Staatspolitisches Handbuch
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Moslem« sei in Wahrheit eine<br />
wohlfeile Projektionsfläche für<br />
Versagen, das dem Staat anzulasten<br />
sei.<br />
»Unsere Schwäche ist deren<br />
Stärke« – Lichtschlag bohrt<br />
ausgiebig und gut<br />
begründet in dieser<br />
Wunde. Wie schade<br />
aber (aus rechter<br />
Sicht) und wie konsequent<br />
(aus libertärer<br />
Sicht), daß er<br />
am Ende so etwas<br />
wie das amerikanische<br />
Modell preist:<br />
Multikulti ja, aber<br />
knallhart moderiert,<br />
als Leistungsgemeinschaft<br />
der Starken, die sich<br />
über alle ethnischen und kulturellen<br />
Grenzen hinweg verstehen<br />
und bereichern (im doppelten<br />
Sinne!). Spätestens da<br />
wird klar, daß ein Libertärer<br />
mit »Volk« kein Volk meinen<br />
kann. Aber das nimmt dem<br />
Bändchen nichts von seinem<br />
stacheligen, originellen Ton.<br />
Götz Kubitschek<br />
Preußen, populär<br />
Uwe A. Oster: Preußen. Geschichte<br />
eines Königreichs,<br />
München: Piper Verlag 2010.<br />
384 S., 22,95 €<br />
Nach Christopher Clarks detailreicher<br />
und beeindruckender,<br />
aus religions-, sozial-, militär-,<br />
und ideengeschichtlicher<br />
Perspektive verfaßten Monumentalgeschichte<br />
Preußens<br />
(2007) die Geschichte des Hohenzollernstaates<br />
mit neuen<br />
Facetten darzustellen, grenzt<br />
an einen wissenschaftlichen<br />
Balanceakt, dem sich der stellvertretende<br />
Chefredakteur des<br />
populärwissenschaftlichen<br />
Geschichtsmagazin Damals,<br />
Uwe A. Oster mit Preußen.<br />
Geschichte eines Königreichs<br />
stellt. Obgleich Oster eine<br />
chronologisch aufgebaute und<br />
nach Herrschern strukturierte<br />
Darstellung wählt, kristallisiert<br />
sich das Zentrum des<br />
Buches um prägende wie herausragende<br />
Persönlichkeiten<br />
der preußischen Geschichte.<br />
Personen, die das Staatsbild<br />
Preußens formten, stehen im<br />
Mittelpunkt von Osters Veröf-<br />
fentlichung, der hierfür neben<br />
den Staatsoberhäuptern bedeutende<br />
Baumeister wie Schlüter<br />
und Schinkel, die Reformer<br />
Hardenberg, Gneisenau und<br />
Stein, literarische Größen wie<br />
Fontane, den preußischen<br />
Staatsmann<br />
schlechthin (Bismarck)<br />
oder den Zuzug<br />
der Hugenotten<br />
als Prägekräfte der<br />
Nationsbildung und<br />
Staatswerdung heranzieht.<br />
Aus historiographischer<br />
Sicht weist<br />
Osters Buch – insbesondere<br />
im Vergleich<br />
zu Clarks Studie – strukturanalytische<br />
Defizite auf, die<br />
wohl der populärwissenschaftlichen<br />
Ausrichtung des Werkes<br />
geschuldet sind. Obschon der<br />
Verfasser neben der politischen<br />
auch sozial- und kulturgeschichtliche<br />
Aspekte einfließen<br />
läßt und der Eindruck einer<br />
gut lesbaren Überblicksdarstellung<br />
für den interessierten Historien-<br />
und Preußenliebhaber<br />
entsteht, weist die Monographie<br />
doch einen Mangel an<br />
geschichtswissenschaftlicher<br />
Tiefe und Detailreichtum auf.<br />
Sebastian Pella<br />
Weltmoderne<br />
Andreas Heuer: Carl Schmitt.<br />
Die Dialektik der Moderne.<br />
Von der europäischen zur<br />
Welt-Moderne, Berlin:<br />
Duncker & Humblot 2010.<br />
94 S., 38 €<br />
Egal, ob es sich um die Beschäftigung<br />
mit Theodor<br />
Däublers Dichtung in den jungen<br />
Jahren Carl Schmitts, den<br />
Ausnahmezustand, die Romantik<br />
oder die Diktatur handelt<br />
– immer sind bestimmte<br />
Annahmen des berühmten<br />
Staatsrechtslehrers über das<br />
facettenreiche Phänomen der<br />
Moderne im Hintergrund.<br />
Nehmen wir als weiteres Beispiel<br />
den Dezisionismus. Er ist<br />
eine wesentliche Konsequenz<br />
der für die Moderne charakteristischen<br />
Auflösung eines<br />
kulturell, religiös und weltanschaulich<br />
wenigstens einigermaßen<br />
homogenen Bezugsfel-<br />
des. Dadurch werden letztbegründete<br />
politische Entscheidungen<br />
kaum mehr möglich.<br />
Der Dezisionismus als grundlegendes<br />
Element des Rechtsdenkens<br />
ist für den Verfassungsjuristen<br />
deshalb unvermeidlich,<br />
weil sich eine wichtige<br />
Verheißung von Philosophen<br />
der Aufklärung (Condorcet,<br />
Saint-Simon, Comte<br />
etc.), die Herrschaft von Menschen<br />
über Menschen könnte<br />
durch Technik oder durch Gesetze<br />
substituiert werden, als<br />
falsch herausstellte.<br />
Angesichts der weit ausgreifenden<br />
Themenstellung ist<br />
man nicht überrascht, daß der<br />
Schmitt-Kenner wenig Neues<br />
erfährt. Dennoch legt Andreas<br />
Heuers Studie eindrucksvoll<br />
dar, woraus sich das Moderne-<br />
Bild des »weißen Raben« zusammensetzt.<br />
So entstand im<br />
16. Jahrhundert, vor allem<br />
aus einer Raumrevolution heraus,<br />
die europäische Moderne.<br />
Für Schmitt stehen in ihrem<br />
Mittelpunkt Aufklärung und<br />
Romantik, wobei Heuer den<br />
Schwerpunkt auf letztere legt.<br />
Im 19. Jahrhundert, äußerlich<br />
sichtbar an der gleichberechtigten<br />
Anerkennung der<br />
Völkerrechtssubjekte USA und<br />
Japan durch die europäischen<br />
Staaten, macht sich im Völkerrecht<br />
der Übergang zur »Welt-<br />
Moderne« bemerkbar.<br />
Der Verfasser arbeitet plausibel<br />
und konzis heraus, warum<br />
Schmitt zentrale Gedanken<br />
der Neuzeit, etwa die stetige<br />
Herausbildung einer »one<br />
world«, den Rationalismus der<br />
ökonomisierten und technischen<br />
Welt, aber auch die Relevanz<br />
des imaginär konstruierten<br />
Gebildes »Menschheit«,<br />
ablehnt. Die Argumentation<br />
des Freund-Feind-Theoretikers<br />
macht ihn zum wohl abschließenden<br />
Denker einer langen<br />
Traditionslinie, die (vor Entstehung<br />
der vermeintlich konfliktlosen<br />
deutschen Zivilgesellschaft<br />
nach 1945) die unübersehbare<br />
Bedeutung der<br />
Gegensätze als Wesen des Politischen<br />
würdigte. Man sollte<br />
nicht ganz vergessen, wer am<br />
Anfang des abendländischen<br />
Philosophierens ähnliches verkündete:<br />
Heraklit.<br />
Felix Dirsch<br />
Rezensionen<br />
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