisatorische Effizienzsteigerung setzenden Einflusslogik. <strong>Die</strong> Bereitschaft,<br />
sich ehrenamtlich in „modernisierten <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmen“ zu engagieren, wird dadurch<br />
ebenso wie ihr Image <strong>als</strong> gemeinnützige Organisationen zunehmend untergraben. (vgl.<br />
Olk 1996: 114 f.; Olk/R<strong>aus</strong>chenbach/Sachße 1996: 18; Olk/Otto/Backh<strong>aus</strong>-Maul 2003). Infolge<br />
dieser Entwicklungen wurden bei den Nonprofit-Organisationen Modernisierungsprozesse<br />
in Gang gesetzt, die sie einem kontinuierlichen Wandel <strong>aus</strong>setzen. Organisatorische<br />
Restrukturierungen, Professionalisierungs- und Qualifizierungsprozesse und eine <strong>aus</strong>gedehnte<br />
Leitbilddebatte kennzeichnen beispielhaft die Wandlungsprozesse in den Nonprofit-<br />
Organisationen (vgl. Frohn 2004).<br />
Street-level-Bureaucracy-Ansatz<br />
Der Begriff der Street-level-Bureaucracy stellt einen für die Forschungsfragestellung relevanten<br />
Ansatz der Sozialpolitikforschung dar, der der Frage nachgeht, wie Sozialpolitik im Alltag<br />
von Leistungsempfängern und Leistungserbringern administriert und umgesetzt wird (vgl.<br />
Brodkin 1986). Der Street-level-Bureaucracy-Ansatz geht davon <strong>aus</strong>, dass das, was an Anforderungen<br />
in Kontrakten vorgegeben wird, sich nicht mit <strong>dem</strong> deckt, was tatsächlich geleistet<br />
wird. Denn die Sozialexperten, die die Leistung unmittelbar am Klienten erbringen, tun dieses<br />
auf der Grundlage eigener Vorstellungen, organisatorischer Rahmenbedingungen sowie<br />
professioneller Kompetenzen und Möglichkeiten (vgl. Sandfort 2000: 751); sie entscheiden<br />
damit maßgeblich über die erbrachten Leistungen und prägen die alltäglichen Vollzüge der<br />
Sozialpolitik. Der Ermessensspielraum der leistungserbringenden Sozialexperten ist umso<br />
größer, je ungenauer die Aufgabenstellung ist, und umso diffuser und widersprüchlicher die<br />
dahinter stehenden politischen Ziele formuliert sind. Das bei der Aushandlung der Kontrakte<br />
beteiligte Führungspersonal der Organisationen und der staatlichen Verwaltung hat <strong>dem</strong>gegenüber<br />
einen deutlich geringeren Einfluss (vgl. Brodkin 1986).<br />
Ökonomisierung des Sozialen<br />
Unter der schillernden Begrifflichkeit der „Ökonomisierung des Sozialen“ (Speck 1999: 80)<br />
lassen sich unterschiedliche Diskussionsbeiträge zusammenfassen, die den Sachverhalt beschreiben,<br />
dass betriebswirtschaftliche Instrumente und Verfahren sowie<br />
marktwirtschaftliche Vorstellungen auf den Sozi<strong>als</strong>ektor übertragen werden (vgl. Lemke/Krasmann/Bröckling<br />
2000; Speck 1999; Wohlfahrt 1999). In diesem Zusammenhang wird<br />
vermutet, dass die die Zivilgesellschaft prägenden solidarischen Handlungsnormen zunehmend<br />
durch wirtschaftliche Effizienzkriterien ersetzt werden. Als Indikator für eine derart<br />
fortschreitende Ökonomisierung des Sozialen wird die zunehmende Bedeutung von Managementwissen<br />
und -instrumenten in der sozialen Arbeit angesehen (vgl. Ruflin 2006: 73). Ziel<br />
dieses Managerialismus ist es, durch Effizienz- und Produktivitätssteigerungen institutionelle<br />
Reformen einzuleiten und zu beschleunigen (vgl. Clarke/Newman 1993: 427 ff.). Erreicht<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 16
werden soll dieses durch eine verstärkte Autonomie des Sozi<strong>als</strong>ektors von (partei-) politischen<br />
Vorgaben, was Freiräume verspricht, um besser agieren und zielgerichteter handeln<br />
zu <strong>können</strong>. In der Debatte um die Ökonomisierung des Sozialen wird kritisch angemerkt,<br />
dass <strong>als</strong> Folge dieses Managerialismus der Sozi<strong>als</strong>taat zu einem „Nachtwächterstaat“ werden<br />
würde (vgl. Ruflin 2006: 74; Speck 1999). Besondere Indizien für eine derartige Entwicklung<br />
werden darin gesehen, dass heute Sozialleistungen weniger <strong>als</strong> öffentliche Kollektivgüter,<br />
sondern vielmehr <strong>als</strong> Individualgüter, auf die Einzelbürger individuelle Anrechte haben, betrachtet<br />
werden (vgl. Kessl/Otto 2002: 129). Zu<strong>dem</strong> wird darauf verwiesen, dass angesichts<br />
der ungleichen gesellschaftlichen Machtverteilung immer noch bestimmte gesellschaftliche<br />
Gruppen nicht nur einen geringeren Einfluss auf sozialpolitische Verteilungsentscheidungen<br />
haben, sondern auch keinen wesentlichen Einfluss auf die Grundsatzentscheidung haben,<br />
was überhaupt <strong>als</strong> öffentliche Sozialleistung definiert wird und wer zur Inanspruchnahme<br />
berechtigt ist (vgl. Ruflin 2006: 74 f.; Schröter/Wollmann 2005: 66).<br />
Sozialarbeiterische Ansätze<br />
Aus Sicht der in der Sozialarbeit tätigen Personen, d.h. von Ehrenamtlichen, geringqualifizierten<br />
Mitarbeitern <strong>als</strong> auch von Fachkräften stellt sich die Frage, welchen Beitrag das<br />
Kontraktmanagement zur Professionalisierung und De-Professionalisierung der Sozialen Arbeit<br />
leistet.<br />
Professionalisierung sozialer Arbeit<br />
Unter Professionalisierung der Sozialen Arbeit wird dabei gemeinhin in einem weiten Verständnis<br />
die Entwicklung ehrenamtlich erbrachter und karitativ orientierter<br />
Arbeitsleistungen hin zu einer erlernten, wissenschaftlich fundierten und methodisch reflektierten<br />
beruflichen Tätigkeit verstanden (vgl. Merten 2000: 177 ff.). Für die Soziale Arbeit<br />
war es bisher kennzeichnend, dass sich Mitarbeiter gegen sozioökonomische Veränderungen<br />
unter Verweis auf ihr Expertenwissen und die Eigenlogik personenbezogener <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
zur Wehr setzten (vgl. Culpitt 1992: 141). Mittlerweile wird in der fachlichen Diskussion<br />
über die Zukunft der Sozialen Arbeit und ihrer Profession, darüber diskutiert, inwieweit sie<br />
sich für die Vielfalt und Vielzahl komplexer sozialer Probleme <strong>als</strong> problemlösungskompetent<br />
erweist. Für die Profession besteht in diesem Zusammenhang eine beachtliche Möglichkeit,<br />
sich pro-aktiv an den gesellschaftlichen und sozioökonomischen Veränderungsprozessen zu<br />
beteiligen (vgl. Sommerfeld 2003: 13). Jedoch sollte unterschieden werden zwischen den<br />
Aufgaben des Führungsperson<strong>als</strong> und derjenigen der Mitarbeiter. Während Führungskräfte<br />
in der Sozialen Arbeit auf Managementwissen und Managementinstrumente angewiesen<br />
sind, sind die Mitarbeiter in <strong>Die</strong>nsten und Einrichtungen primär auf eine nach Einsatzgebieten<br />
differenzierte Fachlichkeit angewiesen (vgl. Staub-Bernasconi 2001).<br />
<strong>Die</strong> <strong>hier</strong> vorgestellten mikroökonomischen, wohlfahrtsstaatspolitischen sowie sozialarbeiterischen<br />
Ansätze widerspiegeln zentrale Themen der aktuellen Diskussion zum New Public<br />
Management und zum Kontraktmanagement. Im Folgenden soll anhand <strong>aus</strong>gewählter empi-<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 17
ischer Befunde der derzeitige Stand der Forschung zum sozi<strong>als</strong>taatlichen<br />
ment aufgezeigt werden.<br />
Stand der Forschung zum Kontraktmanagement<br />
Empirische Studien zum sozi<strong>als</strong>taatlichen Kontraktmanagement sind kaum vorhanden. Das<br />
gilt für den angelsächsischen, aber ganz besonders für den deutschsprachigen Raum (vgl.<br />
Beinecke/Goodman/Lockhart 1997: 41; Gibelman/Demone 1998: XII; Kettner/Martin 1996:<br />
108; Peat/Costley 2000: 22). Trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen in den wenigen<br />
Studien lassen sich dennoch ziemlich regelmäßig Aussagen zu bestimmten Themenbereichen<br />
wie Kundenorientierung, Aufbau- und Ablauforganisation der Nonprofit-Organisationen,<br />
Zusammenarbeit zwischen Staat und Leistungserbringern, Professionalisierung der Arbeit<br />
sowie Finanzierung bei Staat und Leistungserbringern finden (vgl. Ruflin 2006: 80).<br />
Kundenorientierung<br />
<strong>Die</strong> vorliegenden Forschungsergebnisse zeigen, dass entgegen der Forderung der Vertreter<br />
des NPM eine höhere Beteiligung der Klienten und damit eine höhere Kundenorientierung<br />
durch das Kontraktmanagement nicht zu verzeichnen ist (vgl. Powell 1999: 871). Kontraktmanagement<br />
bezieht sich auf die Beziehung zwischen Leistungsbesteller und<br />
Leistungserbringer und berücksichtigt nicht die Einbindung des Klienten (vgl. Mackinthosh<br />
2000: 17). Darüber hin<strong>aus</strong> wird nachgewiesen , dass das Kontraktmanagement dazu beiträgt,<br />
dass sich Leistungserbringer auf Klientengruppen konzentrieren, die <strong>als</strong> relativ unproblematisch<br />
gelten, um den von der öffentlichen Hand geforderten Leistungskriterien, insbesondere<br />
sinkenden Kosten, auch gerecht werden zu <strong>können</strong>, mit der Folge, dass das Kontaktmanagement<br />
neue Ungleichheiten konstituiert (vgl. Barnett/Newberry 2002: 202 ff.;<br />
Beinecke/Goodman/Lockhart 1997: 50 f.; Brodkin/Fuqua/Thoren 2002: 22).<br />
Aufbau- und Ablauforganisation<br />
<strong>Die</strong> Studien zeigen auch, dass für viele Nonprofit-Organisationen im Zuge des Kontraktmanagements<br />
eine grundlegende Reorganisation notwendig wurde, um den Anforderungen des<br />
öffentlichen Leistungsbestellers nachzukommen (vgl. Beinecke/Goodman/Lockhart 1997:<br />
51). So wurden Mitarbeiter für ihre neuen Aufgaben weitergebildet und Abläufe sowie Zuständigkeiten<br />
stärker formalisiert (vgl. Strünck 1995). <strong>Die</strong>ses führte allerdings auch dazu,<br />
dass bisher spezifizierte Angebote und Arbeitsweisen in erheblichem Umfang vereinheitlich<br />
wurden (vgl. Hinte 1999: 297). Dagegen fielen die organisatorischen Anpassungsleistungen<br />
des öffentlichen Leistungsbestellers eher gering <strong>aus</strong> (vgl. Ruflin 2006: 82). Das Rollen- und<br />
Aufgabenverständnis wurde weitgehend unverändert beibehalten (vgl. Kirkpatrick/Kitchener/Owen/Whipp<br />
1999: 723), und auf Weiterqualifizierungen der<br />
Verwaltungsmitarbeiter wurde in der Regel verzichtet (vgl. Knapp/Hardy/Forder 2001: 293).<br />
Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass das Kontraktmanagement auf beiden Seiten erhöhte<br />
Managementanforderungen an das Führungspersonal gestellt hat (vgl. Kirkpatrick/<br />
Kitchener/Owen/Whipp 1999: 720 ff.).<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 18
Kooperation<br />
Bezüglich des Verhältnisses zwischen Staat und Nonprofit-Organisationen lassen die vorliegenden<br />
Forschungsergebnisse darauf schließen, dass diese Beziehungen grundsätzlich<br />
kooperativ <strong>aus</strong>gerichtet sind (vgl. Ruflin 2006: 85). <strong>Die</strong> Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung<br />
greifen vor allem auf solche Organisationen zurück, zu denen bereits langjährige bzw.<br />
bewährte Kooperationen bestehen (vgl. Beinecke/Goodman/Lockhart 1997: 51; Johnson/Jenkinson/Kendall/Bradshaw/Blackmore<br />
1998: 326). Vertrauen und Stabilität<br />
bestimmen somit stärker das Zustandekommen von Kontrakten <strong>als</strong> wirtschaftliche Kriterien<br />
wie Preis, Quantität und Qualität. Gleichberechtigte Beziehungen bestehen allerdings nur<br />
dann, wenn die Nonprofit-Organisationen über <strong>aus</strong>reichende Ressourcen und ein hohes<br />
Fachwissen verfügen; gerade dort, wo deren Mitarbeiter ehrenamtlich arbeiten, kommt es<br />
stattdessen immer wieder zu Machtgefällen (vgl. Powell 1999). Dabei lassen die vorliegenden<br />
<strong>Untersuchung</strong>en offen, ob das Kontraktmanagement dazu beiträgt, die<br />
korporatistischen Beziehungen zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden zu entflechten<br />
oder ob die privilegierte Stellung der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege sogar<br />
weiter verstärkt wird (vgl. Strünck 1995: 349 ff.).<br />
Profession<br />
<strong>Die</strong> in der Schweiz von Peter Sommerfeld und <strong>Die</strong>ter Haller durchgeführte <strong>Untersuchung</strong><br />
(vgl. Sommerfeld/Haller 2003) der in der Sozialen Arbeit Beschäftigten lässt folgende Typisierung<br />
zu: (1) den an althergebrachten Werten der überkommenen Organisations- und<br />
Professionskultur festhaltenden Traditionalisten, (2) den professionellen Modernisierer, der<br />
in der Orientierung an ökonomischen Prinzipien eine Chance zur Professionalisierung sieht,<br />
und (3) den „neo-liberalen“ Modernisierer, dessen Handeln auf ökonomischen Werten und<br />
Handlungsmethoden basiert. Studien in Australien (vgl. Healy 2002) und Großbritannien (vgl.<br />
Postle 2002) konnten belegen, dass Führungspositionen in Nonprofit-Organisationen mehr<br />
und mehr an Betriebswirtschaftler und immer weniger an Sozialarbeiter vergeben werden,<br />
wodurch das spezifische Fachwissen dieser Profession sowie deren Werte wie soziale Gerechtigkeit<br />
oder Solidarität mehr und mehr an Bedeutung verlieren würden. So wird die<br />
Befürchtung geäußert, dass mit Einführung des Kontraktmanagements verstärkt fachlich<br />
inadäquate Produkte und Leistungen angeboten werden würden, was durch das unzureichende<br />
Fachwissen der öffentlichen Leistungsbesteller noch verstärkt würde (vgl.<br />
Forder/Knapp/Wistow 1996: 201 ff.).<br />
Finanzierung<br />
In Hinblick auf die mit <strong>dem</strong> Kontraktmanagement einhergehenden Transaktionskosten zeigt<br />
die bisherige Forschung, dass die Kosten dann am geringsten sind, wenn zwischen Staat und<br />
Nonprofit-Organisationen eine auf Vertrauen und Stabilität basierende, kooperative Zusammenarbeit<br />
vorherrschend ist (vgl. Milward/Provan 2000: 368 ff.; Romzek/Johnston 2002:<br />
447 ff.). Dennoch sind die Transaktionskosten für den Staat auch unter günstigen Bedingungen<br />
hoch, insofern er eine sorgfältige Überprüfung der Kontrakte vornimmt und dabei<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 19
insbesondere die Klienten mit einbezieht (vgl. Smith/Smyth 1996: 295). Gerade dort, wo zwischen<br />
Leistungsbesteller und Leistungserbringer eine größere Dissonanz bezüglich der Werte<br />
und Normen bei der Leistungserbringung besteht, wäre ein höherer Einsatz von Kontrollund<br />
Steuerungsinstrumenten angebracht. Ein verstärkter Einsatz von besagten Kontroll- und<br />
Steuerungsinstrumenten wird allerdings gerade dort vernachlässigt, wo die kontraktuelle<br />
Beziehung auf Vertrauen beruht (vgl. Brown/Potoski 2003: 293 f.). Demzufolge birgt eine auf<br />
Vertrauen basierende kooperative Zusammenarbeit (mit <strong>dem</strong>entsprechend niedrigen Transaktionskosten)<br />
für den Leistungsbesteller grundsätzlich die Gefahr, dass die Leistungen nicht<br />
umfassend in seinem Sinne erbracht werden. Ob durch das Kontraktmanagement Einsparungen<br />
bzw. auch Qualitätssteigerungen zu erzielen sind, lässt sich anhand der bisher<br />
vorliegenden empirischen Ergebnisse nicht eindeutig sagen (vgl. Kettner/Martin 1996: 118;<br />
Ruflin 2006: 89).<br />
Innovationen<br />
<strong>Die</strong> in den Kontrakten veranschlagten Gelder für die Leistungserbringung sind zumeist knapp<br />
bemessen. <strong>Die</strong>ses führt dazu, dass Nonprofit-Organisationen weitgehend ihre zur Verfügung<br />
stehenden Ressourcen und Potenziale so einsetzen, dass das Angebot zumindest aufrechterhalten<br />
werden kann, ohne dass aber Innovationen möglich werden (vgl. Ruflin 2006: 89).<br />
Verstärkt wird dieses Problem noch durch die öffentlichen Leistungsbesteller, die auf bewährte<br />
Angebote und Anbieter setzen und erst mit erheblicher Zeitverzögerung oder gar<br />
nicht auf veränderte Bedarfe der Klienten Bezug nehmen (vgl. Smith/Smyth 1996: 281). Innovationshemmend<br />
wirkt sich zu<strong>dem</strong> <strong>aus</strong>, wenn der öffentliche Leistungsbesteller keine<br />
eindeutigen und konkreten Zielvorgaben gegenüber den Leistungserbringern macht (vgl.<br />
Barnett/Newberry 2002: 205; Knapp/Hardy/Forder 2001: 301 f.). Einige <strong>Untersuchung</strong>en<br />
sehen allerdings weniger in der knappen Finanzierung einen innovationshemmenden Faktor<br />
<strong>als</strong> vielmehr in den eng definierten Leistungsvorgaben der Kontrakte (vgl. Zauner/Meyer/Praschak/Mayrhofer/Heimerl-Wagner<br />
2003).<br />
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass einige der mit <strong>dem</strong> Kontraktmanagement<br />
beabsichtigten Effekte durch<strong>aus</strong> erzielt werden konnten, andere Effekte<br />
wiederum nicht eingetreten sind bzw. bestimmte Erwartungen relativiert werden müssen.<br />
<strong>Die</strong> nachfolgend präsentierte <strong>Untersuchung</strong> zu den Berliner Treuhandverträgen wird zeigen,<br />
welche Erwartungen <strong>aus</strong> Sicht der beteiligten Akteure mit der Einführung der Treuhandverträge<br />
im Land Berlin im Bereich der über Zuwendungen finanzierten gesundheitlichen und<br />
sozialen Projekte erfüllt werden konnten und welche nicht.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 20
II. BERLINER TREUHANDVERTRÄGE<br />
Das Bundesland Berlin schließt seit Mitte der 1990er Jahre im Bereich der über Zuwendungen<br />
finanzierten gesundheitlichen und sozialen Leistungen Treuhandverträge mit den<br />
Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege ab. <strong>Die</strong> H<strong>aus</strong>haltsordnung des Landes Berlin<br />
ermöglicht eine Beleihung von Verbänden, die <strong>als</strong> Treuhänder in den Handlungsformen des<br />
öffentlichen Rechts Zuwendungen gewähren dürfen. 5<br />
Verbände werden <strong>als</strong> intermediäre Beliehene zwischen Verwaltung und Zuwendungsempfänger<br />
eingeführt, die einerseits ein vertragliches Treuhandverhältnis mit der<br />
zuwendungsgebenden Verwaltung und andererseits ein Förderverhältnis mit den Leistungsanbietern<br />
eingehen (vgl. Menninger 2005, 164). Beleihung bedeutet die Übertragung<br />
bestimmter Hoheitsrechte auf Privatpersonen, in diesem Fall auf die Wohlfahrtsverbände <strong>als</strong><br />
juristische Personen. Es handelt sich <strong>hier</strong>bei um eine Form der mittelbaren Staatsverwaltung.<br />
Dass Private selbständig und mit eigenen Entscheidungskompetenzen <strong>aus</strong>gestattet staatliche<br />
Aufgaben wahrnehmen, stellt eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass nur Mitarbeiter der<br />
öffentlichen Verwaltung hoheitliche Befugnisse <strong>aus</strong>üben <strong>können</strong>. Es bedarf daher einer<br />
rechtlichen Grundlage, die durch die Regelungen in § 44 Abs. 2 und 3 der H<strong>aus</strong>haltsordnung<br />
des Landes Berlin geschaffen wurde. An eine Beleihung werden strenge Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />
geknüpft, insbesondere wird vom beleihenden Hoheitsträger erwartet, dass diesem eine<br />
ständige Kontrolle des Beliehenen möglich ist.<br />
<strong>Die</strong> Beleihung muss durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, den sogenannten Treuhandvertrag,<br />
erfolgen. Für die Wohlfahrtsverbände eröffnete diese vertragliche Grundlage die<br />
Möglichkeit, aktiv an den entsprechenden Förderentscheidungen mitzuwirken. Besondere<br />
Gestaltungsspielräume eröffnen sich dar<strong>aus</strong> für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin<br />
<strong>als</strong> – gemessen an der Zahl der Einrichtungen und <strong>Die</strong>nste – größten Wohlfahrtsverband in<br />
Berlin.<br />
Nach über zehnjähriger Erfahrung mit den Treuhandverträgen lag es im Interesse des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes Berlin, eine Zwischenbilanz zu ziehen, und festzustellen,<br />
welche Erfahrungen und Einschätzungen die an den Treuhandverträgen beteiligten Akteure<br />
haben. Dazu sollten <strong>aus</strong>sagekräftige Befunde wissenschaftlich erhoben, <strong>aus</strong>gewertet und<br />
dargestellt werden. Anfang 2006 wurde die Philosophische Fakultät III/Erziehungswissenschaften/Fachgebiet<br />
„Recht, Verwaltung und Organisation“ an der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg mit der Durchführung dieser <strong>Untersuchung</strong> beauftragt. Mit<br />
Hilfe von Experteninterviews sollte geklärt werden, ob und wenn ja, wie sich die Einführung<br />
von Treuhandverträgen <strong>aus</strong> Sicht der beteiligten Akteure auf die Leistungserbringung <strong>aus</strong>gewirkt<br />
haben.<br />
5 Vgl. § 44 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und § 23 Landesh<strong>aus</strong>haltsordnung Berlin sowie Nr. 19 der Ausführungsvorschriften<br />
zu § 44 Landesh<strong>aus</strong>haltsordnung.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 21
In die <strong>Untersuchung</strong> wurden – nach Absprache mit <strong>dem</strong> Auftraggeber – folgende Treuhandverträge<br />
und deren Vorläufer einbezogen:<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
LIGA-Vertrag „Gesundheit und Soziales“<br />
Vertrag „Ambulante Drogenhilfe“,<br />
Vertrag „Stadtteilzentren“ und<br />
Vertrag „Stadtteilzentren Hellersdorf-Marzahn“.<br />
Der LIGA-Vertrag „Gesundheit und Soziales“ wurde im Jahre 2001 für eine fünfjährige Laufzeit<br />
zwischen der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz<br />
(SenGSV) und der LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin (LIGA FW<br />
Berlin) abgeschlossen. Vergleichbare Vorgängerverträge, die sich aber noch getrennt auf<br />
soziale und gesundheitliche Aufgaben bezogen, gab es bereits ab 1994. 6 Das Budget für den<br />
LIGA-Vertrag „Gesundheit und Soziales“ betrug im Jahre 2005 18,1 Mio. € und bildet die Finanzierungsgrundlage<br />
für insgesamt 211 Projekte der überbezirklichen Sozial- und<br />
Gesundheitsversorgung.<br />
Beim Vertrag „Ambulante Drogenhilfe“ waren neben der Senatsverwaltung für Gesundheit,<br />
Soziales und Verbraucherschutz, die Landesverbände des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes,<br />
der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Caritas beteiligt. Der Vertrag trat ebenfalls im Jahr<br />
2001 mit einer Laufzeit von fünf Jahren in Kraft. Im Rahmen dieses Vertrages wurden mit<br />
einem Budget von 3,91 Mio. € (2005) 19 Projekte der ambulanten Drogenhilfe finanziert, die<br />
sich in Trägerschaft von neun unterschiedlichen Organisationen befanden. 7<br />
Der Vertrag „Stadtteilzentren“, ein Folgevertrag des Vertrages „Nachbarschafts- und Selbsthilfezentren“<br />
8 , wurde 2005 für eine Laufzeit von drei Jahren zwischen <strong>dem</strong> Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverband Berlin der SenGSV und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und<br />
Sport (SenBJS) geschlossen. Mit einem Budget von 3,44 Mio. € (2006) wurden sowohl 25<br />
Nachbarschaftszentren <strong>als</strong> auch zwölf Selbsthilfekontaktstellen bei 33 verschiedenen Trägern<br />
unterstützt. Für die Stadtteilzentren im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wurden in den<br />
Jahren 2002 bis 2005 gesonderte Verträge zwischen <strong>dem</strong> Bezirk Marzahn-Hellersdorf, <strong>dem</strong><br />
Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin und <strong>dem</strong> dortigen Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt<br />
(AWO) abgeschlossen. 9 Der Vertrag „Stadtteilzentren Hellersdorf-Marzahn“ sah mit<br />
einem Budget von 435.000 Euro in 2005 eine finanzielle Unterstützung von acht Stadtteil-<br />
6 Aktuell existieren seit 2006 wieder zwei getrennte Verträge mit jeweils einer Laufzeit von fünf Jahren, der<br />
„Integrierte Gesundheitsvertrag“ zwischen SenGSV und Paritätischem Wohlfahrtsverband Berlin für gesundheitliche<br />
Projekte inklusive der AIDS- und der Drogenprojekte, und der „LIGA-Sozialvertrag" zwischen SenGSV<br />
und LIGA FW Berlin für soziale Projekte in Berlin.<br />
7 Der Vertrag „Ambulante Drogenhilfe“ ist seit 2006 Bestandteil des „Integrierten Gesundheitsvertrages“.<br />
8 Der erste Vertrag wurde 2001 für zwei Jahre zwischen <strong>dem</strong> Verband für Sozial-Kulturelle Arbeit, SELKO und<br />
der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (SenBJS) geschlossen und im Jahr 2003 um weitere zwei<br />
Jahre verlängert.<br />
9 Ein erster Vertrag lief zwei Jahre, ein Folgevertrag weitere eineinhalb Jahre; zum Zeitpunkt der <strong>Untersuchung</strong><br />
wurde über einen neuen Vertrag verhandelt.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 22
zentren vor (vgl. Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband/Landesverband Berlin 2006:<br />
18 f.).<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> gab es zum <strong>Untersuchung</strong>szeitpunkt noch weitere Treuhandverträge, die<br />
allerdings auftragsgemäß nicht in die <strong>Untersuchung</strong> mit einbezogen wurden:<br />
<br />
<br />
Vertrag „Straffälligen- und Opferhilfe“<br />
Vertrag „AIDS-Hilfeprojekte“<br />
Sowohl der Vertrag „Ambulante Drogenhilfe“ <strong>als</strong> auch der Vertrag „AIDS-Hilfeprojekte“ sind<br />
seit 2006 Bestandteile des Integrierten Gesundheitsvertrages. <strong>Die</strong> sozialen Projekte werden<br />
seit 2006 durch den LIGA-Sozialvertrag wieder gesondert gefördert.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 23
III. FORSCHUNGSDESIGN<br />
Zielsetzung der vorliegenden <strong>Untersuchung</strong> war es, her<strong>aus</strong>zufinden, wie die oben genannten<br />
Treuhandverträge von den beteiligten Akteuren gedeutet und eingeschätzt werden. 10<br />
Zu diesem Zweck wurden leitfadengestützte Experteninterviews (vgl. Bogner 2005; Gläser<br />
2006) durchgeführt. <strong>Die</strong>se Form der Befragung bietet aufgrund des offenen und zugleich<br />
strukturierten Fragenkatalogs die Möglichkeit, bezogen auf den konkreten <strong>Untersuchung</strong>sgegenstand<br />
umfangreiches Expertenwissen <strong>aus</strong> unterschiedlichen Perspektiven zu<br />
analysieren (vgl. Krüger 2002: 209 f.), wobei die relativ offen gestellten Fragen den interviewten<br />
Expertinnen und Experten hinreichend Interpretations- und Deutungsspielraum zur<br />
Darstellung ihrer Sichtweise und Position eröffnen (vgl. <strong>Die</strong>kmann 2004: 443 f.).<br />
Als Experten für Treuhandverträge wurden – in Absprache mit der Geschäftsführung des<br />
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin – solche Interviewpartner <strong>aus</strong>gewählt, die auf den<br />
verschiedenen Hierarchieebenen in Politik, Verwaltung und Verbänden in den Entscheidungsprozess<br />
über die Ein- und Fortführung von Treuhandverträgen involviert waren und<br />
sind. 11 Dazu zählen (ehemalige) Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales<br />
und Verbraucherschutz sowie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin und der Arbeiterwohlfahrt<br />
Berlin, und auch des Verbandes für Sozial-Kulturelle Arbeit und der Gesellschaft<br />
für Beratung, Bildung und Innovation <strong>als</strong> beteiligtem <strong>Die</strong>nstleister; auf politischer Ebene<br />
wurden Vertreter des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Abgeordnetenh<strong>aus</strong>es<br />
von Berlin, des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf sowie mit den<br />
Treuhandverträgen betraute (ehemalige) Staatssekretäre interviewt.<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> war vorgesehen, einen Vertreter des Landesrechnungshofs zu dessen Erfahrungen<br />
und Einschätzungen bezüglich der Treuhandverträge zu befragen. Ein<br />
entsprechendes Experteninterview wäre eine sinnvolle Ergänzung zu den Ansichten der direkt<br />
betroffenen Institutionen gewesen, vor allem da es sich bei <strong>dem</strong> Rechnungshof Berlin<br />
diesbezüglich um eine unabhängige Institution handelt, die in den vergangenen Jahren<br />
mehrm<strong>als</strong> die Praxis der treuhänderischen Zuwendungsvergabe geprüft und in ihren Jahresberichten<br />
<strong>aus</strong>führlich kritisiert hat. Aufgrund der restriktiven Handhabung seiner<br />
Erkenntnisse lehnte der Rechnungshof seine Teilnahme an <strong>dem</strong> Forschungsprojekt bedauerlicherweise<br />
hingegen ab. 12<br />
10 Im Zusammenhang mit dieser untersuchungsleitenden Fragestellung wurden Hypothesen aufgestellt, die<br />
mithilfe der gewonnenen Daten untersetzt werden sollen. <strong>Die</strong> Hypothesen orientieren sich an den im ersten<br />
Kapitel beschriebenen von den verschiedenen Theorieansätzen aufgezeigten Problematiken und an den aktuellen<br />
Diskussionen, die im Zuge der Einführung des Kontraktmanagements aufgekommen sind. Ausführlich wird<br />
im Kapitel IV auf den Inhalt der Hypothesen eingegangen.<br />
11 Im Rahmen der Befragung wurde folglich darauf verzichtet, die über die Treuhandverträge finanzierten Einrichtungen<br />
und Projekte einzubeziehen, da sie nicht direkt in die vertraglichen Entscheidungsprozesse<br />
einbezogen worden sind.<br />
12 Der Rechnungshof verweist darauf, dass es sich bei seinen Prüfungsverfahren um einen verwaltungsinternen<br />
Vorgang handelt, sodass die dabei gewonnenen Erkenntnisse nicht-öffentlich bleiben müssten, soweit sie nicht<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 24
Insgesamt wurden zwischen April und November 2006 14 Interviews mit 17 Expertinnen und<br />
Experten geführt. In der Regel wurden die Interviews mit einem Experten geführt; während<br />
bei zwei Interviews 2 bzw. 3 Experten beteiligt waren. Ein Interview, das mit zwei Vertretern<br />
der SenGSV geführt wurde, konnte nicht <strong>aus</strong>gewertet werden, da die Aufzeichnung erhebliche<br />
technische Mängel aufwies.<br />
