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Heimatblatt 2004 Heft 5 September/Oktober - Kreis Groß Wartenberg

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Seite 8 Grofi <strong>Wartenberg</strong>er <strong>Heimatblatt</strong><br />

Es war im Januar 1986, als die Kommission<br />

für Personalschriften auf Hinweis von Herrn<br />

Rudolf Lenz beschloß, sämtliche, in der<br />

Universitätsbibliothek Breslau vorhandene<br />

Trauerschriften<br />

men.<br />

zu ermitteln und zu verfil-<br />

Die im Jahr 198 1 dort festgestellten<br />

Leichengprädigen erwiesen sich als sehr<br />

ergiebig für die Erforschung der schlesischen<br />

Landesgeschichte. Im <strong>Oktober</strong> 1986 wurde<br />

beschlossen, in der gesamten Region der<br />

ehemaligen Provinz Schlesien die Leichenpredigten<br />

zu ermitteln und zu verfilmen. Es<br />

folgten Auswertungsarbeiten sowie Kata#l<br />

o#gi;tsierungsarbeiten, daneben lief eine<br />

Aktion, deutsche und polnische Literatur, die<br />

bis ins 16. Jahrhundert zurtickreicht, aufzuspüren.<br />

Bereits im Jahr 1987 war eine umfangreiche<br />

Aufstellung ehemaliger deutscher<br />

Bibliotheken und Archive in Schlesien zusammengetragen<br />

worden.<br />

Besonderes Interesse galt den Majoratsbibliotheken<br />

und Archiven im Schloß Fürstenstein,<br />

Bad Warmbrunn, den Bibliotheken und<br />

Archiven der Friedenskirche in Schweidnitz<br />

und Jauer sowie den Buchbeständen der<br />

Gnadenkirche in Hirschberg und den Bibliotheken<br />

in Goldberg, Liegnitz und Oels.<br />

Die Kettenbuchbibliothek zu Goldberg wurde<br />

nach Kriegsende nahezu unversehrt in die<br />

Nationalbibliothek nach Warschau verbracht.<br />

Über die Oelser gab es zunächst keine Hinweise.<br />

Die Altbestände der Friedenskirchen<br />

in Schweidnitz<br />

nicht mehr.<br />

und Jauer existieren leider<br />

Verstärkt wurde sich nun auf die Schloßkirchenbibliothek<br />

zu Oels und die fürstliche<br />

Bibliothek im SchIoB zu Oels konzentriert.<br />

Zu der Schloßbibliothek konnte bald in Erfahrung<br />

gebracht werden, daß diese Bibliothek<br />

mit rund 30.000 Bänden bereits 1885<br />

an die “Königlich öffentliche Bibliothek zu<br />

Dresden” abgegeben wurde, die heutige<br />

“Sächsische Landesbibliothek”. Diese war<br />

damals untergebracht im Japanischen Palais,<br />

das in den Bombennächten des 13. Februar<br />

und des 2. März 1945 zerstört wurde mit fast<br />

der Hälfte ihres Buchbestandes. Darunter<br />

leider auch der Bestand der Oelser Schlo8<br />

bibliothek.<br />

Im Sommer 1986 wurde nochmals die<br />

SchloRkirche zu Oels besichtigt und die<br />

Epitaphien fotografiert, ein Zugang zur<br />

Fürstengruft wurde verwehrt. Zu diesem<br />

Zeitpunkt war noch nichts über die Kettenbuchbibliothek<br />

bekannt.<br />

Man vermutete zunächst sogar, daß bei dem<br />

Einsturz der Schloßkirche 1905 die Kettenbibliothek<br />

verloren ging. Herr Georg Hähne1<br />

Die Kettenbuch-Bibliothek in der<br />

Schloßkirche zu Oels<br />

hat in seiner Geschichte über die Schloßkirche<br />

zu Oels sowie über das kirchliche Leben<br />

im Herzogtum und der Gemeinde Oels 19 10<br />

die Bibliothek der Schloßkirche nicht erwähnt.<br />

Zu dieser Erkenntnis<br />

Pole Hugo Weczerka.<br />

kam auch der<br />

1988 wurden die Sucharbeiten nach der<br />

verschollenen Oelser Schloßkirchenbibliothek<br />

intensiviert. Dem zu Rate gezogenen<br />

Küster war die Existepz dieser Bibliothek<br />

nicht bekannt, der amtierende Pfarrer lehnte<br />

ein Gespräch ab. Bei der Besichtigung des<br />

Gotteshauses war auffällig geworden, daß<br />

eine Tür im westlichen Vorraum des Gotteshauses<br />

durch einen massiven Holzverschlag<br />

gesichert war. Erfolglos blieben auch in<br />

Breslau Gespräche mit dem Konfidenten und<br />

dem Bibliotheksdirektor<br />

und anderen.<br />

Dr. Stefan Kubow<br />

Erneut wurde die Suche nach der Bibliothek<br />

im Frühsommer 1989 aufgenommen, aber<br />

wieder blieb die Befragung aller Personen<br />

ergebnislos, Erneut erfolgte eine Besichtigung<br />

der Schloßkirche zu Oels, und diesmal<br />

wurden die Kapelle, die Nischen, der Turm<br />

