Fußball-Wm 2006 angeblich gekauft
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26 JETZT.DE<br />
Montag, 16. Juli 2012, Nr. 162 DEFGH<br />
VON MAX SCHARNIGG<br />
Köpfer<br />
Grundsätzlich: Der Köpfer, auch Köpper,<br />
Hecht oder formaljuristisch Kopfsprung<br />
genannt,istnatürlichderKlassikerdeskleinen<br />
Stapellaufs. Er markiert für die meisten<br />
Höhepunkt und auch schon das Ende<br />
der Beckenspringer-Entwicklung.<br />
So geht’s: Meistens beginnt das Herantasten<br />
an den Kopfsprung mit einem in der<br />
BeugeversteinertenEinkippenindieFlachwasserzone<br />
des Beckens. Unabdingbar<br />
wichtig ist dabei, dass die Arme fest vornüber<br />
an den Kopf gepresst sind. Dergestalt<br />
stellt man sich schlotternd ganz dicht an<br />
den Rand, verkleinert in Zeitlupe den Winkel<br />
zur Erdoberfläche und lässt dann die<br />
Schwerkraft den Rest erledigen. Das sieht<br />
letztlich meist aus, als wäre man beim Purzelbaumversteinertwordenundendetbisweilen<br />
in einem halben Salto inkl. Rückenprellung.SpäterwirdderKöpferaktiveran<br />
Pussy Riot nennt sich eine 2011 gegründete<br />
Punk-Performancegruppe, die gegen die<br />
Regierung Putin aufbegehrt. Als sie Anfang<br />
2012 den Song „Mother of God, Cast<br />
Putin Out!"“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale<br />
performte, wurden drei<br />
Mitglieder verhaftet. Vorwurf: Hooliganismus<br />
und Blasphemie. Sowohl das unüblich<br />
schnelle Verfahren als auch die HaftbedingungenwerdenvonAmnestyInternational<br />
kritisiert, viele Unterstützer der Gruppe<br />
versuchen gegen die Verurteilung zu protestieren.<br />
Eine davon ist Elena Vovkova.<br />
Die ehemalige Universitätsdozentin hat im<br />
vergangenen Jahr ihre Laufbahn beendet,<br />
da sie den staatlichen Lehrvorschriften<br />
nicht mehr Folge leisten wollte.<br />
jetzt.de: Elena, wie sind Sie auf Pussy Riot<br />
aufmerksam geworden?<br />
Elena Vovkova: Ich habe ein Video gesehen,<br />
in dem die Mädchen auf dem Dach des Gefängnisses,<br />
in dem Protest-Führer inhaftiert<br />
waren, Musik gemacht haben. Sie beeindruckten<br />
mich durch ihren Mut, ihre<br />
Energie und ihr fantastisches Äußeres. Eine<br />
Mischung aus Kriegern und Engeln, wie<br />
eine himmlische Armee.<br />
Sind Sie Mitglied der Gruppe?<br />
Ich bin kein Teil von Pussy Riot. Ich schätze<br />
sie für das, was sie machen, und tue alles,<br />
wasin meinerMachtsteht,umsiezuverteidigen.<br />
Ich schreibe Artikel im Internet, und<br />
habe, ebenfalls online, die Pussy Riot<br />
School gegründet, in der ich Essaysüber ihre<br />
Aktionen veröffentliche. Außerdem bieteichSeminareüberdieGruppean,protestiere<br />
vor dem Gerichtsgebäude und spreche<br />
in Radio- und Fernsehsendungen.<br />
Kennen Sie Mitglieder von Pussy Riot<br />
persönlich?<br />
MitdenInhaftiertenbinichüberderenVerteidiger<br />
in Kontakt und unterstütze sie, indem<br />
ich ihnen Briefe schreibe. Ich bin Mitglied<br />
des Occupy-Court-Lagers, das sich<br />
vor dem Gerichtsgebäude befindet, und<br />
ich vermute, dass einige Mädchen dort<br />
auch zu Pussy Riot gehören.<br />
Was will die Gruppe mit ihren Aktionen<br />
erreichen?<br />
Demokratie, faire Wahlen, Putins Rücktritt,<br />
