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2 HF2 THEMA DES TAGES<br />
Montag, 16. Juli 2012, Nr. 162 DEFGH<br />
VON CERSTIN GAMMELIN<br />
Englisch, verhandlungssicher. Ohne<br />
diese Sprachkenntnisse dürfte bald<br />
kein Bankdirektor in Deutschland<br />
mehr seinen Job erledigen können. Nach<br />
dem Willen der europäischen Staats- und<br />
Regierungschefs sollen schon von 2013 an<br />
nicht-deutschsprachige Aufseher an die<br />
TürjedernochsokleinenBankklopfendürfen–andiedesDirektorsderKreissparkasse<br />
Heilbronn ebenso wie an die des Chefs<br />
derVolksbankMittelhessen.Dieneue,zentrale<br />
Aufsichtsbehörde für Banken „soll<br />
das Recht bekommen, in jede Bank zu gehen,jedes<br />
Buch zu prüfen undauch dengesamten<br />
Schriftverkehr, jede E-Mail“, sagt<br />
ein hoher EU-Beamter in Brüssel. Spanier<br />
könnten also die Bücher deutscher Banken<br />
prüfen, Deutsche die von französischen,<br />
Österreicher prüften in Luxemburg – ein<br />
heute noch unvorstellbares Szenario.<br />
UndweildieRegelnfürdieneueeuropaweite<br />
Bankenaufsicht nach dem Willen der<br />
Euro-Regierungen möglichst schnell formuliert<br />
werden sollen, sitzt dieser hohe<br />
und erfahrene EU-Beamte an einem frühenMorgenbereitsbeiseinemzweitenKaffee.<br />
Den Urlaub hat er gestrichen – wie die<br />
meisten seiner Kollegen. Gleich drei EU-<br />
Kommissare – Binnenmarktchef Michel<br />
Barnier, WettbewerbshüterJoaquin Almunia<br />
und der für Wirtschaft zuständige Olli<br />
Rehn – arbeiten nebst ihren Stäben nur<br />
ImFiskalvertrag haben 25 der 27 europäischen<br />
Mitgliedsstaaten harte Sparverpflichtungen<br />
vereinbart. Ländern<br />
mit einem Defizit werden Sanktionen auferlegt,<br />
die so weit gehen, dass die Haushalte<br />
einzelner Nationalstaaten einer Genehmigung<br />
durch die Institutionen der EU unterliegen<br />
können. Der Vertrag sieht ein<br />
Überwachungssystemvor,dasdieInstitutionenderEuropäischenUnionindieDurchsetzung<br />
des Fiskalvertrages einspannt.<br />
„Organleihe“nenntsich dieseKonstruktion:<br />
Eine Reihe von Mitgliedsstaaten<br />
„leiht“ sich dieOrgane derEU,um dieZiele,<br />
auf die sich nicht alle EU-Länder einigen<br />
konnten, unter Nutzung der Infrastruktur<br />
der EU durchzusetzen. Um es deutlich zu<br />
unterstreichen: Der Fiskalpakt ist nicht<br />
das Produkt der EU, sondern ein völkerrechtlicher<br />
Vertrag der Nationalstaaten,<br />
der sich in bislang beispielloser Weise der<br />
Infrastruktur der EU bemächtigt.<br />
Diese institutionelle Struktur und die<br />
Ziele des Fiskalpakts sind im Hinblick auf<br />
die Grundsätze sozialer Demokratie in Europa<br />
höchst problematisch. Die Debatte<br />
über die Rechtmäßigkeit des FiskalvertrageswirdderzeitvornehmlicheinzigaufWidersprüche<br />
mit dem deutschen Grundgesetz<br />
reduziert. Dadurch gerät die überfällige<br />
europäische Diskussion um die soziale<br />
Demokratie ins Hintertreffen. Die Verletzung<br />
des Unionsrechts und seiner sozialen<br />
und demokratischen Grundlagen durch<br />
den Fiskalvertrag ist bislang nicht hinrei-<br />
Europas neue Bankenaufsicht Die Euro-Länder haben beschlossen, dass marode Banken künftig direkte Hilfen<br />
vom Rettungsfonds bekommen können. Zunächst jedoch soll eine neue Behörde geschaffen werden, die die Banken überwacht.<br />
