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DER NEUE MENSCH - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen ...

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INTERVIEW | Prof. Dr. Cornel Sieber<br />

nicht direkt genetisch bedingt.<br />

Und was nicht genetisch<br />

prädisponiert ist, ist<br />

theoretisch modulierbar. Zwei<br />

Drittel wären also für unsere<br />

Gegenstrategien zugänglich.<br />

Davon ist wiederum die Hälfte,<br />

also insgesamt ein Drittel,<br />

Hygiene, Sanitäreinrichtungen,<br />

Ausbildung – übrigens eine der wichtigsten Determinanten für<br />

Langlebigkeit, das wird immer unterschätzt. Die andere Hälfte –<br />

also das letzte Drittel – ist biomedizinischer Fortschritt. Davon<br />

allein die Hälfte, ungefähr 20 Prozent, geht auf das Konto von<br />

Medikamenten. Ich weiß, dass die Öffentlichkeit den Fortschritt<br />

<br />

Fünftel der Erfolge auf dem Weg zur Langlebigkeit sind darauf<br />

<br />

<br />

über die Modulation eines Gens kommen. Die Natur ist viel cleverer<br />

als wir.<br />

Also wäre Basteln an den Genen keine Erfolg<br />

versprechende Strategie?<br />

<br />

richten sollten, sondern auch auf die Epigenetik: Wir wissen heu-<br />

<br />

Fötus determiniert, ob er später Altersdiabetes bekommt. Wenn<br />

wir wissen, warum welche Gene sozusagen „angeschaltet“ werden,<br />

können wir uns auch fragen, wie wir das verhindern können.<br />

len<br />

Zivilisationskrankheiten geht viel auf die Epigenetik zurück.<br />

Nun kann man das An- und Abschalten von Genen medikamentös<br />

regeln – oder auch über das Verhalten, über uns selbst. Für<br />

Langlebigkeit zählen immer – in allen Gesellschaften übrigens –<br />

gesunde Ernährung, regelmäßige Aktivität und Sozialkontakt.<br />

Sie haben vorhin gesagt: Die Natur sei viel cleverer als wir<br />

<br />

müssten wir die Natur ständig überlisten, als wäre sie unser<br />

Feind. Ist das so?<br />

Ja gut, das beginnt beim Extremfall: Wir kämpfen gegen normale<br />

Alterungsvorgänge an. Das ist Anti-Aging. Aber die Ansätze<br />

dafür sind aus meiner Sicht viel zu simplizistisch: Frau ist jung<br />

und schön, dann kommt die Menopause, die Hormone fehlen,<br />

sie altert. Ich ersetze die Östrogene, sie wird wieder jung und<br />

<br />

Wir sehen ja: Das hat nicht geklappt – und es hat Nebenwirkungen.<br />

Dann gibt es die Zugangsweise der Altersmediziner: Wir<br />

akzeptieren „Normal Aging“, es gibt eine normales Altern, das<br />

„Altersmediziner akzeptieren<br />

‚Normal Aging‘: Es gibt ein norma-<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

hat es immer gegeben, und<br />

das muss man nicht nur negativ<br />

sehen. Wir intervenieren<br />

nur dort, wo normales<br />

Altern belastend wird – mit<br />

dem Ziel Funktionalität und<br />

Lebensqualität. Wie lange<br />

das für einen alten Menschen<br />

sinnvoll ist – darüber mag<br />

dern.<br />

Aber ich werde nie so weit kommen, dass ich sage: Es<br />

macht a priori Sinn, das Alter zu verhindern. Ich bin wirklich mit<br />

viel Enthusiasmus Altersmediziner, aber wenn wir aus dem Fertilitätsalter<br />

heraus sind, haben wir biologisch schon viel für unsere<br />

Spezies getan, und darauf ist die Natur, emotionslos betrachtet,<br />

nun einmal ausgerichtet.<br />

<br />

für unsere Spezies?<br />

Da habe ich nicht gesagt. Diese These gab es lange – aber die<br />

wird gerade äußerst interessant hinterfragt, unter anderem von<br />

dem berühmten Altersforscher Tom Kirkwood in Newcastle. Je<br />

höher man in der Entwicklungsstufe der Spezies kommt, um so<br />

bedeutsamer scheint tatsächlich die Rolle, die der Sozialkontakt<br />

innerhalb von Mehrgenerationenfamilien spielt. Großmütter<br />

etwa stuft Kirkwood als extrem wichtig ein. Das lässt sich übrigens<br />

sogar schon bei den Primaten beobachten.<br />

Widerspricht das nicht gerade den modernen Lebensgewohnheiten?<br />

Sagen wir so: Wichtig ist generell der Sozialkontakt. Dass der<br />

sich innerhalb einer großen Familie eher entwickelt, scheint logisch.<br />

Aber selbstverständlich geht es auch um eine soziale Einbettung<br />

ins Umfeld, in die Nachbarschaft, in Freundschaften.<br />

Ich würde mich trauen zu behaupten: Ich gehe an ein Krankenbett<br />

bei der Visite, schaue den Menschen an und kann in 80<br />

Prozent der Fälle richtig sagen, ob und wie er sozial eingebettet<br />

ist. Das merkt man einem Menschen an, ob er allein ist – an der<br />

Mimik, am Kontakt, den er gewohnt ist oder nicht, daran, wie er<br />

<br />

nicht mehr herrichtet – das ist ein schlechtes Zeichen. Ideal<br />

wäre eine Kombination aus biomedizinischem Fortschritt und<br />

sozialer Einbettung. Aber nur unter dem qualitativen Aspekt<br />

macht die Verlängerung der Lebensspanne Sinn.<br />

Warum hat das Alter in unserer westlichen Welt so einen<br />

schlechten Ruf?<br />

<br />

Wandels richtig zu vermitteln.<br />

Foto: www.shutterstock.de<br />

88 friedrich – forschungsmagazin der <strong>Friedrich</strong>-<strong>Alexander</strong>-<strong>Universität</strong>

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