Skript
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Elementare Differentialgeometrie<br />
Florian Modler (Rhombus e.V.)<br />
19. November 2009
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Was ist eine Kurve? 4<br />
1.1 Beispiele für Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />
1.2 Was ist eine Kurve? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
1.3 Umparametrisierungen und Bogenlänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
1.4 Zusammenfassung wichtiger Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
2 Die Länge einer Kurve 14<br />
2.1 Die Länge einer Kuve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
2.2 Einige Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />
3 Die Krümmung einer Kurve 21<br />
3.1 Geschlossenheit von Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
3.2 Krümmung ebener Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22<br />
3.3 Krümmung räumlicher Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
3.4 Krümmung im n-Dimensionalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
4 Der Satz von Fenchel 30<br />
4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
4.2 Exkurs in die sphärische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
4.2.1 Großkreise - Die „Geraden“ auf der Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
4.2.2 Großkreisbögen - Die „Strecken “ auf der Kugel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
4.2.3 Ein paar Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
4.3 Der Satz von Fenchel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
4.4 Abschluss und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
5 Jordan-Kurven und Mannigfaltigkeiten 39<br />
5.1 Jordan-Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
5.2 Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
6 Der Umlaufsatz 44<br />
6.1 Die Umlaufzahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />
Literaturverzeichnis 56<br />
2
Vorwort<br />
Dieses Training wird gerade für Rhombus e.V., einem Verein zur Förderung mathematikbegeisterter junger<br />
Menschen angeboten. Alle interessierten Teilnehmer sind herzlich willkommen.<br />
Dieses Training zur elementaren Differentialgeometrie basiert auf einem Akademiekurs, der im Jahr<br />
2008 auf einer Akademie in Balderschwang statt fand. Das <strong>Skript</strong> wiederum basiert auf dem gut strukturierten<br />
Buch von Christian Bär.<br />
In dem Training beschäftigen wir uns mit Kurven und ihren Eigenschaften. Wir werden lernen, wie<br />
wir die Länge einer Kurve berechnen können, wie Krümmung definiert ist oder was der Hauptsatz der<br />
Raumkurventheorie besagt.<br />
Jeder, der mit der mathematischen Denk- und Sprechweise gut zurecht kommt, wird gut mit dem<br />
Training zurecht kommen, da wir keinerlei große Voraussetzungen benötigen.<br />
3
Kapitel 1<br />
Was ist eine Kurve?<br />
Was versteht man überhaupt unter einer Kurve? Wie ist sie mathematisch definiert? Und kann man sich<br />
Beispiele für Kurven überlegen und diese dann mittels Maple ® auch zeichnen lassen? Ja, das kann man<br />
natürlich. In diesem ersten Kapitel wollen wir genau dies tun und uns vor allem einige Beispiele für ebene<br />
Kurven und Raumkurven anschauen.<br />
Weiterhin werden wir verschiedene „Darstellungsarten“ von Kurven angeben. Fortschreiten werden<br />
wir danach mit dem Begriff der regulären Kurven und der Parametrisierung nach Bogenlänge. Wir werden<br />
zeigen, dass sich jede regulär parametrisierte Kurve nach Bogenlänge umparametrisieren lässst. Dies wird<br />
der Höhepunkt des ersten Kapitels sein.<br />
1.1 Beispiele für Kurven<br />
Bevor wir Kurven definieren, wollen wir uns ein paar Bildchen anschauen, wie wir uns Kurven in der<br />
Ebene und im Raum vorzustellen haben. Was wir dann genau unter einer Parametrisierung verstehen,<br />
werden wir danach sehen.<br />
Beispiel (Ebene Kurven und Raumkurven):<br />
Ein Kreis: Einen Kreis kann man beispielsweise durch<br />
c : R → R 2 , c(t) := (cos(t), sin(t))<br />
parametrisieren.<br />
Abbildung 1.1: Ein Kreis.<br />
4
1.1 Beispiele für Kurven<br />
Eine Schlaufe: Die Parametrisierung der Schlaufe in der Abbildung 1.2 erfolgt durch<br />
c : R → R 2 , c(t) := (t 2 − 1, t(t 2 − 1)).<br />
Abbildung 1.2: Eine Schlaufe.<br />
Eine Gerade: Eine Gerade besitzt mehrere, genauer unendlich viele, verschiedene Parametrisierungen. Eine<br />
davon ist zum Beispiel gegeben durch<br />
c : R → R 2 , c(t) := (t 3 , t 3 ).<br />
Abbildung 1.3: Eine Gerade.<br />
5
1.1 Beispiele für Kurven<br />
Eine Schnecke: Sie sieht aus wie eine Schnecke. Mathematiker sagen zu ihr logarithmische Spirale. Eine<br />
Parametrisierung ergibt sich aus<br />
c : R → R 2 , c(t) := (e −t cos(2πt), e −t sin(2πt)).<br />
Dies sieht dann so aus, wie in Abbildung 1.4.<br />
Abbildung 1.4: Die logarithmische Spirale - eine Schnecke.<br />
Kommen wir nun zu Raumkurven:<br />
Die Helix: Die Helix parametrisiert man wie folgt durch<br />
c : R → R 3 , c(t) := (cos(t), sin(t), t).<br />
Abbildung 1.5: Die Helix.<br />
Konische Spirale: Eine weitere schöne Raumkurve ist die konische Spirale. Die Parametrisierung ergibt<br />
6
1.2 Was ist eine Kurve?<br />
sich aus<br />
c : R → R 3 , c(t) := (t cos(t), t sin(t), t).<br />
Abbildung 1.6: Die konische Spirale.<br />
Blumenkurve: Es ist den Autoren unbekannt, ob die folgende Kurve in der Literatur wirklich so genannt<br />
wird, aber wir wollen sie die Blumenkurve nennen, da sie wie eine Blume aussieht. Ihre Parametrisierung<br />
ist etwas komplizierter und aufwendiger. Dazu setzen wir s(t) := 1 + 5t + t ⋅ sin(2πt). Damit folgt die<br />
Parametrisierung<br />
c : R → R 3 , c(t) := (s(t) ⋅ cos(2πt), s(t) ⋅ sin(2πt), 0.01 ⋅ r 2 ⋅ (1 + sin(20πt)) + t 2 ).<br />
Abbildung 1.7: Die Blumenkurve.<br />
In unserem Beispiel ist r = 1.<br />
1.2 Was ist eine Kurve?<br />
Nun haben wir uns schon munter Kurven angeschaut, wissen aber immer noch nicht, was man mathematisch<br />
unter einer Kurve versteht. Dies wollen wir schleunigst nachholen:<br />
Anschaulich ist eine Kurve nichts anderes als ein, in der Regel verbogenes, in den Raum gelegtes Geradenstück.<br />
Mathematisch definieren wir<br />
7
1.2 Was ist eine Kurve?<br />
Definition 1.1 (Kurve) Sei I ⊂ R ein Intervall. Eine parametrisierte Kurve ist eine unendlich oft differenzierbare<br />
Abbildung der Form<br />
c : I ⊂ R → R n .<br />
Das Intervall I kann offen, abgeschlossen oder halbabgeschlossen sein. Ebenfalls kann das Intervall<br />
beschränkt oder unbeschränkt sein. Dies spielt keine Rolle.<br />
Wir werden vorwiegend ebene Kurven oder Raumkurven betrachten, das heißt Abbildungen der Form<br />
c : I ⊂ R → R 2 oder c : I ⊂ R → R 3 .<br />
Definition 1.2 (regulär parametrisiert) Eine parametrisierte Kurve heißt regulär parametrisiert, wenn<br />
der Geschwindigkeitsvektor (erste Ableitung), wir schreiben hierfür c ′ (t), nirgends verschwindet, das<br />
heißt, wenn<br />
c ′ (t) ∕= 0 ∀t ∈ I.<br />
Wir stellen mit dieser Bedingung sicher, dass sich beim Durchlauf von t ∈ I der Kurvenpunkt c(t)<br />
tatsächlich bewegt. Wir schließen damit konstante Abbildungen der Form c(t) = d, d ∈ R aus. Das ist<br />
sicherlich sinnvoll, denn das Bild dieser Abbildung besteht nur aus dem Punkt d und das ist nicht gerade<br />
das, was man sich unter einer Kurve vorstellt.<br />
Eine kurze Anmerkung zur Schreibweise: Für eine Abbildung der Form c : I ⊂ R → R n ist in<br />
Koordinatenschreibweise<br />
c(t) = (c 1 (t), c 2 (t), . . . , c n (t))<br />
und für die erste Ableitung<br />
c ′ (t) = (c ′ 1(t), c ′ 2(t), . . . , c ′ n(t)).<br />
Jede Komponente besteht also aus einer Funktion, die dann differenziert wird. Es gilt genauer<br />
c ′ j = d dt c j<br />
∀j = 1, . . . , n.<br />
Dies ist Wissen aus der Analysis 2.<br />
Den Ableitungsvektor c ′ (t) bezeichnen wir auch als Tangentialvektor. Physikalisch wird er als Geschwindigkeitsvektor<br />
zum Zeitpunkt t interpretiert.<br />
Beispiel (Die Traktrix): Die sogenannte Schleppkurve (Traktrix) kann parametrisiert werden durch<br />
c :<br />
(<br />
0, π )<br />
→ R 2 , c(t) = (sin(t), cos(t) − log(tan(t/2))) .<br />
2<br />
Graphisch veranschaulichen wir dies in Abbildung 1.8.<br />
Es gilt<br />
c ′ (t) =<br />
(<br />
)<br />
1<br />
cos(t), − sin(t) −<br />
tan(t/2) ⋅ 1<br />
cos 2 .<br />
(t/2)<br />
Wir könnten nun die Kurve c auf ganz (0, π) definieren. Das Problem ist aber, dass für t = π 2 sich<br />
c(π/2) = (0, 0) ergebe. Daher hätte die Kurve in diesem Punkt, also im Ursprung (0, 0), eine Spitze. Und<br />
genau sowas wollen wir durch unsere Definition der Regulärität ausschließen.<br />
Zur Übung wollen wir einige Geschwindigkeitsvektoren berechnen.<br />
8
1.2 Was ist eine Kurve?<br />
Abbildung 1.8: Die Traktrix.<br />
Beispiel: Den Kreis hatten wir weiter oben parametrisiert durch c(t) = (cos(t), sin(t)). Für den<br />
Geschwindigkeitsvektor ergibt sich nun c ′ (t) = (sin(t), cos(t)). Es gilt natürlich c ′ (t) ∕= 0 für<br />
alle t, da Sinus und Kosinus niemals an derselben Stelle t Null werden. Dies macht man sich zum<br />
Beispiel klar, wenn man sich das Bild vom Sinus und Kosinus vor Augen führt.<br />
Die Gerade hatten wir parametrisiert durch c(t) = (t 3 , t 3 ). Es ergibt sich c ′ (t) = (3t 2 , 3t 2 ).<br />
Die Neilsche Parabel, die durch<br />
c : R → R 2 , c(t) = (t 2 , t 3 )<br />
parametrisiert wird, ist für t = 0 nicht regulär, da dann c ′ (0) = (0, 0), denn es gilt c ′ (t) = (2t, 3t 2 ).<br />
Abbildung 1.9: Die Neilsche Parabel.<br />
Kommen wir zu einem Beispiel für Raumkurven:<br />
9
1.3 Umparametrisierungen und Bogenlänge<br />
Der Geschwindigkeitsvektor der Helix lautet c ′ (t) = (− sin(t), cos(t), 1). Auch hier sieht man,<br />
dass die Helix regulär parametrisiert ist, da der letzte Eintrag des Geschwindigkeitsvektors immer<br />
konstant 1 ist.<br />
Das Beispiel 1.1 des Kreises zeigt, dass eine regulär parametrisierte Kurve nicht unbedingt injektiv sein<br />
muss. Man kann die Injektivität aber nach Einschränkung auf ein kleines Intervall fordern. Darauf kommen<br />
wir nochmals zu sprechen, wenn wir den Begriff von „einfach geschlossen“ einführen und motivieren<br />
werden.<br />
1.3 Umparametrisierungen und Bogenlänge<br />
In diesem Abschnitt wollen wir den Begriff der Bogenlänge teils einführen und teils voraussetzen und<br />
uns klar machen, was es bedeutet, wenn eine Kurve nach Bogenlänge parametrisiert ist. Wir widmen<br />
dem Begriff einen ganzen Abschnitt, da dieser für die Berechnung der Länge einer Kurve angenehme<br />
Konsequenzen hat, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Zuvor müssen wir aber noch ein paar<br />
andere Dinge definieren.<br />
Eine Kurve c : I ⊂ R → R n ist die Punktmenge c(I) ⊂ R n zusammen mit seiner Parametrisierung.<br />
Diese Parametrisierung gibt an, wie c(I) durchlaufen werden soll. Wir haben schon gesehen, dass man<br />
zum Beispiel eine Gerade auf vielerlei Arte parametrisieren kann, ohne das Bild zu ändern!<br />
Häufig möchte man die Parametrisierung ändern und dabei die Bildkurve aber so belassen, wie sie ist.<br />
Hierfür definieren wir:<br />
Definition 1.3 (Umparametrisierung) Sei c : I ⊂ R → R n eine parametrisierte Kurve. Eine Parametertransformation<br />
von c ist eine bijektive Abbildung φ : J → I, wobei J ⊂ R ein weiteres Intervall ist,<br />
so dass sowohl φ : J → I als auch φ −1 : I → J unendlich oft differenzierbar sind. Die parametrisierte<br />
Kurve ˜c := c ∘ φ : J → R n heißt Umparametrisierung von c.<br />
Folgende Abbildung 1.10 verdeutlicht Definition 1.3 ganz gut.<br />
