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DEFGH Nr. 162, Montag, 16. Juli 2012 DIE SEITE DREI<br />

HF2 3<br />

VON CHRISTIANE SCHLÖTZER<br />

Ptolemaida, Veria, Heraklion – Der Mann<br />

hat eine Ringkämpfer-Statur, weshalb<br />

man ihm so viel Empfindlichkeit erst einmal<br />

gar nicht zutraut. Angela Merkels Spezialagent<br />

für das Atmosphärische hält die<br />

NaseindenNachtwindundschnuppertVertrautes.<br />

„Frankfurt Oder“, sagt Hans-Joachim<br />

Fuchtel. „Braunkohle.“ Ein stechender<br />

Geruch liegt in der schwülen Luft. Die<br />

Erinnerung trägt den schweren Mann fort.<br />

Damals, sagt Fuchtel, als fast der ganze<br />

deutsche Osten noch ein Sanierungsfall<br />

war, habe er sich einen Tropfen japanisches<br />

Heilpflanzenöl aufs Oberlippenbärtchen<br />

geträufelt, wenn er im märkischen<br />

Kohlerevier unterwegs war. Dann war der<br />

böse Gestank weg.<br />

Lange her, und hier ist nicht Brandenburg,<br />

sondern Westmakedonien. Aber<br />

einen, der sich immer irgendwie zu helfen<br />

weiß, den können sie auch hier im Norden<br />

Griechenlands gebrauchen. Deshalb steht<br />

Hans-Joachim Fuchtel nach vielstündiger<br />

Anreise nun verschwitzt in tiefer Nacht in<br />

der Lobby eines Hotels in der Provinzstadt<br />

Ptolemaida und stellt eine leichtsinnige<br />

Frage.Wanndenn derSwimmingpoolmorgens<br />

öffne, will der Deutsche wissen. „11<br />

Uhr“, sagt der Portier. Fuchtel seufzt.<br />

Wenn zwei sich nicht mögen,<br />

sollte man etwas gemeinsam<br />

machen. Das ist seine Idee<br />

Kein guter Auftakt für die Mission des<br />

Mannes. Schließlich gehört dazu auch die<br />

Suche nach bislang verborgenen touristischen<br />

Attraktionen der hellenischen Provinz.<br />

Doch das ist längst nicht alles. Fuchtel,<br />

Parlamentarischer Staatssekretär im<br />

BundesarbeitsministeriummitSpezialauftrag,<br />

soll in erster Linie für eine Klimaverbesserung<br />

zwischen Deutschland und<br />

Griechenland sorgen. Die alten filterlosen<br />

Braunkohlekraftwerke in der Region, die<br />

sieGriechenlandsRuhrgebietnennen,spielen<br />

dabei zwar auch eine Rolle. Zuerst einmal<br />

aber geht es um das vergiftete Binnenklima<br />

zwischen den beiden Nationen. Troika,<br />

Task-Force, Memoranden. Die meisten<br />

GriechenhabendieNasevollvondenAuflagen<br />

der Europäer, und verantwortlich für<br />

die „Spardiktate“ machen sie die deutsche<br />

Regierung. GriechischeMedienhabenMerkel<br />

in NS-Uniform porträtiert, und deutsche<br />

Medien haben sich über die „Pleitegriechen“<br />

lustig gemacht. Man ist aufeinander<br />

nicht gut zu sprechen.<br />