Bei der Konzeption der Interviews wurde eine durchschnittliche Dauer von einer Stunde veranschlagt;<br />
tatsächlich aber variiert die Dauer zwischen 30 und 100 Minuten. <strong>Die</strong>se zeitlichen<br />
Unterschiede erklären sich <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Grad der Einbindung in den Entscheidungsprozess über<br />
die Treuhandverträge und auch <strong>aus</strong> den unterschiedlichen Erzählstilen.<br />
Jeweils zu Beginn eines Interviews wurde den Experten mit einer sehr weit gefassten offenen<br />
Eingangsfrage Gelegenheit geboten, ihre Deutung und Einschätzung der<br />
Treuhandverträge darzulegen. Anschließend wurden, vor <strong>dem</strong> Hintergrund des Gesagten,<br />
vertiefende Nachfragen zu relevanten Einzelaspekten des Genannten gestellt. <strong>Die</strong> im Leitfaden<br />
13 vorformulierten Fragen wurden dabei so flexibel wie möglich auf das von den Experten<br />
Gesagte bezogen, um den originären Gehalt der Ausführungen der Interviewpartner weitgehend<br />
zu erhalten. Dabei ist hervorzuheben, dass in allen Interviews grundsätzlich eine sehr<br />
offene Gesprächsatmosphäre vorherrschte.<br />
Am Ende der Datenerhebung konnte auf insgesamt 800 Minuten mitgeschnittenes Interviewmaterial<br />
zurückgegriffen werden. Das technisch verwertbare Material wurde<br />
anschließend transkribiert und in einem zweiten Auswertungsschritt paraphrasiert. <strong>Die</strong> Aussagen<br />
der befragten Experten wurden daraufhin den untersuchungsleitenden Hypothesen 14<br />
zugeordnet und mithilfe des MindManagers der Firma Mindjet strukturiert. Auf dieser<br />
Grundlage konnten die gewonnenen Daten bestmöglich analysiert und <strong>aus</strong>gewertet werden.<br />
wegen ihrer Bedeutung in den Jahresbericht aufgenommen würden – wobei es sicherlich auch eine Frage der<br />
Interpretation ist, welchen Angaben welche Bedeutung beigemessen wird.<br />
13 <strong>Sie</strong>he Anlage 1.<br />
14 <strong>Sie</strong>he dazu Kapitel IV; eine Übersicht über alle aufgestellten Hypothesen liegt <strong>als</strong> Anlage 2 <strong>dem</strong> Bericht bei.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 25
IV. ERGEBNISSE DER UNTERSUCHUNG<br />
<strong>Die</strong> Interview<strong>aus</strong>sagen der Expertinnen und Experten wurden anhand von Hypothesen zu<br />
den Auswirkungen der Treuhandverträge auf die wohlfahrtsstaatliche Leistungserbringung<br />
systematisiert (vgl. Anlage 2); bei der Hypothesenbildung wurde der Stand der Fachdiskussion<br />
zum NPM weitgehend aufgenommen.<br />
<strong>Die</strong> Befragung des relativ weitgefächerten Gesamtspektrums der an den Entscheidungen<br />
über die Treuhandverträge beteiligten Akteure ermöglicht es, unterschiedliche Sichtweisen<br />
und Deutungen her<strong>aus</strong>zuarbeiten. <strong>Die</strong> folgenden Befunde machen deutlich, dass die Praxis<br />
der im Rahmen von Treuhandverträgen finanzierten öffentlichen Aufgaben unterschiedlich<br />
bewertet wird. Allerdings gibt es auch von den Interviewten gemeinsam geteilte Auffassungen<br />
über Wirkungen und Resultate der Treuhandverträge. Im Folgenden werden die<br />
Befunde in einem ersten Schritt anhand des authentischen Materi<strong>als</strong> präsentiert und anschließend<br />
sozialwissenschaftlich analysiert.<br />
IV. a. „Ausverkauf der Wohlfahrtsverbände, Untergang des Aben d-<br />
landes mindestens“ – Zum Rollenverständnis der Akteure<br />
<strong>Die</strong> Einführung des Kontraktmanagements bzw. von Treuhandverträgen hat sowohl beim<br />
Staat <strong>als</strong> auch bei den (Wohlfahrts-) Verbänden zu einer veränderten Rollenwahrnehmung<br />
geführt.<br />
Aufgabenkritik<br />
Der Staat hat im sozialen und gesundheitlichen Bereich über die Treuhandverträge das Zuwendungsverfahren<br />
weitgehend den Wohlfahrtsverbänden <strong>als</strong> Beliehene übertragen und<br />
sich damit selbst mit der Grundsatzfrage konfrontiert, was ist eine öffentliche Aufgabe. Vertreter<br />
der Senatsverwaltung verweisen in diesem Zusammenhang auf das<br />
Subsidiaritätsprinzip, wonach sich der Staat bei seinem Tätigwerden immer fragen muss,<br />
welche Leistungen er direkt in eigener Trägerschaft vorhalten muss und was stattdessen<br />
auch von freien Trägern geleistet werden kann. Aus Sicht der Verwaltung <strong>können</strong> die Wohlfahrtsverbände<br />
aufgrund ihrer fachlichen und personellen Nähe zur jeweiligen Aufgabe bei<br />
der Zuwendungsvergabe wesentlich besser <strong>als</strong> die Senatsverwaltung entscheiden. Es bestand<br />
somit keine Notwendigkeit mehr, das gesamte Zuwendungsverfahren <strong>als</strong> staatliche<br />
Aufgabe fortzuführen.<br />
Allerdings scheint die Übergabe dieser Aufgaben an die Wohlfahrtsverbände nicht konfliktfrei<br />
verlaufen zu sein. Ein Vertreter der Wohlfahrtsverbände spricht in diesem<br />
Zusammenhang sogar davon, dass Mitarbeiter der Verwaltung regelrecht traumatisiert waren,<br />
denn sie hatten auf einmal keine Aufgabe mehr. Mit Einführung der Treuhandverträge<br />
hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin die Verantwortung für die Abwicklung der<br />
Zuwendungen übertragen bekommen und geriet damit gleichzeitig in die Rolle des Geldgebers.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 26
Dennoch hebt die Verwaltung positiv hervor, dass die Übertragung bestimmter Aufgaben im<br />
Zusammenhang mit der Zuwendungsabwicklung es ihr ermöglicht, sich stärker auf Planungsund<br />
Steuerungsprozesse sowie ihre fachaufsichtlichen Aufgaben zu konzentrieren. Von Seiten<br />
der Wohlfahrtsverbände wird diese Entwicklung unterstützt. Demnach solle sich der<br />
Staat mit Hilfe von Treuhandverträgen überall dort der Gesellschaft und ihrer Verbände bedienen,<br />
wo er selbst nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügt. Allerdings wird <strong>dem</strong><br />
Staat auch ganz klar bescheinigt, dass er in einem <strong>dem</strong>okratischen Staatswesen die Letztverantwortung<br />
für Verteilungsentscheidungen nicht <strong>aus</strong> der Hand geben darf. Politische<br />
Steuerung wird <strong>als</strong> staatliche Kernaufgabe angesehen. Das bedeutet aber keineswegs, dass<br />
der Staat auch für den Betrieb von sozialen <strong>Die</strong>nsten und Einrichtungen zuständig wäre. <strong>Die</strong>ses<br />
– so die einhellige Meinung der interviewten Verbandsexperten – <strong>können</strong> sie selbst<br />
bedeutend besser. Für ein Funktionieren der Bürgergesellschaft ist es nach Auffassung der<br />
Verbände notwendig, dass sich der Staat auf die politische Steuerung sozialpolitischer Prozesse<br />
konzentriert: „Eine wirklich lebendige Bürgergesellschaft hat nur dann überhaupt eine<br />
Chance (…), wenn es einen anderen Staat gibt, einen anderen Staatsapparat – der nur noch<br />
steuert mit Fachexperten." 15<br />
Hier stößt der Staat allerdings auch an Grenzen. So kritisiert ein vom Paritätischen Wohlfahrtsverband<br />
Berlin mit bestimmten Aufgaben des Fachcontrollings beauftragter<br />
<strong>Die</strong>nstleister beispielsweise, dass auf politischer Ebene kaum Ansprechpartner mehr vorhanden<br />
sind, die noch ein Verständnis von Sozialpolitik haben, in den zuständigen<br />
Senatsverwaltungen auf Landesebene sähe es sogar noch schlechter <strong>aus</strong>. Bestätigt werden<br />
diese Aussagen auch durch Vertreter der befragten Senatsverwaltung selbst, die infolge des<br />
fortschreitenden Personalabb<strong>aus</strong> in den eigenen Reihen merklich Kompetenzlücken sehen.<br />
Kooperation<br />
Ein von allen Befragten bestätigter Effekt der Treuhandverträge besteht in der Anforderung,<br />
einvernehmlich mit den Beteiligten nach Lösungen für anstehende Probleme suchen zu müssen.<br />
Das betrifft sowohl die Beziehung zwischen Wohlfahrtsverbänden und<br />
Senatsverwaltung <strong>als</strong> auch das Verhältnis der Verbände untereinander. <strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände<br />
sehen in den Treuhandverträgen die Chance, „auf Augenhöhe, partnerschaftlich mit<br />
<strong>dem</strong> Staat zusammenarbeiten“ 16 zu <strong>können</strong>. Mit der Unterzeichnung der Treuhandverträge<br />
haben die Wohlfahrtsverbände gemeinsam mit <strong>dem</strong> Staat Verantwortung für eine leistungsfähige<br />
öffentliche Aufgabenerbringung übertragen bekommen. <strong>Die</strong> Verbände mussten<br />
dadurch ihren bisherigen „Besitzstandslobbyismus“ aufgeben und anerkennen, dass öffentliche<br />
Mittel begrenzt sind und verantwortungsvoll eingesetzt werden müssen: Der Verband<br />
musste erkennen, dass, „wenn wir selbst mit in der Verantwortung sind, wir auch unsere<br />
Lobbyarbeit anders wahrnehmen müssen. Wir <strong>können</strong> nicht mehr nur blind Besitzstandslobbyismus<br />
betreiben, sondern wir werden durch den Zwang dieser Verträge auch in die<br />
15 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 149-152.<br />
16 Interview Nr. 2 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 30-32.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 27
Verantwortung für leistungsfähige Versorgungsstrukturen eingebunden.“ 17 Gerade im Hinblick<br />
auf die fortwährenden staatlichen Mittelkürzungen sieht der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
Berlin einen großen Vorteil darin, selbst an den Entscheidungen über staatliche<br />
Mittelkürzungen beteiligt zu sein, um aktiv und anhand fachlicher Kriterien mitgestalten zu<br />
<strong>können</strong>, anstatt wie bisher überwiegend politischen Entscheidungen <strong>aus</strong>gesetzt zu sein.<br />
Auch die Senatsverwaltung vertritt mittlerweile den Standpunkt, dass sozialpolitische Aufgaben<br />
heute nur in einem „partnerschaftlichen Miteinander“ 18 mit den Verbänden bewältigt<br />
werden <strong>können</strong>. So habe die Einbindung der Wohlfahrtsverbände in wichtige Entscheidungsprozesse<br />
zum „Wegfall bestimmter Kontrapositionen“ 19 geführt. <strong>Die</strong>s bestätigt auch<br />
der bereits genannte <strong>Die</strong>nstleister und führt an, dass es <strong>dem</strong> Staat bei der Konstruktion der<br />
Treuhandverträge nicht darauf angekommen sei, die Verbände <strong>als</strong> reine <strong>Die</strong>nstleister zu betrachten<br />
– in diesem Fall wären Leistungsverträge die richtige Wahl gewesen – sondern mit<br />
ihnen gemeinsam Rahmenbedingungen zu erarbeiten, um so die politische Akzeptanz auf<br />
Seiten der Verbände zu erhöhen. Früher – so die Wahrnehmung der Senatsverwaltung –<br />
haben sich die Verbände noch <strong>als</strong> „Gegenpart des Staates“ 20 verstanden, was Abstimmprozesse<br />
sehr mühselig sein ließ. <strong>Die</strong> Verbände wehrten sich erfolgreich gegen eine staatliche<br />
Steuerung, was funktionierte, da der Staat genug Geld zu verteilen hatte und Interventionen<br />
dadurch eher restriktiv gehandhabt wurden. <strong>Die</strong> neue Generation in den Verbänden sei da<br />
eher kooperativ, die Beseitigung des klassischen Lobbyismus damit ein weiteres Ergebnis der<br />
Treuhandverträge: „Wir waren die ersten, die es <strong>aus</strong> diesem Mief, nämlich Lobbyismus,<br />
schafften.“ 21 Der klassische Verbändelobbyismus sah vor, sich für geplante Vorhaben, parlamentarische<br />
Unterstützung bei den Abgeordneten zu holen: „Also früher war das einfach.<br />
Da konnten die Verbände sagen 'Wir brauchen Geld für Gesundheitsförderung, für Migranten.<br />
Liebes Land Berlin besorge mal Geld'. So. Dann suchte man sich Abgeordnete, die das<br />
auch so gesehen haben. Jetzt war es anders geworden.“ 22<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> legen die Verträge eine kontinuierliche Zusammenarbeit der Verbände untereinander<br />
fest: „<strong>Die</strong> mussten endlich miteinander. Und sie mussten sich in einem Dachverband<br />
um die Schar der Betroffenen kümmern und weniger um sich selbst.“ 23 <strong>Die</strong><br />
Wohlfahrtsverbände stünden sich nunmehr <strong>als</strong> Partner anstatt <strong>als</strong> einzelne Interessenvertreter<br />
gegenüber. 24 <strong>Die</strong>ses – so ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin –<br />
war allerdings ein längerer Prozess, der anfangs noch von starken Verteilungskämpfen zwischen<br />
den Verbänden um die Fördermittel gekennzeichnet war. Ein Teil der Verbände wollte<br />
die alten Strukturen und lineare Kürzungen beibehalten, sie wehrten sich gegen stärker leis-<br />
17 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 280-285.<br />
18 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeile 82.<br />
19 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 418-421.<br />
20 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeile 699.<br />
21 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 562-563.<br />
22 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 93-96.<br />
23 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 486-489.<br />
24 Vertreter der SenGSV bestätigen auch den Leistungsträgern untereinander ein seit Einführung der Treuhandverträge<br />
stärker <strong>aus</strong>geprägtes partnerschaftliches und auf Fachlichkeit statt auf Konkurrenz beruhendes<br />
Miteinander; Konzepte würden gemeinsam erstellt.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 28
tungsorientierte und fachliche Debatten nach <strong>dem</strong> Motto „Jeder hat sein Kontingent, und<br />
wenn gekürzt wird, schön gleichmäßig, (…) sodass wir uns nicht ins Gehege kommen.“ 25<br />
Auch ein ehemaliger Staatssekretär der SenGSV bestätigt: „Da gab es eine gewisse Phase, da<br />
war das nicht so einfach, dass man über die Eigeninteressen hinweg schaut und wirklich mal<br />
versucht, fachlich zu schauen.“ 26 <strong>Die</strong> Verträge waren daher <strong>aus</strong> Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin „absolut umstritten“ 27 , denn sie bedeuteten einen tiefgreifenden<br />
Rollenwechsel für die Verbände. <strong>Die</strong>se konnten sich nun nicht mehr wie in alter lobbyistischer<br />
Tradition Abgeordnete für ihre Belange suchen, die sie anschließend politisch<br />
durchsetzten, sondern mussten diese fachlich begründen. „Und das hat natürlich bei den<br />
beteiligten Organisationen, Menschen, Personen tiefgreifende Fragen, Diskussionen <strong>aus</strong>gelöst.<br />
Also nach <strong>dem</strong> Motto 'Ausverkauf der Wohlfahrtsverbände, Untergang des<br />
Abendlandes mindestens'.“ 28<br />
Doppeltes Mandat<br />
Angesprochen wird von allen befragten Experten der latente Rollenkonflikt, in den die Verbände<br />
durch die Treuhandverträge gebracht wurden. So sind sie <strong>als</strong> Dachverband ihrer<br />
Einrichtungen und Projekte auf der einen Seite deren Interessenvertreter, der sich für ihre<br />
Anliegen auf staatlicher Seite einsetzen soll, und auf der anderen Seite übernehmen sie in<br />
ihrer Funktion <strong>als</strong> Beliehene und Geldgeber staatliche Aufgaben gegenüber ihren Mitgliedsorganisationen.<br />
Ein Vertreter eines Fachverbandes beschreibt diesen Konflikt<br />
folgendermaßen: „Das ist für die Verbände eine ganz fatale Sache. Und es ist eigentlich auch<br />
für den Staat eine fatale Sache. (…) Entweder macht man die Demokratie in diesen Verbänden<br />
kaputt – das passiert übrigens wahrscheinlich auch. Also die werden verstaatlicht.“ 29<br />
Ähnliche Gefahren sprechen auch Vertreter der Wohlfahrtsverbände an. So gab es anfangs<br />
intensive verbandsinterne Diskussionen, ob ein Verband in seiner Funktion <strong>als</strong> Dachverband<br />
Aufgaben übernehmen könne, die er möglicherweise gegen den Willen seiner Mitgliedsorganisationen<br />
umsetzen müsse. Verbandskollegen <strong>aus</strong> anderen Bundesländern sähen zu<strong>dem</strong><br />
ihre Aufgabe vor allem darin, sich gegen Vorgaben des Staates zu wehren anstatt selbst<br />
„staatliche“ Entscheidungen zu treffen. „<strong>Die</strong> sind eher auf das Spiel alle eingestellt, die Landesregierung<br />
oder die Kommune macht eine Vorgabe, und wir müssen uns dagegen wehren.<br />
<strong>Die</strong> finden das ganz kritisch, dass ich jetzt komme und sag 'Ich bestimme'.“ 30 So wurde <strong>dem</strong><br />
Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg von seinen Mitgliedsorganisationen anfangs sogar<br />
die Zustimmung zum Unterzeichnen des Treuhandvertrages verweigert.<br />
Mit ähnlichen Diskussionen hatte ebenfalls der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin zu<br />
kämpfen. Aus seiner Sicht gelang es ihm allerdings recht gut, diese Doppelfunktion wahrzunehmen;<br />
er konnte seine Mitgliedsorganisationen von den Verträgen überzeugen und bei<br />
25 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 358-359.<br />
26 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 337-340.<br />
27 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeile 89.<br />
28 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 100-103.<br />
29 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 311-315.<br />
30 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 385-388.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 29
ihnen durch eine erfolgreiche Steuerung Sympathien gewinnen. Eine weitere Möglichkeit,<br />
um mit diesem „doppelten Mandat“ 31 umzugehen, sieht ein anfänglich ebenfalls beliehener<br />
Fachverband darin, die Zuwendungen an seine Mitglieder nicht im Namen des Landes zu<br />
verteilen, weshalb dessen Mitglieder bei Problemen ihm gegenüber nicht offen sein könnten,<br />
sondern sich selbst wie dessen Mitgliedseinrichtungen <strong>als</strong> Empfänger der<br />
Gesamtzuwendung zu sehen, sich damit <strong>dem</strong> Senat gegenüber zu stellen und dann im eigenen<br />
Namen über die Verteilung der Mittel zu entscheiden. <strong>Die</strong>se Rollenkonstruktion sei<br />
allerdings von den Mitgliedern nie so wahrgenommen worden. „Also insofern bin ich einerseits<br />
ein Freund davon, zu sagen 'Kann man nicht diese Treuhandlösung durch etwas<br />
anderes ersetzen, um diese doppelte Legitimationsfalle sozusagen zu umgehen?' Und andererseits<br />
sehe ich in der Realität, dass es faktisch besser funktioniert in dieser<br />
Treuhandrolle.“ 32 Als günstig wird dabei bewertet, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
Berlin <strong>als</strong> Zuwendungsgeber nicht so nah an seinen Mitgliedern dran sei wie ein Fachverband,<br />
was den Konflikt des doppelten Mandates abmildere und dazu führe, dass er seine<br />
Rolle <strong>als</strong> Treuhänder leichter wahrnehmen könne – so der Vertreter dieses Fachverbandes.<br />
Staatliche Kontrolle<br />
Seitens der Senatsverwaltung wird auf einen weiteren grundlegenden Konflikt hingewiesen,<br />
der <strong>als</strong> Folge der Vertragskonstruktion wahrgenommen wird. Aufgrund der Beleihung unterliegen<br />
die Wohlfahrtsverbände in ihrer Funktion <strong>als</strong> Treuhänder ebenso wie die Verwaltung<br />
den Vorschriften des H<strong>aus</strong>haltsrechts und damit auch der staatlichen Kontrolle, während im<br />
privatrechtlichen Geschäftsverkehr die freie Ausgestaltung von Verträgen von grundlegender<br />
Bedeutung sei. Allerdings handele es sich bei den Zuwendungsmitteln, die über die Verträge<br />
vergeben werden um öffentliche Mittel, deren Verwendung vom Staat beaufsichtigt werden<br />
müsse: „Über die Verwendung von Steuergeldern muss es eine Aufsicht geben. Und die Aufsicht<br />
kann nur von <strong>hier</strong> <strong>aus</strong> geführt werden.“ 33 Sowohl die Fachaufsicht <strong>als</strong> auch die Aufsicht<br />
des Parlaments bezüglich der Treuhandverträge sollen nach <strong>dem</strong> Willen des Rechnungshofs<br />
<strong>aus</strong>gebaut werden. Eine starke Kontrolle kollidiere jedoch mit der Vertragskonstruktion zwischen<br />
Senat und Verbänden, da sie statt eines Vertragsverhältnisses zwischen<br />
gleichberechtigten Partnern ein Über-Unterordnungsverhältnis vor<strong>aus</strong>setze. <strong>Die</strong>ses Thema<br />
sei sehr konfliktreich, da die LIGA nicht besonders zugänglich für eine starke Kontrolle wäre.<br />
34<br />
Nach Ansicht der interviewten Verwaltungsexperten kann die Fachaufsicht daher nur in<br />
Form von gegenseitiger Verständigung erfolgen. Auch solle stärker getrennt werden zwischen<br />
Vertragsbestandteilen, welche die Beleihung zum Inhalt haben und bei denen eine<br />
Fachaufsicht überhaupt nur in Frage käme, und anderen Vertragsteilen. Kernpunkt der Ver-<br />
31 Im Zusammenhang mit der Legitimierung der Verbände durch ihre Mitgliedsorganisationen <strong>als</strong> Interessenvertreter<br />
auf der einen und durch die Senatsverwaltung <strong>als</strong> Beliehener auf der anderen Seite spricht ein<br />
Vertreter eines Fachverbandes auch vom „doppelten Mandat“ der Verbände.<br />
32 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 961-966.<br />
33 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 871-872.<br />
34 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 864-868.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 30
träge ist jedoch die Beleihung und der damit verbundene Einsatz der Zuwendungsmittel,<br />
weswegen unklar sei, wo die Grenze zu ziehen ist. Durch „präventives Vorgehen“ würde folglich<br />
versucht, Fehler zu vermeiden, damit der Rechnungshof bei seinen Kontrollen keine<br />
Anhaltspunkte für Kritik findet. 35 Äußerungen der Verbände lassen darauf schließen, dass<br />
diese Strategie allerdings auch kritisch betrachtet wird. Demnach führe die ständige Kritik<br />
des Rechnungshofes bei der Senatsverwaltung zu einem Angstgefühl, ihrer Aufsichtspflicht<br />
nicht gerecht zu werden, was sie zu einer „bürokratischen Prinzipienreiterei“ 36 veranlasst. Da<br />
Verwaltung durch die Treuhandverträge nicht mehr selbst für Steuerung und Aushandlung<br />
konflikthafter Prozesse verantwortlich ist, konzentriere sie sich stärker auf die Einhaltung<br />
formalen Zuwendungsrechts. „Das hat sich mittlerweile zu einem fatalen Kreislauf entwickelt,<br />
immer mehr bürokratisieren zu wollen.“ 37<br />
Rollenverständnis der Akteure<br />
<strong>Die</strong> <strong>hier</strong> beschriebenen Sachverhalte wie Aufgabenkritik der Senatsverwaltung, Verantwortungsübernahme<br />
der Verbände und der damit zusammenhängende Rollenkonflikt infolge<br />
des „doppelten Mandats“ der Verbände sowie die kooperative Zusammenarbeit zwischen<br />
den Vertragsparteien, die schließlich mit den Erfordernissen staatlicher Fachaufsicht kollidiert,<br />
geben Grund zu der Annahme, dass es auf beiden Seiten, sowohl bei den Verbänden<br />
<strong>als</strong> auch bei der Senatsverwaltung im Zuge der Einführung von Treuhandverträgen zu einer<br />
veränderten Wahrnehmung und relativen Unklarheit ihrer bisherigen Rollen und Funktionen<br />
gekommen ist.<br />
Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin sieht die aktuelle Situation folgendermaßen:<br />
„Man müsste wieder zurück gehen zu den alten Rollen. (…) Das ist heute<br />
völlig verloren gegangen. Also, eigentlich müsste die Rollen<strong>hier</strong>archie so sein: Der Staat<br />
macht gesamtstädtische für die Bundeshauptstadt verbindliche Planung. <strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände<br />
setzen dann mit <strong>dem</strong> Senat die Planung um. Und die Projekte führen sie <strong>aus</strong>. So, das<br />
müsste eigentlich die Logik sein. Und das sehe ich nicht mehr, das sehe ich nicht. Ich sehe<br />
Senatsmitarbeiter, die zu Projekten laufen und mit denen reden über Einzelbelange. (…) Das<br />
kleinste ist ganz wichtig, und mit <strong>dem</strong> größten will sich keiner beschäftigen. Also ich sehe so<br />
ein bisschen die Probleme der klaren Rollendefinitionen.“ 38<br />
IV. b. Warum muss der Staat eigentlich immer steuern? – Steuerung<br />
über Kontraktmanagement<br />
Durch die Treuhandverträge haben sich der sozial- und fachpolitische Einfluss der Wohlfahrtsverbände<br />
und die Möglichkeit, in einzelnen Förderbereichen zu steuern, verändert. <strong>Die</strong><br />
in diesem Zusammenhang erfolgte Übertragung bestimmter Aufgaben auf die Verbände,<br />
35 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 880-885.<br />
36 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeile 651.<br />
37 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 665-667.<br />
38 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 609-630.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 31
führte wiederum bei der Senatsverwaltung zu einem veränderten Steuerungsverständnis<br />
und entsprechenden Leistungsänderungen.<br />
Staatliche versus verbandliche Steuerung<br />
Seit der Einführung der Treuhandverträge teilt sich der Staat bestimmte Steuerungsaufgaben<br />
mit Wohlfahrtsverbänden <strong>als</strong> – nach Auffassung der Senatsverwaltung – kompetenten Partnern.<br />
<strong>Die</strong> Verträge würden daher – so ein Mitglied des Parlaments – sowohl der<br />
Senatsverwaltung <strong>als</strong> auch den Verbänden relativ große Gestaltungsspielräume ermöglichen.<br />
Auch die Verbände heben besonders hervor, dass sie durch die Verträge aktive Steuerungsmöglichkeiten<br />
unter Beteiligung ihrer Leistungsträger gewonnen hätten, die sie vorher nicht<br />
kannten. Bis dahin habe die Senatsverwaltung „angeordnet“, wogegen die Verbände in ihrer<br />
Funktion <strong>als</strong> Interessenvertreter ihrer Mitglieder anschließend „Widerstand leisteten“. Ein<br />
Staatssekretär a.D. der SenGSV äußert sich dazu wie folgt: „Also ich sage, Staat muss nicht<br />
alles machen. Ich muss <strong>als</strong> Staat dafür sorgen, dass eine Aufgabe erledigt wird. Aber ich muss<br />
sie nicht selbst erledigen. (…) Es gibt ein paar Pflichtaufgaben. Feuerwehr, Polizei, Lebensmittelkontrolle<br />
muss ich möglicherweise machen. Aber ich muss nicht alles andere<br />
machen.“ 39 Demzufolge hat der Staat vor allem zu gewährleisten, dass öffentliche Aufgaben<br />
auch tatsächlich erbracht werden. Steuerung beziehe sich <strong>als</strong>o darauf, festzulegen, welche<br />
Aufgaben erfüllt werden sollen, nicht aber darauf, diese Aufgaben auch selbst zu erledigen.<br />
Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin sieht es ähnlich: „Weil ich so<br />
nahe an <strong>dem</strong> Staat dran war und mitbekommen habe wie er reagiert, wie seine Bürokratien<br />
funktionieren, war mir immer klar, dass eine hochdynamische Gesellschaft mit so einem<br />
Staatsapparat dauerhaft nicht zu steuern ist, oder nicht die Leistungen, die der Staat eigentlich<br />
erbringen müsste, erstellt werden <strong>können</strong>.“ 40<br />
Aus Sicht der Fachverbände werden die Mitwirkungsmöglichkeiten, die die Verbände durch<br />
die Verträge erhalten, durch<strong>aus</strong> begrüßt, jedoch wird der sinkende Einfluss des Staates auch<br />
ambivalent beurteilt. <strong>Die</strong> Steuerungsmöglichkeiten, die die Verbände durch die Verträge<br />
bekommen haben, „gehören ihnen eigentlich nicht“ 41 – so ein Vertreter eines Fachverbandes<br />
– da Steuerung Staatsaufgabe sein solle. <strong>Die</strong> Verbände hätten sich stattdessen um ihre<br />
Mitglieder zu kümmern. „<strong>Die</strong> öffentliche Hand, die das Geld hat, kapituliert vor der Zivilgesellschaft<br />
und sagt ihr 'Wir kriegen das nicht mehr geregelt. Macht Ihr das mal'. (…) Und<br />
dann plötzlich haben diejenigen, die die Akteure im Feld sind, durch<strong>aus</strong> die Möglichkeit, ihre<br />
Vorstellungen viel viel schneller umzusetzen, <strong>als</strong> wenn sie drei Jahre brauchen bis irgendein<br />
Politiker ein Wahlprogramm geschrieben hat. Jetzt haben sie ja schon gleich die Ressourcen<br />
und <strong>können</strong> die dann so verteilen.“ 42<br />
Das Parlament hat die abnehmenden staatlichen Einflussmöglichkeiten bereits <strong>als</strong> Problem<br />
wahrgenommen: „Ich denke, dass der Senat ein Stück weit auch seine Verantwortung mit<br />
39 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 505-511.<br />
40 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 135-140.<br />
41 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeile 303.<br />
42 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 498-505.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 32
dieser Art von Vertragskonstruktion <strong>aus</strong> der Hand gegeben hat. Er benennt nur noch politische<br />
Aufgabenfelder (…), aber die tatsächliche Einflussnahme auf die Umgestaltung in <strong>dem</strong><br />
jeweiligen sozialpolitischen oder gesundheitspolitischen Feld hat er schon nicht mehr. Es<br />
geht <strong>als</strong>o auch in der Gestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Senat und der LIGA<br />
hauptsächlich, denke ich, um die Formalien, <strong>als</strong>o einer konkreten Abrechnung und einer<br />
konkreten finanziellen Umsetzung dieser Vertragskonstruktion, weniger <strong>als</strong>o um den fachpolitischen<br />
Aust<strong>aus</strong>ch und den fachpolitischen Streit, was dort eigentlich passieren soll.“ 43 <strong>Die</strong><br />
Senatsverwaltung hätte es verpasst, Instrumente für einen permanenten fachlichen Aust<strong>aus</strong>ch<br />
über Vertragsziele und deren Umsetzung in den Treuhandverträgen einzubauen. „Ich<br />
bin nicht gegen die Übernahme von Aufgaben durch Dritte, die das besser machen <strong>können</strong>.<br />
Das find ich eher gut. Aber ich finde, der Staat sollte auch in den Personen der Senatsverwaltung<br />
diese Prozesse <strong>als</strong> politisch Verantwortlicher mit begleiten. (…) Und das tun sie nicht in<br />
