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Pressespiegel_14_13 vom 30.03. bis 05.04.2013.pdf - Evangelisch ...

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Samstag, 30. März 20<strong>13</strong> Nr. 74<br />

NZZ <strong>vom</strong> <strong>30.03.</strong>20<strong>13</strong>, Seite 17.pdf<br />

Neuö Zürcör Zäitung<br />

SCHWEIZ 17<br />

Ein Dorf,zweiKonfessionen: der protestantische Pfarrer Antonio Di Passa in der reformierten Kirche (oben und rechts) und der katholischen Don Cleto in der katholische Kirche (links) in Poschiavo.<br />

Im «Nordirland der Schweiz»<br />

Auf den Spuren der protestantischen Minderheit im Puschlav<br />

BILDER KARIN HOFER /NZZ<br />

Nicht immer waren die Beziehungen<br />

zwischen Protestanten<br />

und Katholiken im Puschlav so<br />

friedlich wie heute. Die beiden<br />

Religionsgruppen haben im südbündnerischen<br />

Taleinen aussergewöhnlich<br />

langen Annäherungsprozess<br />

hinter sich.<br />

Sibilla Bondolfi, Poschiavo<br />

Wer mit dem Zug <strong>vom</strong> Unterland ins<br />

Puschlav reisen will, muss mit der Rhätischen<br />

Bahn über den Berninapass fahren.<br />

Während das rote Züglein sich mit<br />

sirrenden Rädern um unzählige enge<br />

und steile Kurven ins Talhinab arbeitet,<br />

geniesst der Reisende einen weiten Ausblick<br />

über das Puschlav. Nahe beim See<br />

liegt der Hauptort Poschiavo, wodrei<br />

Türme harmonisch in einer Reihe nah<br />

beieinander stehen: der Rathausturm<br />

sowie ein katholischer und ein reformierter<br />

Kirchturm. Bei diesem Anblick<br />

erhält man den Eindruck, die Konfessionen<br />

im Tallebten seit je einträchtig in<br />

einem idyllischen Miteinander. Doch<br />

dem ist nicht so.<br />

Der Veltliner Mord von 1620, bei<br />

welchem ein Aufstand der Katholiken<br />

gegen die Bündner Herrschaft zu einem<br />

Massaker an Protestanten ausartete,<br />

machte auch vor dem Puschlav nicht<br />

halt: Eine Horde bewaffneter Männer<br />

aus dem Veltlin tötete unter Kooperation<br />

eines Teils der lokalen katholischen<br />

Führung 27 Protestanten und vertrieb<br />

viele weitere. Es folgte eine lange Eiszeit<br />

zwischen den Konfessionen.<br />

Spricht man die Menschen im Talauf<br />

das Thema von Protestantismus und<br />

Katholizismus an, so erzählen die über<br />

50-Jährigen sogleich von verbrämten<br />

Freundschaften, unglücklichen Liebesgeschichten<br />

und weiteren kleineren<br />

oder grösseren Dramen. Die Jüngeren<br />

hingegen haben derlei nicht mehr erlebt.<br />

Sowohl die protestantischen als<br />

auch die katholischen Kirchenvertreter<br />

betonen denn auch, dass die Konfessionen<br />

heute gute Beziehungen zueinander<br />

pflegen. Bestimmte Feiertage, beispielsweise<br />

der Bettag oder die Weltgebetswoche,<br />

werden mit gemeinsamen<br />

Gottesdiensten gefeiert. Der seit kurzem<br />

pensionierte Don Cleto, der als<br />

katholischer Priester von Poschiavo erheblich<br />

zur Ökumene beigetragen hat,<br />

räumt ein, dass es zwar noch immer eine<br />

kleine Minderheit auf beiden Seiten<br />

gebe, die gegen gemeinsame Aktivitäten<br />

sei. Die habe es immer gegeben und<br />

werde es immer geben –sowie überall.<br />

Ursprünge der Reformation<br />

Sowohl der ehemalige protestantische<br />

Pfarrer von Poschiavo Carlo Papacella<br />

als auch der amtierende Antonio Di<br />

Passa stammen aus Italien. Bei beiden<br />

stapeln sich die Bücher in den Regalen.<br />

Und beide erzählen die Geschichte des<br />

Tals und der Reformation in allen Facetten,<br />

wie man es in einer universitären<br />

Vorlesung nicht besser erfahren könnte.<br />

Die protestantische Gemeinde in<br />

Poschiavo wurde im Jahr 1547 von italienischen<br />

Flüchtlingen der Inquisition gegründet.<br />

Fast achtzig Jahre lang waren<br />

die Beziehungen zwischen Protestanten<br />