Ausgerechnet ein CDU-Mann soll das<br />

ändern. „Ich frage meine griechischen Gesprächspartner<br />

immer, ob sie Frau Merkel<br />

kennen“, sagt Fuchtel, der nicht gerne lange<br />

herumdruckst. Die Antworten schrecken<br />

ihn mittlerweile kaum mehr: „Viele<br />

Griechen sagen, ja, die kennen wir, und die<br />

tut schlimme Sachen.“ Darauf antwortet er<br />

gern: „Und nun wollen wir sehen, was wir<br />

besser machen können.“ Zu diesem Zweck<br />

hatMerkelsSpezialagenteineArt Revolution<br />

von unten gestartet, die deutsche und<br />

griechische Kommunalpolitiker gemeinsam<br />

tragen sollen. Abseits der Hauptstädte,<br />

und fern des Parteiengezänks. Die Gelegenheit<br />

dafür ist günstig. Die herkömmlichen<br />

griechischen Parteien haben zuletzt<br />

einen Großteil ihrer Macht verloren.<br />

GriechischeBürgermeisterundProvinzgouverneure<br />

versichern inzwischen am<br />

liebsten, sie seien „nur für ihre Bürger“ da.<br />

Und das vielleicht Erstaunlichste dabei ist:<br />

Bei dieser Revolution scheint auch Hilfe<br />

aus Deutschland auf einmal willkommen<br />

zu sein. Der CDU-Mann kann sich inzwischen<br />

vor Einladungen griechischer Kommunalpolitiker<br />

kaum noch retten. Dabei<br />

bringt er nicht viel mehr mit als etwas, das<br />

sichauchleichtwiederverflüchtigenkönnte:<br />

Hoffnung.<br />

VON THORSTEN SCHMITZ<br />

Tübingen – Einmal in seinem Leben hat<br />

sich Jens Ziegler reich gefühlt, richtig<br />

reich,13 Jahrewarerdaalt.ZurKonfirmationhatte<br />

erzwanzig Aktiender Telekom geschenkt<br />

bekommen, 10 DM das Stück. Es<br />

waren die neunziger Jahre, Aktienhausse,<br />

IT-Boom, Start-up-Fieber, die Zeit also, in<br />

der das Geld auf der Straße lag. Innerhalb<br />

weniger Wochen hatte sich der Wert einer<br />

Aktieverzehnfacht.PlötzlichbesaßKonfirmandZiegler2000DM.„DaswareinWahnsinn!“<br />

erinnert er sich. „Ohne was zu tun,<br />

hat sich mein Vermögen vermehrt.“<br />

Der plötzliche Reichtum fachte seine<br />

Neugier an. Ziegler entschloss sich, in die<br />

Welt der Finanzen einzutauchen. Studierte<br />

VWL. „Ich wollte verstehen. Das war meine<br />

Motivation.“ Zwanzig Jahre später ist Ziegler<br />

Wirtschaftslehrer an einem Gymnasium<br />

nahe Tübingen. Es gibt Dinge, die ihm<br />

bis heute unerklärlich sind.<br />

DieGebäudedes Karl-von-Frisch-Gymnasiums<br />

in Dußlingen sind sechseckig und<br />

erinnernanBienenwaben. 800Schülerlernen<br />

hier. Karl von Frisch war Bienenforscher.<br />

In einer Vitrine neben dem Büro des<br />

Schuldirektors liegen Bücher des Zoologen.Aufeinemsteht:„DasgrößteAbenteuer<br />

