20.01.2015 Aufrufe

Pressespiegel_14_13 vom 30.03. bis 05.04.2013.pdf - Evangelisch ...

Pressespiegel_14_13 vom 30.03. bis 05.04.2013.pdf - Evangelisch ...

Pressespiegel_14_13 vom 30.03. bis 05.04.2013.pdf - Evangelisch ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Südostschweiz interview <strong>vom</strong> <strong>30.03.</strong>20<strong>13</strong>, der Seite woche 05.pdf<br />

DIE SÜDOSTSCHWEIz | SaMSTaG, 30. März 20<strong>13</strong> 5<br />

«Kein Mensch glaubt an gar nichts»<br />

Gisula Tscharner bietet seit<br />

20 Jahren seelsorgerische<br />

Dienste auf eigene Rechnung<br />

an. Die in Feldis und Thusis<br />

lebende Theologin erklärt,<br />

weshalb sie aus der Reformierten<br />

Kirche ausgetreten ist und<br />

woher der Osterhase kommt.<br />

Mit Gisula Tscharner<br />

sprach Ueli Handschin<br />

Frau Tscharner, Ostern ist für die Christenheit<br />

ein Fest der Freude, weil der<br />

Herr nach dem Tod am Kreuz wieder<br />

auferstanden ist. Gebrauchen Sie als<br />

freiberufliche «Seelsorgerin Unterwegs»,<br />

wie sie sich nennen, den Begriff<br />

des Herrn überhaupt noch<br />

Gisula Tscharner: Nein, mit dem<br />

Herrn habe ich nichts mehr am<br />

Hut.<br />

Und wenn der Herr eine Dame wäre<br />

Eine weibliche Gottheit wäre auf alle<br />

Fälle sehr viel enger mit der Natur<br />

verbunden. Der Frühling ist ein so<br />

überaus starkes Naturereignis, da<br />

braucht es die Stärke eines Herrn gar<br />

nicht.<br />

Nehmen wir an, ich wäre ein grosser Fan<br />

von Ostern, vielleicht, weil ich als Kind<br />

das Eiersuchen so sehr liebte und es in<br />

der Kirche so schön feierlich war. Doch<br />

von einem Gotteshaus will ich nichts<br />

mehr wissen. Was würden Sie mir anbieten<br />

Ich würde einen kleinen Spaziergang<br />

vorschlagen, am frühen Morgen in der<br />

Dämmerung. Und hinterher würden<br />

wir ein schönes, grosses Feuer machen.<br />

Zu früher Stunde kann es ja<br />

noch sehr kalt sein in dieser Jahreszeit.<br />

Ein <strong>bis</strong>schen spazieren gehen und dann<br />

ein Lagerfeuer Und das soll mir die<br />

Kirche ersetzen<br />

Unterwegs würden wir ein Auge darauf<br />

werfen, was in der Natur schon<br />

alles wächst und spriesst. Wir würden<br />

schauen, was lebt denn hier schon alles,<br />

obwohl auf den ersten Blick noch<br />

kaum Grün zu sehen ist. Ich würde<br />

versuchen zu zeigen, was sich dem<br />

winterlichen Tod entgegenstellt, was<br />

ihn trotz aller Widerstände überwindet.<br />

«Meine Religiosität<br />

kennt keine<br />

Grenzen»<br />

Sie zeigen, wo das Leben lebt<br />

Im besten Fall kann ich den Instinkt,<br />

den alle Menschen dafür haben, wo<br />

sich das Leben finden lässt, wieder<br />

wecken. Ich will aufzeigen, wo finde<br />

ich diese Kraft. In so alltäglichen<br />

Pflanzen wie dem Löwenzahn oder<br />

dem Wildlauch beispielsweise.<br />

Und das Feuer soll einfach unsere klammen<br />

Glieder wärmen<br />

Osterfeuer entzündet haben die Menschen<br />

vermutlich, seit es die Menschheit<br />

gibt. Osterfeuer haben einen vorchristlichen,<br />

mythologischen Hintergrund.<br />

Wir vergessen immer, es hat<br />

schon unzählige Kulturen vor dem<br />

Christentum gegeben.<br />

Und wo kommen denn die Osterhasen<br />

her<br />

Der Osterhase ist ein uraltes Fruchtbarkeitssymbol,<br />

das aber nicht so<br />

wichtig gewesen ist, solange man es<br />

noch nicht aus Schokolade herstellte.<br />

Das Bild der Auferstehung ist da zweifelsohne<br />

viel stärker.<br />

Als Theologin arbeiteten Sie zuvor für<br />

die Reformierte Landeskirche. Weswegen<br />

sind Sie ausgestiegen<br />

Mir war eigentlich schon während<br />

meiner Studienzeit klar, dass meine<br />

Auffassung von Religiosität viel weiter<br />

und offener ist als die jeder kirchlichen<br />

Glaubensgemeinschaft. Meine<br />

Religiosität kennt keine Grenzen.<br />

Deshalb wusste ich schon damals, dass<br />

ich einmal selbstständig und überkonfessionell<br />

arbeiten würde. Doch zunächst<br />

wollte ich das Handwerk erlernen<br />