Ein Plan, der einfach klingt, der aber mit jeder Menge technischer und politischer Fallstricke behaftet ist<br />
In Spanien wurde jahrelang ohne Sinn und Verstand gebaut, nun kollabieren Banken unter der Last fauler Immobilienkredite, das ganze Land leidet: Impressionen einer geplatzen Blase. FOTOS: OLI SCARFF/GETTY<br />
Machtkampf der Aufpasser<br />
Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone haben den Aufbau einer neuen, europaweiten Bankenaufsicht beschlossen.<br />
Dutzende Brüsseler Beamte arbeiten bereits an dem Plan – doch Kommission und Zentralbank streiten, wer die Behörde leiten soll<br />
noch auf ein Datum hin: den 12. September.<br />
An diesem Tag will Kommissionschef<br />
José Manuel Barroso eine Rede zur Lage<br />
der EU halten und dabei das Konzept für<br />
die zentrale Bankenaufsicht vorstellen. Bis<br />
dahin muss die Architektur der Aufsicht<br />
entworfen sein. Ein Franzose aus der Chefetage<br />
der Kommission sagt, eine „Tour de<br />
Force“ liege vor den Beamten.<br />
Hintergrund des Beschlusses, eine zentrale<br />
Bankenaufsicht zu errichten, sind die<br />
Entwürfe zum Aufbau einer „echten Wirtschafts-<br />
und Währungsunion“, mit denen<br />
die Staats- und Regierungschefs eine Vie-<br />
Die bisherigen Beschlüsse der<br />
EU-Regierungen zielten auf die<br />
kurzfristige Krisenbewältigung<br />
rergruppe um EU-Ratspräsident Herman<br />
Van Rompuy beauftragt haben. Van Rompuy<br />
soll bis Jahresende konkrete Vorschläge<br />
nebst Zeitplan vorlegen. Dieser schlichte<br />
Auftrag ist nichts anderes als eine Abkehrvonderbisherpraktiziertenkurzfristigen<br />
Krisenbewältigung hin zu langfristig<br />
wirkenden Maßnahmen. Die vergangenen<br />
drei Jahre rangen die Regierungen vor allem<br />
darum, dass die vereinbarten Regeln<br />
wie derStabilitätspakt endlicheingehalten<br />
werden müssen. Um dies zu erzwingen, erließen<br />
sie immer neue Spar- und Reformvorschriften<br />
wie den Fiskalpakt oder das<br />
chenddeutlichgemachtworden.Dabeiwäre<br />
es dringend nötig, der Entdemokratisierung<br />
Europas auch durch eine Besinnung<br />
auf die Standards sozialer Demokratie und<br />
die Herrschaft des Rechts im europäischen<br />
Rahmen entgegenzutreten.<br />
Die europäischen Institutionen dürfen<br />
nicht zum Spielball der Politik nationaler<br />
RegierungenbeiderZementierungneoliberaler<br />
Grundsätze werden. Ganz zu Recht<br />
hatder PräsidentdesEU-Parlaments,Martin<br />
Schulz, Ende Juni kritisiert, dass die europäische<br />
Schuldenbekämpfung „auf Kosten<br />
der parlamentarischen Mitwirkung“<br />
gehe. Beim Zustandekommen des Fiskalvertrages<br />
saß das Parlament nur am Katzentisch.<br />
Die Regierungen der europäischen<br />
Mitgliedsstaaten bestimmen den<br />
Kurs am Europäischen Parlament vorbei.<br />
HierwäreeinegerichtlicheKlage desEuropäischen<br />
Parlaments dringend nötig,<br />
um seiner strukturellen Schwächung entgegenzutreten.Esgilt,dieGrundsätzesozialer<br />
Demokratie nicht mehr gegen Europa,<br />
sondern in Europa zu verteidigen. Dabei<br />
sollte es im Eigeninteresse des Europäi-<br />
sogenannte „Sixpack“ – Regelwerke, die<br />
nichts anderes enthalten als verschärfte<br />
Haushaltsvorschriften nebst Sanktionen.<br />