<strong>dem</strong> Maße und wie sie das machen müssten. (…) Nach <strong>dem</strong> Subsidiaritätsprinzip sollte der<br />
Staat abgeben. Das hat er mit diesen Treuhandverträgen auch getan. Aber der sollte, wenn<br />
er das abgibt, die fachpolitische Diskussion um die Umsetzung der Verträge nicht mit abgeben<br />
und die fachlichen Diskussionen nur noch dort stattfinden lassen. Ich find, da hat er eine<br />
Motorfunktion. Da muss er die Diskussion voranbringen und muss diese fachliche Diskussion<br />
auch auf einem hohen Niveau führen wollen.“ 44<br />
Parlamentarische Kontrolle<br />
Um eine stärkere parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen, ist <strong>dem</strong> Parlament jährlich<br />
über die Umsetzung der Verträge zu berichten. <strong>Die</strong>s sei notwendig, da der zuständige Fach<strong>aus</strong>schuss<br />
des Parlaments in den Verträgen nicht direkter Partner ist. Auch auf Seiten des<br />
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin werden solche parlamentarischen Kontrollen <strong>als</strong><br />
notwendig erachtet, auch wenn sie mit Abhängigkeiten einhergehen: „<strong>Die</strong> sind aber für mich<br />
auch normal in einem <strong>dem</strong>okratischen Staatswesen, dass der Souverän, <strong>als</strong>o das Volk ein<br />
Parlament wählt, und die dann verantwortlich die Staatsaufgaben beeinflussen. (…) Insofern,<br />
diese Abhängigkeit, die kann man nicht aufheben. <strong>Die</strong> will ich auch nicht aufheben. Das gehört<br />
zu meinem Staatsverständnis.“ 45<br />
Vertragsgestaltung<br />
Beklagt wird von den Verbänden allerdings, dass in den Treuhandverträgen die verbandlichen<br />
Positionen nur unzureichend berücksichtigt werden würden: „Der aktuelle Vertrag von<br />
2006 ist zu 99 Prozent Senatsverwaltung, oder vielleicht sogar zu 99,9 Prozent. Also die Position<br />
der Verbände finde ich da kaum wieder.“ 46 <strong>Die</strong> Senatsverwaltung ist sich dieser<br />
Situation durch<strong>aus</strong> bewusst und begründet ihre starke Rolle bei der Vertragsgestaltung damit,<br />
dass die Verträge ein Instrument seien, um öffentliche Gelder zu verteilen. „Also was da<br />
drin stehen muss, <strong>können</strong> ja sowieso nur wir sagen. Da kann die LIGA <strong>aus</strong> meiner Sicht dann<br />
43 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 128-140.<br />
44 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 326-355.<br />
45 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 767-774.<br />
46 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 654-656.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 33
auch nur sagen, damit ist sie einverstanden. (…) Aber wir würden uns ja nicht einem Vertrag<br />
beugen, da jetzt nur Sachen reinschreiben [Wort bricht ab]. Das geht ja gar nicht.“ 47 Einen<br />
ersten Vorschlag zur Vertragsgestaltung habe – so ein Senatsvertreter – eine Arbeitsgruppe<br />
der Senatsverwaltung erarbeitet, den sie mit ihrem H<strong>aus</strong>haltsreferat und <strong>dem</strong> Justiziariat<br />
abgestimmt habe, von den Verbänden sei jedoch kein substanzieller eigener Beitrag gekommen.<br />
<strong>Die</strong> Senatsverwaltung sei in der Vertragsgestaltung Spezialist, um <strong>hier</strong> in Vorlage<br />
gehen zu <strong>können</strong>, im Gegensatz zu den Verbänden, denen kompetentes Personal diesbezüglich<br />
fehlen würde. 48<br />
Der Druck der Verbände auf die Vertragsgestaltung sei schon da, jedoch sei es ordinäres Geschäft<br />
der Verwaltung, parlamentsfeste und für den Rechnungshof gefällige Verträge zu<br />
machen. Vertragstexte würden daher über die Jahre immer wieder modifiziert, um Fehler<br />
<strong>aus</strong>zugleichen: „Ich würd mal sagen, das Schicksal der Verträge ist, dass sie immer detaillierter<br />
werden, ohne dass man jedes Problem regeln kann. Je knapper ein Vertrag ist, desto<br />
besser ist es eigentlich. Das ist alles Vertrags<strong>aus</strong>legung und lässt einem viel mehr Spielräume.<br />
Aber die Zeit ist vorbei. Da gucken zu viele Leute mit.“ 49 Kritisiert wird diese Entwicklung<br />
auch vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin. So habe der ursprüngliche Treuhandvertrag<br />
von 1994 lediglich zehn Seiten gehabt, jeder neue Vertrag wäre jedoch umfangreicher<br />
und detaillierter geworden. Unklar ist <strong>dem</strong> Verband, warum immer mehr vertraglich geregelt<br />
werden müsse, da früher auch keine unhaltbaren Zustände geherrscht hätten. Je kleinteiliger<br />
dagegen alles von der Senatsverwaltung geregelt würde, umso weniger würden die<br />
Wohlfahrtsverbände benötigt. Mit <strong>dem</strong> neuen Treuhandvertrag „Stadtteilzentren“ habe der<br />
Senat allerdings – so die Auffassung des Vertreters eines Fachverbandes – wieder mehr Entscheidungsspielräume<br />
an die Verbände abgegeben.<br />
Vertreter der Senatsverwaltung verweisen bezüglich der Forderungen der LIGA, Regelungen<br />
der Landesh<strong>aus</strong>haltsordnung teilweise für die Verträge außer Kraft setzen zu lassen, auf deren<br />
fehlende Kompetenzen; es wären davon schließlich auch bundesrechtliche Grundsätze<br />
betroffen, über die weder die Fachverwaltung, noch die Senatsverwaltung für Finanzen,<br />
noch der Landesgesetzgeber allein entscheiden könnten. <strong>Sie</strong> verweisen damit auf ein Erfordernis,<br />
beim Abschluss der Treuhandverträge alle Angelegenheiten, die mit <strong>dem</strong><br />
Landesh<strong>aus</strong>halt im Zusammenhang stehen, mit der Senatsverwaltung für Finanzen abstimmen<br />
zu müssen. Allerdings sei diese Abstimmung nur bei Abschluss, jedoch nicht bei der<br />
Umsetzung der Verträge notwendig. <strong>Die</strong> letztendliche Entscheidungsgewalt habe bei Neuverhandlungen<br />
der Verträge dagegen das Parlament. <strong>Die</strong> Schwierigkeiten der<br />
Senatsverwaltung, alle betroffenen Akteure angemessen in die Vertragsverhandlungen einzubeziehen,<br />
zeigt sich u.a. in der Kritik der Bezirksbürgermeister beim Abschluss des ersten<br />
Vertrages über die ambulante Drogenhilfe, die allerdings vom damaligen regierenden Bürgermeister<br />
Eberhard <strong>Die</strong>pgen in etwa mit folgenden Worten abgetan wurde: „Na, wir wollen<br />
47 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1095-1099.<br />
48 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1055-1072.<br />
49 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1126-1132.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 34
doch jetzt <strong>hier</strong> mal nicht kritisieren, dass eine Verwaltung <strong>aus</strong>nahmsweise mal so schnell<br />
gehandelt hat.“ 50<br />
Kooperationsgremium<br />
<strong>Die</strong> Steuerungsaufgaben innerhalb der vereinbarten Treuhandverträge werden vorranging in<br />
einem Kooperationsgremium bewältigt. Sowohl die Senatsverwaltung <strong>als</strong> auch die Verbände<br />
sind darin mit gleicher Sitzanzahl vertreten. Beschlussvorlagen werden in ebenfalls paritätisch<br />
besetzten Arbeitsgruppen erarbeitet. Über das Kooperationsgremium bewahre sich –<br />
nach Ansicht einer Bezirksvertreterin – die Senatsverwaltung ihre Möglichkeiten zur inhaltlichen<br />
Einflussnahme und Kontrolle. Allerdings bestände auch die Gefahr, dass mit<br />
zunehmender Laufzeit der Verträge, die beteiligten Akteure ihre Aufgaben im Kooperationsgremium<br />
nicht mehr so häufig wahrnehmen und Entscheidungen daher auch ohne deren<br />
Mitwirkung getroffen werden könnten. Anzumerken ist <strong>hier</strong>bei jedoch, dass Abstimmungen<br />
nach <strong>dem</strong> Konsensprinzip erfolgen, wobei das Land ein Vetorecht besitzt und damit nach<br />
Auffassung der Verwaltung nie seine Steuerungsmöglichkeit <strong>aus</strong> der Hand gegeben habe.<br />
„Das Land konnte gar nicht überstimmt werden, egal ob wir nun zwei oder drei Stimmen<br />
haben, das war egal.“ 51<br />
Abstimmprozesse<br />
Vertreter der Senatsverwaltung sehen aber auch, dass es durch die Einbeziehung der Verbände<br />
wesentlich einfacher wurde, neue Entwicklungen, die auch immer Einsparungen<br />
bedeuteten, umzusetzen, denn die Kürzungsraten hätten die Verbände selbst mit abgeschlossen<br />
und stünden dadurch jetzt mit in der Verantwortung. <strong>Die</strong> Verbände verstehen ihre<br />
neue Verantwortung <strong>als</strong> Möglichkeit, direkten Einfluss auf die Weiterentwicklung der fachlichen<br />
Arbeit in den Projekten nehmen zu <strong>können</strong>. <strong>Die</strong> fachlichen Vorgaben, die die Verbände<br />
bei den Projekten machen, würden mit der Senatsverwaltung abgestimmt. Das wäre aber<br />
auch schon alles. Seitens der Senatsverwaltung wird bestätigt, dass diese eher allgemeine<br />
Vorgaben machen, bzw. Entscheidungen treffen würde, welche Projekte gefördert werden<br />
sollen; für Einzelfragen, beispielsweise die Anerkennung bestimmter förderfähiger Ausgaben,<br />
wären die Verbände alleinzuständig. Schwerpunktänderungen seien jedoch nur mit<br />
Zustimmung der Senatsverwaltung möglich: „Das muss man gemeinsam entscheiden. Wir<br />
müssen ja gemeinsam sagen, wenn es zu Schwerpunktänderungen kommt. (…) Und dann<br />
geht das eben auch nur mit unserer Zustimmung. Also insofern <strong>können</strong> wir schon Einfluss<br />
<strong>aus</strong>üben. Wenn wir die nicht geben an der Stelle, dann kommt keine Einigung zustande.<br />
Aber wir müssen uns auf der anderen Seite aber auch mit der anderen Seite einigen und<br />
versuchen, eine Lösung hinzukriegen.“ 52 Auch <strong>aus</strong> Sicht der Fachverbände müssten die<br />
Wohlfahrtsverbände <strong>als</strong> Verwalter öffentlicher Mittel von den politischen Vertretern ernst<br />
genommen werden, da sie <strong>als</strong> Treuhänder quasi zum selben „Laden“ dazugehören würden,<br />
und sie erhielten folglich die Chance, Prozesse aktiv mit steuern zu <strong>können</strong>. Dadurch seien<br />
50 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 159-161.<br />
51 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 159-161.<br />
52 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1008-1015.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 35
die Treuhandverträge allerdings auch ein angenehmes Steuerungsinstrument für die Verwaltung,<br />
da sie die mit den Umsteuerungsprozessen verbundenen Konflikte an die Verbände<br />
verlagere: „Das heißt, 'Wir geben denen den Job, das zu tun, was wir eigentlich machen<br />
müssten, und die kriegen den Ärger dafür'.“ 53<br />
Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin spricht aber auch davon, dass<br />
der Übergabe bestimmter Steuerungsaufgaben an die Verbände nicht immer so bereitwillig<br />
zugestimmt wurde. Außerordentlich schwierig sei die Zusammenarbeit mit der Landesdrogenbeauftragten<br />
gewesen, weil „von dort immer behauptet wurde, seit<strong>dem</strong> der Paritätische<br />
diesen Vertrag macht, passiert gar nichts mehr. Keine Entwicklung, nur noch Stillstand. Und<br />
das war das, was nach außen immer getragen wurde, während wir nach innen hin komplett<br />
alles umstrukturiert haben.“ 54 Auch habe – wie der Verbandsvertreter weiter <strong>aus</strong>führt – die<br />
stärkere Einbindung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin <strong>als</strong> alleiniger Vertragspartner<br />
im neuen Integrierten Gesundheitsvertrag bei den anderen Verbänden, die vorher<br />
selbst noch am Vertrag beteiligt waren, zu stärkeren Anfeindungen in den Arbeitszusammenhängen<br />
geführt. <strong>Die</strong> Abstimmungsverfahren im Rahmen des neuen Integrierten<br />
Gesundheitsvertrages scheinen generell schwierig: „Ich hab jetzt viel mehr Strukturen und<br />
Menschen und <strong>Die</strong>nstleister, mit denen ich mich abstimmen muss. Und das macht es nicht<br />
unbedingt einfacher. Für meinen Geschmack viel zu viele Häuptlinge.“ 55<br />
Zielsetzungen<br />
Das Hauptziel des neuen Integrierten Gesundheitsvertrages sieht der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
Berlin im Aufbau eines Gesundheitsnetzwerks für Berlin, um verschiedene<br />
Bestandteile eines gesundheitlichen Versorgungssystems in seinen Grenzen durchlässiger zu<br />
machen. Dazu zählen die Handlungsfelder Drogen und Sucht, AIDS sowie sonstige gesundheitliche<br />
Projekte. Bisher seien die einzelnen Hilfesysteme stark voneinander getrennt.<br />
Durch neue tragfähige Strukturen erhofft man sich auch zusätzliche Einsparmöglichkeiten.<br />
Auch die Senatsverwaltung sieht ein solches <strong>Netz</strong>werk <strong>als</strong> Entwicklungsziel, verweist aber<br />
darauf, dass diese Aufgabe noch in den Anfängen steckt und bisher lediglich <strong>als</strong> Perspektive<br />
betrachtet wird: „Also wichtiger *Wort bricht ab+. Im Moment gucke ich schon nur auf mein<br />
Handlungsfeld Drogen und Sucht, wofür ich jetzt im Kooperationsgremium stehe. Auch da ist<br />
es jetzt natürlich leicht besser steuerbar. Man, wir haben jetzt alle Projekte drauf. (…) Also<br />
alles was Sucht ist, ist jetzt auf diesem einen Handlungsfeld. Schon da ergeben sich dann<br />
auch konzeptionelle neue Ausgangslagen, wie man da besser steuern und damit umgehen<br />
kann. Und dann auch noch mal die Berührung, zu sagen, jetzt haben wir da auch noch die<br />
AIDS-Hilfe, das verbuche ich im Moment erst mal nur unter 'wird ja spannend'. Soweit denke<br />
ich jetzt noch nicht.“ 56<br />
53 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 453-455.<br />
54 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 613-617.<br />
55 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 361-363.<br />
56 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 759-776.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 36
<strong>Die</strong> Vorstellungen von einem Gesundheitsnetzwerk sind bisher noch Zukunftserwartung.<br />
Dessen ungeachtet bestätigen Vertreter <strong>aus</strong> Verwaltung und Verbänden, dass es durch die<br />
Treuhandverträge zu Umsteuerungsprozessen gekommen ist, die ohne diese Verträge nicht<br />
passiert wären. Zum Vertrag „Ambulante Drogenhilfe“ äußert sich diesbezüglich ein Vertreter<br />
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin wie folgt: „Wir haben diesen Vertrag Ende<br />
letzten Jahres abgeschlossen und haben alles, was an Entwicklungsaufgaben dort vereinbart<br />
war, umgesetzt. Wir haben die ambulante Drogenhilfe komplett umstrukturiert.“ 57 Fachkräfte<br />
seien im gesamten Land Berlin neu verteilt worden, und zwar ohne größere Widerstände<br />
seitens der Leistungsträger, was dadurch begünstigt wurde, dass die Umstrukturierung auf<br />
Grundlage einer wissenschaftlichen Bedarfsanalyse durchgeführt worden ist und getroffene<br />
Entscheidungen sich somit fachlich begründen ließen. Darüber hin<strong>aus</strong> habe man es sogar<br />
geschafft, integrierte Suchthilfedienste für illegale Drogen und Alkohol einzurichten. 58 Ein<br />
anderer Verbandsvertreter ist mit diesem Feld weniger zufrieden. Er problematisiert die Aufteilung<br />
der Zuständigkeiten für Zuwendungsförderungen im niedrigschwelligen Bereich bei<br />
legalen Suchtmitteln auf die Bezirke und bei illegalen Drogen auf das Land. <strong>Die</strong> Bezirke würden<br />
sich gegen eine Übergabe ihrer Zuständigkeit an das Land zugunsten einer<br />
gesamtstädtischen Zuständigkeit massiv wehren, um die wenigen Mittel, die sie für diesen<br />
Bereich zur Verfügung haben, nicht abgeben zu müssen. „Deswegen kriegen wir <strong>hier</strong> einfach<br />
auch keine integrierte Suchthilfe hin im niedrigschwelligen Bereich, im Beratungsbereich.“ 59<br />
Der Verband habe schon früh bei den Strukturen der Drogenhilfe einen großen Veränderungsbedarf<br />
gesehen, die Senatsverwaltung sei dagegen diesbezüglich immer sehr träge<br />
gewesen. Berlin habe – so die Ansicht eines Parlamentariers – viele Projekte, die bereits seit<br />
Jahrzehnten gefördert werden, deren sozial- und gesundheitspolitische Notwendigkeit jedoch<br />
fraglich wäre. <strong>Die</strong> langfristig <strong>aus</strong>gerichteten Treuhandverträge würden es allerdings<br />
ermöglichen, Umsteuerungsprozesse einzuleiten, die auch effektivere und effizientere Organisationsstrukturen<br />
schaffen <strong>können</strong>. <strong>Die</strong> frühere Jährlichkeit der Zuwendungsvergabe habe<br />
dagegen – so ein Vertreter der Fachverbände – zu starker Hektik, Ängsten und wenig Bereitschaft<br />
bei den Leistungsträgern geführt, sich auf solche Prozesse einzulassen. Nach Angaben<br />
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin habe man mit den Treuhandverträgen in den<br />
letzten zehn Jahren ca. ein Drittel der Zuwendungsmittel umgeschichtet, was teilweise neuen<br />
Trägern und teilweise auch neuen Projekten von bereits geförderten Trägern zugute kam.<br />
Umstrukturierungen der Mittel seien aber – so der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin –<br />
auch in Zukunft noch notwendig, um neuen sozialen Problemlagen besser gerecht werden zu<br />
<strong>können</strong>. Ziel sei es, Erfolgskriterien für die Leistungserbringung zu entwickeln, um damit wirkungsorientiert<br />
steuern zu <strong>können</strong>. „<strong>Die</strong> Grundlagen für Steuerungsprozesse sind heute<br />
Lichtjahre besser <strong>als</strong> 1996. Das Steuerungsinstrument im Zuwendungsrecht ist der Zuwendungszweck.<br />
Der Zuwendungszweck steht im Zuwendungsbescheid. Und da steht dann eben<br />
'Beratungsstelle für'. (…) Und damit ist im Grunde jede Vergleichbarkeit, jede Steuerung erst<br />
57 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 114-116.<br />
58 <strong>Die</strong>s wird ebenfalls von einem Vertreter der SenGSV bestätigt.<br />
59 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 1107-1109.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 37
einmal weg. Weil da steht nur 'Beratungsstelle für haftet'. Was das jetzt ist und wie das ist,<br />
ist im Grunde eine projektspezifische Umsetzung. (…) Dann kannte man sich, oder wusste,<br />
die machen gute Arbeit. Aber das war alles so vorwissenschaftliches Denken. (…) Und ich<br />
denke mal, dass wir da in den letzten Jahren sehr weit gekommen sind – in Bezug auf Leistungsbeschreibungen,<br />
in Bezug auf Dokumentationssysteme, Leistungserfassung. <strong>Die</strong> ganzen<br />
Probleme, die damit zusammenhängen, der Steuerung, mit denen sich ja auch kein Mensch<br />
beschäftigt hat vorher. (…) Das alte Steuerungssystem ist, dass <strong>Sie</strong> ein Zuwendungsprojekt<br />
steuern, in<strong>dem</strong> Ihnen das Projekt am Ende des Jahres einen Sachbericht gibt, und einen<br />
Ordner gibt mit Quittungen und Belegen über die Verwendung der öffentlichen Gelder. So.<br />
Und der Sachbericht, den das Projekt hat, der ist quasi ohne Form, wie das Projekt das so<br />
will. Das heißt, es ist im Grund nicht richtig vergleichbar. (…) Das alte System ist ja retrospektive<br />
Kontrolle und Steuerung über den Input, und eine Steuerung über die Leistung ist<br />
schwierig. Und ich sage immer, das ist so, das sind 200 Bäume. Und das sind aber vielleicht<br />
vier Wälder oder fünf. Der eine Wald heißt Beratungsstellen, der andere Wald heißt Mobilitätshilfedienste<br />
oder was weiß ich. Und wir müssen versuchen, in diesen Wäldern<br />
Gemeinsamkeiten zu haben, damit wir sagen <strong>können</strong> 'Beratungsstelle A', 'Beratungsstelle B',<br />
damit wir so was machen <strong>können</strong> wie Vergleiche. Und überhaupt erst einmal die Grundlagen<br />
finden für ein Dokumentations- und Berichtswesen. Und dann <strong>können</strong> wir eventuell<br />
steuern.“ 60 Seitens der Senatsverwaltung setze man ebenfalls auf eine Orientierung am Leistungsoutput:<br />
„Ich denke (…) Output-Orientierung, <strong>als</strong>o das ist ja unser Interesse <strong>als</strong> Land<br />
natürlich immer, dass wir auch wollen, dass diese Steuermittel, dass die nicht nur irgendwelche<br />
Projekte finanzieren, sondern dass die beim Klienten ankommen, und zwar auch so, dass<br />
es denen auch wirklich was nutzt.“ 61 Steuerung bedeute <strong>dem</strong>entsprechend, Bedarfe zu erkennen,<br />
sich flexibel darauf einzustellen und sich auf das Wesentliche zu beschränken, was<br />
durch Verträge möglich ist, in<strong>dem</strong> nicht versucht wird mit einzelnen Leistungsträgern zu<br />
steuern, sondern in größeren Zusammenhängen. Nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin ist der Verband für solche Aufgaben besonders geeignet, da er sich<br />
im Gegensatz zu den Leistungsträgern, die eher ihre Eigeninteressen schützen würden, stärker<br />
am Bedarf und an den Gesamtstrukturen orientieren könne.<br />
Seit Einführung der Treuhandverträge sind immer wieder auch Projekte <strong>aus</strong> der Vertragsförderung<br />
<strong>aus</strong>geschieden und in die Entgeltfinanzierung übergegangen, wo direkt mit den<br />
Kostenträgern nach bestimmten Betreuungszahlen abgerechnet werden kann. Dass auch<br />
solche Leistungen über Treuhandverträge abgewickelt werden könnten, ist – so ein Vertreter<br />
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin – möglich, jedoch sei es noch ein langer Weg<br />
bis dorthin. <strong>Die</strong> Finanzlage Berlins ließe – nach Auffassung eines parlamentarischen Vertreters<br />
– eine Erweiterung der Verträge sinnvoll erscheinen, wobei beachtet werden müsste,<br />
dass konkrete politische Ziele mit solchen Verträgen verbunden würden, um nicht die gesamte<br />
Verantwortung „<strong>aus</strong> der Hand“ zu geben. Auch die Verwaltung ist bestrebt, trotz<br />
weiterer Sparzwänge, einen neuen Treuhandvertrag abschließen zu <strong>können</strong>: „Wenn wir das<br />
60 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 420-467.<br />
61 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 535-539.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 38
schaffen, denn ist das nur wunderbar. Das ist sozusagen der Weg der Zukunft. Denn anders<br />
geht es gar nicht. (…) Das andere wird sozusagen für alle noch schrecklicher. Also von daher<br />
kann ich für die Zukunft nur sagen, das muss uns gelingen, da weiter zu machen. Denn wir<br />
<strong>können</strong> auch nicht mehr zurück. Was heißt denn, es <strong>aus</strong> eigener Kraft zu machen? (…) Wir<br />
haben gar nicht mehr die Möglichkeit, es <strong>aus</strong> eigener Kraft zu machen. Das ist vorbei. (…) <strong>Die</strong><br />
Personen sind weg. Also wir sind da schon auch auf eine Erfolgsgeschichte jetzt <strong>aus</strong>.“ 62<br />
Rahmenbedingungen<br />
Offensichtlich sollen auch in Zukunft Treuhandverträge <strong>als</strong> Steuerungsinstrument eingesetzt<br />
werden. Ein Vertreter der Fachverbände warnt allerdings davor, dass in den Verträgen auch<br />
das Risiko steckt, zu scheitern, sofern man nicht „sensibel genug“ mit diesem Werkzeug umginge.<br />
Für eine optimale Steuerung müssen <strong>dem</strong>nach bestimmte Rahmenbedingungen<br />
erfüllt sein. Angesprochen werden diesbezüglich die Bündelung der einzelnen Projekte, die<br />
Planungssicherheit durch längere Vertragslaufzeiten, die fachliche Legitimation von Entscheidungen<br />
sowie konkrete Rahmenvorgaben des Landes.<br />
Nach den Worten eines ehemaligen Staatssekretärs der SenGSV haben vor den Treuhandverträgen<br />
einzelne Projekte Briefe an Parlamentarier geschrieben, um beabsichtigte<br />
Kürzungen zu vermeiden: „Es war unerfreulich, aber auch eben völlig uneffektiv, weil man<br />
nie strukturelle Entscheidungen fällen konnte.“ 63 Ein Parlamentarier bekräftigt daher auch,<br />
der Zielsetzung der Verträge und weniger Individualinteressen beteiligter Akteure den Vorrang<br />
zu geben: „Als Parlamentarierin hab ich da immer versucht, auch den Anspruch, den die<br />
Verträge haben, in den Vordergrund zu stellen, und nicht die Individualinteressen einzelner<br />
Akteure dort auf diesem Feld. Das ist für eine Parlamentarierin auch einfach tödlich, wenn<br />
sie das tun sollte.“ 64 Ein Mitarbeiter der SenGSV beschreibt die Situation vor Einführung der<br />
Treuhandverträge folgendermaßen: Früher stand die Senatsverwaltung einer Riesenvielfalt<br />
an Projekten in Einzelverhandlungen gegenüber, wo sie, allerdings vergeblich, versuchte, ein<br />
bestimmtes Anforderungsprofil durchzusetzen. „So kann man doch nicht im Dialog zwischen<br />
Land und einem Projekt. Also es war klar, dass wir eine Bündelung brauchen, dass wir eine<br />
Vereinheitlichung brauchen.“ 65 Im Suchtbereich sei durch die starke Bündelung aller Drogenprojekte<br />
die Steuerung wesentlich leichter geworden. Gibt es beispielsweise ein<br />
regionales Drogenproblem, sei – so der Vertreter der SenGSV – dadurch genau klar, welche<br />
Einrichtung und welcher <strong>Die</strong>nst zuständig ist. Bei der Drogenproblematik müsse die Senatsverwaltung<br />
jedoch auch mit der Innen- und Jugendverwaltung sowie den Schulen<br />
zusammenarbeiten, hat sie <strong>hier</strong> doch keine ordinäre Zuständigkeit.<br />
Planungssicherheit bei den Verbänden durch längere Vertragslaufzeiten sei – so ein <strong>Die</strong>nstleister<br />
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin – eine weitere Folge der<br />
Treuhandverträge. <strong>Die</strong> finanzielle Notlage Berlins könnte andernfalls dazu führen, dass frei-<br />
62 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1247-1258.<br />
63 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 81-83.<br />
64 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 248-251.<br />
65 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 55-57.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 39
willige Leistungen des Landes einfach gestrichen und schließlich nur noch gesetzliche Pflichtleistungen<br />
finanziert würden. Ein Mitglied des Parlaments führt diesbezüglich an, dass<br />
Vertragslaufzeiten von fünf Jahren sinnvollere Planungen beim Einsatz der Finanzmittel ermöglichen<br />
würden. <strong>Die</strong>ses stärke den fachlichen Diskurs über die besten Ideen und Projekte,<br />
anstatt permanent um Mittel kämpfen zu müssen. Ähnliches äußert auch ein bezirklicher<br />
Vertreter: Inhaltliche Konzepte ließen sich durch lange Laufzeiten besser umsetzen, <strong>als</strong> wäre<br />
man den jährlichen H<strong>aus</strong>haltszyklen unterworfen. Dabei wird aber auch zu bedenken gegeben,<br />
dass die Thematik eben aufgrund der langen Laufzeiten stärker der politischen<br />
Diskussion entzogen würde, da das Interesse an den vertraglichen Entwicklungen in den<br />
Zeiträumen zwischen den einzelnen Vertragsabschlüssen kaum vorhanden wäre. Außer<strong>dem</strong><br />
sei es durch längere Vertragslaufzeiten schwieriger, bei neuartigen Entwicklungen zügig umsteuern<br />
zu <strong>können</strong>.<br />
Entscheidungen müssen nach Ansicht der Verbände fachlich begründet werden, damit sie<br />
von Seiten der Projekte akzeptiert werden. Im Gegensatz zu den Verbänden aber könne das<br />
Land wegen unterschiedlicher politischer Interessen seine – insbesondere mehrjährigen –<br />
Entscheidungen nicht rein sachlich begründen. Bei den Umstrukturierungen innerhalb der<br />
Drogenprojekte habe hingegen – so ein Vertreter der Senatsverwaltung – eine wissenschaftliche<br />
Bedarfsanalyse die Entscheidungsgrundlagen für den Senat geliefert und hätte wegen<br />
ihrer fachlichen Begründung zur Legitimierung der Entscheidungen bei den Leistungsträgern<br />
und Bezirksverwaltungen beigetragen. Nach Auffassung eines Fachverbandes werden gegenüber<br />
Mitgliedseinrichtung grundsätzlich fachliche Begründungen angeführt; sollten diese<br />
aber dennoch ihre Folgebereitschaft verweigern, so würde der Verband im Namen des Senats<br />
Folgebereitschaft einfordern. Dabei verweist er allerdings auch auf die Gefahr, das<br />
Vertrauensverhältnis zu Mitgliedseinrichtungen zu zerstören. Aber „es gibt eine Chance. (…)<br />
<strong>Die</strong> Chance liegt bei all diesen Konstruktionen immer in <strong>dem</strong> Rollenbewusstsein der Beteiligten.<br />
Also der Einrichtungen, der Zwischenhändler, der Senatsleute, der Verwaltung und so<br />
weiter. Wenn alle genau wissen, wo eigentlich die kritischen Punkte sind, <strong>können</strong> sie diese<br />
verschiedenen Rollen auch optimieren.“ 66 Der Senat müsse dann, wenn der Fachverband<br />
Probleme mit seinen Mitgliedseinrichtungen hat, selbst bestimmen. <strong>Die</strong>s sei aber <strong>aus</strong> Sicht<br />
des Fachverbandes tatsächlich nicht vorkommen, stattdessen habe keiner seine Verantwortung<br />
übernehmen wollen.<br />
Seitens der Verbände werden Rahmenvorgaben des Staates befürwortet, die es vor den<br />
Treuhandverträgen nicht gegeben habe. So weist ein Fachverbandsvertreter darauf hin, dass<br />
die Senatsverwaltung <strong>als</strong> Zuwendungsgeber vor den Verträgen überhaupt keine Vorgaben<br />
gemacht habe, weshalb die Einrichtungen theoretisch machen konnten, was sie wollten und<br />
Fehlentwicklungen aufgrund dessen nicht gestoppt werden konnten. Auch ein Vertreter eines<br />
<strong>Die</strong>nstleisters ist der Meinung, dass in der Zeit vor den Treuhandverträgen Projekte so<br />
etwas wie ein Gewohnheitsrecht auf Förderung besessen haben, insofern sie nur gute Arbeit<br />
leisteten; seit den 1990er Jahren sei das aber lediglich noch Vor<strong>aus</strong>setzung für eine Förde-<br />
66 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 565-570.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 40
