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LEUCHTTURM

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7 <strong>LEUCHTTURM</strong><br />

Auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem:<br />

Barrieren, Widerstände und<br />

bildungspolitische Perspektiven<br />

Ich werde zunächst den<br />

schulischen Inklusionsbegriff<br />

kurz klären, danach die Widerstände<br />

und Barrieren auf dem<br />

Weg zu einem inklusiven<br />

Schulsystem darstellen und<br />

abschließend mutmachende Perspektiven<br />

ansprechen.<br />

I. Zur Klärung des<br />

Inklusionsbegriffs<br />

Wenn die UN-BRK die<br />

Entwicklung eines inklusiven<br />

Schulsystems fordert, dann greift<br />

sie zurück auf die Erklärung von<br />

Salamanca, die auf der Weltkonferenz<br />

der UNESCO 1994 in<br />

Spanien zusammen mit dem<br />

„Aktionsrahmen zur Pädagogik<br />

für besondere Bedürfnisse“ verabschiedet<br />

wurde. Dort wurden<br />

die Leitgedanken für ein<br />

inklusives Schulsystem wie folgt<br />

zusammengefasst:<br />

Alle Kinder haben das Recht<br />

auf Bildung. Alle Schulen<br />

nehmen alle Kinder in ihrem<br />

Umfeld auf, auch Kinder mit<br />

besonderen Bedürfnissen. Alle<br />

Schulen passen sich der Vielfalt<br />

der Kinder an und entwickeln<br />

eine kindzentrierte Pädagogik.<br />

Die gemeinsame Lern- und<br />

Beziehungskultur ist die Basis<br />

für die Potentialentfaltung aller<br />

Kinder.<br />

Nach Salamanca hat die<br />

UNESCO auf vielfältige Weise<br />

das Konzept der inklusiven<br />

Bildung international verbreitet.<br />

In ihrer Broschüre von 2009<br />

liest man u. a.: „Um inklusive<br />

Bildung zu ermöglichen, müssen<br />

Bildungssysteme alle Kinder<br />

erreichen und nach ihren<br />

individuellen Möglichkeiten optimal<br />

fördern. Die Systeme<br />

müssen dabei von der frühkindlichen<br />

Bildung an so gestaltet<br />

werden, dass sie sich den<br />

verschiedenen Bedürfnissen flexibel<br />

anpassen können. Allen<br />

Kindern soll ermöglicht werden,<br />

in einem gemeinsamen Unterricht<br />

voll am schulischen Leben<br />

teilzuhaben. Erst wenn Bildungssysteme<br />

dies für alle<br />

Kinder leisten, können wir von<br />

umfassender Bildungsgerechtigkeit<br />

sprechen.“ (Inklusion: Leitlinien<br />

für die Bildungspolitik,<br />

Deutsche UNESCO - Kommission<br />

2009)<br />

II. Barrieren und<br />

Widerstände auf dem<br />

Weg zur Inklusion<br />

1. These:<br />

Nicht die Existenz des<br />

gegliederten Schulsystems<br />

ist die eigentliche Barriere<br />

für ein inklusives Schulsystem,<br />

sondern der fehlende<br />

politische Wille, das bestehende<br />

System als Barriere<br />

zu identifizieren, die Gesellschaft<br />

darüber aufzuklären<br />

und das Hindernis<br />

politisch aus dem Weg zu<br />

räumen.<br />

Wo ein Wille ist, da ist ein<br />

Weg. Der Allgemeinplatz stimmt<br />

auch bezogen auf die Politik<br />

politisch. Jedes System lässt sich<br />

ändern, wenn der politische<br />

Wille dafür da ist. Man denke<br />

nur an die Wiedervereinigung<br />

oder die Energiewende.<br />

Was müsste die Bildungspolitik<br />

denn tun, um bewusstseinsbildend<br />

und verändernd im<br />

Sinne der Inklusion zu wirken?<br />

Sie müsste klar machen, dass<br />

inklusive Bildung ein unteilbares<br />

Menschenrecht ist. Davon ist<br />

jedoch nicht die Rede. Stattdessen<br />

verengt sie den Inklusionsanspruch<br />

auf Kinder mit<br />

Behinderungen. Und stellt selbst<br />

für diese Gruppe fest, dass es<br />

immer Ausnahmen geben wird,<br />

für die Inklusion nicht in Frage<br />

kommt und verwirklicht werden<br />

kann. Folglich werde es immer<br />

auch Förderschulen geben müssen.<br />

Die Politik müsste sich zu<br />

ihrer menschenrechtlichen Verpflichtung<br />

bekennen, die äußeren<br />

Schulstrukturen, die innere<br />

Lernorganisation und die Pädagogik<br />

an dem Recht aller<br />

Kinder auf gemeinsames Lernen<br />

auf der Basis von Diskriminierungsfreiheit<br />

und Chancengleichheit<br />

auszurichten und<br />

grundlegend zu verändern: von<br />

der Selektion zur Inklusion, von<br />

der Defizitorientierung zur<br />

Potentialentfaltung! Stattdessen<br />

arbeitet die Politik an der<br />

Reparatur bzw. an der Modernisierung<br />

des alten gegliederten<br />

selektiven Systems und statt die<br />

Selektionsmechanismen abzubauen,<br />

verfeinert sie diese. Dazu<br />

passt, dass sie in der Regel nur<br />

von inklusiven Schulen und<br />

inklusiven Angeboten spricht<br />

und den Begriff „inklusives<br />

Schulsystem“ vermeidet (s. Niedersachsen).<br />

Die Bildungspolitik müsste<br />

deutlich machen, dass Inklusion<br />

ein Menschenrecht für alle<br />

Kinder ist, auch für die Gruppe<br />

der heutigen Gymnasiasten.<br />

Auch sie haben ein Recht darauf,<br />

mit Kindern aus allen sozialen<br />

Milieus zu lernen und die<br />

Gemeinschaft der Kinder mit<br />

Behinderungen zu erfahren. Nur<br />

so können sie als Menschen in<br />

zukünftigen Führungspositionen<br />

den nötigen demokratischen<br />

Gemeinsinn entwickeln und<br />

Verständnis und Empathie für<br />

Menschen in schwierigen Lebenslagen<br />

aufbringen. Wenn<br />

überhaupt bildungspolitisch<br />

von einem erweiterten Inklusionsbegriff<br />

gesprochen wird,<br />

dann werden nur Migranten und<br />

benachteiligte Randgruppen einbezogen.<br />

Es erscheint ganz<br />

normal, dass Inklusion mit dem<br />

Gymnasium und den dort<br />

Lernenden nichts zu tun hat.<br />

Was müsste die Politik tun?<br />

Dr. Brigitte<br />

Schumann<br />

Vortrag gehalten<br />

auf dem Tag der<br />

Inklusion in<br />

Wittmund

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