Abbildung 1.10: Eine Umparametrisierung.<br />
Wir wollen nun zeigen, dass die Umparametrisierung einer Kurve c die Eigenschaft der Regularität<br />
erhält, das heißt wir beweisen den folgenden Satz.<br />
Satz 1.4 Gegeben sei eine reguläre Parametrisierung der Kurve c. Dann ist jede Umparametrisierung wieder<br />
regulär.<br />
10
1.3 Umparametrisierungen und Bogenlänge<br />
Beweis: Sei dazu ˜c := c ∘ φ die Umparametrisierung einer regulären Kurve c. Es gilt φ(t) ∕= 0 für alle<br />
t ∈ J. Daraus ergibt sich nun mittels Differentation auf beiden Seiten<br />
1 = d dt<br />
(<br />
φ −1 ∘ φ(t) ) (t)<br />
und nach der Kettenregel<br />
d<br />
dt φ−1 (φ(t)) ⋅ d dt φ(t) ⇒ d dt φ(t) = φ′ (t) ∕= 0<br />
∀t ∈ J.<br />
Also ergibt sich<br />
˜c ′ (t) = (c ∘ φ) ′ (t) = c(φ(t)) ⋅ φ ′ (t) ∕= 0<br />
und damit die Regularität der umparametrisierten Kurve und folglich die Behauptung.<br />
Was eine Parametertransformation aber ändern kann, ist die Richtung, in der die Bildkurve durchlaufen<br />
wird. Sie kann sie entweder erhalten oder umkehren.<br />
Definition 1.5 Eine Parametertransformation φ heißt orientierungserhaltend, falls φ ′ (t) > 0 ∀t und<br />
orientierungsumkehrend, falls φ ′ (t) < 0 ∀t.<br />
Die triviale Parametertransformation φ(t) = t beispielsweise ändert nichts an der parametrisierten<br />
Kurve, die Parametertransformation ψ(t) = −t dagegen ändert den Durchlaufsinn. Es ist klar, dass<br />
eine Parametertransformation entweder orientierungserhaltend oder orientierungsumkehrend ist. Dies<br />
begründet man mit dem Zwischenwertsatz aus der Analysis. Denn angenommen, es gibt ein t 1 ∈ I<br />
mit φ ′ (t 1 ) < 0 und ein t 2 ∈ I mit φ ′ (t 2 ) > 0, so gäbe es nach dem Zwischenwertsatz ein t 3 ∈ I<br />
mit φ ′ (t 3 ) = 0. Dies ist aber nicht möglich. Was haben wir durch die obigen Überlegungen nun aber<br />
gewonnen? Wir wissen jetzt, dass die Parametrisierung einer Kurve irrelevant ist. Wir definieren den<br />
Begriff der Kurve nochmals mathematisch sauberer:<br />
Definition 1.6 (Kurve) Eine Kurve ist eine Äquivalenzklasse von regulär parametrisierten Kurven, wobei<br />
diese äquivalent sind, wenn sie Umparametrisierungen von einander sind.<br />
Die Beispiele 1.1 liefern alle verschiedene Kurven, da sie unterschiedliche Bilder im R 2 bzw. im R 3<br />
besitzen und somit nicht durch Parametertransformation aus einander hervorgehen können.<br />
Beispiel: Betrachten wir nun noch ein Beispiel von regulär parametrisierte Kurven, die man so umparametrisieren<br />
kann und somit zeigen kann, dass sie dieselbe Kurve darstellen und beschreiben, also<br />
äquivalent sind.<br />
Dazu betrachten wir die beiden regulär parametrisierten Kurven<br />
c 1 : R → R 2 , c 1 (t) = (t, t)<br />
und<br />
c 2 : R → R 2 , c 2 (t) = (log(t), log(t)).<br />
Diese beiden Kurven sind äquivalent, denn es gilt mit der Parametertransformation φ(t) = e t gerade<br />
c 1 (t) = (c 2 ∘ φ)(t) = c 2 (φ(t)) = log(e t ) = t.<br />
11
1.3 Umparametrisierungen und Bogenlänge<br />
Sie repräsentieren daher dieselbe Kurve.<br />
Nun zu einer wichtigen Definition.<br />
Definition 1.7 (Bogenlänge) Eine nach Bogenlänge parametrisierte<br />
√<br />
Kurve ist eine reguläre Kurve c :<br />
I ⊂ R → R n mit ∣c ′ (t)∣ = 1 ∀t ∈ I. Dabei gilt ∣c ′ (t)∣ = (t) + . . . + c2′ n (t).<br />
Nach Bogenlänge parametrisierte Kurven werden also mit konstanter Geschwindigkeit 1 durchlaufen.<br />
Welche Vorteile dies zum Beispiel bei der Berechnung der Länge von Kurven hat, werden wir im nächsten<br />
Kapitel sehen.<br />
Definition 1.8 (proportional parametrisiert) Eine proportional zur Bogenlänge parametrisierte Kurve<br />
ist eine regulär parametrisierte Kurve c : I ⊂ R → R n , für die ∣c ′ (t)∣ = const. für alle t gilt.<br />
Definition 1.9 (Spur) Wird eine Kurve durch eine regulär parametrisierte Kurve c : I ⊂ R → R n<br />
repräsentiert, dann nennt man das Bild c(I) auch die Spur der Kurve.<br />
Satz 1.10 Jede regulär parametrisierte Kurve lässt sich so umparametrisieren, dass die Umparametrisierung<br />
nach Bogenlänge parametrisiert ist.<br />
Diesen Satz lassen wir uns nochmal auf der Zunge zergehen: Jede regulär parametrisierte Kurve kann<br />
nach Bogenlänge umparametrisiert werden. Das ist ein sehr nützlicher Satz, wie wir später auch noch<br />
sehen werden. Man muss aber dazu sagen, dass es in der Realität nicht so leicht ist, die Umparametrisierungen<br />
zu finden.<br />
Wir formulieren den Satz etwas um und fragen nach der Existenz solcher Umparametrisierungen.<br />
Satz 1.11 Zu jeder regulär parametrisierten Kurve c : I ⊂ R → R n gibt es eine orientierungserhaltende<br />
Parametertransformation φ, so dass die Umparametrisierung c ∘ φ nach Bogenlänge parametrisiert ist.<br />
Beweis: Sei c : I ⊂ R → R n regulär parametrisiert und t 0 ∈ I. Für den Beweis definieren wir ψ(s) :=<br />
∫ s<br />
t 0<br />
∣c ′ (t)∣ dt. Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung ergibt sich nun ψ ′ (s) = ∣c ′ (s)∣ ><br />
0. Das bedeutet wiederum, dass ψ streng monoton wachsend ist. Dies liefert, dass ψ : I → J := ψ(I)<br />
eine orientierungserhaltende Parametertransformation ist. Wir setzen φ := ψ −1 : J → I. Unter Anwendung<br />
der Kettenregel folgt:<br />
Dies ergibt:<br />
φ ′ (t) =<br />
c 2′<br />
1<br />
1<br />
ψ ′ (φ(t)) = 1<br />
∣c ′ (φ(t))∣ .<br />
∣˜c ′ (t)∣ = ∣(c ∘ φ) ′ (t)∣ = ∣c ′ (φ(t)) ⋅ φ ′ (t)∣ =<br />
1<br />
∣ c′ (φ(t)) ⋅<br />
∣c ′ (φ(t))∣∣ = 1.<br />
Also ist ˜c nach Bogenlänge parametrisiert.<br />
Mit dem Satz 1.11 folgt die Existenz. Bleibt uns noch die Frage nach der Eindeutigkeiet zu klären:<br />
Lemma 1.12 Sind c 1 : I 1 ⊂ R → R n und c 2 : I 2 ⊂ R → R n Parametrisierungen nach der Bogenlänge<br />
derselben Kurve c, so ist die zugehörige Parametertransformation φ : I 1 → I 2 mit c 1 = c 2 ∘ φ von der<br />
Form φ(t) = t + t 0 für ein t 0 ∈ R, falls c 1 und c 2 gleich orientiert sind. Falls c 1 und c 2 entgegengesetzt<br />
orientiert sind, ist sie von der Form φ(t) = −t + t 0 .<br />
Beweis: Siehe Übungsaufgabe 1.1.<br />
12
1.4 Zusammenfassung wichtiger Begriffe<br />
Bevor wir das Lemma richtig beweisen können, brauchen wir aber noch die Definition der Orientierung:<br />
Definition 1.13 (Orientierung) Eine orientierte Kurve ist eine Äquivalenzklasse von parametrisierten<br />
Kurven, wobei diese als äquivalent angesehen werden, wenn sie durch orientierungserhaltende Parametertransformationen<br />
auseinander hervorgehen.<br />
Jede orientierte Kurve bestimmt genau eine Kurve. Das bedeutet: Jede Kurve besitzt genau zwei Orientierungen.<br />
1.4 Zusammenfassung wichtiger Begriffe<br />
Wir haben nun eine Menge an neuen Begriffen und Sätzen gelernt. Wir wollen diese der Übersicht halber<br />
nochmal zusammenfassen und zusammenstellen:<br />
Parametrisierte Kurve: Eine parametrisierte Kurve ist eine Abbildung c : I → R n , wobei I ⊂ R ein<br />
Intervall ist. Dabei ist c : I → R n unendlich oft differenzierbar ist.<br />
Regulär parametrisierte Kurve: Eine Kurve c : I → R n heißt regulär, wenn c ′ (t) ∕= 0 ∀t ∈ I.<br />
Geschwindigkeitsvektor: c ′ (t) = (c ′ 1 (t), . . . , c′ n(t)) ist der Tangentialvektor an die Kurve c : I → R n in<br />
c(t) und wird auch als Geschwindigkeitsvektor zur Zeit t bezeichnet.<br />
Parametertransformation und Umparametrisierung: Sei c : I ⊂ R → R n eine parametrisierte Kurve.<br />
Eine Parametertransformation von c ist eine bijektive Abbildung φ : J → I, wobei J ⊂ R ein<br />
weiteres Intervall ist, so dass sowohl φ : J → I als auch φ −1 : I → J unendlich oft differenzierbar<br />
sind. Die parametrisierte Kurve ˜c := c ∘ φ : J → R n heißt Umparametrisierung von c.<br />
Orientierungserhaltend und orientierungsumkehrend: Eine Parametertransformation φ heißt orientierungserhaltend,<br />
falls φ ′ (t) > 0 ∀t und orientierungsumkehrend, falls φ ′ (t) < 0 ∀t.<br />
Bogenlänge: Eine nach Bogenlänge parametrisierte<br />
√<br />
Kurve ist eine reguläre Kurve c : I ⊂ R → R n<br />
mit ∣c ′ (t)∣ = 1 ∀t ∈ I. Dabei gilt ∣c ′ (t)∣ = (t) + . . . + c2′ n (t).<br />
c 2′<br />
1<br />
13
Kapitel 2<br />
Die Länge einer Kurve<br />
Wie kann man die Länge einer Kurve in einem bestimmten Intervall berechnen? Wir werden sehen, dass<br />
es ein „Näherungsverfahren“ gibt, das wir aber auf ein schönes und einfacheres Berechnungsverfahren<br />
„verallgemeiner“ können. Es wird möglich sein, durch einfache Integralrechnung die Länger einer Kurve<br />
in einem bestimmten Intervall zu bestimmen. Anders formuliert: Wir werden zwei Definitionen der Länge<br />
einer Kurve geben, dann aber in einem etwas längeren und aufwendigeren Beweis zeigen, dass beide<br />
Definitionen äquivalent zu einander sind. Außerdem werden wir sehen, was für Vorteile es mit sich<br />
bringt, wenn die Kurve nach Bogenlänge parametrisiert ist. Auch an Beispielen werden wir in diesem<br />
zweiten Kapitel nicht sparen.<br />
2.1 Die Länge einer Kuve<br />
Ziel dieses Abschnitts und des gesamten Kapitels soll es nun sein, die Länge einer Kurve in einem bestimmten<br />
Intervall zu berechnen. Stellt man sich eine beliebige Kurve vor, so könnte man die Kurve<br />
doch durch Polygonzüge (Streckenzüge) approximieren und durch Grenzwertübergang würden wir dann<br />
ziemlich genau die Länge der Kurve erhalten. Betrachten wir die folgende Abbildung 2.1.<br />
Abbildung 2.1: Approximation durch Polygonzüge.<br />
Unterteilen wir das entsprechende Intervall immer weiter, so bekommen wir eine noch genauere Näherung<br />
der eigentlichen Länge der Kurve:<br />
Abbildung 2.2: Verkleinern der Streckenzüge liefert genauere Approximation der Kurvenlänge.<br />
14
2.1 Die Länge einer Kuve<br />
Nun wollen wir dies etwas mathematisieren:<br />
Erst einmal schauen wir uns die Abbildungen 2.1 und 2.2 noch einmal genauer an. Um nun die Länge<br />
der Kurve zu bestimmen, approximieren wir also die Kurve durch Streckenzüge, das heißt wir wählen<br />
eine Zerlegung des Intervalls [a, b] durch a = t 0 < t 1 < . . . < t k = b mit k ∈ N und bilden damit den<br />
Streckenzug, indem wir bei c(t 1 ) starten, geradlinig zu c(t 2 ) laufen, von hier weiter geradlinig zu c(t 3 )<br />
und so weiter, bis wir schließlich bei c(t k ) angekommen sind. Die Länge dieser Strecken ist also durch<br />
∣c(t i )−c(t i−1 )∣ der Punkt c(t i−1 ) und c(t i ) gegeben. So erhalten wir die Länge der Verbindungsstrecken.<br />
Die Länge des gesamten Streckenzugs ist damit die Summe<br />
k∑<br />
∣c(t i ) − c(t i−1 )∣.<br />
i=1<br />
Definition 2.1 (Rektifizierbarkeit einer Kurve) Eine parametrisierte Kurve c : I ⊂ R → R n heißt auf<br />
dem Intervall [a, b] ⊂ I rektifizierbar, falls<br />
k∑<br />
L[P ] := L(c ∣[a,b] ) := sup{ ∣c(t i ) − c(t i−1 )∣ : k ∈ N, a = t 0 < t 1 < . . . < t k = b}<br />
i=1<br />
endlich ist, also wenn L(c ∣[a,b] ) < ∞. In diesem Fall nennen wir L(c ∣[a,b] ) die Länge der Kurve c auf<br />
dem Intervall [a, b].<br />
Wählt man also eine Verfeinerung der Zerlegung, so wird der Weg im Allgemeinen durch den feineren<br />
Streckenzug besser approximiert und die Länge des feineren Streckenzugs wird aufgrund der Dreiecksungleichung<br />
höchstens länger.<br />
Er ist nun aber sehr umständlich, die Länge einer Kurve mittels Streckenzüge zu berechen. Wir definieren<br />
daher die Länge einer Kurve noch etwas anders:<br />
Definition 2.2 (Länge einer Kurve) Sei c : [a, b] ⊂ I → R n eine parametrisierte Kurve. Dann heißt<br />
∫ b<br />
L[c] = ∣c ′ (t)∣ dt<br />
a<br />
die Länge der Kurve c im Intervall [a, b].<br />
Jetzt haben wir also zwei Definitionen gegeben, die man zur Berechnung der Länge einer Kurve heranziehen<br />