menschlichen Geistes ist die Erforschung<br />

des Lebens.“ Für Ziegler ist es: Die<br />

Erforschung der Finanzwelt.<br />

Ziegler unterrichtet am Karl-von-<br />

Frisch-Gymnasium Oberstufenschüler. Er<br />

sagt, er verstehe jetzt natürlich viel mehr<br />

Fuchtel, Abgeordneter aus dem Nordschwarzwald,<br />

der auch einmal eine arme<br />

Gegend war, kam quasi über Nacht zu seiner<br />

Aufgabe. Im März 2010 – Griechenland<br />

war schon in der Krise, aber der damalige<br />

Premier Giorgos Papandreou hatte das<br />

WortPleitenochnichtinden Mundgenommen<br />

– vereinbarten Papandreou und Merkel,<br />

die alte Idee der Städtepartnerschaft<br />

neuzu beleben.Kommunalpolitiker beider<br />

Ländersolltensichin einer„Deutsch-Griechischen<br />

Versammlung“ zusammenfinden.<br />

Das Dumme an dem schönen Plan: Er<br />

ging im Strudel der Euro-Krise fast unter.<br />

Wären danichteinaktiverdeutscher Generalkonsulin<br />

Thessaloniki gewesen, und ein<br />

nicht weniger unermüdlicher, frisch gewählter<br />

Bürgermeister in der Hafenstadt,<br />

dann wäre es wohl auch dabei geblieben.<br />

Ende 2011 haben sie dann in Berlin gemerkt,<br />

dass ein paar Griechen die Idee<br />

nicht sterben lassen wollten.<br />

So kam die Kanzlerin auf Fuchtel, weil<br />

es schließlich einen braucht, der den Prellbock<br />

macht. Erst einmal traf ihn dann auch<br />

die volle Wucht des antideutschen Ressentiments.<br />

Eine Zeitung verglich den Schwaben<br />

mit dem Bayern-König Otto und dessen<br />

unglücklicher Regentschaft in Hellas<br />

im 19. Jahrhundert.<br />

Fuchtel, 60, weiß, was Spott ist. Er hat<br />

schonSchlimmeres ertragen. Einst organi-<br />

als damals. Er sieht zum Beispiel die Instabilität<br />

des Euro und bezweifelt, dass sein<br />

Sohn in zwanzig Jahren noch mit Euro zahlen<br />

wird undungehindertdurchEuropareisen<br />

kann: „Ich bin skeptisch, dass die politische<br />

und wirtschaftliche Situation in<br />

Mitteleuropa so stabil bleibt.“<br />

Es gibt aber auch Grenzen des Verstehens:<br />

„Es ist nicht bis ins Letzte zu durchdringen,<br />

welche Konsequenzen die Entscheidungen<br />

haben, die gerade im Rahmen<br />

der Euro-Krise getroffen werden.“<br />

In Zeitungen und Talk-Shows gibt es<br />

fast kein anderes Thema: Euro-Krise,<br />

ESM,EFSF,Fiskalpakt,Banken-Union,Euro-Bonds.<br />

Aber blickt noch jemand durch?<br />

Bundespräsident Joachim Gauck hat die<br />

Kanzlerin gerüffelt. In der Euro-Debatte<br />

habe sie „die Verpflichtung, sehr detailliert<br />

zubeschreiben,wasdasbedeutet, auchfiskalisch<br />

bedeutet.“ Klarheit vermisst auch<br />

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident<br />

TorstenAlbig: „Wirmüssentrotzdeshektischen<br />

Treibens viel mehr erklären: Warum<br />

tun wir etwas und warum ist es sinnvoll?“<br />

Wer sich unter Schülern und Lehrern<br />

umhört, merkt schnell, dass das größte<br />

Abenteuer menschlichen Geistes auch sein<br />

kann, herauszufinden: Von was reden die<br />

Politiker da eigentlich?<br />

Dienstagnachmittag, 8. Stunde, Neigungsfach<br />

Wirtschaft bei Herrn Ziegler, 16<br />

Schüler.Draußen:DieheileWeltderSchwäbischenAlb.SonnenblumenfelderundWiesen,<br />

dazwischen Autozulieferer und Medizintechnikunternehmen,<br />

kurz: Eine wirt-<br />

Merkels Geheimwaffe<br />

Hans-Joachim Fuchtel soll zusammenbringen, was <strong>angeblich</strong> gar nicht zusammen will.<br />

Irgendwas macht er wohl richtig. Die Griechen können gar nicht genug kriegen von ihm<br />

Der Mann weiß, was Spott ist. Aber in Griechenland ist alles anders – da kann sich Hans-Joachim Fuchtel vor Einladungen kaum noch retten. FOTO: JENS SCHICKE<br />

sierte er–weilHelmutKohlesso wollte–in<br />

Berlin ein Kamelrennen durchs BrandenburgerTor,arabischeInvestorensolltenbeeindrucktwerden.<br />

