Heft 6 - SPD-Landesverband Sachsen-Anhalt
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Eindämmung sozialdemokratischer Aktivitäten zu unterscheiden. Bestrebungen<br />
zur Neuauflage von Verbotsmaßnahmen hat es zwischen 1890 und 1914<br />
wiederholt gegeben. Hier ist beispielsweise die Umsturzvorlage von 1894/95 zu<br />
erwähnen, die alle gegen die bestehende Ordnung gerichteten Bestrebungen mit<br />
Gefängnisstrafen bedrohte. Sie ist schließlich gescheitert, weil sie die<br />
Publikations- und Pressefreiheit generell bedrohte und damit auch das liberale<br />
Bürgertum gegen dieses Gesetzesvorhaben aufbrachte. Im Laufe der Zeit wurde<br />
zunehmend deutlich, dass weder eine Neuauflage des Sozialistengesetzes noch<br />
eine generelle Verschärfung des Strafrechts durchsetzbar war. Das gilt auch für<br />
die niemals aufgegebenen Versuche, das Reichstagswahlrecht anzutasten. Das<br />
allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht, 1867 von Bismarck gegen<br />
das in Preußen geltende, den Liberalismus begünstigende Dreiklassenwahlrecht<br />
durchgesetzt, hatte sich entgegen der konservativen Erwartung ausgewirkt und<br />
neben der katholischen Zentrumspartei die 1863/69 formierte Sozialdemokratie<br />
begünstigt. Bismarck hat daher im Verlauf der achtziger Jahre wiederholt den<br />
Versuch gemacht, das Reichstagswahlrecht zu revidieren. Diese Vorstöße<br />
blieben aber ebenso erfolglos wie in die gleiche Richtung zielende spätere<br />
Bestrebungen des Kaisers und des konservativen Regierungslagers. Solche<br />
Maßnahmen wurden als Staatstreich gegen die Reichsverfassung und den ihr<br />
zugrundliegenden Kompromiss betrachtet und waren auf dem Wege der<br />
Gesetzgebung nicht durchsetzbar. Auf dem Reichstagswahlrecht aber beruhte<br />
der politische Einfluss der Sozialdemokratie.<br />
Polizeistaatliche Gesetze<br />
Aber die bestehende Rechtslage bot vielfältige Möglichkeiten der Repression<br />
gegen sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Aktionen. Einen besonderen<br />
Schutz der politischen Parteien, wie es das Parteiengesetz für unsere Gegenwart<br />
kennt, gab es im Kaiserreich nicht. Für die Parteien galt das allgemeine Vereinsund<br />
Versammlungsrecht. Dieses enthielt ein dichtmaschiges Netz von<br />
bürokratischen Auflagen, bei denen die Polizei quasi nach Belieben Verstöße<br />
feststellen konnte. Bis 1908 bestand zudem das sogenannte Verbindungsverbot,<br />
demgemäß Vereine untereinander nicht in einen institutionellen Kontakt treten<br />
durften, was ebenfalls der Feststellung von Rechtsverletzungen Tor und Tür<br />
öffnete. Jugendlichen unter 18 Jahren und Frauen (bis 1908) war eine Teilnahme<br />
am Vereinsleben generell untersagt. Enge politische Grenzen galten auch für das<br />
Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Davon waren sozialdemokratische<br />
Presseerzeugnisse auch nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes regelmäßig<br />
betroffen. Die Redakteure der am 1.7.1890 gegründeten Magdeburger<br />
Volksstimme hatten darunter besonders zu leiden. Bis 1894 mussten sie<br />
insgesamt 7 Monate, 6 Woche und 13 Tage Haft verbüßen, ein Maß an<br />
Strafverfolgung, das auch überregional als außergewöhnlich registriert wurde 23 .<br />
Kein Blatt, merkte der „Vorwärts“ 1900 an, sei dermaßen schikaniert worden<br />
23 Ebd., S. 42<br />
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