Musiker Magazin 01/2015
CLUESO: "Stadtrandlichter" – Ein Bauchalbum, keine Kopfplatte
CLUESO: "Stadtrandlichter" – Ein Bauchalbum, keine Kopfplatte
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20 STORIES<br />
Es gibt den Proll-Hip-Hop, da gibt es einen,<br />
der ganz oben ist, dann gibt es den Happy-Hip-<br />
Hop, da gibt es einen, der ganz oben ist, und<br />
genauso im Rock, dann gibt es schlagerartige<br />
Songs, Leute, die sich als Rock tarnen – es gibt<br />
alle Facetten. Und in Amerika ist es genauso. Da<br />
gibt es den Country, es gibt eine Art Schlager, wo<br />
die Texte immer die gleiche Sehnsucht abspulen,<br />
es gibt den deepen Hip-Hop, es gibt alles Mög -<br />
liche und große Acts. Und wir haben inzwischen,<br />
Acts, die live funktionieren. Der eigentliche Hype<br />
ist nur durch Wellen erklärbar. Neue deutsche<br />
Wellen gab es viele. Dann ganz große Leute wie<br />
Grönemeyer, Lindenberg, Westernhagen, Nena<br />
– es gab schon einmal so einen Boom. Das ist<br />
für mich gar nichts Neues. Das ist einfach nur eine<br />
Weile weg gewesen, weil wir von dem amerikanischen<br />
Markt überschwemmt wurden. Der deutsche<br />
Markt ist für Amerika sehr interessant, weil<br />
die hier sehr gut verkaufen.<br />
Album mit sehr vielen beseelten Werken, aber<br />
auch sehr nachdenklichen Sachen. Da fehlt etwas<br />
Lockeres.<br />
MM: Du hast zwei Jahre an dem Album ge -<br />
arbeitet. Welche Entwicklungsphase nahm<br />
dabei die meiste Zeit in Anspruch und warum?<br />
CLUESO: Lieder suchen, also sich zu entscheiden<br />
und zu sagen jetzt beginnt ein Album, ist eine<br />
lange Zeit. Vorher ist man frei, man kann ausgehen,<br />
Sachen machen, leben und versuchen, die<br />
Prozesse einfach laufen zu lassen. Und irgendwann<br />
entscheidet man sich und sagt: Ich mache<br />
jetzt ein Album. Ich wollte eigentlich ein Reise -<br />
album machen, habe das angefangen, abgebrochen<br />
und gemerkt, ich möchte mir das noch einmal<br />
angucken, weil Songs wie „Stadtrandlichter“<br />
kamen, Songs wie „Alles leuchtet“, die Power<br />
haben. Ich dachte, die schlagen durch, die<br />
»Ich finde, Streaming ist die Zukunft.<br />
Allerdings finde ich die Vergütung für Künstler auf<br />
Streaming-Portalen nicht so geil bis total scheiße<br />
und denke, dass sich Bands wehren und vielleicht eine<br />
Allianz bilden müssen.«<br />
MM: Wie viele Songs sind im Zuge der Pro -<br />
duktion entstanden und wonach entscheidest<br />
du, welche Songs endgültig auf das Al bum<br />
kommen?<br />
CLUESO: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es<br />
nicht genau. Es ist mehr die Entscheidung von<br />
den Songs selber. Es ist so, dass ich pausenlos<br />
Songs schreibe und es welche gibt, die drücken,<br />
weil sie näher an einem Zeitgeschehen sind. Die<br />
müssen dann raus, weil ich das erzählen will. Das<br />
spiegelt mich am besten wider. Es gibt Songs,<br />
die gammeln, die einen ganz bestimmten, mo -<br />
der nen Sound haben, der auch in eine Zeit reinpasst,<br />
wo man Angst hat und denkt, in drei Jahren<br />
ist das vielleicht nicht das Gleiche. Es gibt aber<br />
Songs wie „Paris“, das ist ein unveröffentlichter<br />
Song, der auf einem kleinen Album, das ich vielleicht<br />
noch machen will, rauskommt, wo ich<br />
merke, der gammelt nicht. Ich kann den spielen,<br />
der ist zeitlos. Ich gehe nach Songs, die beseelt<br />
sind. Diese beseeltesten Stücke versuche ich zu<br />
sammeln, und ich schaue, dass ich welche habe,<br />
die mich ein bisschen piesacken. Die geben das<br />
Album dann wie eine Art Mixtape vor. Aber das<br />
muss man auflockern. „An und für sich“ ist ein<br />
drücken dieses charmante, kleine Reisealbum<br />
beiseite. „Stadtrandlichter“ ist ein Pop-Album, wo<br />
die Band Bock und Energie hatte. Die längste Zeit<br />
war aber die Lernphase. Ich wollte Produzieren<br />
lernen und das war wie eine Fremdsprache lernen.<br />
Ich habe viel gelernt, mir viele Tutorials reingezogen,<br />
viel gelesen, und als ich das zum ersten<br />
Mal angewendet habe, ohne dass ich darüber<br />
nachgedacht habe, einfach so intuitiv, da wusste<br />
ich: Jetzt habe ich eine eigene Handschrift, jetzt<br />
dauert es nicht mehr lange. Vorher dauert es halt<br />
sehr lange.<br />
MM: Dein neues Album ist zurzeit nicht auf<br />
Musik-Streaming-Portalen verfügbar.<br />
Warum hast du dich dagegen entschieden?<br />
CLUESO: Ich finde, Streaming ist die Zukunft.<br />
Ich glaube, und das sage ich auch sehr oft, dass<br />
die CD keine Renaissance erleben wird, dass wir<br />
weiter denken müssen. Allerdings finde ich die Ver -<br />
gütung für Künstler auf Streaming-Portalen nicht<br />
so geil bis total scheiße und denke, dass sich<br />
Bands wehren und vielleicht eine Allianz bilden<br />
müssen. Ich habe erst einmal, da die Diskussion<br />
ganz frisch ist, wir auf Tour sind und das noch<br />
gar nicht ausdiskutieren konnten, alles von<br />
Spotify und vielen Streaming-Portalen runtergenommen<br />
und bin auf iTunes gegangen, weil mir<br />
meine Musik etwas wert ist. Wenn man das musik -<br />
geschichtlich betrachtet, waren <strong>Musiker</strong> schon<br />
einmal Leib eigene für irgendwelche Fürsten und<br />
haben sich ein Urheberrecht erkämpft. Das um -<br />
schiffen jetzt viele Streaming-Plattformen, indem<br />
sie ein Minus geschäft provozieren, einem sagen,<br />
dass nicht mehr viel übrig bleibt, wenig abgeben<br />
und die Ge winne an der Börse wieder reinholen.<br />
Das ist ein Geschäftsmodell, das nur zugunsten<br />
von Streaming-Plattformen ist und Künstler nicht<br />
viel davon sehen. Das ist uncool, weil es ja die<br />
Zukunft ist. In dieser Aufbauphase muss man sich<br />
das kritisch angucken. Das heißt für mich aber<br />
nicht, dass ich nicht dort stattfinden will und mir<br />
vielleicht auch einen Zwischenweg überlege und<br />
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