Erhatauch schon Zahnärzte<br />

als Freiwillige ins arme Mauretanien<br />

gelockt.Profi-Helfer wiederCap-Anamur-<br />

Gründer Rupert Neudeck haben das bis<br />

heute nicht vergessen.<br />

„Net schwätze, schaffe“, sagt Fuchtel<br />

und wischt über sein Smartphone.<br />

Er hat ein paar deutsche Politiker<br />

mitgebracht. Dass die auch kein<br />

Geld haben, will keiner glauben<br />

Sein Adressbuch ist eine Fundgrube,<br />

weshalb er in Ptolemaida auch mit einem<br />

KleinbusvollerdeutscherKommunalpolitiker<br />

angereist ist. Die haben sich anstecken<br />

lassen vom Überzeugungstäter Fuchtel,<br />

der allen, die es hören wollen, sagt: Wenn<br />

Griechenland aus der Krise komme, dann<br />

sei das für ganz Europa nützlich. Nicht<br />

jeder hat das zu Hause gleich verstanden.<br />

Auch nicht in der Heimat von Klaus<br />

Burhenne,BürgermeisterderniedersächsischenStadtHannoverschMünden,vonbarocker<br />

Statur wie Fuchtel und auch in der<br />

CDU. „Ich habe mir schon dumme Sprüche<br />

anhören müssen“, sagt Burhenne, „nach<br />

schaftliche Situation, von der Portugal,<br />

Irland und Spanien nur träumen können<br />

(Griechenland sowieso). In der Region<br />

herrscht europaweit eine der niedrigsten<br />

Arbeitslosenquoten mit nur vier Prozent,<br />

in Tübingen quasi Vollbeschäftigung mit<br />

nur zwei Prozent Arbeitslosen.<br />

Die 16 Schülerinnen und Schüler sollen<br />

Referate vortragen. Aufgabe war, eine<br />

StandortanalysefürInvestitionen anzufertigen<br />

vor dem Hintergrund der aktuellen<br />

dem Motto, geht doch beim Griechen essen,<br />

das reicht doch auch.“ Burhenne aber<br />

hat nun einen einstimmigen Ratsbeschluss,<br />

mit einer griechischen Gemeinde<br />

eine Verbindung einzugehen.<br />

Von „Städtepartnerschaft“ aber will er<br />

nicht sprechen, nur von „Know-how-Partnerschaft“.<br />

In Ptolemaida erzählt Burhenne<br />

daher, wie es seine Stadt schafft, eigene<br />

Energie zu erzeugen, mit Wasser und Sonne.<br />

Und er gibt die Erfahrung weiter, dass<br />

es nicht leicht ist, „von einem großen<br />

Stromkonzernwie EondieNetzezubekommen“.DanickendievielenKommunalpolitiker<br />

im Saal. Der staatliche griechische<br />

Stromriese, dem die Schmutzkraftwerke<br />

in der Region gehören, die zwei Drittel des<br />

gesamten griechischen Stroms liefern,<br />

sperrtsichmitallerMachtgegeneinePrivatisierung.<br />

„Da müssen sie sich Messer an<br />

die Ellenbogen stecken“, rät der Deutsche<br />

den Griechen.<br />

Weil sie inzwischen nicht nur in Ptolemaida<br />

hören wollen, wie man selbst Energie<br />

erzeugt und auch aus Hausmüll Geld<br />

macht, eilt Fuchtels Mannschaft in vier Tagen<br />

im Zickzack durch die griechische Provinz,<br />

organisiert Energie-Kongresse hier<br />

und dort, lässt Abfallexperten ausschwärmen.<br />

Die Anbahnung der neuen Freundschaften<br />

sorgt, wie könnte es sein, dabei<br />

für manchen Aha-Effekt. In der Stadt Veria<br />

Morgen, Kinder, wird’s was geben<br />

Was wissen Schüler auf der Schwäbischen Alb eigentlich über die Euro-Krise? Ehrlich gesagt: eher weniger<br />