ung aber keine Garantie mehr dafür. Ein Staatssekretär a.D. der SenGSV beschreibt die Situation<br />
vor <strong>dem</strong> ersten Vertragsabschluss folgendermaßen: Der Paritätische Wohlfahrts-<br />
Wohlfahrtsverband kam für einen Treuhandvertrag in Frage, da bei ihm viele Projekte<br />
nisiert waren. Der Verband sollte einen Festbetrag erhalten, über den er selbst hätte<br />
entscheiden <strong>können</strong>. „So, und dann haben wir uns natürlich gesagt, das kann man nicht so<br />
blind machen, sondern muss noch ein Pflichtenheft schreiben. Welche Belange sind abzudecken?<br />
Welche Ziele sind abzudecken?“ 67 Bezüglich des Vertrages „Ambulante Drogenhilfe“<br />
bestätigt ein Senatsmitarbeiter, dass die Vorgaben des Landes wie Anforderungsprofil, Leistungsprofil<br />
und Entwicklungsziele 68 in den Vertrag integriert werden konnten, was so in<br />
Einzelverhandlungen mit den Leistungsträgern nicht möglich gewesen wäre, sondern nur in<br />
einer Gesamtstruktur mit Unterstützung der Verbände. Steuerungsrelevante Informationen<br />
wiederum bekomme der Senat über ein Dokumentationssystem zu Einzelheiten der Leistungserbringung.<br />
<strong>Die</strong> Verbände hätten lediglich die Vorgaben der Verwaltung umzusetzen.<br />
Das Land aber – so ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin – würde seinen<br />
Aufgaben jedoch nicht nachkommen: „Was uns aber überall fehlt, sind konkrete<br />
Rahmenvorgaben des Landes. Und das ist ein schwieriges Problem. Also das wird schwer zu<br />
lösen sein. Denn ich glaube, dass das Land, <strong>als</strong>o die Menschen, die da in der Verwaltung tätig<br />
sind, auch nicht wissen, was sie da überhaupt wollen und in welche Richtung diese Entwicklung<br />
geht. Weil ich glaube, sie haben sich nie mit Entwicklungsaufgaben beschäftigt.“ 69<br />
Wegen fehlender Rahmenvorgaben im Drogenbereich habe der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
Berlin selbst Leistungsbeschreibungen erarbeitet, die er aber nicht mit <strong>dem</strong> Land<br />
abstimmen konnte: „Und dass man das mit uns nicht abgestimmt hat, finde ich auch nicht so<br />
toll. Das sind Vor<strong>aus</strong>setzungen, um weiter zu machen.“ 70<br />
Steuerungskompetenz<br />
Kritisiert werden von den Verbänden folglich fehlende Steuerungsleistungen der Senatsverwaltung.<br />
Ein Verbandsvertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin spricht sogar<br />
davon, dass die Senatsverwaltung sich selbst nicht mehr in der Lage sähe, Umverteilungsprozesse<br />
und Kürzungen allein zu steuern. <strong>Die</strong> Ineffizienz und Trägheit der Berliner<br />
Verwaltung sei – so ein Verbandskollege – nach wie vor unverändert. Es habe zwar quantitative<br />
Veränderungen durch Stellenabbau gegeben, qualitative Verbesserungen in den<br />
verbleibenden Kernbereichen seien jedoch nicht erkennbar. Aus seiner Sicht haben bis auf<br />
wenige Ausnahmen die Mitarbeiter beim Staat nie in der Außenwelt Erfahrungen sammeln<br />
<strong>können</strong>: „Das Berufsbeamtentum ist für einen modernen Staat, der mit schlanken Strukturen<br />
steuern will, vollkommen ungeeignet. <strong>Sie</strong> müssen Seitenwechsler haben, damit nachvollziehbar<br />
ist, wenn ich auf der anderen Seite einen Prozess steuern soll, was das für<br />
Konsequenzen haben kann.“ 71 Deshalb sollten Mitarbeiter <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> öffentlichen <strong>Die</strong>nst auch<br />
67 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 293-295.<br />
68 Angesprochen sind <strong>hier</strong> insbesondere die regionalen Suchthilfedienste.<br />
69 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 233-239.<br />
70 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 625-627.<br />
71 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 703-707.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 41
mal in Unternehmen und bei freien Trägern gearbeitet haben, um deren Binnenstrukturen<br />
und Systemlogiken zu kennen.<br />
Ein Fachverband kritisiert die Situation wie folgt: „In einem <strong>dem</strong>okratischen Rechtsstaat gehört<br />
es sich, dass diejenigen, die öffentliche Seite, über die öffentlichen Mittel eine<br />
kompetente und politisch verantwortete Entscheidung trifft, und nicht diejenigen, die das<br />
Geld haben.“ 72 „Wie ich mir das eigentlich vorstellen würde, dass es eigentlich richtig ist, das<br />
findet schon seit 20 Jahren nicht mehr statt. <strong>Die</strong> öffentliche Verwaltung verwaltet die öffentlichen<br />
Gelder, sollte das eigentlich kompetent tun. Tut sie aber nicht mehr. Sämtliche<br />
Fachkompetenz haben sie abgebaut – unter anderem <strong>als</strong> Sparzwang. Weil sie um sich herum<br />
eine Korona von neuer Bürokratie geschaffen haben. <strong>Sie</strong> sind <strong>als</strong>o selber gar nicht mehr in<br />
der Lage, das Geschehen, was sie mit ihrem Geld eigentlich beeinflussen wollen, wirklich zu<br />
steuern. (…) <strong>Die</strong> Fachkompetenz, die es mal gab, ist inzwischen nur noch im Vorfeld 73 vorhanden.“<br />
74 Dennoch wird die Treuhandkonstruktion befürwortet: „Fachlich ist es aber die<br />
beste aller schlechten Lösungen inzwischen geworden. Weil die Verwaltung das, was man<br />
wirklich ihr eigentlich <strong>als</strong> Aufgabe zuschreiben würde, nicht leisten kann. Weil sie gar keine<br />
Leute mehr dafür haben.“ 75<br />
<strong>Die</strong> Senatsverwaltung betont diesbezüglich allerdings, dass in den einzelnen Fachbereichen<br />
trotz Abgabe der Zuwendungssachbearbeitung sehr wohl noch Mitarbeiter vorhanden wären,<br />
die die Fachbereiche überblicken würden. Einfluss auf die Steuerungsprozesse könne sie<br />
daher durch<strong>aus</strong> nehmen. Rechtliche Veränderungen würden <strong>aus</strong> eigener Kompetenz oder<br />
mithilfe der Servicebereiche 76 an die Verbände weitergeleitet. Jedoch werden keine weiteren<br />
Aussagen zu fachpolitischen Zielsetzungen gemacht, die darauf schließen lassen<br />
könnten, dass es neben einer rein an Formalien orientierten Steuerung auch um sozial- und<br />
gesundheitspolitische Interessen ginge.<br />
Vom Fachverband wird eine weitere Problematik angesprochen: <strong>Die</strong> Übergabe der Kontrolle<br />
an die Verbände führe zu Grauzonen, weil Entscheidungsvorgänge nicht mehr nachvollziehbar<br />
seien: „Also jeder wäscht seine Hände in Unschuld. (…) Der Senator muss notfalls dafür<br />
die Hand ins Feuer halten, dass seine Mitarbeiter irgendeine Entscheidung getroffen haben.<br />
(…) Heute wird man das nicht mehr haben, weil die politisch verantwortliche Stelle sagt 'Na,<br />
da <strong>können</strong> sie gar nichts dafür. Das waren die Anderen', und die werden sagen 'Ja das waren<br />
sie doch nicht. Das haben sie gerade <strong>als</strong> Vorgabe bekommen'.“ 77 Im Konfliktfall gäbe es<br />
<strong>dem</strong>nach keinen administrativen Instanzenweg mehr, sondern nur noch organisierte Unzuständigkeit<br />
und Intransparenz.<br />
72 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 268-271.<br />
73 Gemeint sind <strong>hier</strong>mit Verbände in ihrer Funktion <strong>als</strong> Treuhänder.<br />
74 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 250-261.<br />
75 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 274-277.<br />
76 Angesprochen sind Servicebereiche bezüglich Zuwendungsvergabe und H<strong>aus</strong>haltsrecht.<br />
77 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 283-296.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 42
Darüber hin<strong>aus</strong> wird nach Ansicht eines Fachverbandes die Realitätswahrnehmung der Politik<br />
durch die Treuhandverträge noch stärker gefiltert, <strong>als</strong> wenn sie die Aufgaben selbst<br />
wahrnehmen und in einen unmittelbaren Dialog mit den Leistungsträgern stehen würde. Ein<br />
Treuhänder müsse der Politik politische Legitimation liefern: „Also das heißt, die Erfolgsstorys,<br />
die der Wirklichkeit nicht entsprechen, die werden vom Zwischenhändler abgefordert,<br />
weil die Politik das braucht. (…) Und dann hat der Senat sie benutzt. Und eigentlich war es<br />
nicht die Aufgabe der Steuerinstanz. <strong>Die</strong> muss viel kritischer herangehen an das wirkliche<br />
Leben. <strong>Die</strong> müssten eigentlich frei sein einigermaßen. <strong>Die</strong> müssten sagen 'Das und das muss<br />
geändert werden, weil es ein Missstand ist' und nicht in die Rolle kommen, dass der Missstand<br />
mit Vanillesoße übertüncht wird, damit es keiner merkt.“ 78<br />
Organische Strukturen<br />
<strong>Die</strong> fehlenden Steuerungsleistungen der Senatsverwaltung haben nach Einschätzung des<br />
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin dazu geführt, dass die Projektelandschaft einfach<br />
gewachsen ist und es nun schwer fällt, Standards zu setzen. Jeder, der in der Vergangenheit<br />
ein Konzept gehabt hatte, wurde gefördert. „Es hat einmal die Vertreterin eines Trägers gesagt,<br />
dam<strong>als</strong> sei die Geldverteilung nach einem Schoßsitzsystem erfolgt. Also, wer lange auf<br />
<strong>dem</strong> Schoß der Landesdrogenbeauftragten saß, der hat das Geld bekommen.“ 79 <strong>Die</strong> Projektstrukturen<br />
seien von daher noch ganz unsystematisch. Der AIDS-Bereich sei beispielsweise<br />
trotz der wenigen Projekte dennoch unglaublich zersplittert und kleinteilig; es fehle <strong>dem</strong>zufolge<br />
noch an einem klaren Überblick, welche Strukturen zu schaffen seien. Und seitens der<br />
Bezirksverwaltung wird die fehlende Abstimmung beim neuen Integrierten Gesundheitsvertrag<br />
mit den Bezirken kritisiert. <strong>Die</strong>ses habe dazu geführt, dass bestehende Angebote und<br />
Projekte einfach in den Vertrag übernommen wurden und Disparitäten innerhalb der Stadt<br />
fortbestünden, die nichts mit den gesundheitspolitischen und sozialräumlichen Schwerpunkten<br />
zu tun hätten.<br />
<strong>Die</strong> Abgabe bestimmter Steuerungsaufgaben an die Verbände habe <strong>aus</strong> Sicht eines Fachverbandsvertreters<br />
bei der Senatsverwaltung den Eindruck entstehen lassen, dass deren<br />
bürokratische Entscheidungen geringe Schwierigkeiten bei der Umsetzung bereiten würden,<br />
da sie sich selbst nicht mehr direkt mit den Auswirkungen ihrer Entscheidungen <strong>aus</strong>einandersetzen<br />
müssen. <strong>Die</strong> Menschen aber, die von diesen Entscheidungen betroffen sind,<br />
erfüllen nach seiner Auffassung die Aufgaben nicht nur deshalb, weil sie dafür bezahlt werden,<br />
sondern vor allem auch, weil sie sich freiwillig dafür entschieden haben: „Der Senat hat<br />
immer nur eine indirekte Möglichkeit, das zu beeinflussen <strong>als</strong> Geldgeber. (…) Freiwillige kann<br />
man zwar beeinflussen, aber nicht unmittelbar steuern. (…) Das ist denjenigen in der Verwaltung,<br />
die die Zuwendung gemacht haben, früher relativ klar gewesen. (…) Das ist über die<br />
Treuhandverträge teilweise anders geworden, weil die Verwaltung gar nicht mehr den<br />
Durchblick hat. <strong>Die</strong> kennen die Einrichtungen gar nicht mehr. Da ist jetzt ein Filter dazwischen.<br />
Und dann denken sie manchmal, sie <strong>können</strong> jetzt wieder durchstellen. <strong>Sie</strong> mussten<br />
78 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 513-525.<br />
79 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 100-103.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 43
sich vorher an den Widerständen selber abarbeiten. Das tun sie nicht mehr. Und dann bringen<br />
sie denjenigen, der Zwischenhändler ist, in eine sehr komplizierte Lage. (…) <strong>Die</strong><br />
Verwaltung hat Omnipotenzfantasien teilweise bekommen über diese neue Konstruktion,<br />
die allerdings dann immer abgefedert werden von <strong>dem</strong>jenigen, der dazwischen agiert, der<br />
mit <strong>dem</strong> doppelten Gesicht.“ 80 <strong>Die</strong> bürokratischen Tendenzen der Senatsverwaltung aber<br />
auch des Rechnungshofes – so ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin –<br />
würden sogar vom Parlament kritisiert. <strong>Die</strong> Systemlogiken beider Einrichtungen verhinderten<br />
aber – so seine Einschätzung – dass sie sich von der Kritik tatsächlich beeinflussen lassen.<br />
Auf der anderen Seite wird aber auch von anderen Verbandsvertretern erklärt, dass sich der<br />
administrative Aufwand durch die Treuhandverträge wesentlich verringert habe. Administrative<br />
Aufgaben seien auf einen <strong>Die</strong>nstleister verlagert worden, der diese Aufgaben mit<br />
erheblich weniger personellen und finanziellen Ressourcen wahrnähme <strong>als</strong> die bisher zuständige<br />
Senatsverwaltung.<br />
Abhängigkeiten<br />
Problematisch dagegen wird die verdeckte Abhängigkeit der großen Dachverbände von ihren<br />
zahlenden Mitgliedseinrichtungen empfunden. Nach Auffassung eines Fachverbandsvertreters<br />
seien diese von den Mitgliedsbeiträgen ihrer Mitglieder abhängig, weshalb größere<br />
Einrichtungen und <strong>Die</strong>nste mit entsprechend höheren Beiträgen möglicherweise einen größeren<br />
Einfluss <strong>aus</strong>üben <strong>können</strong> <strong>als</strong> kleinere Mitgliedsorganisationen. Auf dieses Argument<br />
entgegnet ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin allerdings, dass der<br />
Verband aufgrund seiner paritätischen Kultur jeden gleichbehandeln müsse und eine Bevorzugung<br />
beispielsweise wegen höheren Mitgliedsbeiträgen nicht zulässig wäre.<br />
Seitens des Fachverbandes wird auf eine weitere Abhängigkeit des Treuhänders hingewiesen,<br />
die darin bestünde, dass dieser nicht sein eigenes Geld verteilen würde und daher<br />
immer auch von seinem Geldgeber abhängig sei. Insofern müssten Behauptungen des Treuhänders,<br />
selbst zu steuern, <strong>als</strong> „Bluff“ angesehen werden.<br />
Mittelkürzungen<br />
Einen starken Einfluss auf die Steuerungsmöglichkeiten der Akteure scheinen ebenso die<br />
fortwährenden Mittelkürzungen innerhalb der Verträge zu haben. Vertreter der Senatsverwaltung<br />
führen an, dass Gestaltungsspielräume durch ständige Mittelkürzungen immer<br />
kleiner würden. Denn jedes Projekt sei sozialpolitisch sinnvoll und Kürzungen oder Streichungen<br />
von Projekten zugunsten anderer von daher kaum vertretbar. <strong>Die</strong>ses sei im ersten<br />
LIGA-Vertrag noch eher möglich gewesen; dam<strong>als</strong> ließen sich noch größere Umstrukturierungen<br />
durchführen. Jetzt seien allenfalls noch kleinere Einsparungen durch das<br />
Zusammenlegen einzelner Projekte zu erzielen.<br />
80 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 179-203.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 44
Nach Ansicht eines ehemaligen Staatssekretärs der SenGSV haben die Treuhandverträge<br />
eine Sicherstellungsfunktion, der zufolge bestimmte Aufgaben auch erbracht werden: „Mit<br />
den Treuhandverträgen hat sie meines Erachtens funktioniert. Jedenfalls in meiner Zeit. Ich<br />
glaube nicht nach 2000, weil ich kriege nur einfach mit, dass bestimmte Bereiche, dass da die<br />
Sparwut zugeschlagen hat, und das ist traurig zu sehen.“ 81 <strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände sprechen<br />
das gleiche Problem an. Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin erklärt,<br />
neue Projekte könnten nur noch aufgenommen werden, wenn sie nachweisen <strong>können</strong>, dass<br />
sie besser sind <strong>als</strong> die bestehenden. Bei den allgemeinen Einsparungen müsste sonst noch<br />
mehr bei den einzelnen Projekten gespart werden, um neue zusätzliche Projekte zu finanzieren.<br />
Von der Arbeiterwohlfahrt wird auf die 1990er Jahre Bezug genommen. Dort seien<br />
Projekte, die nicht mehr zeitgemäß beziehungsweise „problemorientiert“ waren, geschlossen<br />
worden, um in andere zu investieren. Durch die Sparmaßnahmen des Senats gäbe es<br />
heute allerdings eine andere Situation: „Wenn es heute darum geht, gesellschaftliche Problemlagen<br />
mit zu berücksichtigen, und gleichzeitig Kürzungen zu vollziehen, dann ist das<br />
natürlich ein Spagat ohne Ende. Das kann man im Prinzip gar nicht leisten, selbst wenn man<br />
im Rahmen von Evaluierung das ein oder andere zusammenfasst.“ 82 Nach Einschätzung des<br />
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin sind die Sparvorgaben für die Steuerung dramatisch,<br />
da fast 30 Prozent der Ressourcen wegfallen würden. „Steuerung heißt im Grunde, das<br />
so zu machen, dass des nicht zu einem völligen Wegbrechen der Strukturen führt. Ja <strong>als</strong>o<br />
man kann ja jetzt nicht groß positiv etwas Neues machen, sondern man wird einfach, wie soll<br />
ich sagen, wir haben jetzt noch so viel und im Jahr 2010 dann noch 70 Prozent davon oder<br />
so. Es ist eigentlich nur eine dauernde Frage von vorrangig, nachrangig oder prioritär. Das ist<br />
eigentlich so der Rahmen, in <strong>dem</strong> man steuert. Ist ja anders, wenn <strong>Sie</strong> ein stabiles System<br />
haben.“ 83<br />
IV. c. „Das Menscheln überwinden“ – Politische Einflussnahme<br />
Durch die vertraglich vereinbarten Leistungen ändern sich die Möglichkeiten kurzfristiger<br />
politischer Einflussnahmen gegenüber Senatsverwaltung und Leistungsträgern.<br />
Budgetrecht des Parlaments<br />
Aus Sicht der Senatsverwaltung ging es bei den Treuhandverträgen in erster Linie auch darum,<br />
<strong>aus</strong> der Jährlichkeit des H<strong>aus</strong>haltsrechts bei der Zuwendungsförderung<br />
her<strong>aus</strong>zukommen. <strong>Die</strong> Auseinandersetzungen mit <strong>dem</strong> politischen Bereich fänden durch die<br />
Verträge auch tatsächlich im Gegensatz zu den bisher jährlichen Verhandlungen nur noch<br />
einmalig für einen größeren Zeitraum statt. Problematisch sei dieses aber, weil damit das<br />
Budgetrecht des Parlaments eingeschränkt wird. Von daher müsse sich die Verwaltung auch<br />
mit der ständigen Kritik des Rechnungshofes <strong>aus</strong>einandersetzen, der ihnen vorwirft, das<br />
Budgetrecht des Parlaments nicht zu beachten, denn man könne es nicht Dritten überlassen,<br />
über die Verwendung der Zuwendungsmittel zu entscheiden. <strong>Die</strong> Erkenntnis über die hohe<br />
81 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 514-517.<br />
82 Interview Nr. 13 mit einem Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin, Zeilen 73-77.<br />
83 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 598-605.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 45
Planungssicherheit, die durch die Mehrjährigkeit der Verträge bewirkt würde, sei allerdings<br />
heute in der politischen Szene fest verankert; ein gewisses Spannungsfeld gegenüber <strong>dem</strong><br />
Parlament würde aber dennoch bestehen.<br />
Ein Vertreter der Bezirke sieht in den längeren Vertragslaufzeiten vor allem den Vorteil, dass<br />
die fachliche Arbeit im stärkeren Maße unabhängiger von politischen Entscheidungen sei,<br />
besonders dann, wenn die Laufzeiten über Wahlzyklen hinweg gingen. Denn nach den Wahlen<br />
sei man seitens der Politik immer noch an die Verträge gebunden. „<strong>Sie</strong> sind eben auch<br />
unabhängiger von der Politik. Und auch deshalb halte ich Treuhandverträge eigentlich für<br />
richtig.“ 84<br />
<strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände problematisieren jedoch stärker den Einflussverlust der Politik. Der<br />
Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin spricht von „großem Misstrauen der Politik gegenüber<br />
den Verträgen“ 85 in der Anfangszeit, denn durch die Verträge hätten die Abgeordneten<br />
auf einmal keine direkten Informationen über die Projekte mehr erhalten. Der interviewte<br />
Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin schätzt die Beurteilung der Verträge<br />
durch die Politik ebenfalls ambivalent ein, weil „Politik früher unmittelbar in einzelnen<br />
Bereichen auch Festlegungen treffen konnte. (…) Zu sagen 'Wir wollen jetzt, dass dieses und<br />
jenes gefördert wird', das ist nicht mehr möglich. Das ist <strong>als</strong>o durch die treuhänderischen<br />
Zuwendungsverträge auf freie Wohlfahrtsverbände und entsprechende Senatsverwaltungen<br />
<strong>aus</strong>schließlich begrenzt. Politiker <strong>können</strong> Anregungen geben. Das befriedigt sie nicht unbedingt.“<br />
86<br />
Ende des Lobbyismus<br />
<strong>Die</strong> Einführung der Treuhandverträge bedeutete das Ende des parlamentarischen Lobbyismus<br />
– so die Einschätzung von Senatsverwaltung, Wohlfahrtsverbänden und politischen<br />
Vertretern. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin beschreibt die Situation vor Einführung<br />
der Treuhandverträge folgendermaßen: 1994 gab es einen Staatssekretär, „einen sehr<br />
tatkräftigen, unkonventionellen Menschen. (…) Und die Projekte standen immer im Herbst,<br />
wenn H<strong>aus</strong>haltsverhandlungen im Parlament waren, da am Schöneberger Rath<strong>aus</strong> oder am<br />
Roten Rath<strong>aus</strong> später. Und jeder hatte seinen Abgeordneten. Und jeder Abgeordnete kämpfte<br />
denn für irgendeine viertel Stelle für das Projekt. (…) Und dieser Staatssekretär war es<br />
grundsätzlich leid, dass das hohe H<strong>aus</strong>, das Parlament, sich beschäftigt mit einer halben Stelle.<br />
Und er wollte im Grunde diese öffentliche Diskussionen weg haben.“ 87 Ein Staatssekretär<br />
a.D. äußert sich diesbezüglich wie folgt: „Sauer geworden bin ich, <strong>als</strong> ich gemerkt habe, wie<br />
eine ganze Reihe von Zuwendungsempfängern meinen dam<strong>als</strong> mir übergeordneten völlig<br />
unerfahrenen Senator, der hatte nun wirklich von tuten und blasen keine Ahnung gehabt,<br />
und der mir auch ganz klar vorgeordnet worden war mit der Bemerkung vom damaligen Regierenden<br />
Bürgermeister von Berlin 'Er hat keine Ahnung. <strong>Sie</strong> müssen die Arbeit machen'.<br />
84 Interview Nr. 10 mit einem Vertreter des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf, Zeilen 458-460.<br />
85 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 451-452.<br />
86 Interview Nr. 13 mit einem Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin, Zeilen 321-328.<br />
87 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 48-59.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 46
(…) Ich weiß nicht, ob <strong>Sie</strong> sich das vorstellen <strong>können</strong>, was so ein H<strong>aus</strong>halt aufzustellen [Wort<br />
bricht ab]. (…) Das ist richtig harte Arbeit. Der Senator machte nun natürlich auch an den<br />
H<strong>aus</strong>haltsrunden mit. (…) Und das war in Ordnung. Wenn er nicht – und das kriegte ich dann<br />
plötzlich mit steigender Wut mit – wieder nach den Plenen des Landtages wieder von irgendeiner<br />
Selbsthilfegruppe überfallen worden wäre, die wirklich ihn schamlos <strong>aus</strong>nutzten. Also<br />
da kam die Gruppe A. <strong>Die</strong> rief <strong>aus</strong> 'Wir müssen sofort eine neue Ausstattung Herr Senator'.<br />
Dann hat mich der Senator angesprochen 'Aber da müssen wir doch was machen. Wir müssen<br />
doch eine neue Ausstattung'. Das waren aber drei bloß pro Plenarsitzung. In der Woche<br />
kamen noch vier zu ihm. (…) Ich werde nie vergessen, er hat sich voll einwickeln lassen von<br />
der Gruppe „Hydra“. Das sind die ehemaligen Prostituierten, die <strong>aus</strong> der Szene r<strong>aus</strong>geholt<br />
werden sollten. Ja, der ist ja wie ein Hahn rumgelaufen und hat mir immer nur erzählt 'Den<br />
müssen wir aber mehr Geld geben'. So. '<strong>Die</strong> sind ja so nett. Da fahren wir doch mal beide<br />
hin.' Ich habe gesagt 'Ich fahre nirgendwohin. Ich kenne die Gruppen. Brauche ich nicht.'<br />
Dann ist er alleine hingefahren. So ein Foto in der Morgenpost: 'Senator besucht und verspricht<br />
mehr Zuwendung'. (…) Es war unerträglich. Ich hab ihm gesagt 'Ich erhöhe Ihnen jede<br />
Gruppe, die <strong>Sie</strong> wollen, wenn <strong>Sie</strong> mir immer sagen, bei welcher Gruppe ich das einsparen<br />
soll'. So, das war ein unerträgliches Spiel. Er tat mir leid, ich tat mir sowieso schon leid, meine<br />
H<strong>aus</strong>hälter taten mir leid. (…) Er war auch in erster Lesung. Vor der zweiten Lesung ging<br />
er die gleichen Titel durch. Jetzt hat er wieder Ansprachen gehalten, meinte schon wieder<br />
etwas verändern zu müssen. So, nun erklären <strong>Sie</strong> mal einem Haupt<strong>aus</strong>schuss von Berlin 'Also<br />
alles, was wir in der ersten Lesung vorgetragen haben, war Mist, weil wir haben jetzt eine<br />
viel interessantere Gruppe gefunden'. Das <strong>können</strong> <strong>Sie</strong> nicht.“ 88<br />
<strong>Die</strong> Arbeit mit <strong>dem</strong> Haupt<strong>aus</strong>schuss sei <strong>dem</strong>zufolge sehr schwierig gewesen, insbesondere<br />
auch daher, „weil natürlich auch wieder, und das ist alles menschlich, jeder Abgeordnete im<br />
Haupt<strong>aus</strong>schuss auch wieder Ansprachen von irgendwelchen Gruppen erfahren hatte. (…)<br />
Wenn ich dann gefragt wurde 'Was macht die Gruppe X' (…) Und dann hab ich gesagt (…)<br />
'Das ist Pflicht des Treuhänders, das ist nicht mehr unsere Sache'. Dann kam der nächste<br />
Abgeordnete. 'Ja, ich kenn aber die Gruppe. <strong>Die</strong> sind so nett. <strong>Die</strong> soll [Wort bricht ab].' Es<br />
menschelt dann ungeheuer. Und ich behaupte mal, der erste Treuhandvertrag war der<br />
schwierigste, weil sie das Menscheln überwinden mussten.“ 89 Auch andere Vertreter der<br />
Senatsverwaltung bestätigen diesen Sachverhalt. <strong>Die</strong> Projekte wurden nach deren Auffassung<br />
früher vor allem politisch bewertet: „Wenn da ein Abgeordneter gesagt hat 'Aber mein<br />
Projekt, das muss ja mehr Geld kriegen. Und ich bin dafür stark', dann konnte der das machen.<br />
Das kann er im Prinzip auch noch. Aber er kann, weil es eine Vertragssumme gibt, und<br />
weil es eine Planung dabei gibt, das nicht so her<strong>aus</strong>lösen – und muss sich eben eher auch in<br />
den Fachbereichen bewegen, wenn er da was sagen will.“ 90 Heute würden <strong>dem</strong>zufolge vor<br />
allem die fachlichen Konzepte die <strong>aus</strong>schlaggebende Rolle spielen, und der Einfluss der Projekte<br />
auf einzelne Abgeordnete sei <strong>dem</strong>entsprechend zurückgegangen.<br />
88 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 237-281.<br />
89 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 330-341.<br />
90 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 494-500.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 47
Auch <strong>aus</strong> parlamentarischer Sicht wird die Situation ähnlich beurteilt: „Also ich sehe schon<br />
einen politischen Nutzen. (…) Erster Punkt ist, dass das Parlament vom Senat (…) nicht Projektlisten<br />
und Projektvorschläge zur Beschlussfassung vorgelegt bekommt. Wo dann der<br />
Lobbyismus einzelner Parlamentarier, oder ganzer Gruppen von Parlamentariern den Ausschlag<br />
darüber gibt, wer eine Förderung im Land Berlin für bestimmte soziale oder<br />
gesundheitliche Aufgaben erhält. Das war in ganz ganz früheren Zeiten schon so.“ 91 <strong>Die</strong> unmittelbare<br />
H<strong>aus</strong>haltsverantwortung des Abgeordnetenh<strong>aus</strong>es für die Förderung einzelner<br />
Projekte sei – so ein Vertreter der Bezirke – mit den Treuhandverträgen sukzessive an die<br />
Wohlfahrtsverbände übertragen worden.<br />
Zusammenfassend lässt sich <strong>hier</strong> festhalten, dass sich die wechselseitige politische Einflussnahme<br />
zwischen Projekten und Politik nach Einschätzung der interviewten Experten durch<br />
die Treuhandverträge stark reduziert hat. Als Gründe werden die mehrjährigen Laufzeiten<br />
der Verträge, die in der Folge ein jährliches Eingreifen im Rahmen der H<strong>aus</strong>haltsplanung verhindern<br />
sowie die Übertragung von (Mit-) Entscheidungsrechten an Wohlfahrtsverbände<br />
und der Bedeutungsverlust des klassischen Projekt-Lobbyismus gegenüber Abgeordneten<br />
angegeben.<br />
IV. d. „Das ist für mich auch 'n bisschen Empowerment “ – Autonomie<br />
der Träger<br />
<strong>Die</strong> Treuhandverträge haben Einfluss auf den Grad an organisatorischer und fachlicher Autonomie<br />
der leistungsnehmenden <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen.<br />
Verantwortungsübertragung<br />
Es reiche allerdings nicht, den Einfluss der Politik auf die Projekte reduziert zu haben – so ein<br />
Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin – sondern es komme jetzt auch darauf<br />
an, den Leistungsträgern mehr Verantwortung zu übertragen: „Das ist für mich auch ein<br />
bisschen Empowerment. Also das ist, mehr Verantwortung auf die Seite der Träger geben.<br />
Das ist in meinen Augen eine Professionalisierung der Strukturen der Arbeit.“ 92 <strong>Die</strong> direkte<br />
Steuerung solle nach den Worten eines weiteren Verbandsvertreters von den Projekten <strong>aus</strong>gehen:<br />
„Also ich denke, dass es viel besser ist, wenn man die Steuerung auch so in die<br />
Projekte hineinlegt, wenn man einen Rahmen macht und sagt 'Das ist deins'.“ 93 Der Rahmen<br />
sei nach Auffassung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin und des Landesverbandes<br />
der Arbeiterwohlfahrt Berlin durch Zielvorgaben zu setzen, die gemeinsam mit allen Beteiligten<br />
diskutiert und erarbeitet werden müssen, so dass diese deren inhaltliche Ausrichtung<br />