und Katholiken im Tal friedlich; sie<br />

nutzten dieselben Kirchen – zu verschiedenen<br />

Uhrzeiten. Dass fürdie Gottesdienste<br />

die Kirchenbänke jeweils<br />

umgestellt werden mussten (für die<br />

Katholiken in Richtung Altar, für die<br />

Protestanten in Richtung Kanzel), sorgte<br />

zwar für die eine oder andere Reiberei,<br />

doch blieb dies zunächst harmlos.<br />

Nach dem Veltliner Mord war es undenkbar,die<br />

Kirchen weiterhin gemeinsam<br />

zu nutzen. Die Protestanten mussten<br />

die Gottesdienste in Privathäusern<br />

abhalten, <strong>bis</strong> in den 1640er Jahren ein<br />

eigenes Grundstück erworben und eine<br />

Kirche erbaut werden konnte. Zur selben<br />

Zeit wurde eine Vereinbarung zwischen<br />

Katholiken und Protestanten geschlossen,<br />

welche eine Aufteilung der<br />

politischen Ämter vorsah, gemäss einer<br />

Quote, die durch den Besitz bestimmt<br />

wurde. Die Protestanten erhielten auf<br />

diese Weise einen Drittel der Ämter,die<br />

Katholiken zwei Drittel. Diese Quote<br />

war aber nicht Ausdruck einträchtiger<br />

Harmonie, sondern vielmehr der weitgehenden<br />

konfessionellen Separation.<br />

Eine Parallelwelt<br />

Laut Papacella lebten die Konfessionen<br />

<strong>bis</strong> weit in das 20. Jahrhundert strikt<br />

separiert: «Ein Protestant betrat nie<br />

eine katholische Kirche,und ein Katholik<br />

betrat nie eine protestantische Kirche.»<br />

Früher sprachen die Protestanten<br />

gar einen besonders gefärbten Dialekt.<br />

Die öffentliche Schule war <strong>bis</strong> 1968 konfessionell<br />

getrennt, finanzielle Gründe<br />

führten schliesslich zur Zusammenführung.<br />

Die Kindergärten blieben gar <strong>bis</strong><br />

1990 gesondert. Laut Don Cleto ist der<br />

getrennte Schulunterricht ein gewichtiger<br />

Bremsklotz fürdie Annäherung der<br />

Konfessionen gewesen und ein Grund<br />

für die relativ spät initiierte Ökumene<br />

im Puschlav. Die Vereinigung der Schulen<br />

im Jahr 1968 läutete daher eine<br />

Wende ein.<br />

Seit etwa dreissig Jahren ist es denkbar,interkonfessionell<br />

zu heiraten. «Ich<br />

habe zwar von einigen Fällen gemischter<br />

Ehen bereits um 1800 gelesen, doch<br />

mussten diese Paare das Talverlassen,<br />

um in Frieden gelassen zu werden»,sagt<br />

Di Passa. Heute sei es ganz anders, er<br />

schliesse zusammen mit dem katholischen<br />

Priester viele gemischte Ehen.<br />

«Man kann doch nicht zwei Menschen,<br />

die sich lieben, dazu bringen, über religiöse<br />

Fragen zu streiten»,meint er dazu.<br />

Viel zu berichten hat auch der Historiker<br />

und Pfarrerssohn Daniele Papacella:<br />

«Es gibt tausend und eine köstliche<br />

Geschichte aus dem Nordirland<br />

der Schweiz.» Die historische Segregation<br />

der Konfessionen im Puschlav<br />

gleicht derjenigen im heutigen Nordirland<br />

insofern, als die Religion zugleich<br />

ein Merkmal geografischer,sozialer und<br />

wirtschaftlicher Herkunft ist. Zu den<br />

von Daniele Papacella erzählten «köstlichen»<br />

Geschichten gehört beispielsweise<br />

das interkonfessionelle Ehepaar,<br />

welches die Töchter katholisch und die<br />

Söhne protestantisch erzog.Oder ein an<br />

die Konfession gekoppelter Förderunterricht:<br />

Ende der 1950er Jahre entschied<br />

der Gemeinderat, den protestantischen<br />

Schülern drei zusätzliche Schulwochen<br />

zu gewähren, weil sie im Allgemeinen<br />

Sprösslinge von Kaufleuten warenund<br />

damit Aussicht auf ein Studium<br />

hatten, wohingegen die meisten Katholiken<br />

Bauern waren.<br />

Auch unterhaltsam und viel erzählt<br />

sind Geschichten, wie man sich gegenseitig<br />

geärgert hat: So haben Katholikinnen<br />

beispielsweise am Karfreitag für<br />

alle sichtbar geputzt, weil dieser Feiertag<br />