Freiheit, die Trennung von Staat und<br />
Kirche, Unabhängigkeit der Frau, Gleichstellung<br />
Homosexueller. Der Feminismus<br />
in Russland steckt noch in den Anfängen<br />
und auch einige Feministen stimmen nicht<br />
mitPussyRiotüberein.Siefindensiezuaggressiv.<br />
Ich denke, dass ihr Stil eine Antwort<br />
auf die Gewalt der neuen Diktatur ist.<br />
Warum reagiert die russische Regierung<br />
so heftig auf die Gruppe?<br />
Putin glaubt wohl,dass er von Gottgesandt<br />
wurde und eine Mission hat. Aus der unabhängigen<br />
Kirche wurde eine Staatskirche,<br />
das hat nur noch wenig mit dem christlichen<br />
Glauben zu tun. Die Mädchen machen<br />
darauf aufmerksam.<br />
Wie denkt die russische Bevölkerung<br />
über die Gruppe?<br />
Der durchschnittliche Russe stimmt nicht<br />
gegangen, das bedeutet, mit Abstoßen und<br />
ansatzweisegekrümmterFlugbahn.Umeinen<br />
Kopfsprung wie in der „Cliff“-Duschgel-Werbung<br />
hinzukriegenbrauchtesaber<br />
schonehereineKlippealsdenBeckenrand.<br />
Der macht’s: Eigentlich jeder, Kinder als<br />
Mutprobe, junge Männer als Pflichtübung,<br />
junge Frauen als sportlicher Nachweis.<br />
Was bleibt: Im Idealfall sollte der Köpfer<br />
gestreckt eintauchen und also wenig spritzen.<br />
Klappt vom Beckenrand aber nicht so<br />
gut, meistens tauchen Hände, Kinnpartie<br />
und Torso gleichzeitig ein. Sieht dann auch<br />
uneleganter aus als eine gute Kerze.<br />
Kerze<br />
Grundsätzlich:DieKerze istderBasic-Einstieg<br />
ins Wasser, für alle, die sonst lieber<br />
TreppeoderRutschenehmen.Sieistdas allerfrühste<br />
Wagnis und ziemlich bald dann<br />
nur noch Objekt des Spotts. Wer als Junge<br />
jenseits des elften Geburtstags noch Kerze<br />
ins Freibadbecken macht, der darf jeden-<br />
mit den Taten der Pussy Riots überein, findet<br />
es aber in Ordnung, wenn sie aus dem<br />
Gefängnis entlassen würden. Die Kirchenfundamentalisten<br />
sähen sie am liebsten<br />
fürimmerimGefängnis.Danngibteswenige,<br />
die sie als Talente sehen. Intellektuelle,<br />
KünstlerundDemonstrantenundunzählige<br />
Menschen unterstützen uns online.<br />
Wie haben Sie auf die Verhaftung der<br />
drei Mitglieder reagiert?<br />
Meine Freunde und ich haben vor dem Gerichtsgebäude<br />
protestiert. Ich habe einen<br />
runden Tisch organisiert, um über Pussy<br />
Riot zu sprechen. Viele bezeichnen sie als<br />
Rowdys und Huren und ich wollte zeigen,<br />
dass sie intellektuell orientiert sind.<br />
Wer sind die drei Frauen, die im Gefängnis<br />
sitzen?<br />
Nadezhda Tolokonnikova hätte in diesem<br />
Jahr eigentlich an derUniversität ihren Abschluss<br />
gemacht. Sie studiert Philosophie<br />
und ist einer der besten Studenten ihres<br />
Jahrgangs. Sie und ihr Mann Petr Verzilov<br />
warenMitgliedervonVoina,einerStraßenkunstgruppe,die<br />
radikale Proteste initiiert<br />
hat. Maria Alekhina ist Dichterin, ihr Gedichtband<br />
ist kürzlich veröffentlicht worden.<br />
Ekaterina ist Fotografin.<br />
Was wissen Sie über die Haftbedingungen?DieBedingungensindschrecklich.DieZimmer<br />
sind zu warm mit viel zu vielen Menschen.<br />
Als die Mädchen in den Hungerstreik<br />
getreten sind, haben sie Einzelzimmerbekommen.Nadezdhahatgesundheitliche<br />
