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Ihr Kinderlein kommet… - VSETH - ETH Zürich

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Polykum 5/05–06<br />

Fruchtbarkeit 13<br />

Alltagsgegenstand Pille<br />

Die Pille hat die Geburtenkurve geknickt, die Paschas entmachtet und die Frauen befreit. Sie gilt nicht<br />

mehr als Teufelswerk, sondern – zumindest in unserem Kulturkreis – als Selbstverständlichkeit. Doch<br />

wie funktioniert das Ding Eine kurze Aufklärung für X-Chromosom-Träger.<br />

Michael Staub > michael.staub@nightshift.ch<br />

Es gibt viele Tabletten, doch nur eine Pille.<br />

Die Pille, auch als Antibabypille bekannt, ist<br />

das am weitesten verbreite Verhütungsmittel<br />

(Kontrazeptivum). Sie gehört in Westeuropa<br />

spätestens seit den 70er Jahren<br />

zum pharmazeutischen Tagesgeschäft.<br />

Bei ihrer Markteinführung<br />

um 1961 durfte sie zunächst<br />

nur verheirateten Frauen<br />

verschrieben werden. Die Adressen<br />

von Ärzten, die auch<br />

Ledige berücksichtigten, wurden<br />

unter Frauen als Geheimtipps<br />

gehandelt.<br />

Dass die Pille einst nicht<br />

selbstverständlich war, ist heute<br />

schwer vorstellbar. Toleranz und<br />

individuelle Lebensgestaltung<br />

stehen auf der europäischen<br />

Werteliste sehr weit oben –<br />

sexuelle Orientierung und Kinder(un)wunsch<br />

können heute<br />

auf fast beliebig viele Arten<br />

kombiniert werden. Die Fortpflanzung<br />

gilt als Privatsache,<br />

in die sich weder Kirche, Staat<br />

noch Nachbarn einzumischen<br />

haben.<br />

Neue Machtverhältnisse<br />

In der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit<br />

war es nicht<br />

ganz so einfach. Bevor die Pille<br />

auf dem Markt erschien, waren Frauen bei<br />

jeder sexuellen Begegnung einem latenten<br />

Schwangerschaftsrisiko ausgesetzt. Uneheliche<br />

Geburten führten fast immer zur Stigmatisierung<br />

der Mutter und ihrer weitgehenden<br />

wirtschaftlichen Abhängigkeit. Verhütungsmittel<br />

sind deshalb eine historisch<br />

junge Erscheinung, und die freie Partnerwahl<br />

erst recht. Doch die Pille änderte die<br />

Machtverhältnisse. Frauen konnten nun selbst<br />

entscheiden, ob sie überhaupt schwanger werden<br />

wollten – wenn ja, von wem und wann.<br />

Die Fruchtbarkeit wurde planbar, aus dem<br />

Kindersegen wurde ein Kinderwunsch. Und<br />

noch später ein Kinderplan.<br />

Bild: Tijmen van Dobbenburgh<br />

Die Pille nicht vergessen! Die tägliche<br />

Hormondosis gaukelt dem Körper eine<br />

virtuelle Schwangerschaft vor – und<br />

verhindert eine richtige.<br />

Virtuelle Schwangerschaft<br />

Planbare Natur Im Fall der Pille heisst die<br />

Antwort ja. Denn der weibliche Zyklus folgt<br />

den Signalen der Hormone. Der österreichische<br />

Chemiker Carl Djerassi erkannte diesen<br />

Mechanismus und lagerte die Hormone in<br />

eine Tablette aus. Die Pille war geboren, und<br />

Djerassi wurde ein reicher Mann. 1951 meldete<br />

er sein Patent an, um 1960 kamen in Europa<br />

die ersten Pillen auf den Markt.<br />

Seither wurde vor allem die Dosierung<br />

herabgesetzt. Das Prinzip aber ist dasselbe<br />

geblieben: Die Pille enthält weibliche<br />

Sexualhormone aus den Gruppen der Östrogene<br />

und Gestagene. Diese Hormone regeln<br />

den Zyklus der Frau sowie den Ablauf einer<br />

Schwangerschaft.<br />

Hier setzt die Pille an: Durch die Dosierung<br />

der Hormone wird dem Körper eine<br />

bestehende Schwangerschaft vorgetäuscht.<br />

Die relativ hohe Östrogendosis suggeriert,<br />

dass bereits eine Eizelle befruchtet worden<br />

ist. Das Gestagen verhindert die Einnistung<br />

einer weiteren (realen) Eizelle in<br />

der Schleimhaut der Gebärmutter.<br />

Gleichzeitig verändert es den Aufbau<br />

dieser Schleimhaut, was letztlich<br />

Spermien abblockt und eine<br />

Empfängnis verhindert. Damit die<br />

Empfängnisverhütung gewährleistet<br />

bleibt, ist Disziplin nötig. Die<br />

Pillen-Anwenderin muss jeden Tag<br />

zur Packung greifen, 21 Tage lang.<br />

Dann folgt eine 7tägige Pause –<br />

entweder schluckt sie gar keine Pille<br />

oder nur eine mit niedrig dosierten<br />

Hormonen.<br />

Nebenwirkung Krebs<br />

Für viele Frauen bringt die Pille<br />

Vorteile. Durch die regelmässige<br />

Einnahme ist der Zyklus stabil, und<br />

die Menstruationsschmerzen sind<br />

häufig weniger stark. In Einzelfällen<br />

hilft die Pille auch gegen Akne. Die<br />

Nachteile der Kontrazeptiva sind bekannt,<br />

in ihrer Schwere aber umstritten.<br />

Es steht fest, dass die Einnahme<br />

der Pille das Risiko von Blutgerinseln<br />

(Thrombosen) erhöht. Weiter besteht<br />

eine Korrelation zwischen langjährigem<br />

Pillen-Konsum und erhöhten<br />

Krebsrisiken. Insbesondere das<br />

Brustkrebsrisiko ist höher als bei Frauen, welche<br />

die Pille nicht anwenden.<br />

Ob und wie stark die Pille diese Risiken<br />

erhöht, kann bis jetzt nicht seriös beantwortet<br />

werden, zumal bei Krebserkrankungen auch<br />

zahlreiche andere Faktoren eine Rolle spielen.<br />

Fest steht dagegen, dass die heute üblichen<br />

Mini- und Mikropillen mit reduziertem<br />

Hormongehalt mit dem Körper der Frauen<br />

einiges sanfter umgehen als die Hormonbomben<br />

der 60er Jahre. Mit gutem Grund: Die<br />

Fruchtbarkeit soll geplant, nicht gekillt werden.<br />

Wenn Timing, Partner und Umstände<br />

stimmen, sind Kinder vielleicht auf einmal<br />

willkommen.

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