wirtschaftlichen Situation. Es ist der Tag,<br />

an dem das Bundesverfassungsgericht in<br />

Karlsruhe über die Eilanträge gegen den<br />

dauerhaften Rettungsschirm ESM und<br />

den Fiskalpakt berät, der die Euro-Länder<br />

zu mehr Haushaltsdisziplin zwingen soll.<br />

Die Schüler stellen Investitionsprojekte<br />

vor, als sei Europa eine einzige Schwäbische<br />

Alb, eine Wiese ohne Euro-Krise.<br />

Johanna und Sophie, beide 17, würden<br />

amliebsteneinmodernesMöbelhausgrün-<br />

Dienstagnachmittag, Neigungsfach Wirtschaft bei Jens Ziegler (rechts) im Karl-von-<br />

Frisch-Gymnasium, Dußlingen: Es gibt auch Grenzen des Verstehens. FOTO: MITZ<br />

inZentralmakedonienversprichtdermächtige<br />

Prachtbau des Rathauses Schutz vor<br />

den 40 Grad Außentemperatur. Doch drinnen<br />

im großen Saal, wo die Bürgermeisterin<br />

empfängt, ist es trotz vieler Ventilatoren<br />

so schwül, dass ein deutscher Politiker<br />

staunt, wie man „hier eine Sitzung machen<br />

kann“. Der örtliche Handelskammer-Vertreter<br />

klagt darüber, dass die griechischen<br />

Banken den Firmen kein Geld mehr geben.<br />

Als er fordert, Deutschland sollte Verias<br />

Pfirsichproduktion direkt unterstützen,<br />

da muss ihn der mitgereiste Trierer LandratGüntherSchartz,ebenfallsCDU,enttäuschen.<br />

„Wir sind finanziell auch eher auf<br />

der Soll-Seite“, sagt Schartz. Bürgermeister<br />

Burhenne formuliert es drastischer.<br />

„Wir sind auch pleite.“ Staunende Gesichter<br />

bei den Griechen – in einer Vorort-Gemeinde<br />

von Thessaloniki, mit der Hannoversch<br />

Münden künftig den Expertenaustausch<br />

pflegen will. „Viele hier glauben, in<br />

Deutschland ist alles Gold“, sagt eine griechische<br />

Journalistin.<br />

„So wie die griechischen Gastarbeiter<br />

beim Wiederaufbau Deutschlands geholfen<br />

haben“, so sollten nun die Deutschen<br />

den Griechen beistehen, sagt ein griechischerStadtratinVeria.„EsistZeit,neueWegezuöffnen“,meinteinanderer.Dieresolute<br />

Bürgermeisterin hat bald genug von den<br />

höflichen Worten. Sie sagt: „Jetzt beginnt<br />

den,inSindelfingen,„JoSo“,zusammengesetztausihrenVornamen.EineArtAlternativ-Ikea,<br />

mit Solarstrom betrieben. Die anderen<br />

Schüler applaudieren.<br />

Johanna möchte nach dem Abitur in die<br />

Logistik-Branche, wieihr Vater.„Ichversuche,<br />

die Krise zu verstehen“, sagt sie. „Es<br />

fällt mir schwer.“ Das Unverständnis liege<br />

auch am Politikerdeutsch. Die packen das<br />

in Worte, die man nicht verstehen kann.<br />

Sophie geht es genauso. Sie schaltet den<br />

Fernseher ein, liest online Zeitung. Wenig<br />

hilfreich empfand sie das Titelbild von Focus,<br />

auf dem die griechische Liebesgöttin<br />

Aphrodite den Stinkefinger zeigte: „Das<br />

hat mich geschockt.“ Sophies Vater kommt<br />

ausAthen. Was ihrdiePolitikernichterklären<br />

können, das sieht sie mit eigenen Augen<br />

an ihrer Familie: „Meine Cousine ist<br />

Pharmazeutin, sie hat ihren Job verloren.<br />

Da gibt es nicht viel zu verstehen.“<br />

Johanna sagt: „Ich würde mir wünschen,dassdiePolitikermenschlichersprechen.<br />