und Erfahrungen sammeln. Mir<br />

war aber auch klar, für den Alleingang<br />

<strong>bis</strong>t du noch zu jung. So habe ich in<br />

verschiedenen Gemeinden gearbeitet<br />

und konzentrierte mich dabei auf ökumenische<br />

Aufgaben.<br />

«Alle haben ihre<br />

Welt, an die sie<br />

glauben»<br />

Überspitzt formuliert: Es ist wurst, was<br />

man glaubt, man muss es einfach glauben<br />

Nein, aber ich halte nichts von Glaubensgemeinschaften,<br />

die meinen, sie<br />

seien gut und die anderen seien<br />

schlechter.<br />

Das ist ja bei den Reformierten nun weniger<br />

ein Problem.<br />

Richtig. Trotzdem bin ich ausgetreten,<br />

als ich mich selbstständig machte.<br />

Denn ich wusste, als Theologin würde<br />

ich für die Kirche gefährlich werden<br />

mit meiner Überzeugung, dass alle<br />

Menschen einen Glauben haben, auch<br />

wenn sie nicht Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft<br />

sind.<br />

Vor zwei Jahrzehnten waren Sie eine der<br />

Ersten, die auf eigene Rechnung in einer<br />

neuen Form der Seelsorge zu arbeiten<br />

begann. Wie<br />

haben Sie sich gefühlt<br />

Es hat schon etwas Mut gebraucht.<br />

Zwar haben schon lange zuvor Theologinnen<br />

und Theologen viele Sparten<br />

des Pfarramts aus der Institution Kirche<br />

herausgeholt, die Spitalseelsorge,<br />

die psychologische Betreuung oder<br />

der Religionsunterricht beispielsweise.<br />

Ich habe nun eben auch die Kerngeschichte<br />

aller Konfessionen, den<br />

Gottesdienst, aus der Institution herausgeholt,<br />

das Feiern mit den Menschen,<br />

das die kirchlichen Gemeinschaften<br />

ein Sakrament nennen. Ich<br />

habe mir gesagt, genau das habe ich<br />

gelernt, es ist mein Beruf, und mein<br />

Glauben ist auch ohne Glaubensbekenntnis<br />

stark genug. Was natürlich<br />

nicht überall auf Begeisterung gestossen<br />

ist.<br />

Es braucht kein Glaubensbekenntnis<br />

Das muss nicht sein. Denn jemand<br />

glaubt nicht einfach nichts, wenn<br />

er kein Bekenntnis ablegt. Jeder<br />

Mensch, alle haben ihre Welt, an die<br />

sie glauben.<br />

«Die Zeit der<br />

Landeskirchen<br />

ist vorbei»<br />

Das Glaubensbekenntnis hat doch stark<br />

an Bedeutung eingebüsst, auf alle Fälle<br />

in der Reformierten Kirche. Es kümmert<br />

heute keinen Pfarrer mehr, wenn eines<br />

seiner Schäfchen auch hinduistische<br />

Götter anbetet. Wird diese Entwicklung<br />

einfach weitergehen, <strong>bis</strong> wir keine Landeskirchen<br />

mehr haben<br />

Ja, ich hoffe, dass ich das noch erlebe.<br />

Sie meinen im Ernst, dass Sie das erleben<br />

werden<br />

Auf alle Fälle das Ende<br />

der Kirchen mit dem<br />

heutigen staatsweiten<br />

Monopolcharakter.<br />

Ich glaube<br />

einfach, die<br />

Zeit der Landeskirchen<br />

ist vorbei,<br />

und das<br />

wird die<br />

beiden<br />

Konfessionen gleichermassen treffen.<br />

Die Entwicklung ist ja in vollem Gange:<br />

die Leute treten aus den Kirchen<br />

aus und erklären dabei ganz klar, wir<br />

glauben trotzdem etwas.<br />

«Es ist eine totale<br />

Frechheit»<br />

Und ihnen bieten Sie eine Alternative<br />

an<br />

Weil diese Menschen etwas glauben,<br />

haben sie auch noch immer das Bedürfnis,<br />

ihre Lebensübergänge zu feiern.<br />

Meine Kunden sagen mir, sie hätten<br />

eine wichtige Station im Leben,<br />

die sie nicht allein mit Essen und Trinken<br />

feiern wollten. Sie suchen Zugang<br />

zu einer geheimnisvollen Dimension<br />

des Lebens, sie wollen spüren, dass es<br />

um das Lebendige geht. Meine Arbeit<br />

ist lediglich, dieses Bedürfnis zu befriedigen.<br />

Mit einer schönen, dramaturgisch<br />

wohlüberlegten Feier, doch<br />

ohne eine kirchliche Liturgie, die mir<br />

vorschreibt, jetzt wird gesungen, dann<br />

gepredigt, dann gebetet. Die Planung<br />

ist ein kreativer, ein künstlerischer<br />

Prozess, in dem die Kunden viel Fantasie<br />

entwickeln, wenn man mit ihnen<br />

in der Vorbereitung darüber spricht.<br />

Das Nationale Forschungsprogramm<br />