mitbestimmen und beeinflussen <strong>können</strong>. <strong>Die</strong> Leistungsträger hätten dadurch einen stärkeren<br />
Einfluss erhalten, und man könne dadurch die politischen Vorgaben mit der Realität der<br />
Träger vor Ort abgleichen.<br />
91 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 176-183.<br />
92 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 306-309.<br />
93 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 682-684.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 48
Stabilität<br />
<strong>Die</strong> Projekte haben durch die Planungssicherheit der Treuhandverträge an fachlicher Autonomie<br />
gewonnen. Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin sieht durch<br />
die mehrjährigen Verträge die Projekte, aber auch die Verbände selbst, unabhängiger von<br />
politischen Forderungen und Geldern. <strong>Die</strong> Leistungsträger könnten so ihre Energie für die<br />
fachliche Arbeit anstatt für lobbyistische Zwecke einsetzen. Auch ein Vertreter des Parlaments<br />
betont, dass die Vertragslaufzeiten von fünf Jahren Stabilität in die<br />
Versorgungsstrukturen sowohl für die Mitarbeiter in den Einrichtungen und <strong>Die</strong>nsten <strong>als</strong><br />
auch für deren Nutzer bringen würden.<br />
Verbandsmitgliedschaft<br />
Nach Einschätzung eines Vertreters des Parlaments bestünde jedoch durch die Treuhandverträge<br />
eine stärkere Abhängigkeit der Leistungsträger von den Verbänden, denn diese<br />
müssten Mitglied im jeweiligen Dachverband sein, um an den Zuwendungen partizipieren zu<br />
<strong>können</strong>: „Ich glaube, das Problem für viele kleine Träger ist es, wenn sie nicht Mitglied in<br />
einem dieser Dachverbände sind, von diesen finanziellen Mitteln zu partizipieren. Das ist ein<br />
Manko – ein eindeutiges. Aber es lässt sich in der jetzigen Vertragskonstruktion, glaub ich,<br />
nur dadurch auflösen, dass die Wohlfahrtsverbände selbst erklären, dass sie auch kleinen<br />
Trägern eine Chance bieten, auch mit alternativen Konzepten und Ideen sich zu beteiligen.<br />
Ob das in der Tat gemacht wird, ist von uns <strong>aus</strong> schwer beurteilbar.“ 94<br />
Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin versichert diesbezüglich: „Es<br />
werden weiterhin, wie früher, Anträge gestellt, von Trägern, die auch in das Versorgungsfeld<br />
wollen, an den staatlichen Mitteln parti [Wort bricht ab]. Jetzt im Gesundheitsvertrag haben<br />
wir einige neue Anträge. Und das muss ganz gen<strong>aus</strong>o verfahrensrechtlich, weil das ja ein<br />
Antrag ist, weil wir beliehen sind. Das ist ja ein Antrag wie er gen<strong>aus</strong>o an die staatliche Behörde<br />
gestellt wird. Der wird bewertet, Kriterien entwickelt, und dann wird entschieden.“ 95<br />
Bürokratismus<br />
Seitens der Wohlfahrtsverbände wird der negative Einfluss des Rechnungshofes auf die eigenen<br />
Gestaltungsspielräume und die der Projekte kritisiert. <strong>Die</strong> an den Treuhandverträgen<br />
beteiligten Akteure stünden unter permanenter Kontrolle des Rechnungshofes. Ein Vertreter<br />
des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin habe den Eindruck, dass der Rechnungshof<br />
grundsätzlich gegen Treuhandverträge sei, weshalb er versuche, die Senatsverwaltung<br />
mittels Auflagen zu stringenteren Förderbestimmungen zu bewegen, um damit die Kontrolle<br />
erheblich zu erhöhen.<br />
<strong>Die</strong> Verwaltung überhäufe – so der Vertreter der Arbeiterwohlfahrt weiter – von daher die<br />
Verbände, und in der Folge damit auch die Projekte, mit beträchtlichen administrativen Anforderungen,<br />
die besonders für kleine Träger, die über keine eigene Verwaltung verfügten,<br />
94 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 219-227.<br />
95 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 929-935.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 49
problematisch seien: „Das heißt ein Träger läuft immer in Gefahr, dass er gegen Zuwendungsbestimmungen<br />
verstößt und dies letztendlich dann bei Prüfungen des<br />
Verwendungsnachweises zu erheblichen Mittelrückforderungen führen kann. Und solche<br />
Mittelforderungen, die <strong>können</strong> ja kleine Träger nicht nur überfordern, sondern <strong>können</strong> auch<br />
das finanzielle Aus bedeuten.“ 96 Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin spricht über<br />
dieses Problem. So wird es beispielsweise <strong>als</strong> „absoluter Quatsch“ 97 empfunden, den Projekten<br />
Vorgaben über die Höhe der Personal- und Sachkosten machen zu müssen. „Was da für<br />
Unsinn beachtet werden muss. Das ist furchtbar. Das ist die Bürokratie. Schlimmer geht es<br />
gar nicht.“ 98 Stattdessen sollen die Leistungsträger selbst mehr Entscheidungsspielraum bekommen:<br />
„Ich hätte das gerne so, dass der Träger selber die Mittel so bewirtschaften kann,<br />
wie er das sinnvoll findet. Und ich glaube, es kommt was Besseres dabei r<strong>aus</strong>.“ 99<br />
Der ursprüngliche Ansatz der Treuhandverträge sei – so ein Verbandsvertreter – eine leistungsorientierte<br />
Steuerung anhand von Output und Outcome gewesen. <strong>Die</strong> gängige<br />
retrospektive Finanzkontrolle habe man daher etwas zurückstellen wollen, um den Projekten<br />
eigenwirtschaftliche Spielräume zu eröffnen. <strong>Die</strong> Idee von Leistungsverträgen sei in diesem<br />
Zusammenhang aufgekommen, bei denen die Projekte nur hätten nachweisen sollen, ob sie<br />
die gesetzten Anforderungen erfüllt haben: „Das war mal die Philosophie, die man mal hatte<br />
und die eigentlich heute weg ist. Also der Senat sagt heute 'Ja, beides'. Also Hosenträger und<br />
Gürtel. Also Leistungssteuerung und Abrechnung und Finanzkontrolle. Und dann sag ich immer<br />
'Das ist unverhältnismäßig'. Damit werden dann doppelt Ressourcen gebunden. Auf der<br />
einen Seite muss er seine Leistungen optimieren, auf der anderen Seite darf er keine Spenden<br />
einwerben, muss alles nachweisen. (…) Der aktuelle Vertrag ist absolut schlecht, weil der<br />
im Grunde beides haben will.“ 100 Von Seiten der Politik habe man diese Problematik erkannt.<br />
<strong>Die</strong> aktuelle Koalitionsvereinbarung sieht von daher eine Entbürokratisierung der Treuhandverträge<br />
sowie die Stärkung eigenwirtschaftlicher Möglichkeiten der Projekte vor: „Aber ob<br />
das jetzt große Auswirkungen hat, was die Regierung jetzt sagt, kann man nur hoffen. Aber<br />
eigentlich ist das die Perspektive. Also was in der Koalitionsvereinbarung 2007 steht, ist eigentlich<br />
die Perspektive. Aber das steht nicht in <strong>dem</strong> Vertrag. Aber vielleicht steht es<br />
deswegen in der Koalitionsvereinbarung.“ 101<br />
IV. e. „Inzwischen ist die Luft r<strong>aus</strong>“ – Finanzielle Ressourcen<br />
<strong>Die</strong> Treuhandverträge haben einen Einfluss auf die fachliche Effektivität und wirtschaftliche<br />
Effizienz beim Einsatz von Zuwendungsmitteln.<br />
96 Interview Nr. 13 mit einem Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin, Zeilen 376-381.<br />
97 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeile 310.<br />
98 Interview Nr. 2 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 430-432.<br />
99 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 313-315.<br />
100 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 550-558.<br />
101 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 673-677.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 50
Stabilisierung der Finanzierungsmittel<br />
<strong>Die</strong> Berliner Treuhandverträge entstanden zu einer Zeit, in der sich der Landesh<strong>aus</strong>halt in<br />
einer tiefen Finanzkrise befand, die von massiven Kürzungsquoten bei den Zuwendungsmitteln<br />
begleitet wurde. Nach Aussagen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin sah man<br />
von daher in den Treuhandverträgen einen Weg, <strong>dem</strong> Konsolidierungszwang des Berliner<br />
H<strong>aus</strong>halts entgegentreten zu <strong>können</strong>, insbesondere deshalb, weil die Zuwendungsmittel<br />
nicht mehr jährlich zur Disposition stünden. Auch <strong>aus</strong> Sicht der Senatsverwaltung habe man<br />
mit den Verträgen langjährige Mittelfestlegungen des Landes zum Ziel gehabt. Ein Staatssekretär<br />
a.D. erklärt, dass trotz notwendiger Mittelkürzungen ein bestimmter Topf an<br />
Zuwendungsmitteln für die sozialen Projekte gesichert werden sollte. Unzumutbare Kürzungen<br />
durch H<strong>aus</strong>haltspolitiker, für die der Nutzen der Projekte nicht besonders greifbar sei,<br />
sollten zugunsten sinnvoller Einsparungen verhindert werden. Durch die Verträge haben die<br />
Projekte – so die Senatsverwaltung – Planungssicherheit durch einen festen finanziellen<br />
Rahmen für einen Zeitraum von fünf Jahren erhalten. Das sieht ein Vertreter eines Fachverbandes<br />
ebenso: Verbände und Projekte seien mit den Treuhandverträgen nicht mehr der<br />
„chaotischen Situation der Willkür der Verwaltung unterworfen“ 102 . <strong>Die</strong> Kürzungsquoten<br />
innerhalb der Verträge könnten mit <strong>dem</strong> Wissen, dass die verbleibenden Mittel sicher sind,<br />
besser umgesetzt werden. <strong>Die</strong> interviewten Vertreter der Wohlfahrtsverbände vertreten<br />
einhellig die Meinung, dass die Treuhandverträge zu einer Stabilisierung der Mittel geführt<br />
haben. Ohne die Verträge hätte das Land in seiner momentanen H<strong>aus</strong>haltslage wesentlich<br />
mehr Mittelkürzungen vollzogen – so die weitverbreitete Einschätzung auf Seiten der Wohlfahrtsverbände.<br />
Für die Projekte habe sich dadurch – nach Auffassung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin – die Situation ergeben, 100 Prozent ihrer Ressourcen für ihre eigentlichen<br />
Aufgaben <strong>aus</strong>geben zu <strong>können</strong>, anstatt einen Teil zur Sicherung ihrer Finanzmittel aufwenden<br />
zu müssen. <strong>Die</strong>s brachte den Verträgen bei den Projekten viel Sympathie ein: „<strong>Die</strong><br />
Stimmen der Kritik wurden immer leiser, und bald waren sie nicht mehr zu hören.“ 103<br />
Mittelkürzungen<br />
<strong>Die</strong> über die Treuhandverträge vereinbarte kontinuierliche Absenkung der Zuwendungsmittel<br />
sollte nach den Worten eines ehemaligen Staatssekretärs zur Stabilisierung der<br />
H<strong>aus</strong>haltslage des Landes beitragen. Nach den Angaben der Wohlfahrtsverbände haben die<br />
Verträge auch tatsächlich zu erheblichen Einsparungen in sozialen und gesundheitlichen Projekten<br />
geführt. Bis zum Ende des LIGA-Vertrages „Soziales“ bzw. des Integrierten<br />
Gesundheitsvertrages im Jahr 2010 habe man dann bezogen auf den Beginn der Treuhandverträge<br />
30 bis 40 Prozent an Einsparungen erzielt und damit einen enormen Beitrag zur<br />
Entlastung des Landesh<strong>aus</strong>haltes geleistet. Für die Zukunft wird die Situation aber <strong>als</strong> nicht<br />
unproblematisch eingeschätzt: „Der neue Vertrag sieht ja größere Dimensionen beim Kürzen<br />
102 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 667-668.<br />
103 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 328-329.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 51
vor. Da müssen wir noch zeigen, ob wir das auch so vernünftig mit unseren Mitgliedern<br />
steuern, beherrschen <strong>können</strong>, dass dann am Ende dieser Laufzeit weiterhin auch bei unseren<br />
Mitgliedsorganisationen die Wahrnehmung bleibt, dass wir das gut und richtig machen.“ 104<br />
Verbändevertreter weisen darauf hin, dass die Kürzungen in den ersten Jahren der treuhänderischen<br />
Zuwendungsvergabe geringer <strong>aus</strong>fielen, was den Verbänden selbst mehr<br />
Gestaltungsspielräume lies, weshalb sie verstärkt in der Lage waren, ihre eigenen Zuwendungen<br />
für die sogenannten zentralen Aufgaben der Verbände zugunsten von Projektmitteln<br />
kürzen zu <strong>können</strong>. Besonders der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin habe auf entsprechende<br />
Zuwendungen verzichten <strong>können</strong>, wobei aber zu bedenken sei, dass er sich in<br />
erheblichem Maße durch seine Mitgliedsbeiträge finanziere. Verbände, die sich dagegen<br />
überwiegend <strong>aus</strong> Zuwendungen für zentrale Aufgaben finanzierten, leisteten indessen einigen<br />
Widerstand: „<strong>Die</strong> kleineren Verbände, deren Verbandsinfrastruktur über diese Mittel<br />
stark finanziert wird (…) und wenig Projektförderungen in diesen Vertrag hatten, die hatten<br />
andere Interessen. <strong>Die</strong> wollten eher ihre direkten Verbandsmittel schützen und weniger die<br />
Projektförderungen. Und da hat es hinter den Kulissen immer Vertragskämpfe gegeben.“ 105<br />
<strong>Die</strong> Treuhandverträge haben auch Veränderungen im Personalh<strong>aus</strong>halt bewirkt. Vertreter<br />
der Senatsverwaltung erklären, dass man durch die Übertragung der Zuwendungsvergabe an<br />
die Verbände innerhalb der Verwaltung Personalkosten einsparen, und stattdessen den Verbänden<br />
eine Verwaltungskostenp<strong>aus</strong>chale zahlen wolle. Dadurch hätten einige<br />
Verwaltungsmitarbeiter für andere Aufgaben zur Verfügung gestanden bzw. konnten deren<br />
Stellen teilweise sogar abgebaut werden. Ob sich dadurch tatsächlich Einsparungen realisieren<br />
ließen, könne man nur dann sagen, wenn man die Kosten der Verbände für die<br />
Vertragsverwaltung mit den Einsparungen der Senatsverwaltung gegenrechnen würde. Auch<br />
ein Bezirk habe infolge eines Treuhandvertrages personelle und finanzielle Entlastung erfahren,<br />
in<strong>dem</strong> der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin bestimmte Aufgaben der<br />
Mittelüberweisung und Abrechnung übernommen habe: „Jetzt die spannende Frage. Baue<br />
ich die Stelle ab? Was wir getan haben. (…) Jetzt haben wir ja das Problem, muss ich eigentlich<br />
diese Leistung wieder vorhalten, wenn ich keinen Treuhandvertrag mache, den ich jetzt<br />
nicht mache, weil ich eigentlich mit der Landesh<strong>aus</strong>haltsordnung kollidiere und <strong>dem</strong> neuen<br />
System der Budgetierung. Ich muss <strong>als</strong>o die Leistung selber wieder vorhalten. Und das Personal<br />
dafür auch haben, die Mitarbeiterin, die die Abrechnung auch macht.“ 106 Vertreter der<br />
Senatsverwaltung bestätigen das gleiche Problem. Durch den Abbau der für Zuwendungen<br />
zuständigen Sachbearbeiterstellen in der Verwaltung sähe sich diese nicht mehr in der Lage,<br />
die Zuwendungen wieder selbst abzuwickeln: „Das heißt, es wäre für uns schon eine riesige<br />
Her<strong>aus</strong>forderung. Wir hatten das ja jetzt gerade bei <strong>dem</strong> neuen LIGA-Vertrag. Wenn der<br />
nicht zum Abschluss gekommen wäre, und wir das ganze Geschäft, was wir <strong>dem</strong> Beliehenen<br />
übertragen hatten, <strong>hier</strong> LIGA, auf den Tisch bekommen hätten. [Wechsel der Interviewpart-<br />
104 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 324-329.<br />
105 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 397-402.<br />
106 Interview Nr. 10 mit einem Vertreter des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf, Zeilen 532-540.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 52
ner] Na, im Nachhinein wär es jetzt unmöglich gewesen, weil sozusagen unsere Stellen gar<br />
nicht mehr da sind. <strong>Die</strong> sind in der Zwischenzeit dann abgebaut worden.“ 107<br />
Problematisch sei zu<strong>dem</strong>, dass die Festlegung der Zuwendungsmittel in den Verträgen zulasten<br />
notwendiger Einsparungen ginge. Aus Sicht des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt<br />
Berlin gäbe es diesbezüglich vor allem von Finanzpolitikern Kritik: „Und das ist, sagen wir<br />
mal, das auch, was Kritiker ins Feld führen. Also vor allen Dingen Finanzpolitiker. Dass sie<br />
sagen, über die Treuhandverträge beraubt sich Berlin der Möglichkeit, von H<strong>aus</strong>haltsjahr zu<br />
H<strong>aus</strong>haltsjahr auch gewisse Einsparungen durch direkte Kürzungen vorzunehmen.“ 108 Ein<br />
ehemaliger Staatssekretär erklärt dazu, dass es in diesem Zusammenhang auch Ärger gab<br />
mit anderen Senatsverwaltungen, bei denen überall intensiv gespart werden musste: „Also<br />
etliche Staatsekretärskollegen haben immer gesagt 'Na, da hast Du ja ein Ei gelegt, an das<br />
wir nicht mehr herankommen'. Aber das war natürlich auch positiv.“ 109 Schwierig sei der<br />
Umgang mit den Kürzungen auch auf bezirklicher Ebene. Denn der Bezirk hätte – so ein Vertreter<br />
– für seine Aufgaben ein bestimmtes Budget; wenn es <strong>hier</strong> zu Kürzungen kommt, sei<br />
der Bezirk aber an die Treuhandverträge gebunden, weshalb Kürzungen <strong>aus</strong>schließlich zulasten<br />
anderer Bereiche vollzogen werden müssten, was „dazu geführt hat, dass wir zwei<br />
Stellen abbauen mussten im Sozialamt. Und da <strong>können</strong> <strong>Sie</strong> sich vorstellen, dass es da Konflikte<br />
gibt. Weil im Sozialamt vom Grundsatz her wir Pflichtaufgaben erfüllen (…) und die<br />
Mitarbeiterinnen natürlich <strong>hier</strong> auch dann nicht ganz unberechtigt sagen 'Wieso müssen wir<br />
zulasten von freiwilligen sozialen Aufgaben auf Geld verzichten? (…) Wenn wir denn alle insgesamt<br />
ein geringeres Budget kriegen, (…) dann kann es doch nicht so sein, dass die einen<br />
das gleiche kriegen wie voriges Jahr, und die anderen müssen dafür mehr sparen.' (…) Politisch<br />
ist es natürlich gewollt. Dazu gibt es auch einen Beschluss der<br />
Bezirksverordnetenversammlung, den Bereich möglichst ungekürzt weiter zu fördern.“ 110<br />
Allerdings seien Mitteleinsparungen auch im Bereich der Treuhandverträge notwendig, eine<br />
Kürzung des Gesamtangebotes nähme man damit jedoch in Kauf. Auch die Senatsverwaltung<br />
weist darauf hin, dass bestimmte Projektaufgaben wegfallen müssten, um die erneuten Einsparungen<br />
zu erreichen: „Der Maßstab muss jetzt, damit diese Einsparungen dann<br />
ermöglicht werden, verschärft werden an verschiedenen Stellen. Und was vorher notwendig<br />
war, fällt dann an bestimmten Stellen eben weg. (…) Wir haben <strong>als</strong>o eigentlich keine Kapazität<br />
mehr. (…) Das ist jetzt sozusagen die besondere Her<strong>aus</strong>forderung bei <strong>dem</strong> laufenden<br />
Vertrag, damit mit diesen Einsparungen von 852.000 Euro pro Jahr, das so hinzubekommen,<br />
dass trotz<strong>dem</strong> noch die wichtigsten Sachen, die wir gesichert haben wollen, darin auch aufrechterhalten<br />
werden <strong>können</strong>.“ 111<br />
Ein <strong>Die</strong>nstleister betont, dass Kürzungen bis zu einem bestimmten Punkt möglich wären,<br />
in<strong>dem</strong> man die Arbeit verdichtet und die Arbeitsprozesse effektiver gestalte; dieses sei aber<br />
107 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 477-485.<br />
108 Interview Nr. 13 mit einem Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin, Zeilen 211-215.<br />
109 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 230-232.<br />
110 Interview Nr. 10 mit einem Vertreter des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf, Zeilen 276-296.<br />
111 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 633-642.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 53
mittlerweile erreicht: „Inzwischen ist die Luft, was die Treuhandverträge anbetrifft, die ist<br />
r<strong>aus</strong>. <strong>Die</strong> ist so gut wie weg. Also da noch mal zu kürzen, würde bei den meisten an die Substanz<br />
gehen.“ 112<br />
Besorgt äußert sich ebenfalls ein Staatssekretär a.D. über die Entwicklung in diesem zuwendungsgeförderten<br />
Bereich: „<strong>Die</strong>ses ganze Feld der komplementären Versorgung ist so<br />
drastisch gekürzt worden, dass sie es eigentlich auch gleich einstecken <strong>können</strong> in Berlin. Als<br />
Staat, wenn man es ernst meint, den Begriff Entstaatlichung, dann muss ich an ihre Belange<br />
denke, und dann muss ich denen auch eine Grundfinanzierung geben, damit sie überhaupt<br />
die Aufgabe erfüllen <strong>können</strong>. Wir sind heute in einer Denke, dass Entstaatlichung 100 Prozent<br />
Einsparung bedeutet. (…) Wenn ich es ernst meine, muss ich ernst zu nehmende<br />
Verbände staatlich stützen. (…) Ich muss ihre Arbeitskraft finanzieren. (…) Wir haben versucht,<br />
sinnvoll zurechtzuschneiden. Aber ich habe ein bisschen Sorge, dass das heut zu wenig<br />
ist, weil es sind staatliche Aufgaben gewesen – Daseinsvorsorge oft genannt. (…) <strong>Sie</strong> <strong>können</strong><br />
über eins mit mir nicht streiten, ob ich einen, ich sage jetzt mal psychisch labilen Menschen,<br />
der möglicherweise auch noch behindert ist, wenn ich <strong>dem</strong> keine Stützung, wenn ich <strong>dem</strong><br />
das nicht gebe, dann habe ich möglicherweise hinterher nicht nur ein Menschenleben völlig<br />
kaputtgemacht, sondern ich hab das auch noch viel zu teuer kaputtgemacht. (…) Ich bedaure,<br />
dass wir nicht mehr so sozial arbeiten wie wir das eigentlich mal getan haben.<br />
Insbesondere (…) von einer Regierung, die sich <strong>als</strong> sozial bezeichnet.“ 113<br />
Aufgrund der finanziellen Maßnahmen bestünde die Gefahr, die besonders betroffene Klientel<br />
völlig an den Rand der Gesellschaft zu drängen: „Ich muss <strong>als</strong> Staat irgendwann<br />
entscheiden, will ich mich um diese Randgruppen noch kümmern, oder ich will es nicht mehr<br />
tun. (…) Will aber keiner. Sondern man will doch noch ein Stück Solidarität in der Bevölkerung.<br />
(…) Aber dazu bräuchte ich eine Grund<strong>aus</strong>stattung. Und zu der muss ich mich endlich<br />
einmal bekennen. Wirklich endlich einmal bekennen. Also es ist dann ein Etatteil, den ich<br />
auch nicht verändern kann. (…) Lass ich in der Psychiatrie einen Bereich einbrechen. Was<br />
passiert? Ein Teil wird stationär. Ein Teil geht über die Krankenkasse. Ein Teil geht über die<br />
Sozialhilfe. Also über die Finanzierung des Staates. Und nur weil es ein anderer Topf ist, ist es<br />
dann billiger?“ 114 Im Sinne einer Bestandsaufnahme müsste – nach Ansicht des Staatssekretärs<br />
– ein Atlas über gesundheitliche sowie soziale Problembereiche in Berlin erstellt<br />
werden: „Was aber wirklich sinnvoll wäre, wäre ein Atlas zur Feststellung der Problematiken<br />
im gesundheitlichen-sozialen Bereich, <strong>als</strong>o mit anderen Worten, ein Atlas, der zeigt wo ist<br />
welches Problem gravierend, in welcher Form?“ 115 Intervenierende Maßnahmen in Bezug<br />
auf die dabei festgestellten Problematiken müsste das Land Berlin <strong>als</strong> feste Grund<strong>aus</strong>stattung<br />
sicherstellen.<br />
112 Interview Nr. 5 mit einem <strong>Die</strong>nstleister des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 303-305.<br />
113 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 361-401.<br />
114 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 652-670.<br />
115 Interview Nr. 9 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 698-701.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 54
Ob eine solche Grund<strong>aus</strong>stattung angesichts der Sparmaßnahmen gewährleistet werden soll<br />
und kann, lässt sich nur schwer abschätzen. Jedoch steigt mit zunehmenden Mittelkürzungen<br />
auch der Widerstand der Verbände, weiterhin die Treuhänderrolle für die<br />
Senatsverwaltung zu übernehmen. Für Vertreter der Senatsverwaltung sieht es folgendermaßen<br />
<strong>aus</strong>: „Ich sehe ein bisschen mit Sorge, (…) dass aber sozusagen mit zunehmen<strong>dem</strong><br />
Spardruck, <strong>als</strong>o wo nehmen wir eigentlich die Einsparungen her in diesem Vertrag, ja, sozusagen<br />
auch die Gefahr wieder, dass man sagt 'Ne, macht Ihr die Vorgaben von außen'. (…)<br />
Das kann ich aber auf der anderen Seite auch ein bisschen verstehen. Also je dichter der<br />
Druck wird, desto klarer ist ja auch, dass ich das nicht selber verantworten will.“ 116 Der Landesverband<br />
der Arbeiterwohlfahrt Berlin kann sich weitere Einsparungen in den gleichen<br />
Größenordnungen bei der nächsten Vertragsrunde nach 2010 nicht mehr vorstellen: „Ich<br />
glaube, das wird dann eher in Ablehnung umschlagen, weil das würde bedeuten, dass es<br />
nicht mehr um einzelne Projekte geht, sondern dann quasi bloß noch um die Stilllegung ganzer<br />
Angebotsbereiche. Und das würde sicherlich nicht mitgetragen.“ 117<br />
Noch deutlicher drückt sich diesbezüglich ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin <strong>aus</strong>. Durch die beachtlichen Einsparungen seit Einführung der Treuhandverträge<br />
„haben wir einen enormen Beitrag zur Entlastung des Landes geleistet. (…) Und von daher<br />
bin ich nicht mehr bereit, nach jetziger Einschätzung, (…) würde ich keine Verträge mehr<br />
abschließen, die noch mal weitere Kürzungen vorsehen, oder noch einmal gewaltige Kürzungen.<br />
Um kleine Summen kann man sich vielleicht <strong>aus</strong> pragma [Wort bricht ab], oder weil ja<br />
die Not nicht nachlässt, da muss man beweglich sein. (…) Aber solche Kürzungen, wie wir<br />
jetzt verkraften müssen, umsetzen müssen, solche Kürzungen würde ich nicht mehr akzeptieren.<br />
Dann würd ich weitere Verträge ablehnen. Dann soll der Staat das schlachten. Das<br />
würde ja am Ende dann das Schlachten eines niedrigschwelligen Versorgungsfeldes bedeuten.<br />
Dann soll das der Senat in Eigenverantwortung machen. Dann machen wir wieder<br />
Lobbyist in klassischer Manier und ziehen dann zu Felde. (…) Wenn das Land Berlin in allen<br />
Ausgabenfeldern ähnlich vorgegangen wäre, dann hätte diese Stadt wieder eine Zukunft.<br />
Wir haben unseren Beitrag geleistet. Ich bin da nicht mehr bereit, nur weil es <strong>hier</strong> rechtlich<br />
eher machbar ist. Und dann bei den Personal<strong>aus</strong>gaben, da verharrt ja das Land auf sieben<br />
Milliarden. (…) Da muss da gekürzt werden. Weil, da sind ja unsere paar Millionen auch lächerlich.<br />
(…) Dann kann man uns diese Projekte alle zumachen, und trotz<strong>dem</strong> wird es nichts<br />
nützen. (…) Wenn man die auch ganz streichen würde, hat man trotz<strong>dem</strong> nicht das Land saniert.“<br />
118<br />
Effizienz und Effektivität<br />
<strong>Die</strong> angespannte H<strong>aus</strong>haltslage des Landes – darauf macht ein Vertreter der Senatsverwaltung<br />
aufmerksam – könne es nicht zulassen, sich <strong>aus</strong>schließlich am Bedarf der Zielgruppen<br />
zu orientieren, wie das die Leistungsträger gerne hätten: „Es geht ja jetzt darum, wie kann<br />
116 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1219-1234.<br />
117 Interview Nr. 13 mit einem Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin, Zeilen 269-273.<br />
118 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 962-1000.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 55
man denn dieses Geld einigermaßen bedarfsgerecht verteilen. Also nicht das, was die Träger<br />
unter Bedarf verstehen, sondern um eine bedarfsgerechtere Verteilung ging es.“ 119 <strong>Die</strong>sbezüglich<br />
– so ein Staatssekretär a.D. – hätten die Verbände gute Vorschläge erbracht: „Also<br />
das war schon hilfreicher vielleicht auch, <strong>als</strong> das, was Verwaltung ja teilweise gemacht hat.<br />
(…) Dadurch dass wir jetzt diese Zusammenstellung hatten und jeder wusste, dass das in<br />
einem Vertrag ist, war dieses 'Wir kürzen mal <strong>hier</strong> linear', (…) was Verwaltung immer so gerne<br />
macht, 'Ach herrje, wir wollen ja keinem wehtun'. Oder wenn Verwaltung, <strong>als</strong>o immer ein<br />
Mitarbeiter, der zuständig war eben nur für ein paar Projekte, wenn der sagte 'Ach Mensch,<br />
das eine Projekt ist so toll', weil der das eben gut kannte, 'da dürfen wir nur weniger kürzen',<br />
das entfiel ja jetzt alles. (…) Es gab nicht mehr dieses p<strong>aus</strong>chale Kürzen.“ 120 Der Paritätische<br />
Wohlfahrtsverband Berlin schlägt eine Konzentration auf „Kerndinge“, die für die Menschen<br />
wichtig sind, vor, um die vorhandenen Ressourcen effektiv einzusetzen: „Wir müssen sozusagen<br />
alle so ein bisschen sehen, wo sind denn die Kerndinge, die wichtig sind, dass<br />
Menschen sich wohl fühlen, (…) wo man das Gefühl hat, dass man gefragt ist <strong>als</strong> Bürger.<br />
Wenn da alle mitziehen, mit den Ressourcen, die wir haben, könnte da wesentlich mehr erreicht<br />
werden, <strong>als</strong> diese Sonderaktionen. Hier ein Problem, Geld dafür. (…) Also immer so<br />
diese Reaktion auf bestimmte besondere Vorkommnisse und weniger diese kontinuierliche<br />
präventive Arbeit im Sinne wir gestalten unsere Region.“ 121<br />
Starke Synergieeffekte könne man – nach Auffassung eines Verbandsvertreters – bezogen<br />
auf die Stadtteilarbeit durch die Schaffung von Verbundsystemen in den Regionen erzielen.<br />
<strong>Die</strong> vorhandenen Ressourcen müssten dazu durch koordinierte regionale Konzepte sinnvoll<br />
aufeinander abstimmt werden. Hier seien die Effekte noch nicht <strong>aus</strong>gereizt und ließen sich<br />
durch eine verstärkte Professionalisierung und Einbeziehung von Ehrenamtlichen in den Einrichtungen<br />
noch erhöhen. Seitens der Senatsverwaltung wird darauf verwiesen, auch bei<br />
den Suchthilfediensten Synergieeffekte durch eine stärkere Ressourcenbündelung erzielt zu<br />
haben. Gleiches träfe auch auf den Zuwendungsbereich des LIGA-Vertrages zu, der es ermögliche,<br />