Jetzt aber geht es ums Langfristige: Van<br />
Rompuy wird – in Zusammenarbeit mit<br />
Barroso, Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude<br />
Junckerund demPräsidentenderEuropäischen<br />
Zentralbank, Mario Draghi – einen<br />
Plan unterbreiten, wie aus der „halben“<br />
Währungsunion, in der nur gemeinsame<br />
Geldpolitik betrieben wird, nicht aber gemeinsame<br />
Wirtschafts- oder Sozialpolitik,<br />
eine „echte“ Gemeinschaft geformt werden<br />
kann. Die soll aus „vier wesentlichen<br />
Bausteinen“ bestehen, nämlich aus jeweils<br />
einem „integrierten Finanzrahmen, Haushaltsrahmen,<br />
wirtschaftspolitischen RahmensowiemehrdemokratischerLegitimität<br />
und verstärkter Rechenschaftspflicht“.<br />
Das klingt abstrakt, nach viel Streit und<br />
verfassungsrechtlichen Problemen. Und<br />
dennoch wird bereits an einem konkreten<br />
Projekt des Plans gearbeitet, nämlich an<br />
derSchaffungeiner„Bankenunion“,zuder<br />
auch die zentrale Bankenaufsicht gehört,<br />
die nun den Beamten der Kommission den<br />
Sorgenschweiß auf die Stirn treibt – und<br />
nicht nur ihnen. Nicht nur, weil die Aufgabe<br />
technisch so kompliziert ist. Sondern<br />
auch, weil inzwischen ein regelrechter<br />
Machtkampf darum tobt, wer die Aufsicht<br />
führen soll. Die Kommission pocht auf ihre<br />
Stellungals„HüterindereuropäischenVerträge“,darauf,dassesjaeigentlichschonei<br />
AUSSENANSICHT<br />
Am Katzentisch<br />
schen Parlaments liegen, sich nicht nur gegen<br />
die Art des Zustandekommens des Fiskalvertrages<br />
zur Wehr zu setzen, sondern<br />
auch inhaltliche Kritik zu artikulieren:<br />
Man wird die Gefahr der nationalistischen<br />
Zentrifugalkräfte, die unter Berufung auf<br />
sozio-ökonomischeUnterschiedederNationendieeuropäischeSolidaritätaufkündigen<br />
und das europäische Projekt bedrohen,<br />
nur eindämmen können, wenn es gelingt,<br />
die Grundsätze sozialer Demokratie<br />
aufdereuropäischenEbeneselbstzuschützen.<br />
DasEuropäischeParlamenttätegutdaran,<br />
die nötige parlamentarische Beteiligung<br />
bei der Zustimmung der EU zum Fiskalvertrag,<br />
die einer europäischen Umsetzung<br />
des Fiskalvertrages vorausgehen<br />
muss, vor dem Europäischen Gerichtshof<br />
(EuGH) klarstellen zu lassen. Das könnte<br />
ne europäische Bankenaufsicht gibt – die<br />
European Banking Authority in London –<br />
und darauf, dass sie beauftragt ist, die<br />
Struktur der neuen Aufsicht zu entwerfen.<br />
Die Konkurrenz beeindruckt das nicht,<br />
im Gegenteil. EZB-Chef Draghi pokert heftigdarum,dassdieAufsichtanseineNotenbank<br />
angegliedert wird. Er könne sich „eine<br />
starke Rolle“ der EZB vorstellen, sagte<br />
Draghi letzte Woche im Europäischen Parlament<br />
und ließ danach in Frankfurt indirekt<br />
durchblicken, warum die Aufsicht nur<br />
bei der EZB angesiedelt werden könne. Das<br />
tatermiteinemAppellandieGlaubwürdig-<br />
keit: Die Regierungen der Währungsunion<br />
hätten „substanzielles politisches Kapital“<br />
in die Entscheidung gesteckt, eine zentrale<br />
Kontrollinstanz für die Banken zu schaffen,<br />
sagt er. Die EZB erwarte deshalb, dass<br />
der Vorschlag für die Bankenaufsicht so<br />
stark sein wird „wie das Engagement der<br />
Regierungschefs, als sie diese Entscheidung<br />
