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Staatspolitisches Handbuch

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durch Umsetzung von Vorstellungen über die »richtige« Gesellschaft in<br />

radikale politisch-soziale Praxis, – nicht zuletzt mittels materieller und<br />

Herrschafts-»Techniken« – erfolgreich zum Herrn und Macher der Geschichte<br />

aufschwingen oder tragen Interventionen in das überkommene<br />

soziale und technologische Gefüge immer ein unkalkulierbares Folgerisiko<br />

für das staatliche und gesellschaftliche Leben, das aus deren Eigendynamik<br />

und Verlaufsnotwendigkeiten resultiert?<br />

Der Leipziger Philosoph und Soziologe Hans Freyer (1887–1969)<br />

hatte 1931 eine geradezu freche geschichtsphilosophische Variante präsentiert.<br />

Seine Schrift Revolution von rechts stimmte in der Klage über<br />

die Negativsymptome des liberalen Kapitalismus Karl Marx vollkommen<br />

zu, um dann dessen Hoffnung auf die befreiende Tat der Arbeiterklasse<br />

durch die des »Volkes« zu ersetzen. Volksstaat und Volksgemeinschaft<br />

erschienen dem Autor als Heilmittel gegen die Entfremdungstendenzen<br />

der industriellen Welt! 1955, Freyer war nunmehr Soziologieprofessor in<br />

Münster, wandte er sich mit seinem Buch Theorie des gegenwärtigen Zeitalters<br />

noch einmal dem Sinnverlust der Moderne zu, der durch die Vorherrschaft<br />

des instrumentellen, technologischen und ökonomischen Denkens<br />

eintrete. Zwar nahm er seine Kulturkritik an der »Reduzierung« des<br />

Menschen auf die Anforderungen des Systems nicht zurück, hielt jedoch<br />

resigniert fest, kein politisches Handeln könne mehr die grundsätzliche<br />

»Entmenschung« durch die moderne Gesellschaft überwinden. Nur noch<br />

innerhalb der »sekundären Systeme« – so bezeichnet er jetzt die Gesamtstruktur<br />

– seien gewisse Korrekturen möglich. Dazu dienten die Festigung<br />

der Nahbeziehungen, zum Beispiel in Familie und Nachbarschaft, sowie<br />

die Pflege und der Einbau kultureller Überlieferungen (die »haltenden<br />

Mächte« der sekundären Systeme). Freyer wies gleichzeitig auf die Gefahr<br />

neuer Ideologiebildungen hin. Die Undurchschaubarkeit der technischen<br />

und gesellschaftlichen Prozesse für den Laien komme einem Glauben zugute,<br />

der Patentrezepte zur Lösung aller Probleme für möglich halte.<br />

Bevor Arnold Gehlen (1904–1976) im Jahre 1934 in Leipzig Ordinarius<br />

für Philosophie wurde, war er kurzzeitig Assistent von Freyer. Doch<br />

kann man kaum von einem Lehrer-Schüler-Verhältnis sprechen, und später<br />

trennte Gehlen von Freyer vor allem die Konzentration auf den anthropologischen<br />

Ansatz. Mit seinem Hauptwerk Der Mensch wandte sich<br />

Gehlen bleibend den empirischen Verhaltenswissenschaften zu (Soziologie,<br />

Psychologie, Biologie). Als spezifisch menschlich erkannte er ein biologisch<br />

nicht eindeutig festgelegtes, intelligentes Handeln. An die Stelle<br />

schematischer Abläufe im Tierverhalten trat die kulturelle Formung, mit<br />

der ein biologisches »Mängelwesen« seine natürlichen Umwelten gestaltet<br />

– der homo faber.<br />

Mit dieser anthropologischen Grundlage gewann Gehlen ein anderes,<br />

positiveres Verständnis von »Institutionen« als Freyer (oder die Marxisten).<br />

Als verselbständigte, zu Gewohnheiten geronnene und überdauernde<br />

Formen des Handelns entlasten sie von Grundsatzentscheidungen<br />

und widmen sich in unauffälliger Weise Grundbedürfnissen, wie der<br />

Kommunikation, Fortpflanzung, Verteidigung, Bildung oder Ernährung<br />

(»Hintergrundserfüllung«). »Auf der einen Seite werden in diesen Institutionen<br />

die Zwecke des Lebens gemeinsam angefaßt und betrieben, auf der<br />

anderen Seite orientieren sich die Menschen in ihnen zu endgültigen Bestimmtheiten<br />

des Tuns und Lassens, mit dem außerordentlichen Gewinn<br />

der Stabilisierung auch des Innenlebens.« Keinesfalls also engen Institutionen<br />

uns nur ein, bedrücken sie, wenngleich durch ihr »Ethos« fordernd,<br />

regulierend, disziplinierend. Im Gegenteil: Sie setzen Energien für andere<br />

Technokratie,<br />

amerikanisch; Büro der<br />

amerikanischen Bewegung<br />

in Detroit, zu Beginn<br />

der vierziger Jahre.<br />

Hans Freyer, Johannes<br />

Chr. Papalekas und Georg<br />

Weippert (Hrsg.): Technik<br />

im technischen Zeitalter,<br />

Düsseldorf 1965.<br />

Helmut Klages und Helmut<br />

Quaritsch (Hrsg): Zur<br />

geisteswissenschaftlichen<br />

Bedeutung Arnold<br />

Gehlens, Berlin 1994.<br />

Waßner – Konservativismus<br />

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