Entwicklungen über Ressortgrenzen hin<strong>aus</strong> zu verfolgen und Kooperationen<br />
zwischen den Projekten zulasse, die auch Synergieeffekte hervorbringen würden. Im Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverband Berlin gibt es dazu aber auch kritische Meinungen. Danach seien<br />
korporative Vorteile von Großsystemen tatsächlich nur schwer realisierbar, in <strong>dem</strong> Sinne,<br />
Ressourcen verschiedener Projekte zu konzentrieren, um eine Großkampagne, beispielsweise<br />
zur Gewinnung von Ehrenamtlichen, zu starten, bei der dann mehr Geld zur Verfügung<br />
stünde: „Das sind alles Dinge, die kann man sich so <strong>aus</strong>denken, aber die funktionieren nicht<br />
so richtig. Das widerspricht so ein bisschen der Logik auch der Projekte. (…) Also man engagiert<br />
sich für die eigene Arbeit. Und diese übergreifenden Aspekte, die sind nicht so optimal<br />
oder vielleicht auch f<strong>als</strong>ch. Ich weiß es nicht. Es sind Überlegungen, die man dam<strong>als</strong> mal hatte,<br />
die sich <strong>als</strong> wenig realisierbar her<strong>aus</strong>gestellt hatten.“ 122<br />
119 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 279-282.<br />
120 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 348-361.<br />
121 Interview Nr. 2 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 641-651.<br />
122 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 412-419.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 56
Der Verwaltung hätten die Treuhandverträge allerdings finanzielle Vorteile gebracht, da sie<br />
bestimmte Bereiche bei sich habe abbauen <strong>können</strong> und zu wesentlich günstigeren Konditionen<br />
an die Verbände abgegeben habe. Ein Vertreter der Fachverbände beschreibt es<br />
folgendermaßen: „Finanzielle Vorteile hat der Senat, in<strong>dem</strong> er seine Stellen abbaut. Und<br />
in<strong>dem</strong> er sozusagen (…) eine neue Verwaltung zu einem sehr billigen Tarif beschäftigt. (…)<br />
Natürlich <strong>können</strong> wir mit sehr viel weniger Geld die Zuwendungsgeschäfte mit den Einrichtungen<br />
betreiben <strong>als</strong> der Senat das macht, weil unsere Verhältnisse quasi auf einem<br />
Vertrauen beruhen. (…) Wir dürfen Fehler machen sogar. <strong>Die</strong> korrigieren wir mit den Einrichtungen<br />
gemeinsam. (…) Insofern gibt es eine Chance der Verwaltungsvereinfachung. Und<br />
damit kann man auch Kosten sparen. (…) Ich glaube, dass das, was an Geld jetzt gegeben<br />
wird für die Verwaltung, dass das viel viel weniger ist <strong>als</strong> das, was die Verwaltung verbraucht<br />
hätte für die gleichen Arbeiten. Es gibt aber auch eine Tendenz, (…) den Zwischenhändlern<br />
immer mehr aufzubürden, was eigentlich sozusagen den Stil der öffentlichen Verwaltung<br />
eher entspricht. Also das heißt, die ganzen Verfahren unheimlich zu verkomplizieren. (…) Das<br />
heißt, wir werden in die Rolle eines Bürokraten gedrängt.“ 123 <strong>Die</strong>s würde – nach den Worten<br />
eines Parlamentariers – ein hohes Maß an Arbeitszeit und damit auch an Arbeitskosten binden,<br />
Verwaltungsabläufe müssten von daher überdacht und Vereinfachungen dieser<br />
Prozesse erreicht werden.<br />
<strong>Die</strong> Meinung von Verbandsvertretern, dass sie das Zuwendungsverfahren günstiger betreiben<br />
<strong>können</strong>, <strong>als</strong> es der Verwaltung möglich wäre, bezweifelt jedoch ein Vertreter der<br />
Bezirke: „Ich glaube, dass es so eine Fehlannahme ist, da neigt der DPW manchmal in seinen<br />
Einschätzungen dazu, zu sagen 'Also wir entlasten Euch von Aufgaben, dafür möchten wir<br />
natürlich auch finanzielle Mittel haben. Und wir erbringen das weniger aufwendig <strong>als</strong> Ihr'. Ich<br />
glaube, dass der Nachweis nicht wirklich erbracht ist. Das könnte man am Ende vielleicht nur<br />
machen, wenn man dann über alles wirklich die Kosten-Leistungs-Rechnung legt. Das ist <strong>aus</strong><br />
meiner Sicht eher so eine Hilfsargumentation, zu sagen, <strong>als</strong>o LIGA oder eben freigemeinnützige<br />
Träger sind alle Mal besser <strong>als</strong> kommunale.“ 124<br />
Unstrittig sind jedoch die hohen Einsparungen, die die Verbände in den letzten Jahren innerhalb<br />
der Verträge umsetzen konnten. Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin stellt hervor: „Ich denke, wir haben eingespart, ohne dass wir wirklich auf Leistungen<br />
verzichten mussten.“ 125 Grund dafür seien die aktiven Steuerungsmöglichkeiten, die der<br />
Verband durch die Treuhandverträge erhalten habe. Von daher seien auch die Sparmaßnahmen<br />
im neuen Integrierten Gesundheitsvertrag zu bewerkstelligen: „Ich halte das für<br />
machbar. Ich halte das insofern für machbar, dass wir Strukturen verändern müssen. Und<br />
nicht sagen mit der Gießkanne oder mit <strong>dem</strong> Rasenmäher. Jeder kriegt gleich viel weggenommen.<br />
Ist ja Quatsch. Es reicht auch nicht einmal punktuell ein Projekt zu schließen. Find<br />
123 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 607-635.<br />
124 Interview Nr. 10 mit einem Vertreter des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf, Zeilen 560-568.<br />
125 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 293-294.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 57
ich auch Blödsinn. Sondern wir müssen komplett Strukturen überprüfen und Neustrukturierungen<br />
vornehmen.“ 126<br />
Dennoch gibt es Überlegungen, sinkende Zuwendungsmittel durch die Akquise von Eigenmitteln<br />
zu kompensieren. <strong>Die</strong> Senatsverwaltung erklärt dazu, dass sie bisher<br />
Zuwendungsmittel in Höhe eventueller Eigenmittel der Projekte zurückfordern muss; da gäbe<br />
es keinen Ermessensspielraum: „Das ist so ein Punkt, mit <strong>dem</strong> wir uns <strong>als</strong><br />
Vertragspartner, beide Seiten sozusagen, beschäftigen wollen, und um unter anderem auch<br />
an der Stelle etwas zu machen, was nicht zur Verschuldung des Landes Berlins weiter beitragen<br />
soll, sondern eher dazu, die Spielräume gerade angesichts dieser Einsparung, die wir<br />
sowieso erbringen, noch zu ermöglichen, um die Leistungsangebote auf einem bestimmten<br />
Niveau halten zu <strong>können</strong>.“ 127 Im aktuellen LIGA-Vertrag „Soziales“ habe man bereits Regelungen<br />
treffen <strong>können</strong>, um bei den Projekten Anreize zu schaffen, mehr Eigenmittel zu<br />
erwirtschaften, die man nicht mit den Zuwendungsmitteln zu verrechnen habe. Hier sei ein<br />
Experimentierfeld geschaffen worden. Darüber hin<strong>aus</strong> versuche man im LIGA-Vertrag „Soziales“,<br />
Möglichkeiten einer zusätzlichen Finanzierung über EU-Strukturfonds zu erschließen:<br />
„Wobei es nicht ganz unproblematisch ist, weil jetzt versuchen wir ja eher, die Mittel des<br />
Landes <strong>als</strong> Kofinanzierung für EU-Mittel heranzuziehen. Und das ist nicht ganz unumstritten,<br />
weil natürlich jemand auf die Idee kommen könnte, was wir an anderen Mitteln bekommen,<br />
ziehen wir Euch an Landesmitteln wieder ab.“ 128<br />
Ein Vertreter des Parlaments verdeutlicht, dass die Übernahme nicht verbrauchter Finanzierungsmittel<br />
in das jeweils nächste H<strong>aus</strong>haltsjahr eine Strategie sei, um den Einsatz der<br />
Zuwendungsmittel flexibler zu gestalten. Auch seien einzelne Mittelansätze im Finanzierungsplan<br />
mittlerweile gegeneinander deckungsfähig und könnten bei Bedarf umgewidmet<br />
werden: „Weil das war <strong>als</strong>o eine irrsinnige Konstruktion der alten Verträge, die es einfach<br />
auch erforderlich gemacht hat, alle H<strong>aus</strong>haltsmittel <strong>aus</strong>zugeben, ohne sozusagen nach sinnhaften<br />
Umsetzungsstrukturen zu suchen, die wirklich auch Spielräume eröffnen. (…) Also da<br />
ist auch eine horizontale und eine vertikale Flexibilität des Einsatzes der Finanzmittel gegeben.“<br />
129<br />
Nicht alle Beteiligten sind hingegen mit der Situation im neuen Treuhandvertrag zufrieden.<br />
Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin kritisiert die Vielzahl der vertraglich<br />
fixierten Regelungen, die den Handlungsspielraum im Umgang mit den<br />
Zuwendungskürzungen erheblich einschränkten: „Das eine kritische sind die Kürzungen, und<br />
das andere kritische sind diese Regelungen. Wenn <strong>Sie</strong> sparen müssen, dann müssten <strong>Sie</strong> alle<br />
Regelungen über Bord werfen. Dann müssten <strong>Sie</strong> sagen 'Ich brauch die Hände frei'. Aber <strong>Sie</strong><br />
<strong>können</strong> sich nicht die Hände fesseln durch Regelungen und dann noch sagen 'Ich muss jetzt<br />
sparen'. Im Grunde ist das völlig, völlig f<strong>als</strong>ch. Ja man müsste eigentlich sagen 'Wir müssen<br />
126 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 502-507.<br />
127 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 826-832.<br />
128 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 1310-1315.<br />
129 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 269-282.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 58
uns jetzt anstrengen, 30 Prozent zusätzliche Ressourcen hereinzuholen, damit wir den Rahmen<br />
haben'. Ja aber bei <strong>dem</strong> Vertrag macht das doch keinen Sinn, weil das alles wieder<br />
abgezogen und verzinst wird. Also der Vertrag ist im Grunde [Wort bricht ab]. Ich verstehe<br />
den gar nicht.“ 130<br />
IV. f. „Wir haben das Herrschaftswissen aufgebrochen“ – Transparenz<br />
in der Aufgabenwahrnehmung<br />
Das Kontraktmanagement hat einen gewissen Einfluss auf die Transparenz in der Leistungserbringung<br />
zur Folge.<br />
<strong>Die</strong> Vielzahl vertraglicher Regelungsinhalte lässt sich unstrittig teilweise <strong>aus</strong> einem latenten<br />
Misstrauen der Verwaltung gegenüber den Verbänden und ihren Mitgliedseinrichtungen<br />
erklären, <strong>dem</strong>zufolge Verbände vorwiegend im eigenen Interesse handeln würden und die<br />
Interessen des Staates nicht genügend zur Geltung kämen. Verbändevertreter hoffen allerdings,<br />
mit mehr Transparenz in der Leistungserbringung diesem Misstrauen entgegenwirken<br />
zu <strong>können</strong>. <strong>Die</strong> Bemühungen um mehr Transparenz hatten aber auch andere, fachliche<br />
Gründe.<br />
Vergleichbarkeit herstellen<br />
Nach den Worten eines ehemaligen Staatsekretärs wollte man mit den Treuhandverträgen<br />
zunächst eine Übersicht über alle geförderten Projekte erhalten. Auf dieser Grundlage habe<br />
man dann Entscheidungen, beispielsweise über eine sinnvolle räumliche Verteilung der Projekte,<br />
treffen <strong>können</strong>. Vertraglich sei von daher festgelegt worden, sämtliche Projekte mit<br />
einer Kurzbeschreibung in einem bestimmten Schema darzustellen, was gleichzeitig wohl<br />
eine erste Bestandsaufnahme der Projektelandschaft gewesen sein soll, die Senat und Abgeordnetenh<strong>aus</strong><br />
in Berlin je gesehen haben. Vor den Verträgen seien die Projekte<br />
unüberschaubar gewesen: „Da gab es dann den berühmten Spruch des damaligen Senators<br />
Ulf Fink, der für Gesundheit und Soziales zuständig war (…) 'Lasst viele Blumen blühen'. Und<br />
so sah die Projektelandschaft in Berlin dann auch <strong>aus</strong>. (…) Über alle Projekte gab es überhaupt<br />
keine Übersicht.“ 131<br />
Vertreter der Senatsverwaltung betonen, dass mit den Treuhandverträgen erstm<strong>als</strong> eine<br />
Vergleichbarkeit aller Projekte erreicht worden sei. Sowohl bei den Leistungsbeschreibungen<br />
<strong>als</strong> auch bei der Dokumentation der erbrachten Leistungen habe man beachtliche Erfolge<br />
gehabt.<br />
Auch seitens der Verbände werden Erfolge bei der Erarbeitung von Leistungsbeschreibungen<br />
und Dokumentationssystemen angesprochen. So seien beispielsweise in den letzten fünf<br />
Jahren Leistungsbeschreibungen für die ambulante Drogenhilfe entwickelt worden. Als primäre<br />
Aufgaben im Integrierten Gesundheitsvertrag sieht ein Vertreter des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes Berlin ferner die Erarbeitung und Weiterentwicklung von Leistungsbe-<br />
130 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 657-666.<br />
131 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 64-70.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 59
schreibungen, Dokumentationen und strukturierten Sachberichten sowie die Bestimmung<br />
klarer Ziele. Darüber dann eine Vergleichbarkeit aller Projekte zu erreichen, wäre Vor<strong>aus</strong>setzung<br />
für die Erstellung eines Gesamtkonzeptes für ein Gesundheitsnetzwerk.<br />
Im Gegensatz zum bisher Genannten beklagt ein Mitglied des Parlaments fehlende Einblicke<br />
in die Entscheidungsgrundlagen der LIGA: „Problematisch finde ich, dass es für uns Außenstehende<br />
nicht transparent genug ist, nach welchen Kriterien die Entscheidungen getroffen<br />
werden innerhalb der LIGA. Aber ich weiß auch nicht, ob ich da soviel Einblick haben möchte.<br />
Mir würde es schon reichen, nachvollziehbare Indikatoren zu kennen, nach denen<br />
innerhalb der Vertragsstrukturen eine Förderung vorgenommen wird. (…) Aber ich glaube,<br />
die arbeiten daran. Bin mir da nicht ganz so sicher.“ 132<br />
Kritisch anzumerken sei zu<strong>dem</strong> – so die Meinung eines Vertreters des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin – dass Berichtswesen, Dokumentationen und Klientendateien bei den<br />
einzelnen Projekten sehr unterschiedlich <strong>aus</strong>geprägt wären, was einen Vergleich unmöglich<br />
machen würde. Sofern man <strong>hier</strong> jedoch höhere Anforderungen stellt, habe man immer auch<br />
die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen zu beachten.<br />
Erfolgskontrolle<br />
<strong>Die</strong> schwierigste Aufgabe im Zusammenhang mit den Verträgen sei – so ein Staatsekretär<br />
a.D. – die Qualitätssicherung der Leistungserbringung gewesen. Man wollte ein System mit<br />
objektiven Bewertungsmaßstäben einführen, mit <strong>dem</strong> es möglich sein sollte, beurteilen zu<br />
<strong>können</strong>, was die Projekte tatsächlich leisten: „<strong>Die</strong>ses Anliegen, zu sagen 'Wir wollen eben<br />
auch wissen, was leistet ein Projekt wirklich', damit man eben unterscheiden kann zwischen<br />
denen, die unbedingt notwendig sind an einem Standort – da kann eben da nicht gekürzt<br />
werden, oder eben nur minimal – und anderen Projekten, die vielleicht nicht so wichtig<br />
sind.“ 133 <strong>Die</strong> Einführung eines solchen Systems habe bei den Geschäftsführern der Verbände<br />
und bei den Projekten teilweise zu Angst und Ablehnung geführt, da eine große Unsicherheit<br />
darüber bestanden habe, den Ansprüchen genügen zu <strong>können</strong>, was sich andernfalls auf die<br />
Mittelvergabe hätte <strong>aus</strong>wirken <strong>können</strong>: „Das hat sich unheimlich verzögert. (…) <strong>Die</strong> Geschäftsführer<br />
hatten zu Recht erkannt, dass es letztlich natürlich auch da für die Zukunft für<br />
die Mittelvergabe wichtig sein konnte. Wenn es zu Kürzungen kommt, schließt man ein Projekt,<br />
was vielleicht nicht gut arbeitet, egal zu welchem Verband es gehört. Und von daher<br />
war das der schwierigste Bereich eigentlich.“ 134 Allerdings habe <strong>hier</strong> der Paritätische Wohlfahrtsverband<br />
Berlin einen großen Beitrag geleistet, in<strong>dem</strong> er von Anfang an den Aufbau<br />
eines solchen Systems von Qualitätskriterien und Evaluierungsverfahren unterstützt habe.<br />
Auch Vertreter der Senatsverwaltung bemängeln den eher zögerlich verlaufenden Umsteuerungsprozess<br />
hin zu einer effektiven Erfolgskontrolle. In den Vertragsverhandlungen sei man<br />
in diesem Punkt nicht weiter gekommen, da es allen Seiten um eine etwas langsamere,<br />
132 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 191-198.<br />
133 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 122-126.<br />
134 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 420-430.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 60
schrittweise Ausrichtung auf eine Leistungs- und Wirkungsorientierung ginge. Jedoch sei die<br />
Erarbeitung von gut messbaren Kriterien für eine Erfolgskontrolle notwendig, um auf dieser<br />
Grundlage gegebenenfalls umsteuern zu <strong>können</strong>: „Jetzt geht es für mich dann im nächsten<br />
Schritt darum, dass wir ein besseres Fachcontrolling aufbauen. (…) Zu gucken, was sind<br />
Kennziffern für Erfolgskontrolle, wie kann man das messbar machen, Erfolg, wie kann man<br />
da auf dieser Basis dann wieder neu umsteuern.“ 135<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin habe sich nach eigenen Angaben ebenfalls zum<br />
Ziel gesetzt, in Zukunft stärker wirkungsorientiert zu agieren und dazu Erfolgskriterien zu<br />
entwickeln, anhand derer überprüft werden könne, ob die Leistungen auch die gewünschten<br />
Wirkungen erbracht haben. Ein <strong>Die</strong>nstleister sei diesbezüglich beauftragt worden, strukturierte<br />
Sachberichte sowie Kriterien für eine Erfolgskontrolle zu erstellen. Ein Vertreter des<br />
Verbandes sieht die Gründe für eine stärkere Wirkungsorientierung vor allem in den vertraglich<br />
fest zugesicherten Zuwendungsmitteln. Nun könne danach gefragt werden: „Was<br />
machen die Projekte eigentlich? Was sind die Ergebnisse? Was sind die Leistungen? Wie ist<br />
das Verhältnis von Leistungen und Mitteleinsatz? Also eine Überlegung, die eigentlich in der<br />
ganzen Welt außer in der Sozialwirtschaft immer schon üblich ist. Und das war vorher nicht<br />
möglich, weil alles immer Politik war. '<strong>Sie</strong> wollen die 10-Stunden-Kraft streichen? Wir müssen<br />
zum Stadtrat laufen, zum Abgeordneten laufen.' Aber es wurde nie geredet, was das<br />
eigentlich ist.“ 136 <strong>Die</strong> Ergebnisse der durchgeführten Evaluierungen <strong>können</strong> dagegen nun <strong>als</strong><br />
Grundlage für Steuerungsprozesse verwendet werden, um Entscheidungen zu legitimieren.<br />
Ein anderer Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin hebt das Fachcontrolling<br />
<strong>als</strong> wichtige Aufgabe und ständiger Bestandteil der Arbeit hervor. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung<br />
sei ein strenges Verfahren entwickelt worden, wonach nach einem<br />
Losverfahren jährlich ein Drittel aller Projekte vollständig, die anderen auf Antrag geprüft<br />
würden. Nach Auffassung eines <strong>Die</strong>nstleisters seien die Aufgaben des Controllings durch die<br />
Treuhandverträge bei den Verbänden wesentlich trägernäher zu realisieren <strong>als</strong> es über die<br />
Senatsverwaltung möglich wäre. Auch seitens der Fachverbände wird bestätigt, dass Prüfungen<br />
bei den Verbänden besser durchgeführt würden: „Wir machen das sehr zeitnah. Aber<br />
wir machen es, würde ich mal sagen, auch viel zweckvoller. (…) Wir konzentrieren uns auf<br />
das Wesentliche. (…) 90 Prozent der Kosten sind Personalkosten, und deswegen prüfen wir<br />
die Personalkosten präzise.“ 137<br />
Manchmal würde den Projekten auch Betrug unterstellt: „Und das muss dann alles untersucht<br />
werden. Dafür sind wir auch personell nicht <strong>aus</strong>gestattet. Um solche umfangreichen<br />
Prüfungen zu machen, die die Senatsverwaltung selber mit ihren eigenen Personal nicht<br />
hinkriegt. Ihre Prüfinstanz hat einen Rückstand von sechs bis sieben Jahren.“ 138<br />
135 Interview Nr. 3 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 721-725.<br />
136 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 392-398.<br />
137 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 810-815.<br />
138 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 805-809.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 61
Zu<strong>dem</strong> wird vom Fachverband kritisiert, dass sich bei den Prüfungen vorwiegend mit der<br />
Verwendung der Mittel und anderen formalen Dingen beschäftigt werden müsse, anstatt,<br />
wie es der Wille des Abgeordnetenh<strong>aus</strong>es sei, sich auf Inhalte zu konzentrieren, d.h. vernünftige<br />
Methoden der Evaluation zu entwickeln und umzusetzen.<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> würden die Auswertungen zur Erfolgskontrolle kaum die Realität widerspiegeln:<br />
„Also es wird immer mehr Papier produziert. Das hängt aber damit zusammen, dass<br />
diejenigen, die schließlich und endlich legitimieren müssen, dass dafür Geld <strong>aus</strong>gegeben<br />
wurde, keine eigene Meinung mehr dazu haben, sondern nur noch Papier. Das heißt, die<br />
brauchen irgendwann ganz viele Pseudo<strong>aus</strong>wertungen des wirklichen Lebens, die man irgendwo<br />
in Computer eingeben kann. Wo dann irgendetwas <strong>aus</strong>gerechnet wird. Und die<br />
Zahl, die dann da steht, die heißt 'Ich erreiche mit einem Euro 1,75 Bewohner der Stadt<br />
soundso regelmäßig, und ihre soziale Lage verbessert sich um 0,3 Prozentpunkte'. So was in<br />
der Richtung. Das wollen die haben. Das heißt, es geht nicht mehr darum, was wirklich ist,<br />
sondern wie es sich in Statistiken und sonst wo darstellen lässt.“ 139<br />
Dazu kommt, dass – so die Auffassung eines Vertreters des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin – die Projekte <strong>aus</strong> Angst, ihre Leistungszahlen würden im Folgejahr bei der<br />
H<strong>aus</strong>haltsplanung Auswirkung haben auf ihre Zuwendungsmittel, mehr angeben <strong>als</strong> tatsächlich<br />
geleistet wurde. Es käme zu Mengenexpansionen; <strong>aus</strong> einfachen Kontakten würden<br />
beispielsweise Beratungen, um die Leistungszahlen zu erfüllen. Es fehle zu<strong>dem</strong> an für Evaluationen<br />
kompetenten Mitarbeitern in den Projekten: „Das sind alles <strong>aus</strong>gewiesene Fachleute<br />
für diesen Bereich. Und dann kriegen <strong>Sie</strong> ein Papier, da steht drin 'Also die Wohnungslosen<br />
sind die Ärmsten der Armen'.“ 140<br />
Berichterstattung<br />
Der Verband müsse aufgrund vertraglich festgelegter Pflichten über die geleistete Arbeit,<br />
deren Qualität sowie über die Abrechnung der Zuwendungen Berichte an die Senatsverwaltung<br />
liefern. Nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin würden diese<br />
Berichte in der Regel auch von der Verwaltung so akzeptiert. Im Gegensatz dazu sei der<br />
Rechnungshof den Berichten gegenüber sehr misstrauisch eingestellt, was viele Nachfragen<br />
zur Folge habe. Beanstandet wird vor allem, dass es <strong>dem</strong> Rechnungshof bei seinen Kontrollen<br />
um die Einhaltung formaler Regeln anstatt um Wirtschaftlichkeit ginge: „Es wird nicht<br />
alternativ gerechnet, ob die Einhaltung von sinnlosen Regeln, was das kostet im Verhältnis,<br />
wenn ich das vereinfache und mehr Vertrauen auch in den Verwender der Mittel habe. Da<br />
steckt auch ein in unseren Bürokratien starkes obrigkeitsstaatliches Denken drin, dass der<br />
Staat immer kontrollieren muss und jede Institution prinzipiell nur darauf <strong>aus</strong> ist, den Staat<br />
zu betrügen. Ich will nicht verhehlen, dass wir in der Vergangenheit zu diesem Bild auch einiges<br />
dazu beigetragen haben. Gerade die Verbände durch ihre Intransparenz. Aber wir<br />
ändern uns stark. Und ich glaube, man kann gar nicht genug Transparenz herstellen bei den<br />
139 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 638-648.<br />
140 Interview Nr. 14 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 506-510.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 62
freien Trägern, wenn wir langfristig diese Rolle in einer Bürgergesellschaft spielen wollen, die<br />
wir spielen <strong>können</strong>, und die auch für die Gesellschaft gut ist. Von daher denke ich, finden da<br />
zu wenig Lernprozesse statt.“ 141<br />
Auch andere Vertreter der Wohlfahrtsverbände weisen darauf hin, mehr Transparenz gegenüber<br />
der Politik leisten zu müssen. <strong>Die</strong>ses sei nach Angaben des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt<br />
Berlin in der Vergangenheit nicht immer konsequent erfolgt, solle jedoch jetzt<br />
mit einer jährlichen Leistungsbilanz 142 , die sowohl der Senatsverwaltung <strong>als</strong> auch <strong>dem</strong> Abgeordnetenh<strong>aus</strong><br />
zugeht und Entwicklungen im Treuhandvertrag aufzeigen soll, umgesetzt<br />
werden. <strong>Die</strong> Vorstellung der Leistungsbilanz 2005 über die Sozial- und Gesundheitsprojekte<br />
sei im Abgeordnetenh<strong>aus</strong> – so ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin –<br />
zwar nur von wenigen Abgeordneten wahrgenommen worden, allerdings hätten sich diese<br />
anschließend sehr positiv darüber geäußert.<br />
Aus Sicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin führten sowohl Transparenz <strong>als</strong> auch<br />
vertrauensbildende Maßnahmen zum Erfolg der ersten Treuhandverträge und zum Abschluss<br />
von Folgeverträgen. Für den Drogenbereich beschreibt ein Verbandsvertreter die<br />
Bemühungen des Verbandes folgendermaßen: „Wir haben die Finanzierungspläne auf den<br />
Tisch gelegt, Stellenpläne auf den Tisch gelegt. Also es ist mit einem höchsten Maß an Transparenz<br />
gegenüber den Trägern, gegenüber der Senatsverwaltung. Also wir haben das<br />
Herrschaftswissen aufgebrochen. Und wir haben alle Daten, alle Unterlagen transparent<br />
gemacht. Denn die Schwierigkeit im Drogenbereich war auch die, dass immer so getan wurde,<br />
<strong>als</strong> ob es ganz ganz viele geheimnisvolle Dinge gäbe, die unter Verschluss liegen, die nur<br />
streng vertraulich sind.“ 143<br />
IV. g. Besser, weil's die Wohlfahrt macht? – Qualität der Leistungserbringung<br />
Das Kontraktmanagement hat Einfluss auf die Qualität der Leistungen.<br />
Dass seit Einführung der Treuhandverträge qualitative Verbesserungen in der Leistungserbringung<br />
zu verzeichnen sind, bestätigen sowohl die Vertreter der Verbände und<br />
<strong>Die</strong>nstleister <strong>als</strong> auch der Senatsverwaltung und der Politik.<br />
Dimensionen der Qualitätsentwicklung<br />
So haben die Verträge – nach Auffassung der Verwaltung – dazu geführt, dass über Modellvorhaben,<br />
Instrumente und Best Practice mehr diskutiert würde sowie Qualitätsstandards<br />
sukzessiv definiert und angehoben würden. Es sei <strong>dem</strong>entsprechend zu einer intensiveren<br />
Qualitätsentwicklung gekommen. Auch würde man sich nun bei den Angeboten mehr am<br />
tatsächlichen Bedarf orientieren, Öffnungszeiten habe man zu<strong>dem</strong> stärker an den Bedürfnis-<br />
141 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 688-701.<br />
142 Ein Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin spricht auch vom sogenannten „Transparenzbericht“.<br />
143 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 118-126.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 63
sen der Klienten <strong>aus</strong>gerichtet. Für einen ehemaligen Staatssekretär der Senatsverwaltung<br />
steht im Hinblick auf die Treuhandverträge fest: „Wenn man Interesse daran hat, für ganz<br />
Berlin eine sinnvoll strukturierte, qualitätsbewusste Projektelandschaft zu haben, dann ist<br />
das <strong>aus</strong> meiner Sicht die beste Möglichkeit.“ 144<br />
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin hebt hervor, dass es mit den Verträgen gelungen<br />
sei, eine fachliche Diskussion anzuregen. Der Anspruch bestünde nun darin, kontinuierlich<br />
auf <strong>dem</strong> „höchsten Niveau der derzeitigen Fachlichkeit“ 145 zu handeln. <strong>Die</strong>s sei wegen der<br />
häufigen Mitarbeiterwechsel in den Projekten nicht selbstverständlich, da mit je<strong>dem</strong> Mitarbeiter<br />
auch fachliche Kompetenzen verloren gingen.<br />
Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />
Qualitätsverbesserungen seien – nach Aussage eines Verbandsvertreters – nicht allein durch<br />
die Übertragung der Aufgaben an die Wohlfahrtsverbände zu erwarten: „Ich gehöre nicht zu<br />
denen, die sagen, <strong>als</strong>o bloß weil es der Paritätische macht, oder die Wohlfahrt macht, dass<br />
es in je<strong>dem</strong> Fall besser sein muss, <strong>als</strong> wenn es der Staat macht. Sondern in diesem Gesamtensemble,<br />
alle diejenigen einzubeziehen, die fachlich etwas zu sagen haben, finanziell die<br />
Ressourcen so zu bündeln, dass sie dort ankommen, wo man sie braucht.“ 146 Man müsse<br />
sich mit allen Partnern, ob Staat oder andere, vernetzen, um bei Problemen partnerschaftliche<br />
Lösungen zu erarbeiten: „Da sehe ich dieses Bündel, wo man zusammenarbeitet. Das ist<br />
der Vorteil von Treuhandverträgen. Man hat ein Gremium, wo alle Beteiligten an einem<br />
Tisch sitzen, diskutieren, Lösungen machen, die dann der DPW natürlich umsetzen und verantworten<br />
muss. Sozusagen das ist das, was der öffentliche <strong>Die</strong>nst nicht leisten kann.“ 147 <strong>Die</strong><br />
Verbände seien durch die Verträge in der Lage, ihre besonderen Kompetenzen, die vor allem<br />
in Eigeninitiative und Kreativität lägen, einzubringen, wogegen staatliche Kompetenzen eher<br />
im Verwalten zu finden wären.<br />
Ein Vertreter des Abgeordnetenh<strong>aus</strong>es bekräftigt diese Auffassung: „Also ich bin der Überzeugung,<br />
dass das fachliche Know-how der LIGA, und in Berlin vor allem des DPW, was die<br />
Umsetzung von solchen Verträgen in konkrete Projekte und die fachliche Begleitung, die<br />