kann. Es wäre also sehr von Vorteil, wenn wir zeigen könnten, dass diese beiden äquivalent sind.<br />
Dies wollen wir jetzt in Angriff nehmen. Wir zeigen also nun den folgenden Satz.<br />
Satz 2.3 Sei c : [a, b] → R n eine parametrisierte Kurve. Dann gibt es für jedes ε > 0 ein δ > 0, so dass<br />
für jede Unterteilung a = t 0 < t 1 < . . . < t k = b mit t i+1 − t i < δ, wobei i = 0, . . . , k gilt<br />
∣L[c] − L[P ]∣ < ε wobei P = (c(t 0 ), . . . , c(t k )).<br />
Beweis: Der Beweis ist etwas umfangreicher und verläuft in insgesamt fünf ( Schritten. ) Also tief durchatmen,<br />
Luft holen und los geht es. Sei ε > 0 vorgegeben. Wir wählen ε ′ ε<br />
∈ 0,<br />
1+ √ . Wieso das Sinn<br />
n(b−a)<br />
macht, werden wir gleich noch sehen.<br />
15
2.1 Die Länge einer Kuve<br />
1. Schritt: Wir behaupten:<br />
Lemma 2.4 Zu ε ′ existiert ein δ 0 > 0, so dass für jede Unterteilung a = t 0 < t 1 < . . . < t k = b<br />
mit t i+1 − t i < δ 0 , i = 0, . . . , k gilt:<br />
k−1<br />
∣ L[c] ∑<br />
∣c ′ (t i+1 ) ⋅ (t i+1 − t i )∣<br />
∣ < ε′ .<br />
i=0<br />
Beweis: Das Integral von Riemann-integrierbaren Funktionen kann durch Riemannsche Summen<br />
approximiert werden. Es gilt<br />
∣<br />
∫ b<br />
a<br />
k−1<br />
∑<br />
f(t) dt − f(t i+1 ) ⋅ (t i+1 − t i )<br />
∣ < ε.<br />
i=0<br />
Hier ist L[c] = ∫ b<br />
a ∣c′ (t)∣ dt, das heißt f(t) = ∣c ′ (t)∣.<br />
2. Schritt: Wir zeigen:<br />
Lemma 2.5 Zu ε ′ existiert ein δ j > 0, so dass ∣c ′ j (t) − c′ j (s)∣ < ε′ , falls ∣t − s∣ < δ j mit t, s ∈ [a, b].<br />
Beweis: c ′ j : [a, b] → R sind stetig und [a, b] kompakt (nach Heine-Borel, da abgeschlossen und<br />
beschränkt). Daraus folgt, dass c ′ j , j = 1, . . . , n gleichmäßig stetig sind.<br />
3. Schritt: Wir definieren δ := min{δ 0 , . . . , δ n }. Sei nun eine Unterteilung a = t 0 < t 1 < . . . < t k = b<br />
der Feinheit kleiner als δ vorgegeben. Nach dem Mittelwertsatz der Analysis existiert ein τ i,j ∈<br />
(t i , t i+1 ), so dass<br />
4. Schritt: Wir behaupten:<br />
Lemma 2.6 Es gilt:<br />
c j (t i+1 ) − c j (t i ) = c ′ j(τ i,j )(t i+1 − t i ).<br />
∣<br />
∣∣c(t i+1 ) − c(t i )∣ − ∣c ′ (t i+1 ) ⋅ (t i+1 − t i )∣ ∣ ∣ < √ n ⋅ ε ′ (t i+1 − t i ).<br />
Beweis: Wir rechnen nach:<br />
∣<br />
∣∣c(t i+1 ) − c(t i )∣ − ∣c ′ (t i+1 ) ⋅ (t i+1 − t i )∣ ∣ ∣ =<br />
∣ ( c ′ 1(τ i,1 ), . . . , c ′ n(τ i,1 ) )∣ ∣ − ∣ ∣ ( c ′ 1(t i+1 ), . . . , c ′ n(t i+1 ) )∣ ∣ ⋅ (t i+1 − t i )<br />
≤ ∣ ∣c ′ 1(τ i,1 ) − c ′ 1(t i+1 ), . . . , c ′ n(τ i,1 ) − c ′ n(t i+1 ) ∣ ⋅ (t i+1 − t i )<br />
√<br />
n∑<br />
= ⎷ (c ′ j (τ i,1) − c ′ j (t i+1)) 2 ⋅ (t i+1 − t i )<br />
j=1<br />
≤ √ n ⋅ ε ′ (t i+1 − t i )<br />
16
2.1 Die Länge einer Kuve<br />
5. Schritt: Summation über i liefert nun:<br />
∣ k−1<br />
∣ L[P ] − ∑<br />
∣∣∣∣ k−1<br />
∣c ′ (t i+1 )∣ ⋅ (t i+1 − t i )<br />
∣ = ∑<br />
∑k−1<br />
∣c(t i+1 ) − c(t i )∣ − ∣c ′ (t i+1 )∣ ⋅ (t i+1 − t i )<br />
∣<br />
i=0<br />
i=0<br />
∑k−1<br />
≤ ∣ ∣c(ti+1 ) − c(t i )∣ − ∣c ′ (t i+1 ) ⋅ (t i+1 − t i )∣ ∣ i=0<br />
∑k−1<br />
√<br />
≤ n ⋅ ε ′ ⋅ (t i+1 − t i ) = √ ∑k−1<br />
n ⋅ ε ′ (t i+1 − t i ) = √ nε ′ (b − a).<br />
i=0<br />
i=0<br />
Nun ergibt sich insgesamt die Behauptung und zwar folgt:<br />
k−1<br />
∣L[P ] − L[c]∣ =<br />
∣ L[P ] − ∑<br />
∑k−1<br />
∣c ′ (t i+1 )∣ ⋅ (t i+1 − t i ) + ∣c ′ (t i+1 )∣ ⋅ (t i+1 − t i ) − L[c]<br />
∣<br />
i=0<br />
i=0<br />
∣ k−1<br />
≤<br />
∣ L[P ] − ∑<br />
∣∣∣∣ k−1<br />
∣c ′ (t i+1 )∣ ⋅ (t i+1 − t i )<br />
∣ + ∑<br />
∣c ′ (t i+1 )∣(t i+1 − t i ) − L[c]<br />
∣<br />
i=0<br />
i=0<br />
≤ √ n ⋅ ε ′ (b − a) + ε ′ = ε ( 1 + √ n(b − a) ) < ε,<br />
denn ε ′ <<br />
ε<br />
1+ √ n(b−a) .<br />
Damit ist ales gezeigt und jetzt versteht ihr auch, wieso wir am Anfang ε ′ so gewählt haben.<br />
Am besten schaut man sich den Beweis noch einmal in Ruhe an. Er ist nicht schwer, sondern man muss<br />
nur eine Menge aufschreiben.<br />
Wir verwenden natürliche die zweite Definition der Länge einer Kurve. Es ist jetzt klar, wieso man<br />
sich über den Satz 1.10 so freuen kann. Dort hatten wir gezeigt, dass jede regulär parametrisierte Kurve<br />
nach Bogenlänge umparametrisiert werden kann. Eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve ist also<br />
gerade so lang wie das Parameterintervall. Wir müssen jetzt noch einmal zeigen, dass sich die Länge<br />
einer Kurve aber unter Umparametrisieren nich ändert. Dies ist die Aussage des nächsten Satzes.<br />
Satz 2.7 (Länge unabhängig von Wahl der Parametrisierung) Sei c : [a, b] → R n regulär parametrisiert<br />
und ˜c = c ∘ φ : [a ′ , b ′ ] → R n eine Umparametrisierung mit φ : [a ′ , b ′ ] → [a, b]. Dann gilt L[c] = L[˜c].<br />
Beweis: Dies folgt sofort aus der Kettenregel und dem Transformationssatz für Integrale, genauer: Sei<br />
˜c = c∘φ die Umparametrisierung von c und φ : [a ′ , b ′ ] → [a, b]. O.B.d.A. nehmen wir an, dass φ ′ (t) > 0,<br />
das heißt φ ist orientierungserhaltend. Es folgt nun:<br />
L[˜c] =<br />
∫ b′<br />
a ′ ∣˜c ′ (t)∣ dt =<br />
∫ b′<br />
a ′ ∣(c ∘ φ) ′ (t)∣ dt =<br />
Substitution s := φ(t) liefert ds<br />
dt = φ′ (t) und damit:<br />
L[˜c] = . . . =<br />
∫ b′<br />
a ′ ∣ ∣ c ′ (φ(t)) ⋅ φ ′ (t) ∣ ∣ dt =<br />
∫ b<br />
a<br />
∣c ′ (s)∣ ds = L[c]<br />
i=0<br />
∫ b′<br />
a ′<br />
∣c ′ (φ(t))∣ ⋅ ∣φ ′ (t)∣ dt.<br />
17
2.2 Einige Beispiele<br />
Und da steht das Gewünschte L[˜c] = L[c].<br />
Man kann also von der Länge einer Kurve sprechen, da die Länge parametrisierter Kurven nicht von<br />
der speziellen Parametrisierung abhängt.<br />
2.2 Einige Beispiele<br />
Um die Länge einer Kurve c : [a, b] → R n im Intervall [a, b] zu berechnen, müssen wir also nur das<br />
Integral L[c] = ∫ b<br />
a ∣c′ (t)∣ dt berechnen. Schauen wir uns ein paar Beispiele an.<br />
Beispiel:<br />
Wir betrachten den Kreis c : [0, 2π] → R 2 , c(t) = (r cos(t), r sin(t)), wobei r der<br />
Radius ist. Wir wollen die Länge der Kurve im Intervall [0, 2π] berechnen. Dazu benötigen wir<br />
zunächst den Geschwindigkeitsvektor c ′ (t). Dieser ist gerade gegeben durch<br />
c ′ (t) = (−r sin(t), r cos(t)) = r(− sin(t), cos(t)).<br />
Dadurch ergibt sich die folgende Länge der Kurve:<br />
∫ 2π<br />
0<br />
∣c ′ (t)∣ dt =<br />
∫ 2π<br />
0<br />
∣(−r sin(t), r cos(t))∣ dt =<br />
∫ 2π<br />
0<br />
√<br />
r 2 (sin 2 (t) + cos 2 (t)) dt =<br />
∫ 2π<br />
0<br />
r dt = 2πr.<br />
Wir betrachten die Zykloide c : [0, 2π] → R 2 , c(t) := (t − sin(t), 1 − cos(t)). Wir berechnen die<br />
Länge der Kurve im Intervall [0, 2π]. Zunächst ist c ′ (t) = (1 − cos(t), sin(t)), also<br />
√<br />
∣c ′ (t)∣ = ∣(1 − cos(t), sin(t))∣ = (1 − cos(t)) 2 + sin 2 (t)<br />
√<br />
= 1 − 2 cos(t) + cos 2 (t) + sin 2 (t) = √ 2(1 − cos(t)).<br />
Die Länge der Kurve ist demnach gegeben durch<br />
∫ 2π<br />
0<br />
∣c ′ (t)∣ dt =<br />
∫ 2π<br />
0<br />
√<br />
2(1 − cos(t)) dt = . . . = 8.<br />
Nun aber endlich zu einem Beispiel einer Kurve, die nach Bogenlänge parametrisiert ist, und deren<br />
Länge man auf einem bestimmten Intervall direkt ablesen kann.<br />
Wir verwenden als Beispiel einfach den Einheitskreis c : R → R 2 , c(t) = (cos(t), sin(t)) und wollen<br />
die Länge im Intervall [0, π] berechnen. Wir wissen, dass c(t) nach Bogenlänge parametrisiert<br />
ist, denn<br />
∣c ′ (t)∣ = ∣(− sin(t), cos(t))∣ =<br />
√<br />
sin 2 (t) + cos 2 (t) = 1.<br />
Also folgt sofort<br />
∫ π<br />
∫ π<br />
L[c] = ∣c ′ (t)∣ dt = dt = π.<br />
0<br />
0<br />
18
2.3 Zusammenfassung<br />
Der ein oder andere wird sich vielleicht fragen, wieso wir die Kurven aus den ersten Beispielen nicht<br />
einfach nach Bogenlänge umparametrisieren, damit wir das Integral leichter ermitteln können. Der Grund<br />
liegt einfach darin, dass solche Umparametrisierungen in der Realität nicht so leicht zu finden sind.<br />
Wir berechnen die Länge der logarithmischen Spirale c : R → R 2 , c(t) := μe λt ⋅ (cos(t), sin(t))<br />
mit μ < 0 < λ auf einem Intervall [a, b]. Da c ′ (t) = μe λt (λ cos(t) − sin(t), λ sin(t) + cos(t)),<br />
folgt<br />
∣c ′ (t)∣ =<br />
√<br />
(μe λt ) 2 ⋅ √ (λ cos(t) − sin(t), λ sin(t) + cos(t)) 2<br />
= (μe λt ) 2 √λ 2 cos 2 (t) − 2λ cos(t) sin(t) + sin 2 (t) + λ 2 sin 2 (t) + 2λ sin(t) cos(t) + cos 2 (t)<br />
= (μe λt ) 2 √λ 2 cos 2 (t) + λ 2 sin 2 (t) + sin 2 (t) + cos 2 (t)<br />
= (μe λt ) 2√ 1 + λ 2 .<br />
Wir erhalten also<br />
∫ b<br />
L(c ∣[a,b] ) = (μe λt ) 2√ 1 + λ 2 = μ λ (eλb − e λa ).<br />
a<br />
Die Helix mit der Ganghöhe h und Radius r > 0 ist die Kurve<br />
c : R → R 3 , c(t) := (r cos(t), r sin(t), ht<br />
2π .<br />
Der Geschwindigkeitsvektor von c ist c ′ (t) = (−r sin(t), r cos(t), h/2π). Damit besitzt c ′ (t) die<br />
Länge<br />
√<br />
∣c ′ (t)∣ =<br />
h<br />
∣ (−r sin(t), r cos(t), 2π ∣ = r 2 sin 2 (t) + r 2 cos 2 (t) + h2<br />
4π<br />
√<br />
√<br />
2<br />
= r 2 (sin 2 (t) + cos 2 (t)) + h2<br />
4π 2 = r 2 + h2<br />
4π 2 .<br />
Daraus ergibt sich nun<br />
L(c ∣[a,b] ) = (b − a) ⋅<br />
√<br />
r 2 + h2<br />
4π 2 .<br />
Für proportioanl nach Bogenlänge parametrisierte Kurven gilt demnach<br />
L(c ∣[a,b] ) = (b − a) ⋅ ∣c ′ (t)∣.<br />
2.3 Zusammenfassung<br />
In diesem Abschnitt haben wir nicht allzu viel zusammenzufassen, aber dennoch ein paar Kleinigkeiten:<br />
Länge einer Kurve: Sei c : [a, b] → R n eine regulär parametrisierte Kurve. Dann heißt<br />
∫ b<br />
L[c] = ∣c ′ (t)∣ dt<br />
a<br />
19
2.3 Zusammenfassung<br />
die Länge der Kurve c im Intervall [a, b].<br />
Die Länge einer Kurve ändert sich beim Umparametrisieren nicht.<br />
Die Länge einer nach Bogenlänge parametrisierten Kurve ist die Länge des Intervalls.<br />
20
Kapitel 3<br />
Die Krümmung einer Kurve<br />
In diesem Abschnitt soll es um die Krümmung von ebenen und räumlichen Kurven gehen. Das Gute<br />
ist, dass man sich unter der Krümmung anschaulich sehr gut etwas vorstellen kann. Wir werden also<br />
zunächst einmal zeigen, was man unter der Krümmung zu verstehen hat und wie diese im R 2 bzw. im R 3<br />
definiert ist und ob es vielleicht ein Problem zwischen diesen beiden Definitionen gibt.<br />
3.1 Geschlossenheit von Kurven<br />
Zunächst wollen wir zwei Begriffe definieren, die wir später noch einmal benötigen werden. Diese haben<br />
zunächst nicht viel mit der Krümmung zu tun. Wir führen sie aber der Vollständigkeit halber aus.<br />
Definition 3.1 (Periode, geschlossen) Sei c : R → R 2 eine parametrisierte Kurve. Diese Kurve heißt<br />
periodisch mit Periode L, falls für alle t ∈ R gilt, dass<br />
c(t + L) = c(t) mit L > 0.<br />
Außerdem fordert man, dass es kein 0 < L ′ < L gibt mit c(t + L ′ ) = c(t) ∀t ∈ R. Eine Kurve heißt<br />
geschlossen, wenn sie eine periodische reguläre Parametrisierung besitzt.<br />
Beispiel: Der Kreis aus Kapitel 1 ist periodisch mit Periode L = 2π.<br />
Definition 3.2 (einfach geschlossen) Eine geschlossene Kurve c heißt einfach geschlossen, wenn sie eine<br />
periodische reguläre Parametrisierung c mit Periode L besitzt, so dass die Einschränkung auf das Intervall<br />
[0, L], also c ∣[0,L] injektiv ist.<br />
Verdeutlichen wir uns die Definition anhand zweier Bilder. Siehe dazu die Abbildungen 3.1 und 3.2<br />
Abbildung 3.1: Beispiel einer einfach geschlossenen Kurve im R 2 .<br />
21
3.2 Krümmung ebener Kurven<br />
Abbildung 3.2: Ein Beispiel einer Kurve im R 2 , die nicht einfach geschlossen ist.<br />
3.2 Krümmung ebener Kurven<br />
Anschauchlich ist uns klar, was wir unter einer ebenen Kurve verstehen, und wir haben mit diesen auch<br />
schon gearbeitet. Trotzdem geben wir nochmals die exakte mathematische Definition an:<br />
Definition 3.3 (Ebene Kurve) Eine parametrisierte Kurve c : I → R 2 heißt ebene parametrisierte<br />
Kurve.<br />