und, wie sich später herausstellte, der ehemalige<br />

Aufstellungsort der Bibliothek über<br />

dem Hauptportal überprüft. Nur das Öffnen<br />

der mit Brettern vernagelten Tür blieb verwehrt,<br />

und wieder war von der Bibliothek in<br />

Breslau nichts zu erfahren.<br />

Man kam zu der Schlußfolgerung, hat die<br />

Bibliothek den Kircheneinsturz überdauert,<br />

könnte die Bibliothek, ähnlich wie andere in<br />

Schlesien, von sowjetischen Truppen 1945<br />

abtransportiert worden sein. Eine dramatische<br />

Wende erfuhren die Bemühungen um<br />

die Schlol3kirchenbibliothek zu Oels im Jahr<br />

1991 bei einem Aufenthalt im St. Josefs-<br />

Kloster in Breslau. Nach einem Abendbrot<br />

der Kommission überreichte Dr. Pater eine<br />

rund 200 Seiten umfassende Broschüre mit<br />

der Bemerkung, da13 in diesem Inventar<br />

möglicherweise Leichenprädigten verzeichnet<br />

sein könnten. Doch diese Broschüre erwies<br />

sich zur grol3en Überraschung als Inventar<br />

der verschollen geglaubten Schloßkirchenbibliothek<br />

zu 0~1s. Es war Herzog<br />

Karl 11. von Münsterberg-Oels, der die Bibliothek<br />

1594 stiftete. Es war im selben Jahr,<br />

in dem der Superintendent des Fürstentums,<br />

Melchior Eccard, auf Geheiß seines Landesherrn<br />

in Oels das Gymnasium einrichtete.<br />

Aufgabe der Bibliothek war es, die Oelser<br />

Geistlichkeit, die Angehörigen des Gymnasiums<br />

- Lehrpersonal und Schüler - sowie<br />

interessierte Oelser Bürger sowohl für den<br />

Dienstgebrauch als auch zur Weiterbildung<br />

mit der entsprechenden Lektüre zu versorgen.<br />

Nr. 5/<strong>2004</strong><br />

Bis zum Einsturz des Gotteshauses 1905 war<br />

die Bibliothek über dem Haupteingang der<br />

Schloßkirche untergebracht. Wegen dem<br />

öffentlichen Charakter verlangten ihre Stif-<br />

ter und ihr erster Betreuer, Superintendant<br />

Melchior Eccard, die Werke mittels Ketten<br />

gegen Diebstahl zu sichern, was noch heute<br />

zu sehen ist. Die Größe der Ketten richtete<br />

sich nach der Größe der Bücher, so hatten<br />

großformatige Bände eine Kettenlänge von<br />

einer schlesischen Elle, was etwa 603 cm<br />

sind. Die Ketten endeten in einem Ring, der<br />

über eine am Tisch befestigten Stange lief.<br />

1596 schenkte Herzog Joachim Friedrich<br />

von Liegnitz der Bibliothek Werke von<br />

Luther. Bis ins Jahr 1619 erfolgten weitere<br />

Schenkungen, und es wird vermutet, da13<br />

Karl 11. zu seinen Lebzeiten das Hofpersonal<br />

sowie die Bürger der Stadt Oels zu Schen-<br />

kungen motivierte. Heute schätzt man, daß<br />

die Bibliothek etwa 5.50 Bände besaß, zu<br />

Beginn des 19. Jahrhundert war der Bestand<br />

auf 400 abgesunken und mit Beginn des 20.<br />

Jahrhundert hatte sich der Bestand auf etwa<br />

350 reduziert. Heute beträgt der Bestand 239<br />

Bände, welches Schicksal die abhanden<br />

gekommenen Bände genommen haben, ist<br />

unbekannt.<br />

Nach dem Einsturz der Kirche am 1.5. Juli<br />

1905 und ihrem Wiederaufbau in den Jahren<br />

bis 1909 erhielt die Bibliothek einen neuen<br />

Standort im neugotischen Anbau einer Vor-<br />

halle an der Westseite der Kirche. Für diesen<br />

Raum wurden extra neugotische Holzregale<br />

entworfen, die die gesamte Wandfläche des<br />

Raumes einnehmen, und in diesem Raum<br />

befindet sich noch heute die Ketten-Biblio-<br />

thek.<br />

Der Zustand der Bücher war alarmierend und<br />

bestürzend, rund 160 Werke brauchten eine<br />

dringende Restaurierung. Für die Restaurie-<br />

rung wurde ein Spezialpapier nach einer<br />

Rezeptur aus dem 17. Jahrhundert in der<br />

Papiermühle Bad Reinerz hergestellt. Am<br />

14. Juli 1998 waren auch die restlichen 121<br />

Bände restauriert und kehrten nach Oels<br />

zurück. Die Arbeiten wurden in der Restau-<br />

rierungswerkstatt der Universitätsbibliothek<br />

Breslau ausgeführt. Die Mittel für die Re-<br />

staurierung stellte das Bundesministerium<br />

des Innern zur Verfügung. In Zukunft soll<br />

die Ketten-Bibliothek in der SchlolJkirche<br />

zu Oels wissenschaftlich Interessierten zur<br />

Verfügung stehen. Manfred Form

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