fürdie Protestanten besonders wichtig<br />

ist. Und am katholischen Fronleichnamsfest<br />

hielten die Protestanten ihre<br />

Geschäfte demonstrativ geöffnet.<br />

Spuren der Geschichte<br />

Auch an der Architektur lässt sich erkennen,<br />

wie tief die konfessionellen<br />

Gräben waren. Poschiavo wurde seit der<br />

Reformation überwiegend von Protestanten<br />

erbaut, die umliegenden Dörfer<br />

von Katholiken. Dass die Reformierten<br />

meist wohlhabend waren, wirdamOrtsbild<br />

deutlich: In Poschiavo wähnt man<br />

sich fast in einer noblen italienischen<br />

Stadt, während die schlichten, rustikalen<br />

Holz- und Steinhäuser der katholisch<br />

geprägten Dörfer an die raue Bergwelt<br />

erinnern, in der man sich aufhält.<br />

Am Alter und an der Bauweise lässt<br />

sich ablesen, welche Kirche in Poschiavo<br />

zu welcher Konfession gehört: Die<br />

spätgotische Kirche mit romanischem<br />

Turm ist die katholische Stiftskirche San<br />

Vittore, welche <strong>bis</strong> 1623 von beiden<br />

Konfessionen fürihreGottesdienste genutzt<br />

wurde. Das barocke Gotteshaus<br />

ist die reformierte Kirche Santa Trinità.<br />

Dass diese Kirche häufig S. Ignazio genannt<br />

wird, amüsiert Carlo Papacella:<br />

«Dieser Name ist etwas absurd, weil er<br />

an Ignazio von Loyola erinnert, den<br />

Gründer des Jesuitenordens.» Ausgerechnet<br />

die Jesuiten also, welche den<br />

Protestantismus bekämpft haben. Auch<br />

Di Passa hält es für unwahrscheinlich,<br />

dass die Kirche einem Ignazio gewidmet<br />

worden ist. Erst Ende des 19.Jahrhunderts<br />

sei der Name S. Ignazio in Dokumenten<br />

aufgetaucht. Es gebe eine Legende,wonach<br />

die Katholiken die Mauern<br />

der im Baubefindlichen protestantischen<br />

Kirche immer wieder abgerissen<br />

hätten, <strong>bis</strong> die Protestanten sich bereit<br />

erklärten, die Kirche dem heiligen Ignazio<br />

zu widmen.<br />

Am südlichen Ende von Poschiavo<br />

trifft der Besucher auf eine prächtige<br />

Strasse mit herrschaftlichen Häusern im<br />

neoklassizistischen Stil. Erbaut wurden<br />

sie in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts<br />

von heimgekehrten protestantischen<br />

Emigranten. Auch heute noch<br />

sind von den Jungen, die fürAusbildung<br />

und Arbeit das Talverlassen, überproportional<br />

viele Angehörige der protestantischen<br />

Kirche. Während 1888 annähernd<br />

gleich viele Protestanten wie<br />

Katholiken in der Ortschaft Poschiavo<br />

wohnten und sie etwa einen Drittel der<br />

Talbevölkerung stellten, sind heute<br />

noch etwa 10 Prozent der Bevölkerung<br />

protestantischen Glaubens.Der Exodus<br />

der Protestanten habe soziale Gründe,<br />

sagt Don Cleto. Die Protestanten im<br />

Puschlav seien immer schon die Begüterten<br />

gewesen und hätten ihren Kindern<br />

ein Studium ermöglichen können.<br />

Der 1892 in Poschiavo geborene Kinderarzt<br />

Guido Fanconi, der als einer der<br />

Gründer der modernen Pädiatrie gilt<br />

und nach welchem das Fanconi-Syndrom<br />

sowie die Fanconi-Anämie benannt<br />

sind, war Protestant. Er verliess<br />

seine Heimat bereits als <strong>13</strong>-Jähriger,um<br />

die Schule in Schiers zu besuchen und<br />

später das Gymnasium in Zürich. 1929<br />

wurde er Direktor des Kinderspitals<br />

Zürich und Professor für Pädiatrie.<br />

«Was will ein solch hochspezialisierter<br />

Mediziner denn noch im Puschlav»,<br />

fragt Don Cleto lakonisch.<br />

Fühlen sich die Protestanten dem<br />

Puschlav etwa weniger heimatlich verbunden<br />

als die Katholiken Fanconi<br />

jedenfalls starb weltberühmt im Jahr<br />

1979 –inPoschiavo.<br />

<strong>Pressespiegel</strong> der <strong>Evangelisch</strong>-reformierten Landeskirche Graubünden

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