Das geht uns ja schließlich alle an,<br />

wenn die über unsere Zukunft entscheiden.“<br />

Wen sie sympathisch findet? „Den<br />

Gauck, auf jeden Fall den!“ Weil er der<br />

Kanzleringesagthat,siesolledeutlicherreden,<br />

wenn es um die Euro-Krise geht. „Und<br />

weil er bei seinem Israel-Besuch in Jad Vaschem<br />

einen langen Eintrag ins Gästebuch<br />

geschrieben hat, ohne Eile, was er fühlt.“<br />

SchülerumSchülerstellenihreInvestitionsstandorte<br />

vor. Draußen wird Rasen gemäht,<br />

es ist kurz nach 15 Uhr, kleine Pause.<br />

Fabio schnappt frische Luft auf dem Klas-<br />

die Arbeit.“ Zweimal war sie in Deutschland,<br />

um Fuchtel davon zu überzeugen,<br />

dass auch Veria Expertenhilfe brauchen<br />

könnte, beispielsweise, um den Tourismus<br />

in der Stadt anzukurbeln, oder zur Direktvermarktung<br />

von Agrarprodukten.<br />

Wo die Regierung in Athen weit weg ist,<br />

stellen sich immermehr Leute aufdie eigenen<br />

Füße. So viel Emanzipation ist neu. In<br />

der Region um die Braunkohle-Dreckschleudern,<br />

wo noch für mehr als 100 Jahre<br />

Kohle in der Erde schlummert, haben sich<br />

mehrere „Energiestädte“ zusammengeschlossen.IhrSprecherMakisJosifidiswettert:<br />

Der staatliche Energieriese DEI zeige<br />

„IgnoranzgegenüberderUmwelt“.Manhabe<br />

schon an die EU-Kommissare Öttinger<br />

und Almunia geschrieben und angeboten,<br />

ihnen „bei der Öffnung des griechischen<br />

Strommarktes zu helfen“.<br />

Der Stromkonzern, samt eigener Gewerkschaft,isteinSynonymfürdenWiderstand<br />

gegen die von der EU geforderte<br />

Privatisierung von griechischen Staatsbetrieben.<br />

Und er bekommt dabei Unterstützung<br />

von Alexis Tsipras, dem nun weit<br />

über Griechenland hinaus bekannten Chef<br />

derradikallinken Syriza,dergrößtenOppositionspartei<br />

im Parlament. Tsipras hat<br />

erstvorwenigenTagengewarnt,privateInvestoren<br />

würden ihr Geld wieder verlieren.<br />

InGriechenlandisteinheftiger Kampfentbrannt<br />

zwischen Beharren und Reformieren.<br />

Wer sich zwischen die Fronten wagt,<br />

der bekommt das zu spüren.<br />

Dass er nicht überall beliebt ist,<br />

ahnt er. Der Polizeischutz<br />

bleibt jedenfalls griechisch lässig<br />

„Nein zur Unterwerfung“ steht auf<br />

einem Plakat, das Fuchtel in Fallschirmspringerkluft<br />

zeigt. Damit die Botschaft<br />

auch klar ist, steht darunter in Griechisch<br />

und Deutsch: „Fuchtel, du bist unerwünscht.“<br />

Die kretische Zeitung Patris<br />

zeigtdasPlakat,dasandiedeutscheInvasion<br />

in Kreta im Zweiten Weltkrieg erinnern<br />

soll. Das Blatt berichtet zur Ankunft des<br />

Merkel-Mannes in Heraklion auch von geplanten<br />

Demonstrationen.<br />

Fuchtels Treffen mit Kommunalpolitikernwirddeshalb<br />

kurzerhandinsGebäude<br />

desGouverneursverlegt. Der Polizeischutz<br />

bleibt griechisch lässig. Statt der Protestler<br />

kommt der Chef des Hafens und wirbt für<br />

einen neuen „Gesundheitstourismus“ auf<br />

Kreta. Es taucht auch der gesamte Vorstand<br />

einer Holzverarbeitungs-Genossenschaft<br />

auf, die Lehrlinge zur Ausbildung in<br />

den Schwarzwald schicken will, zumindest<br />

solange sie im krisengeschüttelten Griechenland<br />

ohne Job bleiben.<br />

In vielen deutschen Berufsschulen fehlen<br />

Auszubildende, weshalb auch eine VertreterindesInnovationszentrumsderDeutschen<br />