Analog wie in Kapitel 1 sind natürlich ebene regulär parametrisierte und ebene nach Bogenlänge parametrisierte<br />
Kurven definiert und zu verstehen.<br />
Was versteht man nun anschaulich unter der Krümmung einer ebenen Kurve?<br />
Dies ist eigentlich recht einfach: Die Krümmung ist ein Maß dafür, wie stark die Kurve von einer Geraden<br />
abweicht. Um die Krümmung mathematisch zu definieren, benötigen wir den Begriff des Normalenfeldes<br />
bzw. des Normalenvektors. Im Zweidimensionalen gibt es nämlich die „Besonderheit“, ein Normalenfeld<br />
zu definieren.<br />
Definition 3.4 (Normalenfeld) Sei c : I → R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve. Das Normalenfeld<br />
ist definiert als<br />
( )<br />
0 −1<br />
n(t) = ⋅ c ′ (t).<br />
1 0<br />
Anschaulich macht man sich dies anhand der Abbildung 3.3 deutlich.<br />
Der Geschwindigkeitsvektor c ′ (t) wird also um 90 Grad gedreht im mathematisch positiven Sinne.<br />
Dies spiegelt auch die Definition 3.4 wieder, denn die dort angegebene Matrix ist gerade eine Drehung<br />
um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn. Damit steht n(t) senkrecht auf c ′ (t) und (c ′ (t), n(t)) bildet eine<br />
Orthonormalbasis des R 2 . Im Folgenden sei c : I → R 2 eine ebene, nach Bogenlänge parametrisierte<br />
Kurve. Da c eben nach Bogenlänge parametrisiert ist, gilt ⟨c ′ (t), c ′ (t)⟩ = 1. Wenn wir diese Gleichung<br />
auf beiden Seiten differenzieren, so ergibt dies<br />
〈<br />
c ′′ (t), c ′ (t) 〉 + 〈 c ′ (t), c ′′ (t) 〉 = 2 〈 c ′ (t), c ′′ (t) 〉 = 0.<br />
Demnach steht c ′ (t) senkrecht auf c ′′ (t). Also ist c ′′ (t) ein Vielfaches des Normalenvektors n(t). Es gilt<br />
c ′′ (t) = k(t) ⋅ n(t). (3.1)<br />
22
3.2 Krümmung ebener Kurven<br />
Abbildung 3.3: Das Normalenfeld (der Normalenvektor) einer ebenen Kurve.<br />
Definition 3.5 (Ebene Krümmung) Die Funktion k : I → R 2 , die Gleichung (3.1) genügt, heißt Krümmung<br />
von c.<br />
Wie wir oben schon geschrieben haben, ist die Krümmung ein Maß dafür, wie stark die Kurve von<br />
einer Geraden abweicht. Wenn c eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve ist, so ist c genau dann<br />
eine Gerade, wenn c ′′ (t) = 0, das heißt wenn k(t) ≡= 0. Im Zweidimensionalen ist es möglich, eine<br />
Krümmung positiv oder negativ zu nennen. Wir fragen uns jetzt, wann eine Krümmung positiv und wann<br />
negativ genannt wird. Die Krümmung heißt positiv, wenn sich die Kurve in Richtung des Normalenvektors<br />
krümmt, also in Durchlaufrichtung nach links. Sie ist negativ, wenn sie nach rechts gekrümmt ist.<br />
Mit den Abbildungen 3.4, 3.5 und 3.6 wollen wir die einzelnen auftretenden Fälle genauer untersuchen<br />
und betrachten:<br />
1.Fall: Die Krümmung ist positiv. Es gilt k(t 3 ) > 0.<br />
Abbildung 3.4: Die Krümmung ist positiv.<br />
2.Fall: Die Krümmung ist Null. Es gilt k(t 2 ) = 0.<br />
3.Fall: Die Krümmung ist negativ. Es gilt k(t 1 ) < 0.<br />
Betrachten wir ein Beispiel, das wir ausführlich durchrechnen wollen.<br />
23
3.2 Krümmung ebener Kurven<br />
Abbildung 3.5: Die Krümmung ist Null.<br />
Abbildung 3.6: Die Krümmung ist negativ.<br />
Beispiel: Dazu sei die ebene Kurve c(t) = (r cos(t/r), r sin(t/r)) T<br />
Geschwindigkeitsvektor und der zweiten Ableitung:<br />
c ′ (t) =<br />
(<br />
−r ⋅ 1 r sin(t/r), r ⋅ 1 r cos(t/r) ) T<br />
= (− sin(t/r), cos(t/r)) T<br />
c ′′ (t) = 1 r (− cos(t/r), − sin(t/r)) = 1 r n(t)<br />
gegeben. Es gilt nun für den<br />
Nun gilt doch offensichtlich<br />
Daher ist c ′′ (t) = 1 r n(t). Also ist k(t) = 1 r<br />
also liegt eine konstante Krümmung vor.<br />
c ′ (t) ⋅ c ′′ (t) = 0.<br />
die Krümmung von c. Diese ist unabhängig vom Parameter t,<br />
Es gibt eine weitere Formel, um von einer ebenen Kurve die Krümmung zu berechnen. Wir formulieren<br />
dies in einem Satz.<br />
Satz 3.6 Sei c : I → R 2 eine ebene Kurve. Für die Krümmung k(t) gilt dann<br />
k(t) = det(c′ (t), c ′′ (t))<br />
∥c ′ (t)∥ 3 .<br />
24
3.3 Krümmung räumlicher Kurven<br />
Beweis: Wir rechnen die Formel einfach nach:<br />
k(t) = ⟨n′ 1 (t), n 2(t)⟩<br />
∥c ′ = 1 〈 c ′ 〉<br />
(t)<br />
(t)∥ ∥c ′ (t)∥ ∥c ′ (t)∥ , n 2(t)<br />
= 1 〈 c ′′ (t) ⋅ ∥c ′ (t)∥ − c ′ (t) ⋅ ∥c ′ 〉<br />
(t)∥<br />
c ′ (t)<br />
∥c ′′ (t)∥ 2 , n 2 (t)<br />
〈<br />
1<br />
=<br />
∥c ′ (t)∥ 3 c ′ (t) ⋅ ∥ c ′ (t) ∥ c ′ (t) ⋅ ⟨c ′′ (t), c ′ 〉<br />
(t)⟩ − , n2 (t)<br />
〈( ) ( )〉 〈( ) ( )〉<br />
= 1 3<br />
x ′′ (t) −y ′ (t) 1 c ′′ (t) x ′ (t)<br />
∥c ′ (t)∥ y ′′ ,<br />
(t) x ′ −<br />
(t) ∥c ′ (t)∥ 5 y ′′ ,<br />
(t) y ′ (t)<br />
〈( ) ( )〉<br />
1 x ′′ (t) −y ′ (t)<br />
=<br />
∥c ′ (t)∥ 3 y ′′ ,<br />
(t) x ′ (t)<br />
〈( )<br />
1 −y ′ (t)<br />
( ) 〉<br />
=<br />
∥c ′ (t)∥ 3 x ′ , x ′′ (t), y ′′ (t)<br />
(t)<br />
=<br />
1<br />
∥c ′ (t)∥ 3 det(c′ (t), c ′′ (t)).<br />
3.3 Krümmung räumlicher Kurven<br />
Nun wissen wir als, was wir unter der Krümmung von ebenen Kurven versteht und wie man diese auch<br />
berechnet. In diesem Abschnitt wollen wir uns nun anschauen, wie es bei räumlichen Kurven aussieht<br />
und wo es dort eventuell Probleme mit unserer alten Definition von der Krümmung geben kann. Zunächst<br />
aber wieder die Definition einer räumlichen Kurve, die uns aber schon sehr vertraut ist:<br />
Definition 3.7 Eine parametrisierte Kurve c : I → R 3 heißt parametrisierte Raumkurve.<br />
Natürlich definiert man regulär parametrisierte sowie nach Bogenlänge parametrisierte Kurven analog.<br />
Im Dreidimensionalen stehen wir jetzt aber vor einem Problem mit der Definition der Krümmung, wie<br />
wir sie im obigen Abschnitt definiert haben. Für eine räumliche Kurve ist der Normalenvektor nicht<br />
eindeutig. Wir wollen wir das Normalenfeld definieren? Es lässt sich zwar kein einzelner Normalenvektor<br />
bestimmen, dafür aber eine Normalenebene, wie die Abbildung 3.7 deutlich macht.<br />
Abbildung 3.7: Die Normalenebene anschaulich.<br />
Bei ebenen Kurven hatten wir zwei senkrecht stehende Normalenvektoren. Durch die Orientierung<br />
haben wir diesen dann eindeutig festgelegt. Aber wie machen wir das nun bei Raumkurven? Dort wird<br />
es schwer sein über die Orientierung zu argumentieren. Bei unserer „alten “ Definition von Krümmung<br />
25
3.4 Krümmung im n-Dimensionalen<br />
spielte auch der Normalenvektor eine entscheidene Rolle. Klar ist: Eine Definition muss her. Für ebene<br />
Kurven hatten wir c ′′ (t) = k(t) ⋅ n(t) hergeleitet. Daraus ergbt sich nun ∣k(t)∣ = ∥c ′′ (t)∥. Und damit<br />
hätten wir es. Wenn wir also auf das Vorzeichen verzichten, können wir die Krümmung von räumlichen<br />
Kurven ohne ein Normalenfeld festlegen. Wir definieren:<br />
Definition 3.8 Sei c : I → R 3 eine räumlich, nach Bogenlänge parametrisierte Kurve. Die Funktion<br />
k : I → R mit k(t) = ∥c ′′ (t)∥ heißt Krümmung von c.<br />
Auch hier ist die Krümmung natürlich ein Maß dafür, wie stark die Kurve von einer Geraden abweicht.<br />
Bei räumlichen Kurven macht es nun aber keinen Sinn mehr davon zu sprechen, die Kurve krümme sich<br />
nach links oder rechts. Gut, sind wir jetzt also zu frieden? Noch nicht ganz. Durch unsere neue Definition<br />
haben wir uns nämlich ein Problem eingehandelt. Denn jede ebene Kurve können wir doch auch als<br />
Raumkurve auffassen. Und nun haben wir für ebene Kurven also zwei verschiedene Definitionen. Das ist<br />
jetzt so ähnlich, wie in Kapitel 2, in dem wir den Längenbegriff mit Hilfer zweier Definitionen eingeführt<br />
haben. Wie haben wir uns dort aus der Affäre gezogen? Klar, wir haben gezeigt, dass beide Definitionen<br />
zu einander äquivalent sind. Dies wollen wir jetzt auch machen:<br />
Sei dazu ˜c : I → R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte ebene Kurve mit der Krümmung ˜k : I → R,<br />
und sei c = (˜c, 0) : I → R 3 dieselbe parametrisierte Kurve, nur aufgefasst als Raumkurve mit der<br />
Krümmung k : I → R. Es gilt nun<br />
∣k(t)∣ = ∥ ∥c ′′ (t) ∥ ∥ = ∥ ∥(˜c ′′ (t), 0) ∥ ∥ = ∥ ∥˜c ′′ (t) ∥ ∥ = ∣˜k(t)∣.<br />
Puh... noch einmal gut gegangen. Zum Abschluss des Abschnitts betrachten wir noch ein Beispiel.<br />
Beispiel: Wir betrachten die Helix c : R → R 2 , die wie folgt parametrisiert ist:<br />
c(t) =<br />
(<br />
r cos(t), r sin(t), ht )<br />
2π<br />
Hierbei ist h die sogenannte Ganghöhe. Die Krümmung im R 3 berechnet sich sehr leicht durch k(t) =<br />
∥c ′′ (t)∥. Wir benötigen also die Norm von c ′′ (t). Dazu berechnen wir zunächst den Geschwindigkeitsvektor<br />
zu<br />
c ′ (t) =<br />
(<br />
−r sin(t), r cos(t), h )<br />
.<br />
2π<br />
Damit ergibt sich<br />
Also ist<br />
c ′′ (t) = (−r cos(t), −r sin(t), 0) .<br />
∥<br />
∥c ′′ (t) ∥ √<br />
= r 2 cos 2 (t) + r 2 sin 2 (t) = r.<br />
Die Krümmung beträgt daher r.<br />
3.4 Krümmung im n-Dimensionalen<br />
Nun haben wir also die Krümmung im R 2 und im R 3 eingeführt. Kann man dies aber auf beliebige Dimensionen<br />
verallgemeinern? Die zentrale dieses Abschnitts wird nun zeigen, wie die Krümmung im R n<br />
denn definiert ist. Um das Problem R n lösen zu können, definiert man ein so genanntes Krümmungsvek-<br />
26
3.4 Krümmung im n-Dimensionalen<br />
torfeld.<br />
Definition 3.9 (Krümmungsvektorfeld) Sei c : I → R n eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve. Das<br />
Krümmungsvektorfeld von c ist die Abbildung<br />
˜k : I → R n × R n<br />
mit (c(t), c ′′ (t)).<br />
Beispiel: Wir betrachten noch einmal die Helix mit Ganghöhe h und dem Radius r > 0. Zur Erinnerung.<br />
Sie ist gegeben durch<br />
c : R → R 3 , c(t) =<br />
(<br />
r cos(t), r sin(t), ht )<br />
.<br />
2π<br />
In unserer Definition des Krümmungsvektorfelds haben wir gefordert, dass c nach Bogenlänge parametrisiert<br />
ist. Dies müssen wir natürlich erst einmal sicher stellen. Es gilt<br />
und folglich<br />
c ′ (t) =<br />
(<br />
−r sin(t), r cos(t), ht )<br />
2π<br />
∥ c ′ (t) ∥ √<br />
√<br />
= r 2 sin 2 (t) + r 2 cos 2 (t) + h2<br />
4π 2 = r 2 + h2<br />
4π 2 .<br />
Damit c nach Bogenlänge parametrisiert ist, soll also r 2 + h2<br />
4π 2<br />
anwenden und damit lautet unser Krümmungsvektorfeld<br />
⎛ ⎛ ⎞⎞<br />
⎛⎛<br />
⎞<br />
−r cos(t) −r cos(t)<br />
˜k(t) = (c(t), c ′′ ⎜ ⎜ ⎟⎟<br />
⎜⎜<br />
(t)) = ⎝c(t), ⎝ r sin(t) ⎠⎠ = ⎝⎝<br />
r sin(t)<br />
0<br />
= 1 gelten. Nun können wir die Definition<br />
0<br />
⎟<br />
⎠ ,<br />
r<br />
r 2 + h2<br />
4π 2<br />
⎛ ⎞⎞<br />
cos(t)<br />
⎜ ⎟⎟<br />
⎝sin(t)<br />
⎠⎠ .<br />
Die Frage, die sich nun stellt, ist doch aber: Was machen wir, wenn unsere Kurve nicht nach Bogenlänge<br />
parametrisiert ist? Klar, wir haben gelernt, dass man jede regulär parametrisierte Kurve nach Bogenlänge<br />
umparametrisieren kann. Wir haben aber auch gesehen, dass es nicht immer so einfach ist, entsprechende<br />
Umparametrisierungen zu finden. Aber genau diesen Satz wollen wir nun ausnutzen, um auch das Krümmungsvektorfeld<br />
für regulär, nicht für nach Bogenlänge parametrisierte Kurven zu definieren. Es sei also<br />
c : I → R n eine regulär parametrisierte Kurve. I, ˜I offene Intervalle und φ : ˜I → I ein Diffeomorphismus,<br />
so dass ˜c := c ∘ φ nach Bogenlänge parametrisiert ist. Ohne Einschränkung nehmen wir weiter an,<br />
dass φ(s) > 0 ∀s ∈ ˜I. Wir berechnen nun<br />
d<br />
ds ˜c(s) = c′ (φ(s)) ⋅ φ ′ (s) (3.2)<br />
0<br />
und dann auch<br />
d 2<br />
ds 2 = c′′ (φ(s)) ⋅ (φ(s)) 2 + c ′ (φ(s)) ⋅ φ ′′ (s). (3.3)<br />
27
3.5 Zusammenfassung<br />
Aus ∥ d<br />
ds ˜c(s)∥ ∥ = 1 und Gleichung (3.2) folgt φ ′ 1<br />
(s) =<br />
∥c ′ (φ(s))∥<br />
und daraus wiederum<br />
φ ′′ (s) = − ⟨c′ (φ(s)), c ′′ (φ(s))⟩ ⋅ φ(s)<br />
∥c ′ (φ(s))∥ 3<br />
= − ⟨c′ (φ(s)), c ′′ (φ(s))⟩<br />