Qualitätsentwicklung und die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in solchen<br />
Projekten arbeiten, dass das bei denen ganz gut aufgehoben ist. Das ist mir immer<br />
wieder aufgefallen, wenn ich Kontakte zu Leuten hatte, die unter <strong>dem</strong> Dach des DPW ihren<br />
Job machen, dass das ein hohes Niveau hatte. Und dass das, glaube ich, auch einen hohen<br />
Ausschlag darüber gegeben hat, dass viele Projekte unter diesem Dach einfach auch gut laufen.<br />
Ob das in Verantwortung von Senatsstrukturen in gleicher Weise laufen würde, würd ich<br />
einmal schwer in Zweifel stellen, weil, denke ich, <strong>als</strong>o das, was man unter diesem Dach <strong>als</strong>o<br />
auch an innovativen Entwicklungen vorangebracht hat, einfach gut ist. (…) Das hat mich auch<br />
wieder dazu bewogen, diese Form von Vertragsstrukturen auch zu unterstützen, weil ich<br />
144 Interview Nr. 7 mit einem Vertreter der SenGSV, Zeilen 474-477.<br />
145 Interview Nr. 2 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 304-305.<br />
146 Interview Nr. 2 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 214-219.<br />
147 Interview Nr. 2 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 222-226.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 64
denke, dass das eine öffentliche Verwaltung in dieser Form gar nicht mehr leisten kann und<br />
auch gar nicht leisten muss.“ 148<br />
<strong>Die</strong> Qualitätsverbesserungen in den Projekten würden – so die Aussage eines Vertreters des<br />
Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin – durch regelmäßige Evaluationen erreicht.<br />
Zusammen mit den Leistungsträgern würde man die Ergebnisse solcher Evaluationen <strong>aus</strong>werten.<br />
Überhaupt bekämen die Beteiligten durch die Treuhandverträge mehr<br />
Möglichkeiten, bei der inhaltlichen Ausrichtung mitzubestimmen. <strong>Die</strong>se Einbindung habe<br />
dann auch oft Paradigmenwechsel ihres Handelns zur Folge, was bei ihnen zu internen Weiterentwicklungen<br />
und stärker bedarfsorientierten Angeboten führe.<br />
Ein Vertreter der Bezirke gibt aber auch, bezogen auf die Stadtteilzentren, zu bedenken, dass<br />
sich die Planungssicherheit langfristiger Verträge, wie sie durch die Treuhandverträge bewirkt<br />
wird, durch<strong>aus</strong> nicht ganz unproblematisch auf die Qualität der Arbeit <strong>aus</strong>wirken kann;<br />
auch sei nicht zu erwarten, dass sich qualitativ bessere Arbeit durch höhere Zuwendungen<br />
erreichen ließe: „Also weil ich nicht glaube, dass a priori die Arbeit besser wird, wenn man<br />
wahnsinnig mehr Kohle hätte für jedes einzelne Stadtteilzentrum. Weil auch eine gewisse<br />
Variabilität in den Angeboten gegeben ist, auch Veränderungen, sich auch nichts etabliert.<br />
(…) So schön wie längerfristige Verträge sind, weil sie Planungssicherheit und auch Kontinuität<br />
schaffen, es entwickelt sich auch eine gewisse Selbstzufriedenheit. (…) Und deshalb<br />
glaube ich eben, dass es da auch immer wieder eine inhaltliche Diskussion geben muss. Was<br />
hat sich bewährt? Was muss verändert werden. (…) Wir haben solche Sachen durch<strong>aus</strong> gemacht.<br />
Auch im Rahmen unseres Vertrages.“ 149<br />
Aus Sicht eines beteiligten <strong>Die</strong>nstleisters könne man generell nicht sagen, ob sich die Qualität<br />
bei den Projekten durch die Treuhandverträge verbessert habe. Das könne sehr<br />
unterschiedlich sein. „Es ist eher so, dass es erstaunlich ist, wie es Projekte schaffen, trotz<br />
immer größeren Kürzungsraten, doch die Qualität, wenn nicht zu halten, sondern beispielsweise<br />
auch zu verbessern.“ 150 Problematisch sei diesbezüglich vor allem, dass die Projekte<br />
die Drittmittel, die sie akquirieren, aufgrund der Treuhandverträge mit den Zuwendungsmitteln<br />
verrechnen müssen. Je mehr Mittel die Projekte <strong>als</strong>o von Dritten einwerben, desto<br />
weniger Zuwendungen erhalten sie am Ende. Dadurch fehle ihnen aber schließlich die Motivation,<br />
zusätzliche Mittel einzuwerben, mit denen ihre Klientel besser versorgt werden<br />
könnte. Von daher stecke in den Verträgen auch ein gewisser „Leistungshemmer“.<br />
IV. h. „Wir müssen die Interessen dieser beiden Welten zusamme n-<br />
führen!“ – Intermediäre Verhandlungsposition der Verbände<br />
<strong>Die</strong> Wohlfahrtsverbände nehmen gegenüber ihren Mitgliedsorganisationen und <strong>dem</strong> Staat<br />
im Rahmen der Treuhandverträge eine stärkere intermediäre Verhandlungsposition ein.<br />
148 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 428-445.<br />
149 Interview Nr. 10 mit einem Vertreter des Bezirkes Marzahn-Hellersdorf, Zeilen 228-245.<br />
150 Interview Nr. 5 mit einem <strong>Die</strong>nstleister des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 298-301.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 65
Mittlerfunktion<br />
Der Kampf um die knappen staatlichen Zuwendungsmittel wird – nach Einschätzung des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes Berlin – durch die enorme Staatsverschuldung noch<br />
Jahrzehnte andauern. Vor diesem Hintergrund bestünde die Aufgabe der Verbände vor allem<br />
darin, einen Interessen<strong>aus</strong>gleich zwischen <strong>dem</strong> Staat auf der einen und den Leistungsträgern<br />
auf der anderen Seite zu schaffen: „Ich sehe ja den Verband so <strong>als</strong> Mittler zwischen den<br />
Interessen der einzelnen Einrichtungen und <strong>dem</strong> Staat. (…) Wir sind ja dann so eine intermediäre<br />
Instanz. Wir müssen die Interessen dieser beiden Welten mit zusammenführen. Sonst<br />
haben wir auch keine Bedeutung.“ 151 Verbände, die dagegen in einer Ideologie verwurzelt<br />
sind, nach der man jegliche Veränderungen im sozialen System <strong>aus</strong>schließlich negativ betrachten<br />
könne, würden sich – so der Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin – irgendwann überflüssig machen. Ähnliches betreffe auch die Leistungsträger selbst:<br />
„Ich glaube schon, dass Veränderungen notwendig sind, Versorgungsstrukturen auch, weil<br />
die Bedürfnisse der Menschen sich ändern, angepasst werden müssen, flexibilisiert werden<br />
müssen. Und da gibt es bei den Betroffenen immer erst einmal Widerstände. (…) Und unsere<br />
Aufgabe ist es, sie zu öffnen, ihnen klar zu machen, dass sie dadurch ihre Anschlussfähigkeit<br />
und langfristig ihre Gesamtexistenz verlieren. Und das meine ich mit dieser Rolle einer<br />
intermediären Organisation zwischen staatlichen Interessen, Verwaltungsinteressen und<br />
unseren Mitgliedsorganisationen, die Interessen zu vermitteln.“ 152<br />
Wichtige Entscheidungen würden – nach Aussagen von Verbandsvertretern – zusammen mit<br />
den Projekten und der Senatsverwaltung getroffen. <strong>Die</strong> Beteiligten sähe man <strong>als</strong> Partner, mit<br />
denen Konzepte gemeinsam erarbeitet würden und die dadurch auch Verantwortung mit<br />
übernehmen müssten. <strong>Die</strong> Vertragsverhandlungen zum Vertrag „Stadtteilzentren“ seien von<br />
starken Verteilungskämpfen und viel Ärger begleitet worden, was nur durch gute Konzepte<br />
und eine enge Zusammenarbeit mit den Bezirken und allen anderen Beteiligten erfolgreich<br />
abgeschlossen werden konnte. Im Integrierten Gesundheitsvertrag koordiniert der Paritätische<br />
Wohlfahrtsverband Berlin verschiedene Projektgruppen mit Vertretern der Projekte<br />
und der Verwaltung: „Und ich hab in je<strong>dem</strong> Feld eine sogenannte Projektgruppe mit den<br />
freien Trägern und <strong>dem</strong> Land Berlin zusammen. Das heißt Sitzungstermine ohne Ende.“ 153<br />
Ein bedeutendes Problem sei momentan, nicht zu wissen, wer alles in die Planungsprozesse<br />
mit einzubeziehen ist: „Je größer das ganze Gebilde geworden ist, je mehr Beteiligte es gibt,<br />
desto unklarer ist für mich, wie laufen <strong>hier</strong> im Verband eigentlich jetzt die Umsetzungen.<br />
Und das fand ich sehr bequem, dass ich doch in <strong>dem</strong> alten Vertrag relativ vieles in Abstimmung<br />
mit ganz wenigen entscheiden konnte. Und wie gesagt, ich kam <strong>aus</strong> einem kleinen<br />
gallischen Dorf, und jetzt steh ich wie auf so einer verkehrsumtosten Kreuzung, und es hupt<br />
und macht von allen Seiten. (…) Also ich sage einmal, Entscheidungen zu treffen, geht im<br />
Moment kaum, weil man immer wieder einen findet, der einem vorwirft, da hätte man ei-<br />
151 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 786-790.<br />
152 Interview Nr. 6 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 800-812.<br />
153 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 672-674.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 66
nen Fehler gemacht, weil man wieder noch jemanden vergessen hat, mit <strong>dem</strong> man sich nicht<br />
abgestimmt hätte. (…) Es scheint sich momentan eher in die Richtung zu entwickeln, dass wir<br />
immense Abstimmungs- und Abspracheprobleme kriegen. Und keiner weiß so richtig, wer<br />
steuert <strong>hier</strong> eigentlich genau was. Und im Zweifelsfall entscheide ich eben gerne alleine und<br />
weiß <strong>als</strong>o dann auch, was ich zu verantworten habe.“ 154 <strong>Die</strong> Zusammenlegung der verschiedenen<br />
Projekte <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Gesundheitsbereich und <strong>dem</strong> Sozialbereich sei aber dennoch richtig<br />
gewesen, nicht nur wegen der notwendigen Sparmaßnahmen, sondern auch, weil dadurch<br />
innerhalb des Verbandes alles in einem Bereich liegt, was Abstimmprozesse wenigstens verbandsintern<br />
reduzieren würde.<br />
<strong>Die</strong> Senatsverwaltung beurteilt vor allem ihren gesunkenen Einfluss bei den Projekten <strong>als</strong><br />
problematisch. So habe sie früher einen direkten Kontakt zu den Projekten gehabt, der seit<br />
der Einschaltung des Treuhänders lediglich noch mittelbar bestünde. Einen direkten Kontakt<br />
zu den Projekten herzustellen sei nun Aufgabe des Treuhänders, dieser habe alle Leistungsträger<br />
zu bündeln und <strong>als</strong> deren Sprachrohr zu agieren. Bei der Verwaltung selbst habe es<br />
dazu geführt, dass fachlich kompetentes Personal abgebaut wurde: „Aber das hat natürlich<br />
auch die Folge, dass jetzt <strong>hier</strong> Leute <strong>aus</strong>sterben, die auch die Szene beurteilen <strong>können</strong>. Das<br />
muss man sich wieder beschaffen.“ 155 Nach Auffassung eines Vertreters der Fachverbände<br />
müsse die Verwaltung <strong>aus</strong> diesem Grunde den Treuhänder in seiner Mittlerrolle ernst nehmen,<br />
um seine Rolle nicht gegen ihn <strong>aus</strong>zuspielen. <strong>Die</strong>ses habe in der Vergangenheit aber<br />
nicht so funktioniert, was sich besonders bei den Vertragsverhandlungen zeigte: „Wir haben<br />
die Vorschläge auch mit unseren Mitgliedseinrichtungen abgestimmt. Und dann kamen wir<br />
mit <strong>dem</strong> Gesamtpaket beim Senat an. Und dann haben die das einfach durchgestrichen und<br />
gesagt 'Wir wollen Euch was anderes aufzwingen'. Das war genau der Punkt, wo diese Rolle<br />
dann nicht mehr klappte. In <strong>dem</strong> Moment, wo diese Mittlerrolle in ihrer Ambivalenz nicht<br />
wahrgenommen wird <strong>als</strong> Sicherungschance für den Senat, wenn er mit den Einrichtungen<br />
nicht mehr unmittelbar kommuniziert, dann muss er zumindest noch über diese Zwischeninstanz<br />
die Impulse von unten aufnehmen.“ 156<br />
Interessen<strong>aus</strong>gleich<br />
<strong>Die</strong>se Mittlerrolle der Verbände wird vom Vertreter eines Fachverbandes <strong>als</strong> dialogischer<br />
Prozess zwischen den Geldgebern auf der einen Seite beschrieben, die sagen, was sie gern<br />
hätten und auf der anderen Seite denjenigen, die die Leistung erbringen und erklären, was<br />
sie leisten <strong>können</strong> und wollen. Zwischen den Bedürfnissen des Auftraggebers und denen der<br />
Leistungserbringer bestünden häufig Differenzen, die dann mithilfe des Treuhänders verhandelt<br />
werden müssen. Besonders geschickt stelle es ein Mitarbeiter des Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverbandes Berlin an, die verschiedenen Interessen der Beteiligten „<strong>aus</strong>zujonglieren“,<br />
sodass schlussendlich alle seinem Vorschlag zustimmen würden: „Und wenn ihn<br />
154 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 521-552.<br />
155 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 755-758.<br />
156 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 409-420.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 67
estimmte Dinge ärgern, dann schafft er es, die Leute irgendwie so gegeneinander '<strong>aus</strong>zuspielen',<br />
dass sie auch neutralisiert werden.“ 157<br />
<strong>Die</strong> Verbände seien – nach den Worten eines <strong>Die</strong>nstleisters – <strong>als</strong> Fachverbände näher an den<br />
Leistungserbringern dran <strong>als</strong> die Senatsverwaltung und daher <strong>als</strong> Vermittler besser geeignet:<br />
„Also sie sind am Puls der Zeit, sie <strong>können</strong> Entwicklungen vor Ort besser wahrnehmen, sie<br />
<strong>können</strong> Konflikte besser auffangen, weil sie eine fachliche Linie haben. <strong>Sie</strong> <strong>können</strong> von daher<br />
auch Konflikte besser moderieren.“ 158 Der Widerstand der Leistungsträger gegen bestimmte<br />
Entscheidungen würde – nach Ansicht der Senatsverwaltung – hinter den Kulissen der Verbände<br />
<strong>aus</strong>gehandelt, weshalb es keine direkte Konfrontation zwischen den Trägern und der<br />
Verwaltung mehr gäbe: „Auch weil die Wohlfahrtsverbände in Bezug auf einzelne Projekte<br />
einen Befriedigungsauftrag hatten, oder eine Entscheidungsaufgabe, zu sagen 'So läuft das<br />
und nicht anders'. Und dann konnte die Sache auch im Innenverhältnis schon geklärt werden.<br />
Es ist nicht mehr die Konfrontation Verwaltung und einzelner Projekte.“ 159 Jedoch<br />
bedürfe es – so ein Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin – eines erheblichen<br />
Kommunikationsaufwandes der Verbände, um ihrer Schlichterfunktion gerecht zu<br />
werden: „Wir hätten es einfacher, <strong>als</strong> Wohlfahrtsverbände zu sagen 'Naja, wir haben alles<br />
getan im Rahmen unserer Lobbyarbeit, um stärkere Kürzungen zu verhindern' – nehmen wir<br />
einmal an, der Senat selber wäre jetzt noch Entscheidungsstelle – 'sind aber letztendlich mit<br />
unserer Lobbyarbeit an bestimmten Punkten gescheitert, und jetzt ist es halt so'. Das <strong>können</strong><br />
wir natürlich in <strong>dem</strong> Moment, wo wir <strong>hier</strong> mit eingebunden sind bei den Kürzungen so unseren<br />
Trägern nicht vermitteln. Sondern da ist eine sehr viel stärkere inhaltliche Diskussion<br />
auch mit den Trägern notwendig, um denen zu verdeutlichen, warum dieses oder jenes Projekt<br />
künftig nicht mehr gefördert werden kann.“ 160<br />
Ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin macht auf ein weiteres Problem<br />
der Verbände aufmerksam. Man habe große Schwierigkeiten damit, geplante Umstrukturierungen<br />
positiv gegenüber den Trägern zu kommunizieren: „Und dann stößt man auf ein<br />
anderes Problem, und das heißt Beharrungsvermögen. <strong>Sie</strong> finden nämlich gar nicht so viele<br />
Menschen, die auch so begeistert davon sind, Dinge zu verändern. Und die finden eigentlich<br />
alles nur immer schrecklich. Und deshalb ist ein Problem auch, sagen wir einmal, so eine<br />
positive Verkaufsstrategie dessen, was wir da an Veränderung vorhaben. Und es gibt – wie<br />
soll ich das sagen – es gibt immer so ein Problem in die Richtung, dass ich nicht weiß, ob es<br />
gut ist, überhaupt davon zu sprechen, dass ich eine Strategie habe. Denn da werden alle<br />
ganz aufmerksam. Ich glaube, es ist besser, zu behaupten, man hätte keine Strategie und<br />
setzt dann die Dinge einfach um. Ich bin mir aber nicht sicher.“ 161<br />
157 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter eines Fachverbandes, Zeilen 398-400.<br />
158 Interview Nr. 5 mit einem <strong>Die</strong>nstleister des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 48-51.<br />
159 Interview Nr. 8 mit Vertretern der SenGSV, Zeilen 446-452.<br />
160 Interview Nr. 13 mit einem Vertreter des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt Berlin, Zeilen 235-245.<br />
161 Interview Nr. 1 mit einem Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeilen 507-518.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 68
Einbindung der Politik<br />
Aus Sicht des <strong>Die</strong>nstleisters wird der Druck auf die Treuhandverträge zunehmen. Es bedürfe<br />
von daher einer „Komplizenschaft“ 162 zwischen den Verbänden und der Sozialpolitik, damit<br />
sichergestellt werden könne, dass auch in Zukunft die Zielgruppen der Verträge <strong>aus</strong>reichend<br />
versorgt werden. Seitens der Sozialpolitik wird ebenfalls ein engeres Bündnis mit den Vertragsparteien<br />
gefordert, denn das Verhältnis zwischen Parlament, Senatsverwaltung und der<br />
LIGA funktioniere nicht optimal: „Das liegt aber, denke ich, an allen drei Akteuren. <strong>Die</strong> LIGA<br />
hat natürlich <strong>als</strong> direkten Partner, <strong>als</strong> Vertragspartner, den Senat, pflegt regelmäßig Kontakte<br />
und intensive Kontakte mit Parlamentariern. Aber es gibt auch da nicht diesen Aust<strong>aus</strong>ch,<br />
der notwendig wäre. Es gibt keine regelmäßigen Veranstaltungen, wo man sich wechselseitig<br />
darüber informiert wie ist denn der Stand der Umsetzung in <strong>dem</strong> einen oder anderen Bereich<br />
der Verträge. Hängt sicherlich auch mit den üblichen Faktoren zusammen, <strong>als</strong>o dass<br />
man sich halt nicht auf die Notwendigkeit einer solchen Sache verständigt hat, dass man Zeit<br />
vorschiebt, dass man das immer erst dann macht, wenn die nächste Finanzierung zu sichern<br />
ist, und es nicht <strong>als</strong> kontinuierlichen Bestandteil der Arbeit betrachtet.“ 163<br />
Auch die Wohlfahrtsverbände haben diese Problematik erkannt. <strong>Die</strong> Verbindung zur Politik<br />
müsse wieder stärker gesucht werden – so ein Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes<br />
Berlin – da sie durch die Treuhandverträge etwas abhanden gekommen sei. Fraglich<br />
sei jedoch, wie bestimmte Themen wieder stärker in die Politik gebracht werden könnten.<br />
Man habe sich diesbezüglich vorgenommen, parlamentarische Abende mit <strong>aus</strong>gesuchten<br />
Abgeordneten und Experten zu gestalten, die alle drei Monate über ein <strong>aus</strong>gewähltes Fachthema<br />
mit den Verbänden diskutieren. So könne man zugleich feststellen, wie die Politik<br />
diese Themen bewertet bzw. auch nach Möglichkeiten suchen, Politik in ihren weiteren Entscheidungen<br />
zu beraten.<br />
162 Interview Nr. 5 mit einem <strong>Die</strong>nstleister des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin, Zeile 207.<br />
163 Interview Nr. 12 mit einem Vertreter des Parlaments, Zeilen 364-376.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 69
V. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT<br />
<strong>Die</strong> vorliegende <strong>Untersuchung</strong> soll – so die Auftragstellung – her<strong>aus</strong>arbeiten, wie die Treuhandverträge<br />
von zentralen Akteuren interpretiert werden. Insofern geben die präsentierten<br />
Befunde die „subjektiven“ Deutungen und Einschätzungen der im Gegenstandsbereich relevanten<br />
Expertinnen und Experten wieder. <strong>Die</strong> <strong>Untersuchung</strong> bildet aber nicht nur den<br />
Verlauf der fachöffentlichen Diskussion über die Einführung von Treuhandverträgen in Berlin<br />
realitätsnah ab, sondern präsentiert und analysiert das erfahrungsgesättigte und reflektierte<br />
Expertenwissen in diesem Feld. Im Folgenden werden die zentralen Aspekte der treuhänderischen<br />
Zuwendungsvergabe, wie sie von den Interviewten geschildert wurden, zuerst<br />
zusammenfassend dargestellt und anschließend bilanziert.<br />
<strong>Die</strong> Treuhandverträge, so ein Vertreter eines Fachverbandes, seien „die beste aller schlechten<br />
Lösungen“ 164 . <strong>Die</strong> vorliegende Studie zeigt, dass mit Hilfe der Verträge positive<br />
Entwicklungen eingeleitet, aber auch Unzulänglichkeiten zu Tage getreten sind.<br />
Eindeutig positiv wird von den interviewten Experten die Stabilisierung der Zuwendungen<br />
durch langjährige Verträge bewertet, was Projekten Planungssicherheit und Verbänden Gestaltungsspielräume<br />
eröffnet. Quasi <strong>als</strong> Nebeneffekt haben – so die einhellige Meinung der<br />
interviewten Experten <strong>aus</strong> Politik, Verwaltung und Verbänden – die Treuhandverträge durch<br />
die Entscheidungsdelegation an die Freie Wohlfahrtspflege <strong>dem</strong> klassischen politischen Lobbyismus<br />
von Verbänden, Einrichtungen, <strong>Die</strong>nsten und Projekten gegenüber Parlamenten und<br />
Verwaltungen die Grundlage entzogen.<br />
<strong>Die</strong> Verbände, Einrichtungen, <strong>Die</strong>nste und Projekte <strong>können</strong> – angesichts der schwindenden<br />
Bedeutung des klassischen Lobbyismus – ihre in diesem Bereich freiwerdenden Ressourcen<br />
für originäre Aufgaben der Freien Wohlfahrtspflege einsetzen. <strong>Die</strong> Schaffung neuer Leistungsstrukturen<br />
und Leistungsangebote und damit einhergehende Rationalisierungsmaßnahmen<br />
haben – nach Einschätzung der interviewten Experten – fachliche und finanzielle<br />
Synergieeffekte induziert. Trotz der im Zuge der Einführung von Kontrakten nicht<br />
unerheblichen Mittelkürzungen konnte – so die Experten – das Leistungsspektrum im <strong>Untersuchung</strong>szeitraum<br />
aufrecht erhalten und die Qualität der erbrachten Leistungen teilweise<br />
sogar noch verbessert werden.<br />
<strong>Die</strong>se Entwicklung wurde insbesondere durch die Einführung von Zielvereinbarungen, die<br />
Entwicklung von Kriterien und Verfahren der Erfolgskontrolle sowie eine „kontinuierliche<br />
Evaluierung“ der erbrachten Leistungen ermöglicht, wobei in einigen Experteninterviews die<br />
Validität der Ergebnisprüfung in Frage gestellt wird. So wird darauf hingewiesen, dass es zum<br />
einen den Trägern häufig an entsprechend qualifiziertem Personal für Evaluierungen fehlen<br />
würde, zum anderen seien aber sowohl <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen und ihre Verbände <strong>als</strong><br />
auch die Senatsverwaltung selbst in der Einführungsphase in einer Situation, die – so die<br />
164 Interview Nr. 11 mit einem Vertreter der Fachverbände, Zeile 274.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 70
Einschätzung von Experten – nicht differenzierte Evaluationsbefunde, sondern ein schlichtes<br />
politisches Legitimationswissen erfordern würde.<br />
Als besonders problematisch wird auf Seiten der Freien Wohlfahrtspflege der staatliche<br />
Kompetenzverlust eingeschätzt. Im Zuge der Aufgabenübertragung auf Wohlfahrtsverbände<br />
sei es zum Stellenabbau in den betroffenen Bereichen der öffentlichen Verwaltung gekommen,<br />
wodurch es dort mittlerweile an fachkundigem Personal fehlen würde, das in der Lage<br />
sei, die Förderentscheidungen und Projekte zu überschauen und fachpolitisch einzuschätzen.<br />
<strong>Die</strong> interviewten Vertreter der Senatsverwaltung teilen diese Auffassung nicht in Gänze,<br />
sondern billigen allenfalls zu, dass sie, aufgrund der Person<strong>als</strong>ituation in der jeweiligen Fachverwaltung<br />
nicht mehr in der Lage wären, das „Zuwendungsgeschäft“ nach Ablauf eines<br />
Kontraktes wieder eigenständig durchzuführen.<br />
<strong>Die</strong> Verbände der Freien Wohlfahrtspflege wiederum haben im Rahmen der Treuhandverträge<br />
einen erhöhten Einfluss auf die Sozial- und Gesundheitspolitik erhalten. <strong>Sie</strong> sind in die<br />
Lage versetzt worden, sich aktiv an politischen Steuerungsprozessen zu beteiligen und im<br />
Rahmen dieser hinzugewonnenen politischen Steuerungsmöglichkeiten fach- und ansatzweise<br />
auch gesellschaftspolitische Prioritäten zu setzen, anstatt passiv den Entscheidungen von<br />
Politik und Verwaltung <strong>aus</strong>gesetzt zu sein.<br />
Gleichwohl – so die interviewten Experten <strong>aus</strong> Politik und Freier Wohlfahrtspflege – sei nur<br />
der Staat legitimiert, die den Kontrakten zugrunde liegenden gesellschaftspolitischen Grundsatzentscheidungen<br />
zu treffen. Insofern sei er auch dazu verpflichtet, Verbänden und<br />
Leistungsträgern grundlegende politische Zielvorgaben zu machen, die für beide Seiten – in<br />
Anerkennung der fachlichen und verbandlichen Gestaltungsspielräume der Freien Wohlfahrtspflege<br />
– verpflichtend seien. Das aber – so die einhellige Auffassung von Vertretern <strong>aus</strong><br />
Politik und Verbänden – sei bei den Treuhandverträgen nicht geleistet worden. Sowohl der<br />
Gesetzgeber <strong>als</strong> auch die Verbände fordern insofern einen „gewährleistenden Staat“ 165 , der<br />
mittels politischer Zielvorgaben und entsprechender Budgets gesellschaftspolitisch steuert<br />
und ordnungspolitische Rahmenbedingungen setzt. In der Einführungsphase der Kontrakte<br />
habe sich die Senatsverwaltung stattdessen – entgegen den ursprünglich angestrebten Vertragsintentionen<br />
– zunehmend auf immer kleinteiligere Festlegungen und intensivere<br />
Kontrollen formaler Regelungen in diesen zuwendungsgeförderten Bereichen „versteift“. Im<br />
Zuge dieser „Formalisierung“ seien die Verbände in die Rolle von „Bürokraten“ – so Interviewpartner<br />
– gedrängt worden, die erhebliche Ressourcen hätten aufwenden müssen, um<br />
den formellen Anforderungen der Senatsverwaltung gerecht zu werden. <strong>Die</strong> Senatsverwaltung<br />
habe bei all<strong>dem</strong> ihre eigentlichen gesellschafts- und sozialpolitischen Ziele und deren<br />
Steuerung <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Blick verloren. <strong>Die</strong> politische Zurückhaltung des Staates eröffnet zugleich<br />
aber den Verbänden neue Handlungsspielräume – unter der Vor<strong>aus</strong>setzung, dass eine staatliche<br />
Feinregulierung und Kontrolle derartige Bestrebungen nicht von vorherein unterbindet.<br />
165 Ban<strong>dem</strong>er und Hilbert sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem „aktivierenden Staat“ (vgl. Ban<strong>dem</strong>er/Hilbert<br />
2005: 30).<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 71
Mit der Einführung von Kontrakten wurden aber nicht nur <strong>aus</strong>gewählte öffentliche Aufgaben<br />
(Beauftragung), sondern gerade auch hoheitliche Entscheidungs- und Machtbefugnisse auf<br />
die Freie Wohlfahrtspflege übertragen (Beleihung). <strong>Die</strong> Beleihung der Verbände hat sie in<br />
einen potenziellen Rollenkonflikt gebracht, da sie auf der einen Seite Interessenvertreter<br />
ihrer Mitgliedsorganisationen sind und auf der anderen Seite – unter Maßgabe staatlicher<br />
Vorgaben – Zuwendungen an ihre Einrichtungen und <strong>Die</strong>nste verteilen (vgl. Streeck 1987).<br />
<strong>Die</strong>se ambivalente Doppelfunktion wird insbesondere von Experten <strong>aus</strong> Fachverbänden kritisch<br />
gesehen, die die Meinung vertreten, dass die Doppelrolle nicht erfolgreich<br />
wahrgenommen wurde und zu befürchten sei, dass es zu einer „Verstaatlichung der Verbände<br />
durch die Einführung von Treuhandverträgen“ kommen würde. Demgegenüber meinen<br />
Vertreter der Spitzenverbände, dass es ihnen gelungen sei, ihre Mitgliedsorganisationen von<br />
den Vorteilen dieser Konstellation und den Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Zuwendungsentscheidungen<br />
zu überzeugen. Zu<strong>dem</strong> eröffnen sich gerade auch für Dachverbände<br />
wie <strong>dem</strong> Berliner Landesverband des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in ihrer Funktion<br />
<strong>als</strong> Fördermittelgeber konstruktive Möglichkeiten der „Einwirkung“ auf Mitgliedsorganisationen,<br />
die über das klassische Repertoire von Lobbying, Beratungsarbeit und<br />
<strong>Die</strong>nstleistungsangeboten hin<strong>aus</strong>gehen.<br />
<strong>Die</strong> Veränderungen und Verschiebungen in der Rollenverteilung zwischen Staat und Verbänden<br />
waren in der Einführungsphase aufwendig und gaben bisweilen Anlass zu Irritationen.<br />
So war für die Beteiligten nicht immer deutlich, wer an welchen Entscheidungen zu beteiligen<br />
sei und über welche Entscheidungskompetenzen man selbst verfügen würde.<br />
Als zunehmend schwierig werden die fortwährenden Mittelkürzungen im Rahmen der Treuhandverträge<br />
eingestuft, die mittlerweile dazu führen würden, dass man sich – angesichts<br />
<strong>aus</strong>geschöpfter Rationalisierungsreserven – von ganzen Aufgabenbereichen trennen müsse.<br />
Einige wenige der interviewten Experten sehen allerdings noch weitergehende Möglichkeiten<br />
für Rationalisierungen durch „radikale Neustrukturierungen“, durch die ein übermäßiger<br />
Abbau des Leistungsangebotes verhindert werden könne. Gelänge dies nicht, könnte es erhebliche<br />
Folgekosten nach sich ziehen. So hätten die Schließung von Beratungsstellen und<br />
der Verzicht auf präventive Maßnahmen sehr viel höhere Ausgaben zur Folge, die die anfangs<br />
erzielten Einspareffekte übersteigen würden (vgl. Teske 2005: 59). Vor diesem<br />
