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Staatspolitisches Handbuch

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Überzeugung Luft gemacht: »Allmählich begann mir das Schweigen über<br />

Preußen die Kehle zuzuschnüren. Da beschloß ich zu reden. Am 18. Januar<br />

1951, dem 250. Geburtstag des preußischen Staates, war für mich<br />

der Anlaß gekommen, da dieses Datums nirgendwo öffentlich gedacht<br />

wurde.« Schoeps ließ Plakate drucken und lud zum Vortrag »Die Wahrheit<br />

über Preußen« ins Audimax der Universität Erlangen, wo er seit 1947<br />

Professor für Geistesgeschichte war.<br />

Der Vortrag wurde ein großer Erfolg. Ein Augenzeuge<br />

spricht von unglaublichen 1500 Zuhörern.<br />

Die Druckausgabe des Vortrags unter dem Titel Die<br />

Ehre Preußens verkaufte sich zehntausendfach. Offenbar<br />

hatte Schoeps mit seinem Vortrag und dem Lob<br />

des Staates Preußen eine Stimmung getroffen, die sich<br />

sonst nicht öffentlich artikulieren konnte. Schoeps<br />

schloß seinen Vortrag mit einer Forderung, die damals<br />

vermutlich nicht so aus dem Rahmen fiel, wie es<br />

heute vielleicht scheinen mag. Er gab der Hoffnung auf<br />

die »Wiedervereinigung Westdeutschlands mit Mitteldeutschland«<br />

Ausdruck, betonte aber, daß diese Hoffnung<br />

einschlösse, daß »auch der Tag kommen wird,<br />

an dem – wenn schon nicht schwarzweiße, so doch –<br />

deutsche Fahnen wieder wehen werden über Stettin<br />

und Breslau, Danzig und Königsberg. Denn erst die<br />

territoriale Wiederherstellung Preußens wird die Einheit<br />

Deutschlands sein!«<br />

Diese Aussage verband er mit einer Abgrenzung<br />

zu »extremen Rechtsparteien mit undurchsichtigen<br />

Hintergründen und verantwortungslosen Schlagwortparolen«,<br />

womit vermutlich die Sozialistische<br />

Reichspartei gemeint war, die 1952 verboten wurde.<br />

Schoeps wollte damit andeuten, daß es für seine Haltung<br />

keine politische Heimat gab. Er konnte diese Position<br />

glaubhaft vertreten, ohne als Extremist abgestempelt<br />

zu werden, weil ihn ein besonderes Schicksal mit Preußen verband.<br />

Schoeps, 1909 in Berlin geboren, war Jude und deshalb 1938 nach<br />

Schweden emigriert.<br />

Und er war bei der ersten Gelegenheit nach Deutschland zurückgekehrt.<br />

Der promovierte Religionswissenschaftler konnte sich mit seinen<br />

Arbeiten aus dem Exil in Erlangen habilitieren und erhielt dort einen eigens<br />

für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Religions- und Geistesgeschichte.<br />

Seine Vita nutzte ihm bei seinem Einstehen für Preußen, machte ihn jedoch<br />

nicht immun gegen Angriffe, die ihn als Militaristen beschimpften.<br />

Wie er in seinen Lebenserinnerungen angibt, erreichten ihn nach dem<br />

Vortrag zahlreiche Briefe, die ihn in seiner Auffassung von der Aktualität<br />

Preußens bestärkten. Dieser Erfolg bewog Schoeps, auch politisch aktiv<br />

zu werden. Er hoffte die Resonanz, die sein Vortrag gefunden hatte,<br />

in eine politische Alternative zu überführen: Die Bundesrepublik sollte<br />

sich an Preußen orientieren und nach seinem Vorbild reformieren. Frank-<br />

Lothar Kroll hat bei Schoeps drei »unmittelbar politische Zielvorgaben«<br />

ausgemacht: die Erneuerung der preußischen Idee, das Plädoyer zugunsten<br />

der monarchischen Staatsform sowie die Wiedererrichtung des Staates<br />

Preußen. Hinzu kommen noch die mittelbar mit dem preußischen Vorbild<br />

in Zusammenhang stehenden Forderungen nach einer Wahlrechtsreform<br />

und einer staatspolitischen Elitenbildung. Damit war ein Programm<br />

vorgegeben, das durchaus als Alternative zur real existierenden BRD zu<br />

verstehen war und für das wohl zu keinem Zeitpunkt eine realistische<br />

Chance auf Verwirklichung bestand. Die Wiedererrichtung des preußischen<br />

Staates war unmöglich, solange der Eiserne Vorhang bestand und<br />

Preußen zwischen vier Staaten aufgeteilt war. Preußen hatte bereits nach<br />

dem Ersten Weltkrieg Gebietsverluste hinnehmen müssen. Seitdem trösteten<br />

sich nicht wenige, unter anderem Rathenau, mit dem polnischen<br />

Beispiel: Polen habe mehr als 100 Jahre auf die Wiedererrichtung warten<br />

müssen. Auch Schoeps verwies 1969 darauf: Polen »blieb am Leben, weil<br />

seine Staatsidee lebendig blieb. Die [preußische] Staatsidee […] ist älter als<br />

die heutigen Not- und Zufallsgebilde auf dem Boden des Deutschen Reiches.<br />

Sie wird sie überleben, denn Preußen muß sein.«<br />

Preußen, jugendbewegt;<br />

Umschlag für einen<br />

Sammelband von<br />

Schoeps, 1955.<br />

Frank-Lothar Kroll:<br />

Geistesgeschichte in<br />

interdisziplinärer Sicht.<br />

Der Historiker Hans-<br />

Joachim Schoeps, in: ders.:<br />

Das geistige Preußen.<br />

Zur Ideengeschichte<br />

eines Staates, Paderborn<br />

2001, 219–240.<br />

Hans-Joachim Schoeps:<br />

Die letzten dreißig Jahre.<br />

Rückblicke, Stuttgart 1956.<br />

Frank-Lothar Kroll: Hans-<br />

Joachim Schoeps und<br />

Preußen, in: Wider den<br />

Zeitgeist. Studien zum<br />

Leben und Werk von<br />

Hans-Joachim Schoeps<br />

(1909–1980), Hildesheim<br />

2009, 105–137.<br />

Lehnert – Preußen<br />

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