∥c ′ (φ(s))∥ 4<br />
Für das Krümmungsvektorfeld von ˜c ergibt sich daher mit Gleichung (3.3) und mit t := φ(s) die Gleichung<br />
) (<br />
˜k<br />
(˜c(s), d2<br />
ds 2 ˜c(s) 1<br />
= c(t),<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c′′ (t) − ⟨c′ (t), c ′′ )<br />
(t)⟩<br />
∥c ′ (t)∥ 4 ⋅ c ′ (t)<br />
Dies motiviert uns nun die Definition der Krümmung zu verallgemeinern:<br />
Definition 3.10 Sei c : I → R n eine regulär parametrisierte Kurve. Das Krümmungsvektorfeld von c ist<br />
die Abbildung<br />
˜k : I → R n × R n ,<br />
Zum Abschluss noch ein Beispiel.<br />
) (<br />
mit<br />
(˜c(s), ˜k<br />
d2<br />
ds 2 ˜c(s) 1<br />
= c(t),<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c′′ (t) − ⟨c′ (t), c ′′ )<br />
(t)⟩<br />
∥c ′ (t)∥ 4 ⋅ c ′ (t) .<br />
Beispiel: Wir wollen das Krümmungsvektorfeld der logarithmischen Spirale<br />
c : R → R 2 , c(t) = μe λt (cos(t), sin(t)), μ < 0 < λ<br />
berechnen. Es gilt<br />
(<br />
)<br />
c ′ (t) = μe λt λ − cos(t) − sin(t)<br />
λ sin(t) + cos(t)<br />
(<br />
)<br />
und c ′′ (t) = μe λt (λ 2 − 1) cos(t) − 2λ sin(t)<br />
2λ cos(t) + (λ 2 .<br />
− 1) sin(t)<br />
Daraus folgt nun ∥c ′ (t)∥ = μ 2 (λ 2 + 1)e 2λt und ⟨c ′ (t), c ′′ (t)⟩ = μ 2 λ(λ 2 + 1)e 2λt . Also gilt<br />
( )<br />
(<br />
))<br />
˜k(t) =<br />
(μe λt cos(t) e −λt − cos(t) − λ sin(t)<br />
,<br />
sin(t) μ(λ 2 .<br />
+ 1) − sin(t) + λ cos(t)<br />
Wir bemerken: Das Vektorfeld kann auch über die Formel<br />
(<br />
1<br />
˜k(t) =<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c ′ (t), − ⟨c′ (t), c ′′ )<br />
(t)⟩<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c ′ (t)<br />
3.5 Zusammenfassung<br />
Definition 3.11 (Normalenfeld) Sei c : I → R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte Kurve. Das Normalenfeld<br />
ist definiert als<br />
( )<br />
0 −1<br />
n(t) = ⋅ c ′ (t).<br />
1 0<br />
Definition 3.12 (Krümmung im R 2 ) Die Funktion k : I → R c ′′ (t) = k(t) ⋅ n(t) heißt Krümmung von<br />
c.<br />
Definition 3.13 (Krümmung im R 3 ) Sei c : I → R 3 eine räumliche, nach Bogenlänge parametrisierte<br />
28
3.5 Zusammenfassung<br />
Kurve. Die Funktion k : I → R mit k(t) = ∥c ′′ (t)∥ heißt Krümmung von c.<br />
Definition 3.14 (Krümmung allgemein) Sei c : I → R n eine regulär parametrisierte Kurve. Das Krümmungsvektorfeld<br />
von c ist die Abbildung<br />
˜k : I → R n × R n ,<br />
) (<br />
mit<br />
(˜c(s), ˜k<br />
d2<br />
ds 2 ˜c(s) 1<br />
= c(t),<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c′′ (t) − ⟨c′ (t), c ′′ )<br />
(t)⟩<br />
∥c ′ (t)∥ 4 ⋅ c ′ (t) .<br />
Wir bemerken: Das Vektorfeld kann auch über die Formel<br />
(<br />
1<br />
˜k(t) =<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c ′ (t), − ⟨c′ (t), c ′′ )<br />
(t)⟩<br />
∥c ′ (t)∥ 2 c ′ (t)<br />
29
Kapitel 4<br />
Der Satz von Fenchel<br />
4.1 Einleitung<br />
Um was soll es in diesem Kapitel gehen?<br />
Das Kapitel wird sich ausschließlich mit dem Satz von Fenchel auseinander setzen, der angibt, wie stark<br />
sich eine Raumkurve krümmen muss, um sich komplett zu schließen bzw., wie man einer Kurve ansehen<br />
kann, ob sie in einer Ebene liegt oder nicht. Ziel ist es, diesen Satz zu beweisen.<br />
Um den Beweis zu verstehen, wird es zunächst einen kleinen Exkurs in die sphärische Geometrie<br />
geben, um einige Begrifflichkeiten bereitzustellen, die für das Verständnis der Definitionen und Lemmata<br />
erforderlich sind. Danach werden wir zwei Lemmata beweisen, mit denen der Beweis des Satzes von<br />
Fenchel sehr leicht ist. Abschließen werden wir selbstverständlich mit dem Beweis des Fenchel-Satz.<br />
4.2 Exkurs in die sphärische Geometrie<br />
Die sphärische Geometrie beschäfitigt sich mit der Geometrie der Kugel. Sie unterscheidet sich in einigen<br />
Punkten stark von der ebenen euklidischen Geometrie. Sie erfüllt das Parallelenaxiom nicht, da sich zwei<br />
Großkreise, das Analogon der Geraden auf einer Kugel, stets schneiden (siehe auch Abschnitt 4.2.1). Viele<br />
aus der euklidischen Geometrie bekannten Sätze, sowohl der Satz über die Winkelsumme im Dreieck, als<br />
auch der Satz des Pythagoras, haben auf einer Kugel keine Gültigkeit mehr.<br />
Abbildung 4.1: Der sphärische Raum.<br />
30
4.2 Exkurs in die sphärische Geometrie<br />
4.2.1 Großkreise - Die „Geraden“ auf der Kugel<br />
Als Großkreis wird in der sphärischen Geometrie jeder Kreis auf der Kugeloberfläche bezeichnet, dessen<br />
euklidischer Mittelpunkt gleichzeitig der Mittelpunkt der Kugel ist. Man erhält also einen Großkreis,<br />
indem man die Kugel mit einer beliebigen Ebene schneidet, die den Kugelmittelpunkt enthält. So ist<br />
beispielsweise der Äquator auf der Erdkugel ein Großkreis. Er unterteilt die Kugeloberfläche in zwei<br />
gleich große Teile.<br />
Großkreise werden in der sphärischen Geometrie als Geraden bezeichnet. Hier zeigt sich ein Unterschied<br />
zwischen sphärischer und euklidischer Geometrie: Laut dem Parallelenaxiom der euklidischen<br />
Geometrie schneiden sich zwei Geraden nicht zwangsläufig, zum Beispiel dann nicht, wenn sie parallel<br />
sind. Zwei Geraden auf der Kugeloberfläche, also Großkreise, schneiden sich jedoch immer, nämlich in<br />
zwei gegenüberliegenden Punkten der Kugel.<br />
4.2.2 Großkreisbögen - Die „Strecken “ auf der Kugel<br />
Sucht man auf der Kugeloberfläche die kürzeste Verbindung zwischen zwei beliebigen Punkten A und<br />
B, so erkennt man, dass diese den Teil eines Großkreises darstellt. Klappt man nun alle Schnittkreise<br />
in die Großkreisebene, so erkennt man, dass der Großkreisbogen b die kürzeste Verbindung zwischen<br />
den Punkten A und B darstellt und direkt auf der Kugeloberfläche verläuft, während die Bögen der<br />
kleineren Kreise b 1 und b 2 aus der Kugeloberfläche „herausragen “ und somit länger sein müssen (siehe<br />
auch Abbildung 4.2).<br />
Abbildung 4.2: Die Großkreisbögen<br />
Daher ist in der sphärischen Geometrie jede Strecke zwischen zwei beliebigen Punkten ein Teil eines<br />
Großkreisbogens. Wenn man beispielsweise auf einem Globus einen Gummifaden zwischen zwei Punkten<br />
spannt, dann verläuft dieser ebenfalls entlang eines Großkreises. Außerdem erklärt dies, warum Großkreise<br />
in der sphärischen Geometrie als Geraden bezeichnet werden: Auch in der euklidischen Geometrie liegt<br />
die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten auf der Geraden, die durch sie verläuft.<br />
31
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
Abbildung 4.3: Der sphärischer Raum mit zwei Punkten.<br />
4.2.3 Ein paar Begrifflichkeiten<br />
Nun einige wichtige Begriffe, die für das Verständnis des Vortrages nützlich sein können.<br />
Als Halbkugel bzw. Hemisphäre bezeichnet man allgemein die Hälfte einer Kugelschale oder eines Kugelkörpers.<br />
Unter einer offenen bzw. abgeschlossenen Hemisphäre versteht man anschaulich die Kappen ohne<br />
bzw. mit dem Äquator.<br />
Unter einer Sphäre versteht man die Verallgemeinerung der Kugeloberfläche auf beliebig viele Dimensionen.<br />
Definitionsgemäß besteht die Sphäre einer Kugel nur aus der verallgemeinerten Oberfläche.<br />
Die n-dimensionale Sphäre (kurz n-Sphäre) ist die Oberfläche einer (n + 1)-dimensionalen Kugel. Sie<br />
wird mit S n bezeichnet.<br />
Die 1-Sphäre ist der Einheitskreis auf der Ebene.<br />
Eine 2-Sphäre kann man sich zwar im 3-dimensionalen Raum vorstellen, ist jedoch (lokal) durch 2-<br />
dimensionale Karten beschreibbar. Die 2-Sphäre ist einfach die gewöhnliche Kugeloberfläche im „Raum“.<br />
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
Nun zum eigentlichen Satz. Zuvor ein paar Definitionen und Sätze.<br />
Definition 4.1 (Totalkrümmung) Sei c : [a, b] −→ R 3 eine reguläre nach Bogenlänge parametrisierte<br />
Raumkurve. Dann ist die Totalkrümmung von c definiert als<br />
∫ L<br />
k(c) ≥ k(s) ds<br />
0<br />
Hierbei ist L ≥ L[c] die Länge der Kurve von c.<br />
Wenn wir den Begriff der sphärischen Kurve kennen, dann kann man sagen, dass die Totalkrümmung<br />
nichts anderes als die Gesamtlänge einer sphärischen Kurve ist.<br />
Ein paar Bemerkungen:<br />
32
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
Ist c nicht nach der Bogenlänge parametrisiert, so gilt<br />
k(c) ≥<br />
∫ b<br />
a<br />
k(t)∥ ˙c(t)∥ dt.<br />
Das kann man leicht begründen: Man hat die Umparametrisierung<br />
s ≥ ψ(t) ≥<br />
∫ t<br />
0<br />
∥ ˙c(t)∥ dt mit ds<br />
dt ≥ ∥ ˙c(t)∥. Hierbei liefert t ≥ ψ−1 (s) , c ≥ c ⋅ ψ −1 die Parametrisierung<br />
nach der Bogenlänge.<br />
Für die Kurve gilt die anschauliche Vorstellung zur Totalkrümmung:<br />
∫<br />
k ist der Winkel φ, um den der Tangentenvektor v = c ′ von einer Ausgangsposition aus gedreht<br />
wird. Die Zahl k(c∣ [t0 ,t 1 ]) ≥ ∫ t 1<br />
t 0<br />
k(t) dt ≥ φ(t 1 ) − φ(t 0 ) nennt man die Totalkrümmung der<br />
Kurve c∣ [t0 ,t 1 ]. Sie ist der Gesamtwinkel, den der Einheitsvektor c ′ für t 0 ≤ t ≤ t 1 durchmisst.<br />
Für eine geschlossene Raumkurve ist ihre Parametrisierung nach der Bogenlänge periodisch und<br />
eindeutig bis auf die Parametertransformationen der Form<br />
t → ±t+t 0 . Derartige Parametertransformationen ändern nichts an dem Wert der Totalkrümmung.<br />
Wir können also auch von der Totalkrümmung einer geschlossenen Raumkurve sprechen, nicht nur<br />
von der Totalkrümmung parametrisierter Kurven.<br />
Für ebene Kurven wurde schon gezeigt:<br />
c einfach geschlossen<br />
⇒ ∫ L<br />
0 k(s) ds = ±2π (Umlaufsatz von Hopf1 ) ⇒ ∫ L<br />
0<br />
∣k(s)∣ ds ≥<br />
}{{}<br />
Δ-Ungleichung für<br />
Integrale<br />
∣ ∫ L<br />
0<br />
k(s) ds∣ = 2π<br />
(Diese Abschätzung gilt auch für beliebige geschlossene reguläre Kurven.) Gleichheit gilt, falls c konvex ist,<br />
denn für konvexe Kurven ändert sich das Vorzeichen der Krümmung nicht.<br />
Satz 4.2 (Der Satz von Fenchel:) Sei c : [a, b] −→ R 3 eine nach Bogenlänge parametrisierte geschlossene<br />
Kurve der Länge L. Dann gilt für die Totalkrümmung:<br />
k(c) ≥<br />
∫ L<br />
0<br />
k(s) ds ≥ 2π<br />
Gleichheit gilt genau dann, wenn c eine einfach geschlossene konvexe ebene Kurve ist.<br />
Anmerkung: Wenn c nicht nach der Bogenlänge parametrisiert ist, gilt die Aussage entsprechend für<br />
k(c) ≥<br />
∫ b<br />
a<br />
k(t)∥ ˙c(t)∥ dt ≥ 2π.<br />
Den Satz können wir so interpretieren: Der Satz von Fenchel sagt also etwas über den Zusammenhang<br />
zwischen der Totalkrümmung und dem Kurvenverlauf einer Kurve aus, insbesondere gibt er an, wie man<br />
der Totalkrümmung ansehen kann, dass die Kurve in einer Ebene liegt. Weiterhin sagt der Satz, wie stark<br />
sich eine Raumkurve mindestens krümmen muss, um sich zu schließen. Damit sich eine Kurve schließt,<br />
1 Der Umlaufsatz von Hopf besagt, dass eine einfach geschlossene Kurve die Umlaufzahl ±1 besitzt, wobei für die Umlaufzahl<br />
n c = 1<br />
2π<br />
∫ L<br />
0 k(t) dt 33
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
muss ihre Totalkrümmung also mindestens 2π betragen.<br />
L∫<br />
Der Satz von Fenchel stellt die Forderung k(c) ≥ k(s)ds ≥ 2π nicht nur an einfach geschlossene<br />
Kurven (wie das im Umlaufsatz von Hopf der Fall ist), sondern verallgemeinert die Aussage noch etwas<br />
mehr.<br />
Um den Satz von Fenchel leicht beweisen zu können, benötigen wir eine Definition und zwei Lemmata.<br />
Definition 4.3 (Sphärischen Kurve:) Sei c : [a, b] −→ R 3 eine reguläre Raumkurve. Dann definiert man<br />
die sphärische Kurve (auch tangentiale Indikatrix genannt) wie folgt:<br />
γ c : [a, b] → S 2 ⊂ R 3<br />
γ c (t) ≥<br />
0<br />
˙c(t)<br />
∥ ˙c(t)∥<br />
