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Staatspolitisches Handbuch

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ersten wie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

zeigen, bis hin zum Individual- und Pauschaltourismus<br />

der Gegenwart. Das alles stellt<br />

der wunderbar illustrierte Band Nordlandreise.<br />

Die Geschichte einer touristischen Entdeckung<br />

(Sonja Kinzler und Doris Tillmann, mare 2010,<br />

246 S., 29.80 €) in mehr als zwanzig sehr informativen<br />

Beiträgen dar. Nur auf die politisch-korrekten<br />

Hinweise hätte man gerne verzichtet,<br />

die den sozialdarwinistisch gefärbten<br />

Ideen vom »nordischen Herrenmenschen« unter<br />

dem letzten Kaiser nachgehen und den KdF-<br />

Fahrten allzuviel weltanschaulichen Einfluß auf<br />

den »Volksgenossen« zubilligen. Hitler war übrigens<br />

nie in Skandinavien, schon gar nicht in<br />

Norwegen, aber mehrfach in Frankreich und<br />

Italien. Der Bildband dient gleichzeitig als Katalog<br />

für eine Ausstellung zum Thema, die noch<br />

bis Ende Oktober in Kiel, dann in Bremerhaven<br />

und in Hamburg gezeigt wird.<br />

Tumult<br />

Von der einst gepriesenen »einzigartigen Anmutung«<br />

der Tumult – Schriften zur Verkehrswissenschaft<br />

ist leider in gestalterischer Hinsicht<br />

keine Rede mehr, inhaltlich oszilliert man<br />

weiterhin gekonnt zwischen Genie und Wahnsinn.<br />

Der aktuellen Ausgabe (KataChoc: Der<br />

Beutewert des Desasters) des unregelmäßig erscheinenden,<br />

quadratischen Intellektuellenheftes<br />

wird eine Sentenz aus dem Editorial vorangestellt:<br />

»Der Lebensverlängerung auf der Streckbank<br />

der Unentschiedenheit ist ein entschiedenes<br />

Elend vorzuziehen. Lieber eine einzige wahre<br />

Welt als unzählige Virtualitäten! – Solcher Wirklichkeitshunger<br />

ist die Triebbasis der Katastrophen-Sehnsucht«.<br />

Was, wenn dem allseitig antizipierten<br />

»Ernstfall« die heimliche Hoffnung<br />

gelte, einem »plötzlich geöffneten Fluchtspalt<br />

gleich, einer Flutwelle, einem Putsch, der die Gesamtverfassung<br />

der Umstände zerbersten ließe«?<br />

Solides, Luzides und eine Prise Dada (Beiträger<br />

sind u.a. Bazon Brock und der Katastophenforscher<br />

Wolf Dombrowsky) tanzen einen so komplizierten<br />

wie hübsch sich fügenden Reigen rund<br />

um das, was man hier übereingekommen ist,<br />

Choc zu heißen: die mit gespannter Fröhlichkeit<br />

ersehnte Apokalypse.<br />

Das von Frank Böckelmann und Walter Seitter<br />

herausgegebene Heft (154 S., 20 €) wird über<br />

die Majuskel Medienproduktion vertrieben:<br />

06441/911318, email: digitalakrobaten@googlemail.com.<br />

5 Jahre Pariser<br />

Vorstadtkrawalle<br />

Während prominente Franzosen in den vergangenen<br />

Wochen lautstark gegen die »Abschiebung«<br />

sogenannter Roma (gemeint waren<br />

Zigeuner allgemein) protestierten und ihrem<br />

schwachen Präsidenten Rassismus vorwarfen,<br />

jähren sich diesen Herbst die Pariser Vorstadtkrawalle:<br />

Zwischen dem 27.10. und dem 17.11.<br />

2005 waren in den hauptstädtischen Banlieues,<br />

den nahezu ausschließlich von Migranten bewohnten<br />

Vororten 9300 Autos angezündet und<br />

54 Vermischtes<br />

2800 Randalierer festgenommen worden. Auch<br />

Schulen, Läden und Kirchen brannten. Kurz vor<br />

dem Jahrestag hat nun die Staatsanwaltschaft<br />

die Einstellung des Prozesses gegen die Polizisten,<br />

vor denen seinerzeit zwei Jugendliche geflohen<br />

und dabei gegen einen Stromtransformator<br />

geprallt waren, beantragt. Der Fall hatte<br />

damals als Auslöser für die wochenlangen Ausschreitungen<br />

fungiert. Die Statistik der Gewalt<br />

bis heute wurde nicht weitergeführt – zumindest<br />

ist sie der öffentlichen Diskussion entzogen, das<br />

schiefe Bild einer staatlichen »Reconquista« dominiert.<br />

Zuletzt mußte der Fernsehsender arte<br />

eine Sendung über das Schicksal der Vorortbewohnerinnen<br />

eine Dreiviertelstunde vor Ausstrahlung<br />

aus dem französischen Programm<br />

nehmen. Es habe massive Drohungen gegen eine<br />

an der Dokumentation beteiligte Frau gegeben.<br />

Produzent Daniel Leconte ist entsetzt: »Erst akzeptieren<br />

Polizisten diese rechtsfreien Räume<br />

und jetzt sogar die Medien.«<br />

900 Minuten oral history<br />

Wie war es wirklich, das vergangene Jahrhundert?<br />

Zu Kriegszeiten, davor, danach? Wer<br />

Großeltern oder Eltern aus der »Erlebnisgeneration«<br />

hat, tut gut daran, sie erzählen zu las-<br />

sen und ihre je eigene Perspektive auf Tonträger<br />

aufzunehmen. Es mögen Einblicke entstehen,<br />

die tiefer gehen als jedes Fotoalbum, als jedes<br />

Geschichtsbuch ohnehin. Ein lobenswertes Projekt<br />

haben die Journalisten Inge Kurtz und Jürgen<br />

Geers unternommen: Über Jahre hinweg haben<br />

sie über 100 Zeitzeugen interviewt, aus allen<br />

Schichten und Regionen Deutschlands. Wie<br />

lebte es sich als »höhere Tochter« in den zwanziger<br />

Jahren, wie als Arbeiterkind in der Zwischenkriegszeit?<br />

Alltagserfahrungen stehen neben<br />

dem Erlebnis des Grauens in Zeiten des<br />

Kriegs und der Vertreibung. Produziert wurde<br />

die Originaltoncollage, die ihre Hörer wirklich<br />

in den Bann zu schlagen versteht, bereits 1999<br />

durch den Hessischen Rundfunk; sie wurde mit<br />

dem renommierten Hörspielpreis der Kriegsblinden<br />

ausgezeichnet. Nun sind die insgesamt<br />

13 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von rund 900<br />

Minuten für ca. 29 Euro im Handel erhältlich.<br />

Hörproben unter www.hoerverlag.de.

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