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Aktuelles Sonderheft: Speicher des Wissens - Universität Rostock

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Das <strong>Rostock</strong>er Liederbuch –<br />

neues Leben für alte Lieder<br />

Franz-Josef Holznagel und Annika Bostelmann<br />

Einband aus der Johann Albrecht-<br />

Bibliothek [Signatur: Cc-3220 (1)]<br />

Der Fundvermerk von Dr. Bruno<br />

Claussen auf dem Innendeckel <strong>des</strong><br />

Ban<strong>des</strong> [Signatur: Cc-3220 (1)]<br />

Lyrik im Versteck<br />

Mit einem sensationellen Fund beginnt<br />

im Jahre 1914 die Forschungsgeschichte<br />

einer Handschrift, die wir heute als<br />

„<strong>Rostock</strong>er Liederbuch“ bezeichnen<br />

und die zu den größten Schätzen der<br />

<strong>Rostock</strong>er <strong>Universität</strong>sbibliothek zählt.<br />

Der Bibliothekar Bruno Claussen sichtet<br />

in diesem Jahr die Bestände aus der<br />

Johann-Albrecht-Bibliothek und macht<br />

dabei eine Entdeckung, von der er das<br />

erste Mal 1915 im Korrespondenzblatt<br />

<strong>des</strong> Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung<br />

berichtet:<br />

„Die Erhaltung dieses Liederbuchs verdanken<br />

wir, so widersprechend es klingen<br />

mag, dem Umstand, dass es vor 350<br />

Jahren der Vernichtung preisgegeben<br />

wurde. Sein Besitzer gab es als wertlos<br />

fort und so geriet es in die Hände eines<br />

<strong>Rostock</strong>er Buchbindermeisters, der zwar<br />

auch nicht den Inhalt <strong>des</strong> Büchleins zu<br />

würdigen wusste, wohl aber das Papier.<br />

Da er gerade, es war im Jahr 1568, eine<br />

Anzahl Bücher für den Herzog Johann<br />

Albrecht I. von Mecklenburg zu binden<br />

hatte, nahm er die einzelnen Blätter <strong>des</strong><br />

Liederbüchleins und verklebte mit ihnen<br />

sorgfältig die Einbanddeckel mehrerer<br />

Bände. So lagen die Blätter wohlverwahrt<br />

350 Jahre lang in ihrem Versteck, bis im<br />

vorigen Jahre der eine dieser Bände,<br />

die nach dem Tode <strong>des</strong> Herzogs an die<br />

<strong>Rostock</strong>er <strong>Universität</strong> gekommen waren,<br />

an einer schadhaften Stelle <strong>des</strong> Einban<strong>des</strong><br />

mir seinen wertvollen Inhalt verriet.“<br />

Nachdem Claussen in einem Band aus<br />

der Bibliothek Johann Albrechts vier Doppelblätter<br />

eines niederdeutschen Liederbüchleins<br />

findet, mustert er systematisch<br />

alle Bücher dieses Bestan<strong>des</strong> durch, die<br />

das Jahr 1568 auf dem Einband tragen,<br />

und kann auf diese Weise 20 Doppelblätter<br />

und 4 Einzelblätter <strong>des</strong> Liederbuchs<br />

retten. Er reiht die Blätter nach ihrer vermutlichen<br />

Ordnung und vereinigt sie in<br />

einem Halblederbändchen, das seitdem<br />

mit der Signatur Mss. philol. 100 / 2 in der<br />

<strong>Rostock</strong>er <strong>Universität</strong>sbibliothek liegt.<br />

Das <strong>Rostock</strong>er Liederbuch<br />

Das „<strong>Rostock</strong>er Liederbuch“ entstand in<br />

der 2. Hälfte <strong>des</strong> 15. Jahrhunderts, und<br />

zwar vermutlich im Kontext einer norddeutschen<br />

<strong>Universität</strong>. Es überliefert 60<br />

Stücke in niederdeutscher, hochdeutscher<br />

und lateinischer (bzw. deutschlateinischer)<br />

Sprache und zeichnet sich<br />

durch die Vielfalt und die Besonderheit<br />

der in ihm vertretenen Texttypen sowie<br />

durch die hohe Anzahl von 30 (oftmals<br />

unikal tradierten) Melodien aus. Mit Blick<br />

auf die ansonsten nur trümmerhaft erhaltene<br />

Überlieferung der niederdeutschen<br />

Liedkunst im Spätmittelalter ist<br />

dieser Codex ein zentrales Dokument<br />

für die Kulturgeschichte Mecklenburgs.<br />

Überdies stellt die <strong>Rostock</strong>er Handschrift<br />

für viele niederdeutsche Lieder<br />

<strong>des</strong> Spätmittelalters den einzigen Überlieferungszeugen<br />

dar. So ist nur in ihr das<br />

vermutlich älteste niederdeutsche Weihnachtslied<br />

aufgezeichnet worden (Nr. 6<br />

Eyn hilich dach vnd eyn hilch nacht),<br />

und nur hier stehen die historisch-politischen<br />

Lieder <strong>des</strong> Braunschweiger Autors<br />

Hinrick Sticker (Nr. 3 – 5) oder die<br />

16<br />

Traditio et Innovatio – Sonderausgabe 2013

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