Staatspolitisches Handbuch
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che der Wissenschaft neutralisieren. Wer Schuld predigt oder die Wunde<br />
Hitler offenhält, kämpft nicht um, sondern gegen die Identität.«<br />
Ganz im Sinne dieser Einlassung hatte Willms gleich in der Vorbemerkung<br />
seines Buches erklärt, »daß für die Deutschen nichts so notwendig<br />
ist wie ein neuer Nationalismus«. Dafür versuchte er, die geistigen Grundlagen<br />
zu definieren beziehungsweise die »Wirklichkeit der Deutschen« neu<br />
zu bestimmen: »Die Grundlage politischer Realität ist die Wirklichkeit der<br />
Deutschen als Deutsche, ist das Bewußtsein ihrer Lage als Nation.« Nachdenken<br />
über die Nation stoße unausweichlich auf zwei Befunde, nämlich<br />
»auf den Bereich der historischen Identität oder den Komplex ›Vergangenheitsbewältigung‹<br />
und auf den der zukünftigen Identität oder das Problem<br />
der Wiederherstellung der Nation«. Eine angemessene geistige Durchdringung<br />
dieses Befundes mußte aus der Sicht von Willms das hinter sich lassen,<br />
was er als »Ebene der Meinungen, der Gesinnungen, des Bestreitbaren«<br />
bezeichnet, nämlich »Freiheit, Grundwerte, Demokratie«. Es müsse<br />
zur »Wirklichkeit der Lage«, zur »nationalen Wirklichkeit« vorgestoßen<br />
werden. Für Willms kam dieser Bemühung deshalb entscheidende Bedeutung<br />
zu, weil nur so Orientierung möglich werde: »… es muß begriffen<br />
werden, was wirklich ist, dann weiß man auch, worauf es ankommt«. Wer<br />
etwas zu begreifen versuche, steht vor der »Notwendigkeit gründlicheren<br />
Denkens«. Die Basis dafür eröffnete aus der Sicht von Willms die Philosophie,<br />
genauer gesagt der deutsche Idealismus, auf den die Deutschen verwiesen<br />
seien. Als »Kern des Idealismus« hat Willms die »Wiederholung von<br />
Hobbes’ Einsicht von der harten Unentrinnbarkeit der Freiheit und ihrer<br />
gewaltsamen Verwirklichung« bestimmt. Freiheit sei im Staat nur »wirklich«<br />
als »Wirklichkeit der sittlichen Idee, d. h. der Freiheit«. Oder anders<br />
gewendet: »Die Wirklichkeit der Freiheit ist Staat und Politik.« Freiheit sei<br />
durch Ordnung zu bestimmen. Diese Ordnung als jeweils konkrete seien<br />
»wir«, dies sei »unsere Freiheit«; dies sei die »Idee der Nation«. Menschliche<br />
Existenz ist mithin politische Existenz. Die Arbeit an der Verwirklichung<br />
der menschlichen Existenz nannte Willms Politik. Als Subjekt der<br />
politischen Arbeit bestimmte er den Staat: »Der Begriff des Staates ist das<br />
Merkmal, an dem reelle Philosophie zu erkennen ist. Jedes Denken, das<br />
sich dieser Notwendigkeit nicht stellt, bleibt politisch defizitär.«<br />
Dieser Befund führt in einem nächsten Schritt zur Verhältnisbestimmung<br />
von Staat und Nation: Der Staat verhalte sich zur Nation »wie der<br />
Entwurf zur Ausführung«. Staat als Nation im Sinne politischen Selbstbewußtseins<br />
habe eine bestimmte Geschichte und ein bestimmtes Territorium.<br />
Wer das Verhältnis zur Geschichte verliere, müsse notwendig ein<br />
wirklichkeitsgerechtes Verhältnis zur Gegenwart verlieren. Die Konkretion<br />
der Nation für sich oder nach innen war aus der Sicht von Willms<br />
ausweislich die Konkretion gegen andere oder nach außen. Die Idee der<br />
Nation ist das Ganze eines als Staat organisierten Volkes. Die Idee ordne<br />
auch das Denken, »indem sie es nationalisiert, sie verleiht Sinn«. Wenn der<br />
letzte Maßstab der Nation die Idee sei, dann müsse eine Politik, wenn sie<br />
mit nationalem Anspruch auftrete, danach beurteilt werden, wieweit sie<br />
»der Nation« als solcher nütze oder schade: Diese Nation als solche aber<br />
sei als Idee »die Identität des Besonderen und des Allgemeinen und das<br />
Bewußtsein« davon.<br />
In einem nächsten Schritt problematisierte Willms die Wertpositionen,<br />
die er als »potentielle Bürgerkriegspositionen« kennzeichnete. Wertüberzeugungen<br />
seien lediglich ein anderer Ausdruck für Gesinnungen,<br />
gehe man auf sie zurück, dann komme es in der Tat nur darauf an, die<br />
»richtige« Gesinnung zu haben. Die Nation indes sei kein »Wert«, für den<br />
man sich beliebig entscheiden könne: »… Nation ist ein objektiver, nicht<br />
hintergehbarer Befund, mit einem alten Ausdruck: ein Schicksal.« Alles,<br />
was unter Demokratie zu verstehen sei, müsse auf die Selbstbehauptungsräson<br />
der Nation bezogen werden. Der westliche Liberalismus fördere die<br />
nationale Selbstbehauptung der Deutschen nicht: »Die denkhemmenden<br />
… Versuche, den Westdeutschen eine Art sekundären ›Verfassungspatriotismus‹<br />
anzumessen (Dolf Sternberger, Kurt Sontheimer), können nicht<br />
darüber hinwegtäuschen, daß es bei Demokratie und Konstitution stets<br />
nur um etwas gehen kann, was man ›hat‹, nicht aber um das, was man der<br />
Substanz nach ›ist‹.« Diese Ersatzfestlegung auf ein »Haben« lag und liegt<br />
im Sinne der Sieger von 1945, die den Deutschen dieses Haben »gebracht«<br />
hätten. Da das Prinzip des Liberalismus die Forderung nach »mehr Frei-<br />
Die deutsche Frage in der<br />
Welt von morgen. Referate<br />
und Arbeitsergebnisse des<br />
Deutschlandpolitischen<br />
Kongresses der Gesellschaft<br />
für Freie Publizistik vom<br />
7.–9. Oktober 1983 in<br />
Kassel, hrsg. von Peter<br />
Dehoust, Coburg 1983.<br />
Wiesberg – Recht auf Nation<br />
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