Hintergrund überrascht es nicht, dass die interviewten Verbandsvertreter im Kontext der<br />
Treuhandverträge zukünftig keine weiteren Mittelkürzungen wie im bisherigen Umfang unterstützen<br />
wollen. Ein „Ausschlachten“ der Projekte – so ein Interviewpartner – solle der<br />
Staat allein verantworten.<br />
Eine positive Antwort auf die Frage, ob die bestehenden Treuhandverträge fortgeführt werden<br />
und neue hinzukommen, wird folglich maßgeblich davon abhängen, ob der Staat seiner<br />
politischen Gewährleistungspflicht im Sozial- und Gesundheitsbereich nachkommen wird<br />
und ob die erforderlichen Mittel in <strong>aus</strong>reichen<strong>dem</strong> Maße bereitgestellt werden. In den Verhandlungen<br />
über die Treuhandverträge wäre es <strong>als</strong>o staatlicherseits erforderlich, die<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 72
zugrunde liegenden sozial- und gesundheitspolitischen Zielsetzungen darzulegen und eine<br />
entsprechende finanzielle Grund<strong>aus</strong>stattung bereitzustellen.<br />
Das „Experiment Treuhandverträge“ des Landes Berlin wird am Ende der Einführungsphase<br />
von den beteiligten Akteuren in Abwägung der Vor- und Nachteile <strong>als</strong> grundsätzlich sinnvoll<br />
und zweckmäßig eingestuft. 166 Anfängliche Befürchtungen der Verbände und ihrer Mitgliedseinrichtungen,<br />
die Verbändeautonomie zugunsten einer stärkeren Einbindung und<br />
Unterordnung in sozi<strong>als</strong>taatlichen Entscheidungsprozessen zu gefährden, haben sich nach<br />
den bisher vorliegenden Befunden nicht bewahrheitet. Stattdessen ist es den Wohlfahrtsverbänden<br />
gelungen, ihren Einfluss in der Sozial- und Gesundheitspolitik des Landes Berlin<br />
<strong>aus</strong>zuweiten, während staatliche Entscheider Gefahr laufen könnten, wichtige fachpolitische<br />
Entscheidungs- und administrative Vollzugskompetenzen zunehmend an die Verbände zu<br />
verlieren.<br />
<strong>Die</strong> vorliegende Studie präsentiert – wie gesagt – Deutungen und Einschätzungen der im<br />
Gegenstandsbereich relevanten Expertinnen und Experten zur Einführung von Treuhandverträgen<br />
im Sozial- und Gesundheitsbereich des Landes Berlin. <strong>Die</strong>se überblicksartige<br />
Bestandsaufnahme des Expertenwissens wirft zugleich weitergehende Fragen auf. So ist offen<br />
geblieben, was – unter Kontraktbedingungen – eine erfolgreiche politische Steuerung<br />
<strong>aus</strong>macht und welche beobachtbaren und gegebenenfalls messbaren Effekte sie erzielt. Auf<br />
Seiten der Freien Wohlfahrtspflege stellt sich angesichts der mit dieser Studie vorgelegten<br />
Befunde die Grundsatzfrage, wie sich das verbandliche Selbstverständnis im Spannungsfeld<br />
zwischen Beauftragung und Beleihung mittelfristig entwickeln wird, beziehungsweise welchen<br />
spezifischen Sinn und Zweck die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege mit der<br />
neu gewonnenen Autonomie und ihrer wachsenden Bedeutung im sozialrechtlichen<br />
Dreiecksverhältnis verbinden. Und nicht zuletzt wäre zukünftig zu untersuchen, welche Verbesserungen<br />
und ggf. Verschlechterungen die Einführung von Treuhandverträgen auf Seiten<br />
der Klienten – um die es eigentlich geht – zur Folge haben.<br />
166 Zusammenfassende Übersichten zu hemmenden und begünstigenden Faktoren sowie zu Potenzialen und<br />
Grenzen der Treuhandverträge liegen <strong>als</strong> Anlagen 3 und 4 <strong>dem</strong> Bericht bei.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 73
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 74
LITERATURVERZEICHNIS<br />
Anheier, Helmut/Seibel, Wolfgang (1990): The Third Sector: Comparative Studies of Nonprofit<br />
Organizations. Berlin.<br />
Backh<strong>aus</strong>-Maul, Holger (2003): <strong>Die</strong> neue Freiheit der verbandlichen Wohlfahrtspflege? Vom<br />
privilegierten Status im Sozi<strong>als</strong>taat zu Vereinbarungen in der Bürgergesellschaft. In:<br />
Hammerschmidt, Peter/Ohlendorff, Uwe (Hrsg.): Wohlfahrtsverbände zwischen Subsidiaritätsprinzip<br />
und EU-Wettbewerbsrecht. Kassel. 93-107.<br />
Ban<strong>dem</strong>er, Stephan von/Hilbert, Josef (2005): Vom expandierenden zum aktivierenden Staat.<br />
In: Blanke, Bernhard/Ban<strong>dem</strong>er, Stephan von/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hrsg.)<br />
(2005): Handbuch zur Verwaltungsreform. Wiesbaden. 452-460.<br />
Barnett, Pauline/Newberry, Susan (2002): Reshaping Community Mental Health Services in a<br />
Restructured State: New Zealand 1984-1997. In: Public Management Review 4 (2002) 2.<br />
187-208.<br />
Beinecke, Richard/Goodman, Maury/Lockhart, Amy (1997): The Impact of Managed Care on<br />
Massachusetts Mental Health and Substance Abuse Providers. In: Administration in Social<br />
Work 21 (1997) 2. 41-53.<br />
Birkhölzer, Karl (2005): Dritter Sektor – drittes System: Theorie, Funktionswandel und zivilgesellschaftliche<br />
Perspektiven. Wiesbaden.<br />
Bogner, Alexander (2005): Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. Wiesbaden.<br />
Brodkin, Evylin (1986): The F<strong>als</strong>e Promise of Administrative Reform. Implementing Quality<br />
Control in Welfare. Philadelphia.<br />
Brodkin, Evylin/Fuqua, Carolyn/Thoren, Katarina (2002): Contracting Welfare Reform: Uncertainties<br />
of Capacity-Building Within Disjointed Federalism. Working Paper of ‘The Project<br />
on the Public Economy of Work’. Chicago.<br />
Brown, Trevor/Potoski, Matthew (2003): Managing Contract Performance: A Transaction<br />
Costs Approach. In: Journal of Policy Analysis and Management 22 (2003) 2. 275-297.<br />
Clarke, John/Newman, Janet (1993): The right to manage: A second managerial revolution?<br />
In: Cultural Studies 7 (1993) 3. 427-441.<br />
Culpitt, Ian (1992): Welfare and Citizenship: Beyond the Crisis of the Welfare State? London.<br />
Dahme, Heinz-Jürgen/Kühnlein, Gertrud/Wohlfahrt, Norbert/Burmester, Monika (2005): Zwischen<br />
Wettbewerb und Subsidiarität. Wohlfahrtsverbände unterwegs in die<br />
Sozialwirtschaft. Berlin.<br />
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband/Landesverband Berlin (2006): Geschäftsbericht<br />
2005/2006. Berlin.<br />
<strong>Die</strong>kmann, Andreas (2004): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen.<br />
Reinbeck bei Hamburg.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 75
Forder, Julien/Knapp, Martin/Wistow, Gerald (1996): Competition in the Mixed Economy of<br />
Care. In: Journal of Social Policy 25 (1996) 2. 201-221.<br />
Frohn, Rüdiger (2004): <strong>Die</strong> Freie Wohlfahrtspflege – Mehr <strong>als</strong> nur ein Sozialdienstleister? In:<br />
Hil<strong>dem</strong>ann, Kl<strong>aus</strong> (Hrsg.) (2004): <strong>Die</strong> Freie Wohlfahrtspflege. Ihre Entwicklung zwischen<br />
Auftrag und Markt. Leipzig. 221-230.<br />
Gibelman, Margaret/Demone, Harold W. Jr. (Hrsg.) (1998): The Privatization of Human Services:<br />
Policy and Practice Issues. Volume I. XII. New York.<br />
Gläser, Jochen (2006): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse : <strong>als</strong> Instrumente<br />
rekonstruierender <strong>Untersuchung</strong>en. Wiesbaden.<br />
Goetz, Michael (1999): Neue Wege in der Finanzierung freier Einrichtungen und <strong>Die</strong>nste –<br />
vom Zuwendungsbescheid zum Zuwendungs- und Leistungsvertrag. In: Beiträge zum<br />
Recht der sozialen <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen, Heft 44.<br />
Grüning, Gernod (2000): Grundlagen des New Public Management. Entwicklung, theoretischer<br />
Hintergrund und wissenschaftliche Bedeutung des New Public Management <strong>aus</strong><br />
Sicht der politisch-administrativen Wissenschaften der USA. Münster.<br />
Healy, Karen (2002): Managing Human Services in a Market Environment: What Role for Social<br />
Workers? In: British Journal of Social Work 32 (2002) 5. 527-540.<br />
Hinte, Wolfgang (1999): Verwaltungsreform – eine heilsame Aufstörung für die Jugendhilfe?<br />
In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 50 (1999) 8. 294-299.<br />
Jann, Werner (2005): Neues Steuerungsmodell. In: Blanke, Bernhard/Ban<strong>dem</strong>er, Stephan<br />
von/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hrsg.) (2005): Handbuch zur Verwaltungsreform.<br />
Wiesbaden. 74-84.<br />
Johnson, Norman/Jenkinson, Sandra/Kendall, Ian/Bradshaw, Yvonne/Black-more, Martin<br />
(1998): Regulating for Quality in the Voluntary Sector. In: Journal of Social Policy 27<br />
(1998) 3. 307-328.<br />
Kessel, Fabian/Otto, Hans-Uwe (2002): Entstaatlicht? <strong>Die</strong> neue Privatisierung personenbezogener<br />
sozialer <strong>Die</strong>nstleistungen. In: Neue Praxis 32 (2002) 2. 122-139.<br />
Kettner, Peter/Martin, Lawrence (1996): Purchase of Service Contracting Versus Government<br />
Service Delivery: The Views of State Human Service Administrators. In: Journal of Sociology<br />
and Social Welfare 23 (1996) 2. 107-119.<br />
Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung/KGSt (1998): Kontraktmanagement:<br />
Steuerung über Zielvereinbarungen. Bericht Nr. 4/1998. Köln.<br />
Kirkpatrick, Ian/Kitchener, Martin/Owen, Diane/Whipp, Richard (1999): Uncharted Territory?<br />
Experiences of the Purchaser/Provider Split in Local Authority Children’s Services. In:<br />
British Journal of Social Work 29 (1999) 5. 707-726.<br />
Knapp, Martin/Hardy, Brian/Forder, Julien (2001): Commissioning for Quality: Ten Years of<br />
Social Care Markets in England. In: Journal of Social Policy 30 (2001) 2. 293-306.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 76
Krüger, Heinz-Hermann (2002): Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft.<br />
Opladen.<br />
Lemke, Thomas/Krasmann, Susanne/Bröckling, Ulrich (2000): Gouvernementalität, Neoliberalismus<br />
und Selbsttechnologien. Eine Einleitung. In: Lemke, Thomas/Krasmann,<br />
Susanne/Bröckling, Ulrich (Hrsg.) : Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur<br />
Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt am Main. 7-40.<br />
Mackintosh, Maureen (2000): Flexible Contracting? Economic Cultures and Implicit Contracts<br />
in Social Care. In: Journal of Social Policy 29 (2000) 1. 1-19.<br />
Maelicke, Bernd (2005): New Public Management und Kontraktmanagement. Plädoyer für<br />
ein neues Verhältnis zwischen Staat und Drittem Sektor. In: Maelicke, Bernd (Hrsg.)<br />
(2006): Finanzierung in der Sozialwirtschaft. Chancen und Risiken des Umbruchs. Baden-<br />
Baden. 151-156.<br />
Menninger, Oswald (2005): Über Treuhandverträge zu mehr Leistungsorientierung. In: Maelicke,<br />
Bernd (Hrsg.) (2006): Finanzierung in der Sozialwirtschaft. Chancen und Risiken des<br />
Umbruchs. Baden-Baden. 162-172.<br />
Merten, Roland (2000): Soziale Arbeit <strong>als</strong> autonomes Funktionssystem der modernen Gesellschaft?<br />
Argumente für eine konstruktive Perspektive. In: Merten, Roland (Hrsg.):<br />
Systemtheorie Sozialer Arbeit. Neue Ansätze und veränderte Perspektiven. Opladen.<br />
177-204.<br />
Meyer, Dirk (1999): Wettbewerbliche Neuorientierung der Freien Wohlfahrtspflege. Berlin.<br />
Milward, Brinton/Provan, Keith (2000): Governing the Hollow State. In: Journal of Public Administration<br />
Research and Theory 10 (2000) 2. 359-379.<br />
Naschold, Frieder/Budäus, <strong>Die</strong>trich/Jann, Werner/Mezger, Erika/Oppen, Maria/Picot, Arnold/Reichard,<br />
Christoph/Schanze, Erich/Simon, Nikol<strong>aus</strong> (1996): Leistungstiefe im<br />
öffentlichen Sektor: Erfahrungen, Konzepte, Methoden. Berlin.<br />
Nullmeier, Frank (2005): Output-Steuerung und Performance Measurement. In: Blanke,<br />
Bernhard/Ban<strong>dem</strong>er, Stephan von/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hrsg.) (2005):<br />
Handbuch zur Verwaltungsreform. Wiesbaden. 431-444.<br />
Öhlschläger, Rainer (1995): Freie Wohlfahrtspflege im Aufbruch. Ein Managementkonzept<br />
für soziale <strong>Die</strong>nstleistungsorganisationen. Baden-Baden.<br />
Olk, Thomas (1996): Zwischen Korporatismus und Pluralismus. Zur Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege<br />
im bundesdeutschen Sozi<strong>als</strong>taat. In: R<strong>aus</strong>chenbach, Thomas/Sachße,<br />
Christoph/Olk, Thomas (Hrsg.) (1996): Von der Wertgemeinschaft zum <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmen.<br />
Jugend- und Wohlfahrtsverbände im Umbruch. Frankfurt am Main. 98-<br />
122.<br />
Olk, Thomas/Otto, Hans-Uwe/Backh<strong>aus</strong>-Maul, Holger (2003): Soziale Arbeit <strong>als</strong> <strong>Die</strong>nstleistung<br />
– Zur analytischen und empirischen Leistungsfähigkeit eines theoretischen<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 77
Konzeptes. In: Olk, Thomas/Otto, Hans-Uwe (Hrsg.) (2003): Soziale Arbeit <strong>als</strong> <strong>Die</strong>nstleistung.<br />
Grundlegungen, Entwürfe, Modelle. Neuwied. IX-LXXII.<br />
Olk, Thomas/R<strong>aus</strong>chenbach, Thomas/Sachße, Christoph (1996): Von der Wertgemeinschaft<br />
zum <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmen. Oder: über die Schwierigkeit, Solidarität zu organisieren.<br />
In: R<strong>aus</strong>chenbach, Thomas/Sachße, Christoph/Olk, Thomas (Hrsg.) (1996): Von der<br />
Wertgemeinschaft zum <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmen. Jugend- und Wohlfahrtsverbände<br />
im Umbruch. Frankfurt am Main. 11-33.<br />
Peat, Barbara/Costley, Dan (2000): Privatization of Social Services: Correlates of Contract<br />
Performance. In: Administration in Social Work 24 (2000) 1. 21-38.<br />
Postle, Karen (2002): Working 'Between the Idea and the Reality': Ambiguities and Tensions<br />
in Care Manager's Work. In: British Journal of Social Work 32 (2002) 3. 335-351.<br />
Powell, Jackie (1999): Contract Mangement and Community Care: A Negotiated Process. In:<br />
British Journal of Social Work 29 (1999) 6. 861-875.<br />
Proeller, Isabella (2002): Auslagerung in der hoheitlichen Verwaltung. Interdisziplinäre Entwicklung<br />
einer Entscheidungsheuristik. Bern.<br />
Röber, Manfred (2005): Aufgabenkritik im Gewährleistungsstaat. In: Blanke, Bernhard/Ban<strong>dem</strong>er,<br />
Stephan von/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hrsg.) (2005):<br />
Handbuch zur Verwaltungsreform. Wiesbaden. 84-94.<br />
Romzek, Barbara/Johnston, Jocelyn (2002): Effective Contract Implementation and Management:<br />
A Preliminary Model. In: Journal of Public Administration Research and Theory<br />
12 (2002) 3. 423-453.<br />
Ruflin, Regula (2006): Wohlfahrtsstaatliches Kontraktmanagement. <strong>Die</strong> Verhandlung und<br />
Umsetzung von Leistungsverträgen <strong>als</strong> Her<strong>aus</strong>forderung für Nonprofit-Organisationen.<br />
Bern.<br />
Salamon, Lester (1997): Of Market Failure, Voluntary Failure and Third-Party Government.<br />
In: Journal of Voluntary Action Research 16 (1997) 1/2. 29-49.<br />
Salamon, Lester/Anheier, Helmut (Hrsg.) (1997): Defining the Nonprofit Sector. A crossnational<br />
Analysis. Manchester.<br />
Sandfort, Jodi (2000): Moving Beyond Discretion and Outcomes: Examining Public Managment<br />
from the Front Lines of the Welfare System. In: Journal of Public Administration<br />
Research and Theory 10 (2000) 4. 729-756.<br />
Schröter, Eckhard/Wollmann, Hellmut (2005): New Public Management. In: Blanke, Bernhard/Ban<strong>dem</strong>er,<br />
Stephan von/Nullmeier, Frank/Wewer, Göttrik (Hrsg.) (2005):<br />
Handbuch zur Verwaltungsreform. Wiesbaden. 63-74.<br />
Sennett, Richard (2000): Der flexible Mensch. <strong>Die</strong> Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin.<br />
<strong>Sie</strong>bart, Patricia/Reichard, Christoph (2004): Corporate Governance of Nonprofit Organizations.<br />
In: Zimmer, Annette/Priller, Eckhard (Hrsg.): Future of Civil Society. Making<br />
Central European Nonprofit-Organizations Work. Wiesbaden. 271-296.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 78
Smith, Steven Rathgeb/Lipsky, Michael (1998): Nonprofits for Hire. The Welfare State in the<br />
Age of Contracting. Cambridge.<br />
Smith, Steven Rathgeb/Smyth, Judith (1996): Contracting for Services in a Decentralized System.<br />
In: Journal of Public Administration Research and Theory 6 (1996) 2. 277-296.<br />
Sommerfeld, Peter (2003): Zukunftsszenarien Soziale Arbeit. Überlegungen zur Lösung sozialer<br />
Probleme. Aarau.<br />
Sommerfeld, Peter/Haller, <strong>Die</strong>ter (2003): Professionelles Handeln und Management. Oder:<br />
Ist der Ritt auf <strong>dem</strong> Tiger möglich? In: Neue Praxis 33 (2003). 61-89.<br />
Speck, Otto (1999): <strong>Die</strong> Ökonomisierung sozialer Qualität. Zur Qualitätsdiskussion in Behindertenhilfe<br />
und Sozialer Arbeit. München.<br />
Staub-Bernasconi, Silvia (2001): Professionalität und Qualität in der Betrieblichen Sozialarbeit.<br />
Berlin.<br />
Streeck, Wolfgang (1987): Vielfalt und Interdependenz. Überlegungen zur Rolle intermediärer<br />
Organisationen in sich ändernden Umwelten. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und<br />
Sozialpsychologie (1987) 2. 471-495.<br />
Strünck, Christoph (1995): Wandel der Wohlfahrtsverbände durch Kontraktmanagement.<br />
Das Beispiel des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. In: Neue Praxis 25 (1995) 4. 349-<br />
359.<br />
Taylor-Gooby, Peter (1999): Markets and Motives: Trust and Egoism in Welfare Markets. In:<br />
Journal of Social Policy 28 (1999) 1. 97-114.<br />
Teske, Wolfgang (2005): Welchen Stellenwert haben öffentliche Zuwendungen für die zukünftige<br />
Finanzierung in der Sozialwirtschaft? In: Maelicke, Bernd (Hrsg.) (2006):<br />
Finanzierung in der Sozialwirtschaft. Chancen und Risiken des Umbruchs. Baden-Baden.<br />
58-65.<br />
Williamson, Oliver (1985): The Economic Institutions of Capitalism – Firms, Markets, Relational<br />
Contracting. New York.<br />
Wohlfahrt, Norbert (1999): <strong>Die</strong> Freie Wohlfahrtspflege auf <strong>dem</strong> Prüfstand (II): Zwischen<br />
Ökonomisierung und Verbandlicher Erneuerung: <strong>Die</strong> Freie Wohlfahrtspflege auf <strong>dem</strong><br />
Weg in einen veränderten Wohlfahrtsmix. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 50<br />
(1999) 1. 3-8.<br />
Zauner, Alfred/Meyer, Michael/Praschak, Susanne/Mayrhofer, Wolfgang/<br />
Heimerl-Wagner, Peter (2003): Von der Subvention zum Leistungsvertrag. Neue Koordinations-<br />
und Steuerungsformen zwischen NPOs und <strong>dem</strong> öffentlichen Sektor und ihre<br />
Konsequenzen für NPOs. Wien.<br />
Zimmer, Annette/Hallmann, Thorsten (2002): Trapped in an Identity Gap? Self-Perception<br />
and Self-Esteem of Nonprofit-Organizations in Changing Environments. In: 5 th International<br />
Conference. International Society for Third Sector Research. 23.<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 79
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 80
ANLAGENVERZEICHNIS<br />
Anlage 1<br />
Leitfaden zu den Experteninterviews<br />
Anlage 2<br />
Hypothesen zu den Treuhandverträgen<br />
Anlage 3<br />
Hemmende und begünstigende Faktoren<br />
Anlage 4<br />
Potenziale und Grenzen<br />
B E R L I N E R T R E U H A N D V E R T R Ä G E S E I T E | 81
ANLAGE 1<br />
Leitfaden zu den Experteninterviews<br />
Vorbemerkung<br />
Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg<br />
beschäftigen wir uns mit den Treuhandverträgen zwischen Senatsverwaltung und Freier<br />
Wohlfahrtspflege in Berlin.<br />
Zurzeit führen wir – wie heute mit Ihnen – Expertengespräche durch. Wir würden das Gespräch<br />
zur Arbeitserleichterung gerne aufzeichnen, wobei selbstverständlich alle Angaben<br />
anonymisiert werden.<br />
Dankeschön nochm<strong>als</strong> vorab für Ihr Interesse und Ihre Zeit.<br />
Eingangsfrage (offene Eingangsfrage, die <strong>dem</strong> Experten<br />
Gelegenheit zum Erzählen gibt)<br />
Vielleicht könnten <strong>Sie</strong> uns eingangs kurz Ihren beruflichen Werdegang skizzieren und Ihre<br />
derzeitige berufliche Position beschreiben. In diesem Zusammenhang ist es für uns von besonderem<br />
Interesse, von Ihnen zu erfahren, inwiefern <strong>Sie</strong> mit den Treuhandverträgen<br />
befasst waren und sind.<br />
Nachfragen<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Wie würden <strong>Sie</strong> die Entwicklung der Treuhandverträge – von der Idee bis heute – beschreiben?<br />
Was sind die Hauptfelder sozialer Arbeit, die mit Treuhandverträgen geregelt werden?<br />
Wer sind die Hauptbeteiligten bei Treuhandverträgen? Wer ist eher dafür, wer ist eher<br />
dagegen?<br />
Worin sehen <strong>Sie</strong> den besonderen Nutzen von Treuhandverträgen (fachlich, organisatorisch,<br />
finanziell, politisch)?<br />
Welche Erfahrungen haben <strong>Sie</strong> mit den Handlungsspielräumen von Treuhandverträgen?<br />
Inwiefern eröffnen Treuhandverträge Ihres Erachtens Mitentscheidungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten?<br />
Sind Treuhandverträge ein sinnvolles und zweckmäßiges<br />
Steuerungsinstrument?<br />
Welche Probleme <strong>können</strong> sich Ihrer Erfahrung nach bei Treuhandverträgen ergeben<br />
(Kontrolle, administrativer Aufwand, Zuständigkeits-/ Rollenkonflikte)?<br />
Können <strong>Sie</strong> uns vielleicht erfolgreiche und weniger erfolgreiche Beispiele <strong>aus</strong> der Umsetzung<br />
von Treuhandverträgen erzählen?
Abschlussfragen<br />
<br />
<br />
<br />
Wenn <strong>Sie</strong> zurückblicken auf die Entstehung und Entwicklung von Treuhandverträgen.<br />
Was würden <strong>Sie</strong> sagen, was ist gut, was ist weniger gut verlaufen?<br />
Wenn <strong>Sie</strong> in die nahe Zukunft sehen, was würden <strong>Sie</strong> gerne im Bereich der Treuhandverträge<br />
anpacken, verändern?<br />
Gibt es noch etwas, was wir zum Thema bisher noch nicht erörtert haben, was <strong>Sie</strong> uns<br />
aber gerne mit auf den Weg geben würden?
ANLAGE 2<br />
Hypothesen zu den Treuhandverträgen<br />
NR. HYPOTHE SEN<br />
1 Hat die Einführung des Kontraktmanagements bzw. von Treuhandverträgen sowohl beim Staat <strong>als</strong><br />
auch bei den (Wohlfahrts-) Verbänden zu einer veränderten Rollenwahrnehmung geführt?<br />
2 Haben sich durch die Treuhandverträge der sozial- und fachpolitische Einfluss der Wohlfahrtsverbände<br />
und die Möglichkeit, in einzelnen Förderbereichen zu steuern, verändert? Führte die in diesem<br />
Zusammenhang erfolgte Übertragung bestimmter Aufgaben auf die Verbände, bei der Senatsverwaltung<br />
zu einem veränderten Steuerungsverständnis und entsprechenden Leistungsänderungen?<br />
3 Ändern sich durch die vertraglich vereinbarten Leistungen die Möglichkeiten kurzfristiger politischer<br />
Einflussnahmen gegenüber Senatsverwaltung und Leistungsträgern?<br />
4 Haben die Treuhandverträge Einfluss auf den Grad an organisatorischer und fachlicher Autonomie der<br />
leistungsnehmenden <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen?<br />
5 Haben die Treuhandverträge einen Einfluss auf die fachliche Effektivität und wirtschaftlich Effizienz<br />
beim Einsatz von Zuwendungsmitteln?<br />
6 Hat das Kontraktmanagement Einfluss auf die Transparenz in der Leistungserbringung?<br />
7 Hat das Kontraktmanagement Auswirkungen auf die Qualität der Leistungen?<br />
8 Nehmen die Wohlfahrtsverbände gegenüber ihren Mitgliedsorganisationen und <strong>dem</strong> Staat im Rahmen<br />
der Treuhandverträge eine intermediäre Verhandlungsposition ein?
ANLAGE 3<br />
Hemmende und begünstigende Faktoren<br />
TREUHA NDVE RTRÄ GE<br />
R O L LENVERSTÄNDNIS<br />
<br />
HEMME NDE FAKTOREN<br />
Interessenkonflikte aufgrund der Doppelrolle von<br />
Verbänden <strong>als</strong> Interessenvertreter und Zuwendungsgeber<br />
ihrer Mitgliedseinrichtungen<br />
S T E U E R U N G<br />
Fehlende sozial- und gesellschaftspolitische<br />
Rahmenvorgaben des Staates<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Restriktive Auslegung von Ermessensspielräumen<br />
aufseiten der Senatsverwaltung<br />
Input-Orientierung bei der Vertragsgestaltung<br />
und -umsetzung<br />
Unnötiger Ressourcenverbrauch durch rigide<br />
bürokratische Kontrollen<br />
Schwache Position der Sozial- gegenüber der<br />
H<strong>aus</strong>haltspolitik<br />
Unklarheiten bei Zuständigkeitsregelungen und<br />
Kompetenzverteilungen<br />
Unzureichend <strong>aus</strong>geprägtes Rollenverständnis<br />
der beteiligten Akteure<br />
<br />
„Organisch“ gewachsene, in Routinen und Gewohnheiten<br />
gründende Projektstrukturen<br />
M I T T E LEIN S A T Z<br />
<br />
<br />
<br />
Fortwährende Mittelkürzungen behindern die<br />
Förderung innovativer Projekte<br />
Fortwährende Mittelkürzungen verringern die<br />
Akzeptanz bei Verbänden, ihre Treuhänderfunktion<br />
weiterhin wahrzunehmen<br />
Anrechnung von Eigenmitteln auf Zuwendungsmittel<br />
verhindert mögliche Kompensationseffekte<br />
im Zusammenhang mit Mittelkürzungen<br />
(Einnahme<strong>aus</strong>fällen bei den Zuwendungen durch<br />
Drittmittel <strong>aus</strong>zugleichen, um so das Leistungsspektrum<br />
aufrechterhalten zu <strong>können</strong>, wird<br />
durch das bestehende H<strong>aus</strong>haltsrecht unterbunden)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
BEGÜ NSTIGE NDE Faktoren<br />
Legitimation von Entscheidungen aufgrund fachlicher<br />
Kompetenzen anstatt politischer<br />
Interessen<br />
Vorgabe klarer politischer Ziele an die Verbände<br />
Größere Gestaltungsspielräume bei Vertragsumsetzung<br />
Output-Orientierung bei der Vertragsgestaltung<br />
und -umsetzung<br />
Vertrauen; sinnvolle Evaluierungsmaßnahmen<br />
Starke Position und fachliche Kompetenz von<br />
Sozialpolitik<br />
Klare Zuständigkeiten und Kompetenzverteilungen<br />
<br />
Ausgeprägtes Rollenverständnis<br />
Umsteuerung von „organisch“ gewachsenen<br />
Projektstrukturen aufgrund eindeutiger sozialpolitischer<br />
Entscheidungen<br />
<br />
<br />
<br />
Dauerhafte Ausstattung (festes Budget) für ein<br />
bestimmtes Leistungsspektrum<br />
Dauerhafte Ausstattung (festes Budget) für ein<br />
bestimmtes Leistungsspektrum<br />
Größere Gestaltungsfreiräume beim Mitteleinsatz<br />
durch Verträge und eine Flexibilisierung des<br />
H<strong>aus</strong>haltsrechts
ANLAGE 4<br />
Potenziale und Grenzen<br />
TREUHA NDVE RTRÄ GE<br />
POTENZIA LE<br />
GRENZEN<br />
S T E U E R U N G<br />
<br />
<br />
<br />
Einfluss der Verbände auf die Sozial- und Gesundheitspolitik<br />
Konzentration der Senatsverwaltung auf Steuerungsfunktionen<br />
durch Aufgabenübertragung an<br />
Verbände<br />
Abbau administrativer Aufgaben durch Aufgabenübertragung<br />
an <strong>Die</strong>nstleister<br />
M I T T E LEIN S A T Z<br />
<br />
<br />
<br />
Stabilisierung der Zuwendungsmittel für den<br />
jeweiligen Vertragszeitraum<br />
Effizienter Mitteleinsatz durch berlinweite, fachlich<br />
<strong>aus</strong>gerichtete Steuerung<br />
Einsparungen durch verringerten Personaleinsatz<br />
in der Senatsverwaltung<br />
P O LITIS CHER EI N F L U S S<br />
<br />
Verdrängung politischer Einflussnahmen zugunsten<br />
fachlicher Entscheidungen<br />
L E I S T U N G S E R B R I N G U N G<br />
<br />
<br />
<br />
Sicherstellungsfunktion für Erbringung bestimmter<br />
sozialer und gesundheitlicher Leistungen<br />
Konzentration der <strong>Die</strong>nste und Einrichtungen auf<br />
fachliche Aufgaben aufgrund von Planungssicherheit<br />
durch mehrjährige (Finanzierungs-)<br />
Verträge<br />
Fachliche Kooperation statt politischer Lobbyismus<br />
von <strong>Die</strong>nsten und Einrichtungen<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Sozial- und gesundheitspolitische Grundsatzentscheidungen<br />
obliegen <strong>dem</strong> Staat<br />
„Außensteuerung“ durch H<strong>aus</strong>haltspolitik und<br />
Handeln des Landesrechnungshofes unter Bedingungen<br />
einer schwachen Sozialpolitik<br />
Letztverantwortung und damit die Pflicht zur<br />
Kontrolle liegt beim Treuhänder bzw. bei der Senatsverwaltung<br />
Kontinuierliche Mittelkürzungen innerhalb der<br />
Verträge<br />
Rationalisierungspotenzial bei <strong>Die</strong>nsten und<br />
Einrichtungen weitgehend <strong>aus</strong>geschöpft<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Personalvorratshaltung in der Senatsverwaltung<br />
aufgrund der Gewährleistungsverpflichtung für<br />
den Fall, dass kein Folgevertrag zustande kommt.<br />
Budgetrecht des Parlaments verpflichtet zur<br />
Vorgabe politischer Rahmensetzungen<br />
Zwingender Leistungsabbau aufgrund kontinuierlicher<br />
Mittelkürzungen<br />
Kontinuierliche Mittelkürzungen innerhalb der<br />
Verträge<br />
Konflikte und Vermittlungsaufgaben werden von<br />
Senatsverwaltung auf die Verbände verlagert<br />
Synergieeffekte durch Kooperationen Evaluierungsdefizite der Leistungsergebnisse<br />
<br />
Stärkere Ausrichtung am sozial- und gesundheitspolitisch<br />
definierten Bedarf durch leichteres<br />
Umsteuern im Leistungsangebot<br />
<br />
Evaluierungsdefizite bei Bedarfsermittlung und<br />
Leistungsbeurteilung<br />
<br />
Motivation bei Leistungsträgern zu mehr Transparenz<br />
bezüglich ihrer Leistungserbringung<br />
aufgrund vertrauensbasierter Vertragsbeziehungen<br />
anstatt auf Misstrauen beruhender<br />
Kontrollen durch den Zuwendungsgeber<br />
<br />
Legitimation der Zuwendungen mittels Effektivitätsbehauptungen<br />
über erbrachte Leistungen<br />
begünstigt eine interessengeleitete Realitätsdeutung<br />
und damit auch Realitätsverzerrungen