Probleme und hat die benötigten Medikamente<br />
nicht bekommen. Während der<br />
fallsim Schulbus nicht auf einen Platz ganz<br />
hinten hoffen. Andererseits machen Taucher,<br />
die vom Forschungsboot in den Pazifik<br />
springen ja auch immer nur Kerze. Aber<br />
das weiß man eben mit elf noch nicht.<br />
So geht’s: Eine Hand gerade an den Körper<br />
gelegt, die andere hält verkrampft die Nasenspitze<br />
zugepresst, Augen werden ebenfalls<br />
zugehalten, es folgt ein einziger großer<br />
Schritt ins Offene – platsch. Die Anfangskerze<br />
ist kein Sprung, sondern eher<br />
ein Straucheln. Später geht's ohne Nasenklemme<br />
und mit Körperstreckung.<br />
Der macht’s: Alle irgendwann. Denn die<br />
Kerze ist auch das Mittel der Wahl, wenn<br />
man sich sprungtechnisch in die Höhe<br />
wagt. Beim ersten Sprung vom Fünfmeter-<br />
Turm hört der Spaß auf, da macht erstmal<br />
keiner was anderes als eine Kerze. Auch<br />
nicht die aus dem Bus ganz hinten.<br />
Was bleibt: Die Erkenntnis, dass man mit<br />
einer guten Kerze auch im Vier-Meter-Becken<br />
auf den Grund kommt und deswegen:<br />
ein süßsaurer Schauder der Tiefe.<br />
ganzenZeithattensiekeineMöglichkeit,ihre<br />
Familien und ihre Kinder zu sehen.<br />
Wie ist der Status quo?<br />
Die Anklage lautet Blasphemie und Hooliganismus.<br />
Das könnte sieben Jahren Haft<br />
einbringen. Sie haben drei Verteidiger. Der<br />
entscheidende Gerichtstermin wurde verschoben<br />
und sie dürfen wegen Fluchtgefahr<br />
das Gefängnis nicht verlassen. Und<br />
das, obwohl 53 Menschen, inklusive mir,<br />
unterschrieben haben, dasswir für sie bürgen.NadezhdaundMariahabenihrenHungerstreik<br />
beendet, da sie krank wurden.<br />
Ekatarina isst noch immer nichts.<br />
Wieso wurde der Prozess verschoben?<br />
Ich denke, mit einem Prozess im Sommer<br />
versuchtman,allesunterden Tischzu kehren,dennimSommersindvieleRussenunterwegs.<br />
Ich fürchte, sie werden verurteilt,<br />
ohnedasssieBeachtungbekommenund in<br />
ein abgelegenes Gefängnis gebracht. Das<br />
war schon bei Chodorkowski so.<br />
Was machen Sie aktuell, um der Gruppe<br />
zu helfen?<br />
Ich schreibe Briefe, zum Beispiel an den<br />
ErzbischofvonYork,derpolitischerGefangener<br />
war, oder an das Jeston Institut. Gemeinsam<br />
mit anderen organisiere ich Proteste<br />
und es gibt eine Liste, auf der Schauspieler,<br />
Musikerund Künstlerunterschrieben<br />
haben. Wir haben sie gebeten, Bilder<br />
von Pussy Riot auf ihren Konzerten zu zeigen<br />
und wir organisieren PussyRiot-Festivals.<br />
Was fehlt ist Unterstützung aus dem<br />
Westen, die wir dringend brauchen.<br />
INTERVIEW: EVI LEMBERGER<br />
Ins Wasser!<br />
Vom Beckenrand zu springen ist verboten. Trotzdem macht es jeder, es geht nur darum, auf welche Art.<br />
Eine kleine Typologie der wichtigsten Figuren<br />
„Mischung aus Kriegern und Engeln“<br />
Elena kämpft für die in Moskau inhaftierte Band „Pussy Riot“<br />
Am 2.Juli spielten Faith No More ein Konzert in Moskau, dabei durften Mitglieder von<br />
Pussy Riot auf ihre inhaftierten Kolleginnen aufmerksam machen. FOTO: REUTERS<br />
Bauchplatscher<br />
Grundsätzlich: Bauchplatscher verhalten<br />
sich zu Wassersport wie Rülpsen zu Rhetorik.<br />