Wir bemerken: Man kann die Indikatrix auch allgemeiner für R n definieren:<br />
Die Indikatrix c ind einer regulär parametrisierten Kurve c : I −→ R n ist die Abbildung<br />
c ind : I −→ S n−1 ⊂ R n , c ind (t) =<br />
˙c(t)<br />
∥ ˙c(t)∥ .<br />
Kurven auf der Kugeloberfläche heißen also sphärische Kurven. Wichtige sphärische Kurven sind Großkreise<br />
oder Kleinkreise. Die Kurve γ c ist im Allgemeinen weder regulär noch nach Bogenlänge parametrisiert.<br />
Die Frenet-Kurven im Raum sind also genau die regulären Kurven c : I −→ R 3 mit regulärer<br />
Indikatrix γ c . Die totale Absolutkrümmung (Totalkrümmung) ∫ L<br />
0<br />
k(s) ds ist also nichts anderes als die<br />
Gesammtlänge von γ c als sphärische Kurve.<br />
Die Totalkrümmung ist jedoch definiert als k(c) = ∫ L<br />
L∫<br />
0 k(s) ds = ∣c ′′ ∣ = L[c ′ ]. Der Satz von Fenchel<br />
fragt sich danach also, wieso die Länge des Tangentialbildes, d. h. der Kurve v = c ′ : I → S 2 , nicht<br />
kleiner als 2π sein kann.<br />
Lemma 4.4 Ist c : I −→ R 3 geschlossen (periodisch, regulär parametrisiert), dann liegt γ c in keiner<br />
offenen Hemisphäre.<br />
γ c liegt in einer abgeschlossenen Hemisphäre genau dann, wenn c in einer Ebene (allgemeiner: affine<br />
Hyperebene im R n ) liegt. In diesem Fall liegt γ c in einem Großkreis.<br />
Beweis: Da sich die Spur der Indikatrix nicht ändert, wenn man die Kurve c umparametrisiert, können<br />
wir Œ annehmen, dass c nach der Bogenlänge parametrisiert ist mit der Periode L.<br />
0<br />
“=⇒ “:<br />
Angenommen γ c liegt in einer abgeschlossenen Hemisphäre. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit<br />
nehmen wir an, dass γ c in der nördlichen Hemisphäre enhalten ist. Ansonsten führen wir eine geeignete<br />
Rotation durch. Weiterhin sei c(t) = (x(t), y(t), z(t)) und<br />
γ c (t) = (γc 1 (t), γc 2 (t), γc 3 (t)).<br />
34
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
Da γ c in der nördlichen Hemisphäre liegt, gilt<br />
γ 3 c (t) ≥ ˙z(t) ≥ 0 ∀t ∈ I<br />
Dann ist z(L) − z(0) = ∫ L<br />
0 ˙z(t) dt = 0, da c geschlossen ist. Denn dann gilt c(L) = c(0) und insbesondere<br />
z(L) = z(0). Da nun aber ˙z(t) ≥ 0 , ∀ ∈ I, impliziert dies ˙z(t) = 0 , ∀t ∈ I. Deswegen kann die<br />
Indikatrix nicht in einer offenen Hemisphäre enthalten sein (siehe auch unten stehende Bemerkung). Da<br />
nun ˙z(t) = 0 , ∀t ∈ I ist z(t) konstant. Folglich liegt c in einer Ebene. Eine kleine Bemerkung:<br />
L∫<br />
γ c liegt in der offenen Hemisphäre genau dann wenn γc 3 (t) > 0 , ∀t ∈ I. Daraus ergibt sich ˙z(t) dt > 0.<br />
Dies ist ebenfalls ein Widerspruch zu unserem Ergebnis.<br />
0<br />
“⇐= “:<br />
Nun liege c in einer Ebene. Dann existiert ein v ∈ S 2 mit < c(s) − c(0) , v >≥ 0 ∀t. Daraus ergibt sich,<br />
Abbildung 4.4: Der Fall, wenn c in einer Ebene liegt.<br />
dass γ c in einem Großkreis, nämlich in S 2 ∩ v ⊥ , liegt. Das wiederum bedeutet aber gerade, dass γ c auf<br />
dem Rand einer offenen Hemisphäre liegt. Damit ist alles gezeigt.<br />
Lemma 4.5 Sei γ eine geschlossene Kurve in S 2 . Dann gilt:<br />
a) L[γ] < 2π ⇒ γ liegt in einer offenen Hemisphäre.<br />
b) L[γ] = 2π ⇒ γ liegt in einer abgeschlossenen Hemisphäre.<br />
Beweis: Wir wählen Punkte p, q ∈ γ mit L[γ 1 ] ≥ L[γ 2 ] ≥ L 2 , wobei γ 1 das Kurvensegment von p nach<br />
q und γ 2 das Kurvensegment von q nach p ist. (Die Kurvensegmente γ 1 = pq und γ 2 = qp haben also<br />
die gleiche Länge L 2 .) Es gilt also γ ≥ γ 1 + γ 2 .<br />
Durch bzw. nach geeigneter Drehung kann man Œ folgendes annehmen:<br />
p, q und der Nordpol liegen auf einem Großkreis<br />
der Abstand von p nach N (auf der Sphäre) ist gleich dem Abstand von q nach N, d. h. eine 180<br />
Grad -Drehung überführt p in q und umgekehrt.<br />
35
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
Abbildung 4.5: Die geschlossene Kurve aus γ 1 und γ 2 .<br />
Abbildung 4.6: p, q und N auf einem Großkreis.<br />
36
4.3 Der Satz von Fenchel<br />
Wir können weiterhin annehmen, dass γ den Äquator schneidet. Denn würde γ den Äquator nicht<br />
schneiden, so würde γ schon in einer offenen Hemisphäre liegen und wir hätten nichts zu zeigen.<br />
Anderfalls schneidet entweder γ 1 oder γ 2 den Äquator.<br />
Œ(der andere Fall behandelt sich analog) soll γ 1 den Äquator in Punkt r schneidet.<br />
Abbildung 4.7: γ 1 schneidet den Äquator in r.<br />
Man ersätzt nun γ 2 durch die um 180 Grad um die z-Achse gedrehte Kurve (Punktspiegelung). Genauer:<br />
Sei φ : S 2 → S 2 die Punktspiegelung am Nordpol. Da p, q und N auf demselben Großkreis liegen und<br />
p, q denselben Abstand zum Nordpol besitzen, ist φ(p) = q , φ(q) = p. Durch eine Punktspiegelung der<br />
Kurve γ 1 erhalten wir eine Kurve γ 2 ′ .<br />
Die neue Kurve γ ′ ≥ γ 1 + γ 2 ist wieder geschlossen und hat die Länge L. Weiter gilt:<br />
γ ′ 2 hat die Länge L 2<br />
(denn Drehungen erhalten Längen)<br />
γ ′ schneidet den Äquator in diametral gegenüberliegenden Punkten r und r ′ . D. h. r und r ′ gehen<br />
durch eine 180 Grad-Drehung auseinander hervor<br />
Länge rr ′ ≥ der Länge r ′ r, wobei rr ′ ≥ Kurvenstück von r nach r ′ im Durchlaufsinn von γ<br />
Da nun Länge pr ≥ Länge pr ′ ≥ folgt:<br />
Länge rr ′ ≥ Länge pq − Länge pr + Länge qr ′ ≥ Länge pq ≥ L 2<br />
37
4.4 Abschluss und Ausblick<br />
Wir wissen: Die Großkreise geben die kürzeste Verbindung von Punkten auf der Sphäre an. Der Abstand<br />
ist gegeben durch die Länge auf den verbindenden Großkreisen.<br />
Daraus ergibt sich:<br />
Der Abstand von r und r ′ auf der Sphäre ist π<br />
L<br />
2 ≥ π, da die Länge von rr′ nicht kleiner sein kann als π, denn der Großkreis ist die Verbindungskurve<br />
kleinster Länge<br />
⇒ L ≥ 2π<br />
Gleichheit gilt, falls r, r ′ , q, p auf einem Großkreis liegen.<br />
In diesem Fall ist γ der Rand einer Hemisphäre.<br />
Wir haben also gezeigt:<br />
L[γ] ≥ 2π oder γ liegt in einer offenen Hemisphäre.<br />
L[γ] = 2π ⇒ γ liegt in einer abgeschlossenen Hemisphäre.<br />
⇒ γ ist ein Großkreis (= Rand einer Hemisphäre)<br />
Nun zum Beweis des Satzes von Fenchel:<br />
Beweis des Fenchel-Satzes: Nach Lemma 4.4 kann γ c nicht in einer offenen Hemisphäre liegen und nach<br />
Lemma 4.5 ist ihre Länge L nach unten durch 2π beschränkt.<br />
Nun gilt aber:<br />
2π ≤ L ≥<br />
∫ L<br />
∥ ˙γ c (t)∥ dt<br />
γ c(t)= ˙c(t)<br />
{}}{<br />
=<br />
∫ L<br />
∥¨c(t)∥ dt ≥<br />
∫ L<br />
k(t) dt<br />
0<br />
0<br />
0<br />
Gleichheit gilt genau dann, wenn γ c ein einfach durchlaufender Großkreis auf S 2 ist. Damit ist c eine<br />
einfach geschlossene Kurve.<br />
Damit ist auch der Satz von Fenchel bewiesen.<br />
4.4 Abschluss und Ausblick<br />
Der Satz von Fenchel besitzt eine Verschärfung von Fary und Milnor, welche besagt:<br />
Wenn eine geschlossene Raumkurve verknotet ist, dann ist ihre Totalkrümmung sogar größer als 4π.<br />
Leider können wir hier nicht mehr darauf eingehen, da es den Rahmen sprengen würde. Wir verweisen<br />
auf die Literatur.<br />
38
Kapitel 5<br />
Jordan-Kurven und Mannigfaltigkeiten<br />
In diesem Paragraphen wollen wir einen kleinen Abstecher zu besonderen Kurven machen, nämlich zu<br />
den Jordan-Kurven. Dies sind Kurven, die sich nicht selbst schneiden. Des Weiteren werden wir einen<br />
kleinen Exkurs in die Mannigfaltigkeiten vornehmen, denn dieser Begriff umfasst sowohl Kurven als<br />
auch Flächen und ermöglicht es aber zugleich, die beiden Konzepte im Wesentlichen zu verallgemeinern.<br />
5.1 Jordan-Kurven<br />
Wie oben erwähnt, bezeichnet man Kurven, die sich selbst nicht schneiden, als Jordan-Kurven. Im Allgemeinen<br />
kann sich eine Kurve selbst schneiden. Das bedeutet, es gibt für eine Parametrisierung c(t)<br />
Parameterwerte t 1 ∕= t 2 , für die c(t 1 ) = c(t 2 ) ist. Während im Raum ein solcher Schnittpunkt durch<br />
eine beliebige kleine Verformung der Kurve entfernt werden kann, ist das in der Ebene nicht möglich. Für<br />
viele Zweckesind aber gerade Kurven interessant, die sich nicht auf derartige Weise selbst schneiden, und<br />
dieser verdinen daher einen eignenen Namen.<br />
Definition 5.1 (Jordan-Kurve) Eine Kurve c(t) heißt Jordan-Kurve, wenn für jede Parametrisierung c(t)<br />
mit c ′ (t) ∕= 0, t ∈ [a, b] ⊂ R gibt, so dass für alle t k ∈ [a, b] aus t 1 ∕= t 2 immer c(t 1 ) = c(t 2 ) folgt. Als<br />
einzige Ausnahme wird c(a) = c(b) zu gelassen.<br />
Jordan-Kurven dürfen demnach geschlossen sein. Abgesehen davon darf es aber keine weiteren „Doppelpunkte<br />
“geben. Jordan- und allgemeine Kurven sind einander in den folgenden Abbildungen 5.1 und<br />
5.2 dargestellt.<br />
Abbildung 5.1: Beispiele für Jordan-Kurven.<br />
Abbildung 5.2: Drei Kurven, die keine Jordan-Kurven sind.<br />
39
5.1 Jordan-Kurven<br />
Dass lediglich die Existenz einer Parametrisierung mit den gewünschten Eigenschaften gefordert wird,<br />
liegt in unserer Definition einer Kurve begründet. So parametrisiert<br />
c(t) = (cos(t), sin(t)), t ∈ [0, 2π]<br />
denselben Kreis wie<br />
bzw.<br />
c(t) = (cos(t), sin(t)), t ∈ [0, 4π]<br />
c(t) = (cos(2t), sin(2t)), t ∈ [0, 2π].<br />
Dies haben wir schon in den Kapiteln 1 und 2 gesehen. Der ersten Parametrisierung sieht man die Jordan-<br />
Eigenschaft unmittelbar an, der zweiten nicht. Dies kommt daher, dass zu jedem Punkt zu mindestens zwei<br />
Parameterwerte korrespondieren. Durch eine geeignete Umparametrisierung kann das geändert werden,<br />
ohne Form oder Orientierung der Kurve zu verändern.<br />
Beispiel:<br />
Die Kurve, die durch c(t) = (cos 2 (t), cos(t) sin(t)), t ∈ [0, 2π] parametrisiert wird,<br />
ist keine Jordan-Kurve, da t 1 = π 2 und t 2 = 3π 2<br />
beide dem Punkt (0, 0) entsprechen. Auch beliebige<br />
Umparametrisierungen können diese „Doppelpunkteigenschaft “nicht entfernen.<br />
Die Schraubenlinie c(t) = (a cos(t), a sin(t), bt), t ∈ R mit a > 0 und b > 0 ist eine Jordan-<br />
Kurve. Wegen c 3 (t) = bt können zwei Punkte der Kurve für unterschiedliche Werte des Parameters<br />
nie übereinstimmen.<br />
Wir betrachten nun c(t) = (2 sin(cos(t)), t 3 , t 2 cosh(t)), t ∈ [0, 2π]. Dies Kurve hat zwar eine<br />
komplizierte Gestalt, wir können jedoch sofort erkennen, dass es sich um eine Jordan-Kurve handeln<br />
muss. Da die Funktion c 2 : R → R, c 2 (t) := t 3 streng monoton wachsend ist, folgt aus<br />
t 1 ∕= t 2 stets c 2 (t 1 ) ∕= c 2 (t 2 ).<br />
In den letzten beiden Beispielen finden wir bereits ein nützliches Kriterium, um Jordan-Kurven zu<br />
erkennen: Ist zumindestens eine Komponentenfunktion eine streng monoton wachsende Funktion des<br />
Parameters, so hat man eine Jordan-Kurve vorliegen, da es so keine „Doppelpunkte “geben kann. Strenge<br />
Monotonie in einer Komponente ist hinreichend für das Vorliegen einer Jordan-Kurve, aber keineswegs<br />
notwendig, wie man etwa am Beispiel des einfach durchlaufenden Kreises sieht.<br />
Satz 5.2 Geschlossene Jordan-Kurven in der Ebene haben ein Inneres und Äußeres.<br />
Beweis: Wir wollen keinen richtigen Beweis geben, sondern versuchen Äußeres und Inneres zu definieren.<br />
Auf dem ersten Blick scheint es nicht schwierig zu sein, für eine geschlossene Kurve im R 2 ein<br />
Inneres und ein Äußeres zu definieren. Tatsächlich treten aber einige konzeptionelle Schwierigkeiten auf.<br />
Eins ist in der folgenden Abbildung 5.3 dargestellt. Man kann sich im schattierten „Inneren “der Kurve<br />
bewegen und dennoch die Kurve selbst (auch mehrfach) überqueren. Noch schlimmer im Fall der obigen<br />
Abbildung 5.3. Eine kleine Verformung der Kurve scheint aus dem großen Bereich des „Äußeren “einen<br />
Teil des „Inneren “zu machen. Das, was „außen “oder „innen “ist, kann anscheinend auf unstetige Weise<br />