«Religionsgemeinschaften, Staat und<br />

Gesellschaft» (NFP 58) bezeichnet diejenigen,<br />

die aus den Kirchen ausgetreten<br />

sind oder mit ihnen nichts mehr zu<br />

tun haben, auch wenn sie die Kirchensteuern<br />

weiter zahlen, als «die Distanzierten»<br />

und beziffert ihren Anteil in der<br />

Bevölkerung auf 64 Prozent.<br />

Damit wird suggeriert, Menschen, die<br />

in den Kirchen nicht mehr aktiv<br />

mitmachten, seien<br />

nicht mehr religiös.<br />

Das Ausschliessende<br />

dieses Begriffs<br />

ist eine<br />

totale Frechheit.<br />

Denn<br />

die Leute<br />

haben sich nur von den Kirchen entfernt.<br />

Dass sie ihre eigene Spiritualität<br />

leben, das ist doch nicht negativ. Wir<br />

müssen uns nicht ständig an den Kirchen<br />

messen lassen. In meiner Arbeit<br />

habe ich noch nie einen Menschen getroffen,<br />

der an nichts glaubt. Und die,<br />

welche ausserhalb der Kirchen glauben,<br />

werden immer mehr.<br />

So gesehen ist ein Atheist auch ein<br />

überzeugter Gläubiger<br />

Natürlich, Atheisten glauben doch<br />

auch an irgendetwas. Sie glauben einfach<br />

nicht an vermittelte Gottesbilder.<br />

Deswegen sind sie doch genauso normale<br />

Menschen. Diese Leute werden<br />

diffamiert mit dem Begriff «distanziert».<br />

Sie müssen doch nicht unbedingt<br />

an etwas glauben, das von Kirchen<br />

vermittelt wird. Im Kanton Zürich<br />

bezeichnen sich 25 Prozent als<br />

konzessionslos. Ein Viertel aller Zürcherinnen<br />

und Zürcher braucht keine<br />

Konfession. Und ihnen fehlt nichts,<br />

und das ist doch in Ordnung.<br />

Sie bezeichnen sich als «Geistige Unternehmerin»,<br />

die Spirituelles und<br />

Sinnliches miteinander verbindet. Um<br />

Geistiges und ganz Sinnliches ging es<br />

auch in Ihrer mobilen «Wilde Weiber<br />

Bar», mit der Sie <strong>bis</strong> vor einigen Jahren<br />

ihre selbst gemachten Spirituosen und<br />

Säfte verkauften. Wie kam es dazu<br />

Das hatte einen ganz profanen Grund.<br />

Zu Beginn meiner selbstständigen Tätigkeit<br />

hatte ich noch nicht genügend<br />

Aufträge. Deshalb habe ich mein altes<br />

Hobby, Wildpflanzen zu sammeln, zu<br />

meinem Beruf gemacht, indem ich<br />

Delikatessen zum Trinken und Essen<br />

daraus herstellte. Das ging nicht ohne<br />

intensive Beschäftigung mit diesen<br />

Pflanzen. Und das wiederum hat meinen<br />

Glauben verändert.<br />

«Mutter Erde ist<br />

die Gebärerin<br />

aller Wesen»<br />

Inwieweit<br />

Das Wissen, dass die Mutter Erde die<br />

Gebärerin aller Wesen ist, hat enorm<br />

an Bedeutung gewonnen. Eigentlich<br />

sind ja alle christlichen Feiertage ursprünglich<br />

uralte Feste zu Ehren der<br />

Natur. Deshalb kann ich sie auch ohne<br />

christliche Überlagerung feiern. Und<br />

deshalb werden die Fachleute für Feiern<br />

dieser Art auch immer zahlreicher.<br />

Als ich mein Unternehmen<br />

startete, war ich allein auf weiter<br />

Flur. Heute bieten in der Schweiz<br />

weit über 50 Theologinnen und<br />

Theologen ihre Dienste unabhängig<br />

von den Kirchen an.<br />

Gisula Tscharner…<br />

… ist 1947 am Zürichsee geboren,<br />

dort aufgewachsen und hat später<br />

in Basel und Zürich Theologie studiert.<br />

Sie ist verheiratet und Mutter<br />

zweier Kinder. Während<br />

20 Jahren war Tscharner als reformierte<br />

Pfarrerin in Mittelbünden<br />

tätig, in der Erwachsenenbildung<br />

und in der Gemeindepolitik. Mehrere<br />

Jahre versah sie in Feldis das<br />

Amt der Gemeindepräsidentin.<br />

Seit 1993 gestaltet sie als freiberufliche<br />

Theologin Zeremonien<br />

zu Lebensübergängen, die in Stil<br />

und Inhalt konfessionsunabhängig<br />

sind. Bekannt geworden ist Tscharner<br />

zudem als Sammlerin und<br />

Verarbeiterin wild wachsender<br />

Pflanzen. Darüber sind im AZ-<br />

Verlag mehrere Bücher von ihr erschienen.<br />

(han)<br />

Bild Theo Gstöhl<br />

<strong>Pressespiegel</strong> der <strong>Evangelisch</strong>-reformierten Landeskirche Graubünden

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!