Sie sind meistens vorher nicht geplant,<br />
sondern Universalergebnis nahezu jeden<br />
missglückten Sprungs.<br />
So geht's: Als Bauchplatscher zählt alles,<br />
wasbreitflächig undunvorbereitetKörperteile<br />
und Wasseroberfläche zusammenbringt<br />
und auch Weichteile nicht ausspart.<br />
Anlass kann ein halbherziger Salto, ein<br />
falsch verstandener Kopfsprung oder,<br />
schlimmster Fall, eine plötzliche Unentschlossenheit<br />
während des Fluges sein.<br />
Dermacht’s:Erstmalkeinerfreiwillig.Ausnahme<br />
sind aufgedrehte Jungs die ihre<br />
Schmerzfreiheit damit unter Beweis stellen<br />
wollen. Zu beobachten sind aber gelegentlich<br />
auch Menschen, die im Besitz eines<br />
stattlichen Bauches sind und diesen<br />
eben nun einmal gewinnbringend einsetzen<br />
möchten<br />
Was bleibt: Hämische Schadenfreude der<br />
Lehrer-Blogs, das klingt nach der späten<br />
Rache für Bewertungsseiten wie spickmich.de.<br />
Auf dem Portal werden Lehrer<br />
von Schülern nach fachlicher Kompetenz<br />
und Beliebtheit bewertet. Dass das nicht<br />
immer nett ausfällt, ist klar. Trotzdem ist<br />
die Rache keine richtige, denn anders als<br />
die Lehrer auf spickmich.de werden die<br />
Schüler in den mittlerweile mehr als 150<br />
Lehrer-Blogs nicht beim Namen genannt.<br />
Dennoch werden die bloggenden Lehrer<br />
immermehr. Vor einem Jahr waren es noch<br />
Ausnahmen, inzwischen ist es fast normal,<br />
wenn Referendare, junge Lehrer und auch<br />
solche, die schon 20 Jahre unterrichten,<br />
über ihre Schüler schreiben, über witzige<br />
bis peinliche Antworten in Schulaufgaben,<br />
freche Sprüche und andere Anekdoten.<br />
Jan-Martin Klinge, 30, ist Mathe-, Physikund<br />
Techniklehrer an einer Gesamtschule<br />
in Siegen. Seit 2009 schreibt er auf „Ein<br />
Halbtagsblog“ über seinen Alltag als Lehrer.<br />
Er bloggt über die Top-Ten-Fragen<br />
beim Elternabend, postet Tortendiagramme<br />
mit den Berufswünschen seiner Schüler<br />
(50 Prozent: „Was mit Computern“, 50<br />
Prozent: „Was mit Menschen“) und Memes<br />
im Stil von „What People Think I Do“. Zwischendurch<br />
erklärt er, ganz der Physiklehrer,<br />
was genau passiert, wenn man in der<br />
Mittagspauseaufden LöffelmitSuppepustet.<br />
Seine Schüler sind oft das Thema seinerEinträge,<br />
aber nie nennter ihre Namen.<br />
„Dasverbietetsichvonselbst“,sagter,„außerdem<br />
geht es mir nicht um das Karikieren<br />
von Schülern.“<br />
Manchmal schreibt Jan-Martin Klinge<br />
dann aber doch über den Ärger im Unterricht:<br />
„In der Klasse 10 ist das mit der<br />
Pünktlichkeit so eine Sache“, schreibt er in<br />
einem Eintrag und erzählt, wie ein Teil der<br />
Klasse nach Unterrichtsbeginn erst nach<br />
und nach eintraf. Die Ausreden, einer<br />
schob eine vorgezogene Pinkelpause vor,<br />
deranderemeintenur,dasssiebeidenTheaterproben<br />
einer anderen Klasse zugeschaut<br />
haben, fand er nicht überzeugend,<br />
und schickte sie aus dem Klassenzimmer:<br />
„Dann guckt euch doch noch den Rest der<br />
Proben auch noch an. In meinem Unterricht<br />
habt ihr nämlich nichts verloren“. Auf<br />
seinem Blog macht sich Jan-Martin Klinge<br />
dann Gedanken, ob er das eigentlich darf.<br />