getroffen haben“. Was Draghi nicht<br />
sagt, aber Eingeweihte wissen: Die EZB ist<br />
die einzige europäische Institution, deren<br />
Reputationin derEuro-Krise nicht gelitten<br />
hat.Solleeseineglaubwürdige Bankenaufsicht<br />
geben, müsse sie bei der EZB angesie-<br />
Der Fiskalpakt wurde am europäischen Parlament vorbei verhandelt. Höchste Zeit,<br />
dass die Abgeordneten wieder Mitsprache einfordern. Von Andreas Fischer-Lescano<br />
Die EU ist zur Wahrung<br />
demokratischer und<br />
sozialer Rechte verpflichtet<br />
Die neue Aufsicht ist Teil eines<br />
Maßnahmenpakets, das die<br />
Euro-Zone langfristig sichern soll<br />
den exekutivlastigen Rechtssetzungsstil<br />
auf europäischer Ebene in die Schranken<br />
weisen. Es würde deutlich gemacht werden,<br />
dass die demokratischen Grundsätze<br />
inderEUnichtnurüber dieParlamente der<br />
Mitgliedstaaten,sondernauchüberdasEuropäischeParlamentrealisiertwerden.NebenderVerletzungdemokratischerVerfahrensrechte<br />
ist der Fiskalvertrag aber auch<br />
inhaltlich problematisch. Er entwickelt ein<br />
Sanktionsregime für Defizitstaaten weiter,<br />
das in einem Bündel von Rechtsakten der<br />
EU, dem sogenannten Sixpack, in fragwürdiger<br />
Weise angelegt ist.<br />
Dass dieses Sanktionsregime die nationalen<br />
Haushalte von Defizitstaaten unter<br />
europäischen Genehmigungsvorbehalt<br />
stellt, dürfte ohne eine vorherige Änderung<br />
des europäischen Primärrechts nicht<br />
zulässig sein. War schon das Sixpack unionsrechtlich<br />
problematisch, verschärft der<br />
FiskalvertragdiesesProblem„ausbrechender<br />
Hoheitsakte“ exponentiell. Der Vertrag<br />
führteinnurschwerkündbaresDefizitverfahren<br />
ein, das die unionsrechtlichen<br />
Grundlagenüberschreitet,demdemokrati-<br />
delt sein, so Draghis Argument. Und deshalb<br />
arbeitet die EZB längst an einem eigenen<br />
Vorschlag.<br />
Die Kommission ist wiederum darüber<br />
verärgert. „Wir versuchen, die Türen geschlossen<br />
zu halten“, sagt der hohe Beamte.<br />
Die EZB sitze zwar bei jedem Euro-GipfelmitamTisch,siehabeaber„keineBefugnisse,<br />
Gesetzentwürfe mitzuschreiben“.<br />
Jenseits dieses Gezanks bereiten die<br />
Beamten die erste konkrete Entscheidung<br />
vor.BisEndeJulisollfeststehen,obdieAufsichtzwingenddieBankenaller27EU-Länder<br />
beaufsichtigen soll, was wegen des britischen<br />
Widerstands als unwahrscheinlich<br />
gilt;oderobnurdieder17Euro-Länder,wobei<br />
andere Staaten freiwillig mitmachen<br />
können. Ebenso muss geklärt werden, ob<br />
tatsächlich alle Banken beaufsichtigt werden<br />
– das wären mehr als 8000 in Europa –<br />
oder nur die größten, und ob eine zentrale<br />
Aufsichtsbehörde geschaffen wirdoder ein<br />
dezentrales Netzwerk. In jedem Fall, so<br />
sagt der hohe Beamter, muss die Aufsicht<br />
nahe an den Banken sein.<br />
Und dann formuliert er die Frage, die<br />
sich alle in Brüssel stellen – und an deren<br />
Antwort alles hängt. „Wollen die Deutschen<br />
wirklich eine starke zentrale AufsichtunddamiteigeneKompetenzenabgeben.<br />
Oder lassen sie alles so formulieren,<br />
dass die Beschlüsse endlos verzögert werden?“<br />
Dann könnten sich Bankdirektoren<br />
weiter Zeit lassen mit den Fremdsprachen.<br />
schen Prozess weitgehend entzogen ist<br />