von kleinen Änderungen des Kurvenverlaufs abhängen. All deise Probleme legen naje, dass die Definition<br />
von Äußerem und Innerem einer Kurve nicht einfach ist und in bestimmten Situationen der naiven<br />
Anschauung widerspricht. So könnte man als Inneres der Kurve aus Abbildung 5.3 und 5.4 stattdessen<br />
40
5.1 Jordan-Kurven<br />
Abbildung 5.3: Anschaulich würde man as gesamte orange schattierte Gebiet als Inneres der Kurve bezeichnen.<br />
Allerdings kann man dann, wie rechts dargestellt, die Kurve überqueren und dennoch immer im<br />
Inneren bleiben.<br />
die in Abbildung 5.5 schattierten Bereiche ansehen. Alle Probleme in den vorangegangenen Beispiele<br />
Abbildung 5.4: Nennt man das blau schattierte Gebiet das Innere der Kurve, so wird ein großer Bereich durch eine<br />
kleine Verformung der Kurve von „außen “zu „innen “.<br />
Abbildung 5.5: Als Inneres der Kurve aus den Abbildungen 5.3 und 5.4 könnte etwa nur das hier schattierte Gebiet<br />
zugelassen werden.<br />
hatten aber ihren Ursprung darin, dass es Punkte gab, in denen sich die Kurven selbst schnitten. Für<br />
Jordan-Kurven gilt das folgende wichtige Resultat.<br />
Satz 5.3 (Jordanscher Kurvensatz) Jede geschlossene Jordan-Kurve C zerlegt R 2 ∖ C ∗ in zwei disjunkte<br />
einfach zusammenhängende offene Teilmengen, von denen genau eine beschränkt ist.<br />
C ∗ bezeichnet dabei das Bild der Kurve. Eine geschlossene Jordan-Kurve hat demnach, wie es die<br />
Anschauung nahelegt, tatsächlich ein Inneres und ein Äußeres. Diese Feststellung ist allerdings schwierig<br />
zu beweisen und wir verzichten an dieser Stelle darauf.<br />
41
5.2 Mannigfaltigkeiten<br />
5.2 Mannigfaltigkeiten<br />
Der Begriff der Mannigfaltigkeit umfasst sowohl Kurven als auch Flächen, ermöglicht es aber zugleich,<br />
die beiden Konzepte wesentlich zu verallgemeinern. Dabei fordert man im Wesentlichen nur die lokale<br />
„Ähnlichkeit “zum R n . Wir beginnen mit einem „Ausgangsraum “X, den wir so allgemein wie möglich<br />
halten. Die „Ähnlichkeit “zum R n präsizieren wir, indem wir zunächst den Begriff der Karte einführen.<br />
Als n-dimensiononale Karte (oder lokales Koordinatensystem) auf einem Raum X definieren wir einen<br />
Homöomorphismus h : U → U ′ ⊂ R n , wobei U ⊂ X ist, und sowohl U als auch U ′ offen sind. Wenn<br />
jeder Punkt von X einem möglichen Kartengebiet U angehört, so heißt X lokal euklidisch. Meist wird<br />
man mehrere Karten brauchen, um ganz X erfassen zu können. Diese Karten sollen untereinander verträglich<br />
sein. Noch besser: Der Übergang zwischen zwei Karten soll sogar diffeomorph sein, das heißt<br />
differenzierbar. Eine ganze Sammlung von entsprechend gut verträglichen Karten, die zusammen ganz X<br />
Abbildung 5.6: Der Begriff der Karte einer Mannigfaltigkeit.<br />
erfassen, nennt man einen Atlas. Der maximale Atlas, der alle Karten, zwischen denen ein diffeomorpher<br />
Wechsel überhaupt möglich ist, enthält, definiert nun eine Mannigfaltigkeit, vorausgesetzt der ursprüngliche<br />
Raum X erfüllt einige recht allgemeine Eigenschaften. Der Mannigfaltigkeitsbegriff schließt, wie ja<br />
auch gewünscht, Kurven und Flächen mit ein. Dort geht man bei der Definition jedoch meist den Weg<br />
in die andere Richtung. Man wählt sich einen günstigen Parameterbereich U ′ ⊂ R n und parametrisiert<br />
dann die Fläche mittels x(u, v) mit u, v ∈ U ′ . Dieses x(u, v) ist natürlich in obiger Notation gerade<br />
die Umkehrfunktion h −1 von h und U ′ wird wenn möglich so gewählt, dass die ganze Fläche damit beschrieben<br />
werden kann. Man braucht sich in diesem Fall um Kartenübergänge oder gar Atlanten keinerlei<br />
Gedanken machen. Allerdings lässt sich bereits die Kugel nicht mehr mit einer Karte beschreiben. In jeder<br />
flachen Weltkarte gibt es zumindestens einen Punkt auf der Erde, der nicht auf einen Punkt auf der<br />
Karte abgebildet wird. In den üblichen Darstellungen sind es sogar zwei: Nord- und Südpol. Auch die Riemannsche<br />
Zahlenkugel illustriert das. Dem Nordpol entspricht kein Punkt in der komplexen Ebene. Zwei<br />
Dinge gibt es, die wir im Zusammenhang mit Mannigfaltigkeiten noch erwähnen wollen: Das erste ist der<br />
Begriff des Tangentialraums. Dieser umfasst die Spezialfälle des Tangentialvektors an einer Kurve und<br />
der Tangentialebene an eine Fläche. Den Tangentialraum T p M an eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit<br />
M im Punkt p ∈ M kann man sich am einfachsten als jeden n-dimensionalen Vektorraum vorstellen,<br />
der von den Tangentialvektoren aller differenzierbaren Kurven durch p aufgespannt wird. Die Menge aller<br />
Tangentialräume einer n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M wird Tangentialbündel von M genannt<br />
42
5.3 Zusammenfassung<br />
Abbildung 5.7: Der Tangentialraum einer Mannigfaltigkeit M in einem Punkt p ∈ M.<br />
und wir schreiben<br />
T M := ∪<br />
T p M.<br />
p∈M<br />
Das Tangentialbündel ist eine 2n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Die zweite Anmerkung ist etwas, das<br />
dem abstrakten Mannigfaltigkeitsbegriff auf den ersten Blick viel von seiner Tragweite nimmt, der Einbettungssatz<br />
von Withney:<br />
Satz 5.4 (Einbettungssatz von Withney) Jede n-dimensionale Mannigfaltigkeit lässt sich in den R 2n+1<br />
einbetten.<br />
So gesehen kann man Mannigfaltigkeiten tatsächlich immer als Untermengen eines R n auffassen. In<br />
den allermeisten Fällen ist es aber sehr schwierig, solche Einbettungen zu finden und es ist daher zielführender<br />
sich gar nicht um diese Einbettungen zu kümmern.<br />
5.3 Zusammenfassung<br />
Definition 5.5 (Jordan-Kurve) Eine Kurve c(t) heißt Jordan-Kurve, wenn für jede Parametrisierung c(t)<br />
mit c ′ (t) ∕= 0, t ∈ [a, b] ⊂ R gibt, so dass für alle t k ∈ [a, b] aus t 1 ∕= t 2 immer c(t 1 ) = c(t 2 ) folgt. Als<br />
einzige Ausnahme wird c(a) = c(b) zu gelassen.<br />
Satz 5.6 (Jordanscher Kurvensatz) Jede geschlossene Jordan-Kurve C zerlegt R 2 ∖ C ∗ in zwei disjunkte<br />
einfach zusammenhängende offene Teilmengen, von denen genau eine beschränkt ist.<br />
43
Kapitel 6<br />
Der Umlaufsatz<br />
In diesem Kapitel wollen wir definieren, was wir unter der Umlaufzahl einer Kurve verstehen und den<br />
Umlaufsatz herleiten. Ziel wird es sein, den Umlaufsatz zu verstehen und zu beweisen. Dazu müssen wir<br />
aber etwas ausholen und uns noch einmal den Kurvensatz von Jordan aus dem letzten Kapitel 5 vor Augen<br />
führen. Das sogenannte Liftungslemma wird hierbei auch eine große Rolle spielen.<br />
6.1 Die Umlaufzahl<br />
Definition 6.1 (Die Umlaufzahl) Sei c : R → R 2 eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve,<br />
periodisch mit Periode L. Sei Θ : R → R die Tangentenwinkel-Funktion. Dann ist die Umlaufzahl der<br />
Kurve c definiert durch<br />
n c := 1 (Θ(L) − Θ(0)).<br />
2π<br />
Wir bemerken: Um die Tangentenwinkel-Funktion zu verstehen, führen wir ein Lemma an.<br />
Lemma 6.2 Sei c : [a, b] ⊂ R → R 2 eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve. Dann gibt es eine<br />
C ∞ -Funktion Θ : [a, b] ⊂ R → R 2 , so dass<br />
( )<br />
c ′ cos(Θ(t))<br />
(t) =<br />
.<br />
sin(Θ(t))<br />
Sind Θ 1 und Θ 2 zwei solche Funktionen, so unterscheiden sie sich nur um ein ganzzahliges Vielfaches von<br />
2π, das heißt Θ 1 = Θ 2 + 2kπ mit k ∈ Z konstant. Insbesondere ist Θ(b) − Θ(a) eindeutig durch die<br />
Kurve c festgelegt.<br />
Abbildung 6.1: Anschauliche Erklärung der Zahl Θ(t).<br />
Die Zahl Θ(t) misst den Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor c ′ (t) und der x-Achse. Dieser<br />
Winkel ist allerdings nur bis auf ein ganzzahliges Vielfaches von 2π eindeutig. Jeder Einheitsvektor kann<br />
in der Form (cos(Θ(t)), sin(Θ(t))) geschrieben werden. Die wichtige Aussage des Lemmas 6.2 ist, dass<br />
44
6.1 Die Umlaufzahl<br />
die Winkelfunktion Θ(t) als stetige, ja sogar glatte Funktion gewählt werden kann. Kommen wir zum<br />
Beweis:<br />
Beweis: a) Wir betrachten den Fall, dass das Bild c ′ ([a, b]) ganz in einem der folgenden vier Halbkreise<br />
enthalten ist<br />
S R = {(x, y) T ∈ S 1 ⊂ R 2 : x > 0}<br />
S L = {(x, y) T ∈ S 1 ⊂ R 2 : x < 0}<br />
S O = {(x, y) T ∈ S 1 ⊂ R 2 : y > 0}<br />
S U = {(x, y) T ∈ S 1 ⊂ R 2 : y < 0}<br />
Rechter Halbkreis<br />
Linker Halbkreis<br />
Oberer Halbkreis<br />
Unterer Halbkreis<br />
Wir verwenden die Notation c(t) = (c 1 (t), c 2 (t)). Ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei das<br />
Bild im rechten Halbkreis. Daraus folgt dann sofort c ′ 1 (t) > 0. Für Θ(t) muss gelten<br />
c ′ 2 (t)<br />
( )<br />
sin(Θ(t))<br />
c<br />
′<br />
=<br />
(t) cos(Θ(t)) = tan(Θ(t)) ⇒ Θ(t) = arctan 2 (t)<br />
c ′ 1 (t) + 2kπ, k ∈ Z.<br />
c ′ 1<br />
k ist konstant, da Θ(t) sonst nicht stetig wäre. Es ergibt sich, dass Θ(t) sogar glatt ist.<br />
b) Wir lassen nun die Voraussetzung fallen, dass das Bild c ′ ([a, b]) ganz in einem Halbkreis enthalten<br />
ist. Unterteile dazu das kompakte Intervall [a, b] wie folgt durch<br />
a = t 0 < t 1 < . . . < t m = b,<br />
sodass c ′ ([t i , t i+1 ]) in einem der vier Halbkreise enthalten ist. Geben wir Θ(a) vor, so erhalten<br />
wir nach a) ein eindeutiges glattes Θ : [a, t 1 ] → R mit den gewünschten Eigenschaften. Daraus<br />
folgt, dass Θ(t 1 ) eindeutig festgelegt ist. Mit a) ergibt sich eine glatte Fortsetzung Θ : [a, t 2 ] → R.<br />
Induktiv erhalten wir Θ : [a, b] → R.<br />
Beispiel: Wir betrachten den Kreis mit Radius r, der durch<br />
c(t) :=<br />
( ( ) ( ))<br />
t t<br />
r cos , r sin<br />
r r<br />
parametrisiert sein soll. Die Periode ist gegeben durch L = 2πr. Es folgt<br />
c ′ (t) =<br />
( ( ) ( )) ( ( t t t<br />
− sin , cos = cos<br />
r r r + π ) ( t<br />
, sin<br />
2 r + π ))<br />
.<br />
2<br />
Die Winkelfunktion ergibt sich daher durch Θ(t) = t r + π 2<br />
. Nun können wir die Umlaufzahl berechnen,<br />
indem wir die Definition 6.1 anwenden. Sie ist gegeben durch<br />
n c = 1<br />
(<br />
1 2πr<br />
(Θ(2πr) − Θ(0)) = − π )<br />
= 1.<br />
2πr 2π r 2<br />
Das bedeutet nichts anderes, als dass alle Kreise die Umlaufzahl 1 besitzen.<br />
45
6.1 Die Umlaufzahl<br />
Verdeutlichen wir uns die Umlaufzahl an einigen Abbildungen 6.2, 6.3 und 6.4.<br />
Abbildung 6.2: Anschauliche Erklärung zur Umlaufzahl.<br />
Abbildung 6.3: Anschauliche Erklärung zur Umlaufzahl: Auch die Richtung ist wichtig.<br />
Abbildung 6.4: Anschauliche Erklärung zur Umlaufzahl: Auch die Richtung ist wichtig.<br />
Lemma 6.3 Seien c 1 , c 2 : R → R 2 zwei ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurven, periodisch mit<br />
Periode L. Entsteht c 2 aus c 1 durch eine orientierungserhaltende Parametertransformation, so gilt<br />
n c2 = n c1 .<br />
Entsteht c 2 aus c 1 durch eine orientierungsumkehrende Parametertransformation, so gilt<br />
n c2 = −n c1 .<br />
46
6.1 Die Umlaufzahl<br />
Beweis: Sei c 1 = c 2 ∘ φ und φ die Parametertransformation. Es ergibt sich, dass<br />
φ(t) = ±t + t 0 .<br />
Hier haben wir die Eindeutigkeit der Parametriserung nach Bogenlänge ausgenutzt. Das Vorzeichen hängt<br />
von der Orientierung ab, also ob diese entweder orientierungserhaltend oder orientierungsumkehrend ist.<br />
Sei φ orientierungserhaltend, das heißt φ(t) + t 0 . Es ergibt sich, dass<br />
c ′ 1(t) = c ′ 2(t + t 0 ) = (cos(Θ 2 (t + t 0 )), sin(Θ 2 (t + t 0 ))),<br />
also Θ 1 = Θ 2 ∘ φ. Hierbei ist Θ 1 (t) = Θ 2 (t + t 0 ) und Θ 2 (t) = Θ 1 (t − t 0 ). Mit Θ 1 ist auch ˜Θ 1 eine<br />
Winkelfunktion, für ˜Θ 1 (t) = Θ 1 (t + L), denn L ist die Periode der Kurve c. Es ergibt sich nun<br />