Wirtschaft nach Heraklion gekommen<br />

ist, eine in Deutschland aufgewachsene<br />

Kreterin. Sie wirbt in zwei Sprachen für<br />

die Lehre in Germania, samt Deutschkurs.<br />

„Wir sollten unsere Politiker zu dieser Ausbildung<br />

schicken“, kommentiert einer aus<br />

der Schreiner-Genossenschaft.<br />

Dann ist Pressekonferenz – und Hans-<br />

Joachim Fuchtel wird gegrillt. Griechenland<br />

habe „seine Souveränität verloren“,<br />

klagt ein Journalist. Die vielen Auflagen,<br />

derganzeDruck.UndschuldseiendieDeutschen.<br />

Nun solle das Land auch noch seine<br />

Jugend hergeben.<br />

Fuchtel kämpft. Er zitiert Aristoteles,<br />

der die „wahre Freundschaft“ von der<br />

„Nutzerfreundschaft“ unterschieden habe,<br />

„der Facebook-Freundschaft“, wie er<br />

esausdrückt,damit man ihnauchversteht.<br />

Und wenn einer „bessere Konzepte“ habe,<br />

dann sollte er sie bringen. Am nächsten<br />

Morgen ist Fuchtel wieder auf der Titelseite<br />

von Patris. „Netz der Freundschaft“,<br />

heißt die Schlagzeile.<br />

senzimmerbalkon.ErträgteinT-Shirt,kurze<br />

Hosen, Flip Flops. Wenn er sein Abitur<br />

gemacht hat, will er in die USA. Demnächst<br />

wird er ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren,inMilwaukee.SpätermöchteerBiologie<br />

studieren, auf keinen Fall Wirtschaft.<br />

„Fiskalpaktundso,ichhab’snichthundertprozentig<br />

verstanden.“<br />

Vor der Klasse spricht jetzt Max. Seine<br />

Idee: Einen McDonald’s eröffnen an der<br />

B 27, zwischen Nehren und Hechingen. Die<br />

Punkte, die für eine McDonald’s-Filiale<br />

sprechen, notiert Lehrer Ziegler an der Tafel:<br />

In Deutschland herrsche Frieden, die<br />

politische Lage sei stabil. Unter „negativ“<br />

schreibt er: „Die Schulden.“ Er zögert. Und<br />

setzt noch ein Wort in Klammern hinzu,<br />

mit Fragezeichen: „Euro?“<br />

Max möchte in die Immobilienbranche<br />

einsteigen, das scheint ihm „zurzeit das<br />

Sicherste“. Ob er begreift, um was es geht,<br />

wenn von Fazilität und Anleihekäufen die<br />

Rede ist? „Mehr oder weniger.“ Er lächelt.<br />

Und räumt ein: „Eher weniger.“<br />

Jens Ziegler sagt: „Viele Schüler haben<br />

längst das Gefühl, dass Entscheidungen<br />

der Politik ohne sie getroffen werden und<br />

dass sich daher eh nichts ändern lasse.“<br />

Das drücke sich auch an der Wahlbeteiligungaus.Wiesich<br />

dasändernlassen könnte?<br />

„Indem die Politiker hochkomplexe<br />

Themen runterbrechen, verständlich machen<br />

und Alternativen aufzeigen.“<br />

Auf eine Alternative ist er gekommen:<br />

„Wenn manüber Facebook wählen könnte,<br />

würden mehr Menschen zur Wahl gehen.“

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