und die Staaten auf eine rigide Austeritätspolitik<br />
verpflichtet.<br />
SchließlichistdieTatsache,dassderFiskalvertrag<br />
die Institutionen der EU zu einseitig<br />
an fiskalische Rationalitäten bindet,<br />
imHinblickaufdenGrundsatzsozialerDemokratie<br />
problematisch. Widerstreitende<br />
Gesichtspunktewiedasgesamtwirtschaftliche<br />
Gleichgewicht, Grund- und Menschenrechte,einedemokratischeSozialpolitik<br />
werden der alles übertrumpfenden<br />
Sparpolitik untergeordnet. Die Organe der<br />
EU sind jedoch nicht nur auf die Wahrung<br />
demokratischer Grundsätze verpflichtet,<br />
sondern auch auf die Wahrung fundamentaler<br />
sozialer Rechte. So hält die Europäische<br />
Grundrechtecharta unter der Überschrift<br />
„Solidarität“ in Titel IV ausdrücklich<br />
eine Vielzahl sozialer Grundrechte<br />
fest. Der EuGH versteht die Unionsbürgerschaft<br />
schon lange als Nukleus einer europäischen<br />
Solidarität.<br />
Die exekutivlastige Rechtsetzung, wie<br />
sie im Fiskalvertrag zum Ausdruck<br />
kommt,widersprichtdiesenunionsrechtlichen<br />
Grundsätzen sozialer Demokratie.<br />
Prozedural werden die Gestaltungsrechte<br />
des Parlaments untergraben. Substanziell<br />
akzentuiert der Fiskalvertrag mit seiner<br />
einseitigen Fokussierung auf eine rigide<br />
Sparpolitik die Sozialdimension europäischen<br />
Regierens nicht hinreichend.<br />
Die europäische Krise ist aber schon<br />
längst auch eine soziale Krise. Um zu ver-<br />
Verteiltes<br />
Risiko<br />
Wenn der ESM Banken hilft,<br />
haftet künftig nicht mehr der Staat<br />
Der Streit kam aus dem Nichts. Am Samstagmorgen<br />
konnten Bundesfinanzminister<br />
Wolfgang Schäuble und der Chef des<br />
Euro-Rettungsfonds ESM in der Presse<br />
nachlesen, dass sie <strong>angeblich</strong> miteinander<br />
überkreuzliegen.UndzwarineinerzentralenFragedergeplantendirektenFinanzhilfen<br />
für Banken: Haftet die Regierung eines<br />
Landes, dessen Banken direkt Finanzhilfen<br />
aus dem ESM erhalten, trotzdem weiter<br />
für deren Rückzahlung?<br />
Regling hatte dies in der Welt am Sonntag<br />
praktisch verneint: Wenn Hilfen aus<br />
dem ESM direkt an Banken gegeben würden<br />
und nicht mehr über die Regierungen<br />
des betreffenden Landes liefen, „dann ist<br />
das Land raus aus der Haftung“. Vielmehr<br />
müsstendanndiedenESM tragendenLänder<br />
für einen Kreditausfall aufkommen.<br />
Die klare Antwort passt freilich nicht<br />
ins Kommunikationskonzept des Finanzministers.<br />
Der gibt zwar Bundespräsident<br />
Joachim Gauck recht, wonach die Regierungdie<br />
Euro-Rettungbesser erklärensollte<br />
– verharrt aber selbst im Ungefähren.<br />
Wervonwannanundunterwelchen Bedingungen<br />
für wen haften soll, mag Schäuble<br />
einfach nicht klar beantworten. Umso ärgerlicher<br />
für ihn, dass Regling die Wahrheit<br />
ausspricht. Schäuble selbst ließ nach<br />
der letzten langen Nacht mit seinen Euro-<br />
Kollegen wissen, die Frage der Haftung bei<br />
direkten Bankenhilfen stelle sich jetzt gar<br />
nicht. Anfang September werde die EU-<br />
Kommission einen Vorschlag für eine zentrale<br />
Aufsicht für die europäischen Banken<br />
vorlegen, erst dann begännen technische<br />
Vorarbeiten für eventuelle direkte Finanzhilfen<br />