n c2 − n c1 = 1<br />
2π (Θ 2(L) − Θ 2 (0) − (Θ 1 (L) − Θ 1 (0)))<br />
= 1<br />
2π (Θ 1(L − t 0 ) − Θ 1 (t 0 ) − Θ 1 (L) + Θ 1 (0))<br />
= 1<br />
2π (( ˜Θ 1 (−t 0 ) − ˜Θ 1 (0)) − (Θ 1 (−t 0 ) − Θ 1 (0)))<br />
= 0 ⇒ n c1 = n c2 .<br />
Analog verfährt man im orientierungsumkehrenden Fall.<br />
Die Frage, die wir nun klären wollen, ist Von welcher Form ist die Umlaufzahl? Wir wollen nun beweisen,<br />
dass die Umlaufzahl immer eine ganze Zahl ist. Dies hängt mit der Winkelfunktion zusammen. Es ist<br />
cos(Θ(L)) = cos(Θ(0)) und sin(Θ(L)) = sin(Θ(0)). Mit der Eulerschen Identität<br />
e iΘ(L) = sin(Θ(L)) + i ⋅ cos(Θ(L))<br />
erhalten wir<br />
e iΘ(L) = e iΘ(0) ⇒ e i(Θ(L)−Θ(0)) = 1 ⇒ Θ(L) − Θ(0) ∈ 2πZ.<br />
Demnach ist die Umlaufzahl immer eine ganze Zahl. Es ist relativ umständlich immer mit der Winkelfunktion<br />
arbeiten zu müssen. Wir wollen daher einen Satz herleiten, der angibt, wie die Umlaufzahl noch<br />
einfacher zu berechnen und zu bestimmen ist.<br />
Satz 6.4 Sei c : R → R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte ebene periodische Kurve mit Periode L. Sei<br />
k : R → R die Krümmung von c. Dann gilt<br />
n c = 1<br />
2π<br />
∫ L<br />
0<br />
k(t) dt.<br />
Beweis: Es sei c ′ (t) = (cos(Θ(t)), sin(Θ(t))). Man kann zeigen, dass<br />
Θ ′ (t) = k(t). (6.1)<br />
47
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
Aus Gleichung (6.1) folgt nun, dass<br />
Damit ist alles gezeigt.<br />
n c = 1<br />
1<br />
(Θ(L) − Θ(0)) =<br />
2π 2π<br />
∫ L<br />
0<br />
Θ ′ (t) dt (6.1)<br />
= 1<br />
2π<br />
∫ L<br />
0<br />
k(t) dt.<br />
Zur Ergänzung und der Vollständigkeithalber zeigen wir nochmals Gleichung (6.1). Nach unserem<br />
Lemma 6.2 schreiben wir<br />
Differentation auf beiden Seiten liefert nun<br />
c ′ (t) = (cos(Θ(t)), sin(Θ(t))).<br />
c ′′ (t) = ( − sin(Θ(t))Θ ′ (t), cos(Θ(t))Θ ′ (t) ) .<br />
Andererseits wissen wir aber aus der Krümmungsdefinition, dass c ′′ (t) = k(t) ⋅ n(t). Es ergibt sich daher<br />
c ′′ (t) = k(t) ⋅ n(t) = k(t) ⋅ (− sin(Θ(t)), cos(Θ(t))) = (−k(t) sin(Θ(t)), k(t) cos(Θ(t)))<br />
und folglich die Behauptung Θ ′ (t) = k(t).<br />
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
In diesem Abschnitt geben wir einen wichtigen und interessanten Satz an, der etwas über die Umlaufzahjl<br />
einer einfach geschlossenen Kurve sagt:<br />
Satz 6.5 (Der Umlaufsatz von Hopf) Sei c : R → R 2 eine einfach geschlossene reguläre Kurve, das heißt<br />
c hat eine periodische reguläre Parametrisierung mit Periode L und c ist auf dem Intervall [0, L) injektiv.<br />
Eine einfache geschlossene ebene Kurve hat dann Umlaufzahl 1 oder −1.<br />
Anschaulich ist der Satz klar, wie uns Abbildung 6.5 demonstriert. Wir bemerken: Eine geschlossene<br />
Abbildung 6.5: Der Umlaufsatz von Hopf.<br />
ebene Kurve muss also einen Selbstschnitt haben, falls sie mehr als zwei Umläufte hat, das heißt die<br />
Umlaufzahl vom Betrag her muss größer oder gleich 2 sein. Um diesen Satz zu beweisen, müssen wir ein<br />
wenig ausholen und ein paar Lemmata anführen, die wir zunächst beweisen wollen. Mit diesen gelingt es<br />
uns dann aber nach harter Arbeit einen schönen Beweis des Umlaufsatzes von Hopf anzugeben.<br />
48
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
Lemma 6.6 (Liftungslemma) Sei X ⊂ R n sternförmig bzgl. einem Punkt x 0 . Sei e : X → S 1 ⊂ R 2 eine<br />
stetige Abbildung. Dann existiert eine stetige Abbildung Θ : X → R, so dass<br />
( )<br />
cos(Θ(x))<br />
e(x) =<br />
= e iΘ(x) ∀x ∈ X.<br />
sin(Θ(x))<br />
Die Abbildung Θ ist durch Vorgabe von Θ(x 0 ) = Θ 0 eindeutig bestimmt.<br />
Wir weisen auf das folgende kommutierende Diagramm hin, um sich das Liftungslemma vorzustellen:<br />
Abbildung 6.6: Das Liftungfslemma: Die Abbildung e wird zu Θ geliftet.<br />
Bevor wir zum Beweis des Liftungslemmas kommen, müssen wir uns zunächst klar machen bzw. definieren,<br />
was „sternförmig “für uns bedeuten soll.<br />
Definition 6.7 (sternförmig) Sei X ⊂ R n . Dann heißt X sternförmig bzgl. x 0 , falls für jeden Punkt<br />
x ∈ X die Strecke zwischen x und x 0 komplett in X enthalten ist, das heißt wenn<br />
tx + (1 − t)x 0 ∈ X ∀t ∈ [0, 1].<br />
Beispiel: Zwei Beispiele für eine sternförmige und nicht-sternförmige Menge zeigen Abbildungen 6.7<br />
und 6.8.<br />
Abbildung 6.7: Diese Menge ist sternförmig bzgl. x 0 .<br />
49
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
Abbildung 6.8: Diese Menge ist nicht sternförmig bzgl. x 0 .<br />
50
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
Beweis des Liftungslemmas: a) Sei n = 1, X = [0, 1] und x 0 = 0. Das heißt man möchte e :<br />
[0, 1] → S 1 ⊂ R 2 schreiben als e(t) = (cos(Θ(t)), sin(Θ(t))). Die Existenz von Θ folgt analog<br />
zur Existenz der Winkelfunktion. Man ersetzt c ′ durch e. Da e nur als stetig vorausgesetzt ist, kann<br />
auch Θ als stetig angesehen werden.<br />
b) Die Eindeutigkeit von Θ zeigen wir so: Sei X ⊂ R n sternförmig bzgl. x 0 , x ∈ X und e : X →<br />
S 1 ⊂ R 2 . Man definiert nun e X : [0, 1] → S 1 , e X (t) = e(tx + (1 − t)x 0 ). Mit a) folgt, dass genau<br />
ein Θ X : [0, 1] → R existiert mit Θ X (0) = Θ 0 und e X (t) = (cos(Θ(t)), sin(Θ(t))). Existiert ein<br />
Lift Θ, so folgt (da Θ X eindeutig ist)<br />
Insbesondere also Θ(x) = Θ X (1).<br />
Θ X (t) = Θ(tx + (1 − t)x 0 ).<br />
c) Die Stetigkeit von Θ : X → R sieht man so ein: Man definiert dafür Θ(x) := Θ X (1). Dann gilt<br />
( ) ( )<br />
cos(Θ(x)) cos(Θ X (1))<br />
=<br />
= e X (1) = e(x).<br />
sin(Θ(x)) sin(Θ X (1))<br />
Es bleibt noch die Stetigkeit zu zeigen. Sei x ∈ X, ε > 0, 0 = t 0 < t 1 < . . . < t N = 1 mit<br />
e x ([t i , t i+1 ]). Liegt also ganz in einem der vier Halbkreis. Wenn y ∈ X nahe bei x ist, dann folgt<br />
Wir schließen so:<br />
∥e X (t) − e Y (t)∥ < ε ∀t ∈ [0, 1].<br />
⇒ e y ([t i , t i+1 ]) liegt in demselben Halbkreis wie e X ([t i , t i+1 ])<br />
( )<br />
e2X (t)<br />
⇒ Θ X (t) = arctan + 2πk<br />
e 1X (t)<br />
( )<br />
e2Y (t)<br />
⇒ Θ Y (t) = arctan + 2πk<br />
e 1Y (t)<br />
Im Falle des linken oder rechten Halbkreises ist K fïr x und y dasselbe e = (e 1 , e 2 ) mit e X (1) =<br />
e(x). Hieraus ergbt sich<br />
Θ(x) − Θ(y) = Θ X (1) − Θ Y (1) = arctan<br />
Daraus folgt die Stetigkeit von Θ.<br />
( ) ( )<br />
e2 (x)<br />
e2 (y)<br />
− arctan .<br />
e 1 (x)<br />
e 1 (y)<br />
Beweis des Umlaufsatzes: Nun sind wir gewappnet, den Umlaufsatz zu beweisen. Auch dieser wird in<br />
drei Schritte geteilt.<br />
a) Es kann angenommen werden, dass<br />
– c(0) = (0, 0) und c ′ (0) = (0, 1).<br />
– c liegt links von der y-Achse.<br />
51
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
Wieso dürfen wir diese Einschränkung treffen? Ganz einfach: c : R → R 2 sei periodisch mit<br />
Periode L uns sei c = (c 1 , c 2 ). Dann gelten die folgenden Aussagen<br />
– Sei x 0 := max{c 1 (t) : t}. Das Maximum wird angenommen, da das Bild c(R) ⊂ R 2 kompakt<br />
ist, denn Bilder kompakter Mengen sind wieder kompakt. Wem diese Begründung nicht<br />
zusagt, der sei darauf verwiesen, dass wir es auch so begründen können: c : [0, L] → R 2 und<br />
[0, L] sind kompakt.<br />
– Sei L := {(x, y) ∈ R 2 : x = x 0 }. Die Gerade L schneidet die Kurve c in dem Punkt p.<br />
– Sei G := {p + s(1, 0) : s ∈ R}. Auf der Geraden G liegen für s > 0 keine Punkte von c.<br />
Abbildung 6.9: Die Gerade G.<br />
– Die Parametertransformation und die euklidischen Bewegungen liefern:<br />
* c(0) = (0, 0)<br />
* c ′ (0) = (0, 1)<br />
* c liegt links von der y-Achse.<br />
Weiter im Beweis:<br />
b) Sei X := {(t 1 , t 2 ) : 0 ≤ t 1 ≤ t 2 ≤ L}. X ist bezüglich (0, 0) sternförmig. Wir betrachten die<br />
Abbildung 6.10: Die Menge X.<br />
52
6.2 Der Umlaufsatz von Hopf<br />
folgende stetige Abbildung e : X → S 2 mit<br />
e(t 1 , t 2 ) := c(t 2) − c(t 1 )<br />
∥c(t 2 ) − c(t 1 )∥<br />
e(t 1 , t 2 ) := c ′ (t)<br />
e(t 1 , t 2 ) := −c ′ (0)<br />
für t 1 = t 2 = t<br />
für t 2 > t 1 , (t 1 , t 2 ) ∕= (0, L)<br />
für t 1 = 0, t 2 = L.<br />
Nach dem Liftungslemma 6.6 existiert ein Θ : X → R mit<br />
e(t 1 , t 2 ) = (cos(Θ(t 1 , t 2 )), sin(Θ(t 1 , t 2 ))).<br />
Insbesondere ist t → Θ(t, t) eine Winkelfunktion der Kurve c, da<br />
Hieraus folft<br />
Zum letzten Schritt:<br />
c ′ (t) = e(t, t) = (cos(Θ(t, t)), sin(Θ(t, t))).<br />
2πn c = Θ(L, L) − Θ(0, 0) = (Θ(L, L) − Θ(0, L)) + (Θ(0, L) − Θ(0, 0)).<br />
c) (1, 0) liegt nicht im Bild von t → e(0, t). Wieso? Dies ist ganz einfach. Begründen wir dies kurz:<br />
– Die Annahme, dass ein t ∈ [0, L) existiert mit e(0, t) = (1, 0) und<br />
( )<br />
c(t) − c(0)<br />
e(0, t) =<br />
∥c(t) − c(0)∥ = 1<br />
0<br />
liefert, dass c auf dem rechten Halbkreis von G liet. Dies ist ein Widerspruch und es folgt<br />
( )<br />
c(t) = c(0) + μ<br />
1<br />
0<br />
.<br />
– Es gilt ( )<br />
1<br />
⊥ c ′ (0) ,<br />
0 }{{}<br />
=c(0,0)<br />
( )<br />
1<br />
⊥ c ′ (0) .<br />
0 }{{}<br />
=c(0,L)<br />
Daraus folgt, dass das Bild der Abbildung t → Θ(0, t) in einem Intervall der Form (2πk, 2π(k+<br />
1)) liegt. Wir folgern nun<br />
( )<br />
Θ(0, L) = 3 2 π + 2πk, da e(0, L) = 0<br />
−c′ (0) =<br />
−1<br />
( )<br />
Θ(0, 0) = 1 2 π + 2πk, da e(0, 0) = 0<br />
c′ (0) =<br />
1<br />
⇒ Θ(0, L) − Θ(0, 0) = π<br />
53
6.3 Zusammenfassung<br />
( )<br />
−1<br />
Analog erhält man Θ(L, L) − Θ(0, L) = π. Hier nutzt man aus, dass nicht im Bild<br />
0<br />
von t → e(t, L), da ( )<br />
( )<br />
−1<br />
1<br />
= e(t, L) ⇒ c(L) + μ .<br />
0<br />
0<br />
Es ergibt sich nun<br />
2πn c = π + π = 2π,<br />
also n c = 1. Analog erhält man n c = −1, wenn man in die andere Richtung läuft. Damit ist auch der<br />
Umlaufsatz von Hopf bewiesen.<br />
6.3 Zusammenfassung<br />
Definition 6.8 (Winkelfunktion) Θ : [a, b] → R mit c ′ (t) = (cos(Θ(t)), sin(Θ(t))) bezeichnet man als<br />
Winkelfunktion.<br />
Abbildung 6.11: Die Winkelfunktion.<br />
Definition 6.9 (Die Umlaufzahl) Sei c : R → R 2 eine ebene nach Bogenlänge parametrisierte Kurve,<br />
periodisch mit Periode L. Sei Θ : R → R die Tangentenwinkel-Funktion. Dann ist die Umlaufzahl der<br />
Kurve c definiert durch<br />
n c := 1 (Θ(L) − Θ(0)).<br />
2π<br />
Satz 6.10 (Einfachere Berechnung der Umlaufzahl) Sei c : R → R 2 eine nach Bogenlänge parametrisierte<br />
ebene periodische Kurve mit Periode L. Sei k : R → R die Krümmung von c. Dann gilt<br />
n c = 1<br />
2π<br />
∫ L<br />
0<br />
k(t) dt.<br />
Satz 6.11 (Wichtige Ergebnisse zur Umlaufzahl) Für die Umlaufzahl n c hatten wir gezeigt:<br />
n c ist unabhängig (bis auf das Vorzeichen) von der Parametrisierung.<br />
n c ist ganzzahlig, das heißt n c ∈ Z.<br />
n c = 1<br />
2π<br />
∫ L<br />
0 k(t) dt. 54
6.3 Zusammenfassung<br />
Satz 6.12 (Der Umlaufsatz von Hopf) Sei c : R → R 2 eine einfach geschlossene reguläre Kurve, das heißt<br />
c hat eine periodische reguläre Parametrisierung mit Periode L und c ist auf dem Intervall [0, L) injektiv.<br />
Eine einfache geschlossene ebene Kurve hat dann Umlaufzahl 1 oder −1.<br />
55
Literaturverzeichnis<br />
[Lan02] Serge Lang. Introduction to Differentiable Manifolds (Universitext). 2 Sub. Springer, Berlin, 2002.<br />
[O’S07]<br />
Donal O’Shea. Poincarés Vermutung: Die Geschichte eines mathematischen Abenteuers. 4. Aufl.<br />
Fischer (S.), Frankfurt, 2007.<br />
[Spi79] Michael Spivak. Comprehensive Introduction To Differential Geometry, 2nd Edition, Volume 5.<br />
PUBLISH OR PERISH INC, 1979.<br />
[Szp08]<br />
George G. Szpiro. Das Poincaré-Abenteuer: Ein mathematisches Welträtsel wird gelöst. 2. Aufl.<br />
Piper, 2008.<br />
56