pdf-Datei: Anbahnung - Heidelberger Katechismus
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Mazedonisches Märchen<br />
„In alten Zeiten war es Sitte, die alten Leute in steiniges Gebirge auszusetzen, bis sie dort starben“,<br />
so beginnt ein mazedonisches Märchen. Es berichtet von einem jungen Mann, der eines<br />
Tages - wie es die Sitte verlangt - seinen alten Vater auf den Rücken nimmt und ins Gebirge trägt.<br />
Als er in der steinigen Wildnis angelangt ist und ihn absetzen will, bittet der Greis: „Nicht an<br />
dieser Stelle, mein Sohn, trage mich noch ein Stückchen weiter.“ Auf die verwunderte Frage, was<br />
er denn gegen diese Stelle habe, antwortet der alte Mann: „Ach, lieber Sohn, wie kann einem das<br />
Grab seines Vaters gefallen. Als ich so alt war wie du, habe ich meinen Vater hierher gebracht.<br />
Ich bitte dich, gehorche mir noch ein einziges Mal und trage mich ein wenig höher.“<br />
Während der Sohn den Vater höher schleppt, denkt er darüber nach, dass ihn in etwa dreißig<br />
Jahren sein Sohn genau wie er es jetzt tut, in die Wildnis schleppen wird. Am Abend, als es<br />
dunkel wird, trägt er den Vater heimlich wieder nach Hause. Lange Zeit verbirgt er ihn, weil er sich<br />
vor den Leuten schämt. Aber eines Tages lässt es sich nicht mehr verheimlichen. Da ihm in der<br />
Wirtschaft vieles besser gelingt, als den anderen Bauern, wird es offenkundig, dass er einen<br />
heimlichen Ratgeber im Hause hat, der ihm mit seiner langen Lebenserfahrung zur Seite steht.<br />
Von nun an entschließen sich auch andere Familien des Dorfes, ihre Alten nicht mehr auszusetzen.<br />
Ruth Dirx<br />
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