Gesellschaft CRUISER Edition <strong>März</strong> <strong>2010</strong> Freitod eines Freigeistes Zum Tod von Alexander McQueen 10
CRUISER Edition <strong>März</strong> <strong>2010</strong> Gesellschaft Mitten in der New Yorker Fashion Week kam am 11. Februar die erschütternde Nachricht: Alexander McQueen hat Selbstmord begangen. Damit hat die Modeindustrie eines ihrer letzten Enfants terribles verloren. Der britische Designer wurde tot in seiner Wohnung gefunden. Die Polizei liess mitteilen, dass sein Tod nicht verdächtig erschien. Schnell meldeten die ersten Zeitungen, McQueen habe sich erhängt. Angestellte wurden vor seinem Studio gefilmt, wie sie die Hände vors Gesicht schlugen. Wachleute stellten daraufhin grosse, weisse Wände vor den Eingang. McQueens Freunde und Mitarbeiter baten in Stellungnahmen um Wahrung ihrer Privatsphäre in dieser schweren Zeit. Man müsse den schweren Schlag erst verarbeiten. Enfant terrible der britischen Modewelt McQueen wurde als Sohn eines Taxifahrers im Londoner East End geboren und brachte den rauen Charme des Londoner Ostens in die vornehme Welt der Haute Couture. Er war von allen Modemachern der unkomplizierteste Schwule. Schon als Schneiderlehrling machte er keinen Hehl aus seiner Sexualität. «Ich habe nichts zu verbergen. Mein Weg führte direkt aus dem Leib meiner Mutter in die Schwulenparade.» McQueen besuchte eine Jungenschule, wo er ständig Frauenkleider zeichnete. Mit 16 wurde er Schneiderlehrling beim renommierten Massschneiderhaus «Gieves & Hawke». McQueen arbeitete fast zehn Jahre als Schneider, bevor er auf der Londoner Central Saint Martins, einer Kunstakademie, Mode studierte. Seine Kreationen nahmen wenig Rücksicht auf Konventionen. So war auch das Thema seiner Abschlusskollektion im Jahre 1992 «Jack the Ripper». Wie das Thema schon erahnen lässt, war auch tatsächlich Blut im Spiel. Die englische Moderedakteurin Isabella Blow, eine der grössten Exzentrikerinnen der Modewelt, war davon so angetan, dass sie seine gesamte Kollektion für 5000 Pfund aufkaufte. Seit diesem Moment galt sie als die grosse Entdeckerin McQueens. Noch im selben Jahr gründete McQueen sein eigenes Label. Fünf Jahre später wurde er Nachfolger von John Galliano und damit Chefdesigner für das französische Modehaus Givenchy. Das machte aus dem Enfant terrible einen hoch geachteten Designer. Seine eigene Linie wurde 2000 vom italienischen Modekonzern Gucci zu 51 Prozent übernommen. McQueen provozierte wie kein anderer seiner etablierten Kollegen: Bei einer Modenschau unter dem Titel «Highland Rape» («Bergland-Vergewaltigung») schickte er mutmassliche Vergewaltigungsopfer in zerrissenen Kleidern auf den Laufsteg, von der Presse wurde er gern als «Bad Boy» oder gar als «Hooligan» tituliert. Viermal wurde er zum britischen Designer des Jahres gekürt. «Ich muss die Leute zwingen, sich die Dinge genau anzusehen», sagte er einmal. Spektakulär waren McQueens Fashionshows immer. Seien es Schneeflocken, Farbbespritzungen, an Leinen geführte Wölfe oder Models mit bandagierten Köpfen in einer Glasbox – McQueen langweilte nie. Trotz seiner kontroversen Shows schaffte es McQueen in die Herzen der Modeliebhaber. Als Vorbereitung für seine Kollektion, die er im Oktober 2008 in Paris zeigte, las McQueen Darwin. Er stellte jede Menge ausgestopfte Tiere auf den Laufsteg und übte damit Kritik an dem Motto «Survival of the fittest». Dass er am Schluss im Ganzkörperkostüm eines weissen Plüschhasen winkend auf die Bühne trat, liess selbst das härteste Herz erweichen und war wohl das Komischste, was die Modewelt in jener Saison vor Augen bekam. Düstere Zeiten McQueens Förderin und Entdeckerin, Isabella Blow, nahm sich vor drei Jahren das Leben, nachdem sie von ihrer Eierstockkrebserkrankung erfuhr. Ein Verlust, den Alexander McQueen nie verkraftete. Denn Isabella Blow war nicht nur Entdeckerin und Förderin des Designers, sondern auch seine beste Freundin. Nachdem nun jedoch mehrere Abschiedsbriefe an Freunde gefunden wurden, war klar, dass ihn der Tod seiner Mutter, die bloss einen Tag vor McQueens Selbstmord starb, und eine in die Brüche gegangene Beziehung zu diesem Schritt bewegten. Die Modewelt reagiert geschockt auf McQueens Tod. Auf Twitter schrieb Peaches Geldof, Londoner It-Girl und Tochter von Sir Bob Geldof: «Ruhe in Frieden, Alexander McQueen. Nur die, die es riskieren, zu weit zu gehen, können herausfinden, wie weit ein Mensch gehen kann.» Der US-Blog «Jezebel» erwies dem Designer auf die wohl zutreffendste Art und Weise seine Reverenz und wies zugleich auf die bleibende Bedeutung seines Genies hin: «McQueen is dead, long live McQueen.» Marc-André Capeder 11