Ganz schön gewagt, wenn man bedenkt,<br />
dass er mit seinem Klarnamen eine echte<br />
Ausnahme im Lehrer-Blog-Kosmos ist.<br />
Die meisten Lehrer bloggen anonym<br />
und nennen ihre Schule nicht. „Ich schreibe,ummichunddieSchuleweiterzuentwickeln.<br />
Ich will einen transparenten Einblick<br />
geben und zeigen, wie Schule heute<br />
seinkann,mitAppsimUnterricht,Lerntheken<br />
und Rätseln. Das geht ehrlich und mit<br />
Namen deutlich besser“, sagt Klinge. Der<br />
Grund für die Anonymität seiner Kollegen<br />
sind nicht Richtlinien des Kultusministeriums,<br />
die gibt es weder auf Bundes- noch<br />
auf Landesebene, sondern ganz einfach<br />
der Datenschutz. Um den zu verletzen,<br />
muss nicht einmal der Name des Schülers<br />
genannt werden, es reicht schon, wenn<br />
man auf der Website erfährt, an welcher<br />
Schule der Lehrer unterrichtet und er über<br />
einen Jungen mit roten Haaren schreibt.<br />
Anders als die Schüler haben die Beamten<br />
Umstehenden und viel Spritzwasser am<br />
Rand, das nur langsam und schmachvoll in<br />
der Sonne verdunstet.<br />
Hebebühne<br />
Grundsätzlich: Kein Sprung, sondern der<br />
Übergang vom Sitzen am Beckenrand zu<br />
Stehen im Wasser.<br />
So geht’s: Verkünden, dass das Wasser<br />
doch ganz schön kalt ist, dann wie bei einer<br />
kompliziertenReckübungdenKörperlangsam<br />
und mit Zehenspitzen voran ins Wasser<br />
ablassen, Atem anhalten oder fröstelnd<br />
rumzischen.<br />
Der macht’s: Alle, denen das Wasser zu<br />
kaltistoderdie AngstvorHerzstillstandhaben.<br />
Außerdem besonders elegante Mädchen,<br />
sonnenmüde Swimmingpool-Beaus<br />
und ja, auch die Badehauben-Omas.<br />
Was bleibt: Die abgelegte Uhr am Beckenrand<br />
und kleine Wasserspritzer, mit denen<br />
sich vorher ordentlich abgefrischt<br />
wurde.<br />
Die Rache, die keine ist<br />
etwas zu verlieren, wenn sie Grenzen überschreiten.<br />
Auch die Referendarin, die seit Juli 2011<br />
unter dem Titel „Paprika goes school“<br />
bloggt, bleibt anonym. Sie bezeichnet sich<br />
nur als „Lehrerin für Kunst & Deutsch in<br />
spe“. Außer, dass sie in Leipzig wohnt, erfährt<br />
man nichts über ihre Person. Dafür<br />
schreibt sie sehr unterhaltsam über die Fotolovestoryausder„Bravo“,diesiezurkritischen<br />
Analyse für ihre siebte Klasse kopiert,<br />
die Panik vor den Unterrichtsbesuchen<br />
ihresSeminarleitersund darüber, wie<br />
sie von einem ihrer Siebtklässler Tipps bekommt,<br />
wie sie sich bei der Planung des<br />
Schulfestes besser durchsetzt („Na, sie<br />
sind noch ziemlich jung, dadurch haben sie<br />
es wahrscheinlich schon mal schwerer. Ich<br />
mein den Respekt und so.“). Manchmal<br />
schreibt sie einfach wütend drauf los:<br />
„Nächste Woche werd ich die Klasse eigenhändig<br />
erwürgen *grrrrr*“, steht in einem<br />
Eintrag, ein anderes Mal erzählt sie, wie sie<br />
ein paar Schülerinnen im Unterricht beim<br />
Nägellackieren erwischt, ihnen in dennoch<br />
nicht trockenen Lack fasst und „Glitzerblau<br />
ist ’ne Scheiß-Farbe“ bescheinigt.<br />
Wie der „Halbtagsblog“ mit seinen physikalisch-technischen<br />
Ausflügen geht<br />
auch „Paprika goes school“ über den Lehrer-AlltagunddasJammernüberdieSchüler<br />