an Banken. Und die würden ohnehin<br />
frühestens fließen können, wenn die Aufsicht<br />
tatsächlich installiert sei.<br />
Das ist ein Teil der Wahrheit. Der andere<br />
ist in der Gipfelerklärung der Mitglieder<br />
der Euro-Zone vom 29. Juni nachzulesen.<br />
„Wir bekräftigen, dass es von ausschlaggebender<br />
Bedeutung ist, den Teufelskreis<br />
zwischen Banken und Staatsanleihen zu<br />
durchbrechen“, steht da gleich im ersten<br />
Satz. Der Begriff „Teufelskreis“ meint den<br />
bisher praktizierten Hilfsmechanismus:<br />
Die RegierungenklammerLänderbeantragen<br />
Geldaus demRettungsfonds,um ihren<br />
marodenBanken zu helfen. DieseHilfskrediteabervergrößern<br />
die Schulden des Landes,<br />
weshalb die Regierung dann höhere<br />
Zinsen bieten muss, um Staatsanleihen zu<br />
verkaufen. Daswiederum belastetdieBanken,dieStaatsanleihen<br />
halten,da dieseriskanterwerden.DieBankenmüssendeswegen<br />
mehr Eigenkapital vorhalten – das sie<br />
nicht haben und weswegen sie nochmals<br />
von der Regierung gerettet werden müssen.Dieses<br />
schädliche Wechselspielwollen<br />
die Euro-Länder beenden.<br />
Und das geht nur, wenn Bankenhilfen<br />
nicht mehr als Schulden angerechnet werden,<br />
sondern direkt aus dem ESM an die<br />
Banken fließen, ohne Umweg über die Regierung.<br />
Das bedeutet, dass der Heimatstaat<br />
der geretteten Bank nicht mehr haftet,<br />
sondern der ESM. Flösse direkt Geld<br />
aus dem ESM an spanische Banken, würdendeutsche,französischeundandereBürgerviaESM<br />
fürPleitendieserGeldinstitute<br />
praktisch mithaften – was nicht jedem gefallen<br />
dürfte.<br />
Und dennoch liegt Regling nicht grundsätzlich<br />
mit Schäuble überkreuz. Dass der<br />
Minister verwirrend antwortet, liegt daran,<br />
dass zwar das Ziel feststeht, Regierungen<br />
aus der Haftung zu nehmen – aber heftig<br />
um den Weg gerungen wird, wie und<br />
wann das geschehen soll. Schäuble wird<br />
erst zustimmen, wenn alle VoraussetzungenwiediegeplanteBankenaufsichtumgesetzt<br />
sind. Und so lange haftet Madrid für<br />
seine Banken. CERSTIN GAMMELIN<br />
hindern, dass die Prekarisierung in Europa<br />
weiter zunimmt, ist eine strukturelle Aufwertung<br />
der sozialen Rechte dringend geboten.<br />
Möglichkeiten gäbe es viele. Mit der<br />
europäischen Sozialcharta liegt beispielsweise<br />
ein Korpus vor, dessen Potenzial unausgeschöpft<br />
ist.<br />
Die rechtspolitische Gegenwehr gegen<br />
die einseitige Sparpolitik des Fiskalvertrages<br />
könnte ein Anfang sein, die soziale Demokratie<br />
auf der europäischen Ebene<br />
selbstzuverteidigen.EingerichtlichesVerfahren<br />
gäbe einerseits dem Europäischen<br />
Parlament die Gelegenheit, der eigenen<br />
Marginalisierung entgegenzutreten. Ein<br />
solches Verfahren sollte aber darüber hinausdenAuftaktdafürdarstellen,dieUnverfügbarkeit<br />
der Grundsätze sozial und demokratisch<br />
organisierter Herrschaft des<br />
Rechts in Europa wiederherzustellen. So<br />
kann das emanzipatorische Potenzial des<br />
europäischenProjektswiedersichtbarwerden.<br />
Andreas Fischer-Lescano,<br />
39, lehrt unter anderem<br />
öffentliches Recht an der<br />
Universität Bremen. Er ist<br />
Direktor des Zentrums für<br />
europäische Rechtspolitik.<br />
FOTO: REGINA SCHMEKEN