hinaus, und macht damit deutlich, wie<br />
sich Lehrer-Blogs gerade verändern. Sie<br />
postet zum Beispiel Fotos von Klebestreifen,<br />
Fusseln und Blumen, die sie unter ein<br />
Mikroskop gelegt hat, oder Aufnahmen<br />
von Luminographie-Experimenten in ihrer<br />
siebten Klasse mit Taschenlampen,<br />
Farbfolien und Kameras. Auch die angehendeKunst-undGeografie-LehrerinJanina<br />
Scheidmann, 29, postet auf ihrem Blog<br />
Arschbombe<br />
Grundsätzlich: Auch einfach Bombe oder<br />
Paket genannt, ist sie das ironische Ausdrucksmittel<br />
aller Beckenrandcowboys,<br />
die ewige Furcht derjenigen, die sich gerade<br />
abgetrocknet haben und steter Anlass<br />
für Geschimpfe und Gejohle.<br />
So geht’s: Abspringen, Beine anziehen<br />
oder im besten Fall sogar mit beiden Armen<br />
an den Körper binden, das anvisierte<br />
Publikum noch mal breit angrinsen.<br />
Wenn die Arschbombe als Grundlage für<br />
Flirts herhalten muss, besteht eine gewisse<br />
Herausforderung noch darin, sie so nah<br />
wie möglich am Beckenrand zu platzieren.<br />
Dermacht’s: PubertierendeJungsallerAltersklassen.<br />
Wasbleibt:VieleNachahmer beidenJungs<br />
und viele verdrehte Augen bei den Mädchen.<br />
Und natürlich die Schilderung der<br />
kleinenKinder,wiehochdiesmaldieSpritzfontäne<br />
war.<br />
Wenn Lehrer bloggen, wird nicht über Schüler gelästert. Zumindest nicht nur<br />
Vom Pult zum Blog, das ist mittlerweile durchaus üblich für Lehrer – auch inklusive<br />
ironischer Annäherungen an ihren Beruf. FOTO: OH<br />
ILLUSTRATION: KATHARINA BITZL<br />
„kunstkrempel“ neben Hefteinträgen und<br />
Schulaufgaben eigene Illustrationen, Fotos<br />
und Ergebnisse einer Diskussion mit<br />
Schülern über die Definition von „Kunst“.<br />
Vor einiger Zeit waren eher ältere die<br />
StarsderSzene,wiedieMittvierziger „Herr<br />
Rau“, „Frl. Rot“ oder „Frau Freitag“, die<br />
eben das zweite Buch herausgebracht hat,<br />
das auf ihrem Blog basiert. Am Anfang<br />
überwogen bei ihnen noch Anekdoten und<br />
das Jammern über die Schüler, Geschichten<br />
vom Spicken mit MP3-Player unterm<br />
Kopftuch,von68Klausuren,dienochkorrigiert<br />
werden müssen, und der Klassenfahrt,<br />
für die sie noch keine Begleitperson<br />
haben. Das Auskotzen und Abschließen<br />
mit einem Schultag ist nach wie vor ein<br />
Grund für Lehrer zu bloggen, aber nur<br />
nocheinTeilaspekt,vielleichtweildieBlogger<br />
jünger werden und neben Referendaren<br />
schon Lehramtsstudenten von ihrem<br />
Weg zum Beruf berichten.<br />
Immer mehr Lehrer schreiben im Netz<br />
auch über Dinge jenseits des Klassenzimmers.<br />
Die Lehramtsanwärterin für die<br />
Grundschule „Frau A.“, 24, postet auf ihrem<br />
Referendar-Blog „Der steinige Weg“<br />
Fotos von Tafelbildern, Hefteinträgen und<br />
dererstenMathe-Schulaufgabe,sieberichtet<br />
aberauch über Apps, diesieals Lehrerin<br />
gut findet, oder über bildungspolitische<br />
Themen wie den Lehrermangel in manchen<br />
Bundesländern.<br />
Warum man Lehrerblogs liest? Weil man<br />
sich doch gerne an Schulaufgaben und an<br />
Linolschnitte erinnert – vor allem wenn<br />
man sie nicht mehr selbst machen muss.<br />
KATHRIN HOLLMER<br />
VERANTWORTLICH: M. SCHARNIGG (I.V.)