ERGSTE . . . UND WIR IM RUHRTAL! Das Bürgermagazin für die Bürger des <strong>Ruhrtal</strong>s November 2011 Herr Schulte <strong>und</strong> Herr Herkenhöner bzw. Onkel Erwin <strong>im</strong> Bahnhofsbüro waren, leider verschenkt. Der Wunsch, wieder solch eine Puppenbühne zu besitzen ging mir nicht aus dem Kopf. Irgendwann bin ich damit angefangen für meine Kinder auch so etwas aufzubauen. Das Textbuch aus meiner Kindheit besitze ich heute noch. Es kommt gerade jetzt viel <strong>zum</strong> Einsatz, denn mein neunjähriger Enkel ist ein begeisterter Mitspieler. In diesem Bahnhof waren wir überall zuhause. Auch unten in den Büroräumen. Hier hielten wir uns oft genug auf. Großes Interesse fand ich an dem Morsegerät, heute wahrscheinlich ein Museumsstück. Für mich war es eine W<strong>und</strong>ermaschine. Durch das rhythmische Bedienen eines Hebels wurden Nachrichten <strong>zum</strong> nächsten Bahnhof geschickt. Kamen Nachrichten zurück, erschienen auf einem Papierstreifen Punkte <strong>und</strong> Striche, aus denen man die Antworten lesen konnte. Darüber konnte ich nur staunen. In diesem Büro gab es auch einen „Nikolaus“. Es gab ihn aber nur einmal! Als Erwin Herkenhöner (von uns „Onkel Erwin“ genannt) am 6. Dezember in unserer Wohnung mit dem „Goldenen Buch“ erschien <strong>und</strong> sich anstrengte, sehr würdig zu erscheinen, hatte ich vierjährige ihn plötzlich erkannt <strong>und</strong> rief: „<strong>Wir</strong> haben zwei Onkel Erwin, einen Nikolaus Onkel Erwin <strong>und</strong> einen <strong>im</strong> Büro!“ Betretenes Schweigen! Im Jahr darauf kam ein anderer Nikolaus zu Besuch. Dieser Weihnachten <strong>im</strong> Bahnhof 1944 66 hatte keinen krummen Finger, an dem ich ihn erkannt hatte. Neben der Schalterhalle befand sich die Bahnhofs-Gaststätte. Die <strong>Wir</strong>tin hieß Lieschen Pütter. Sie konnte mit den Männern umgehen <strong>und</strong> war dort nicht wegzudenken. Blieb ihr ein Gast am Abend zu lange oder hatte ihrer Ansicht nach genug getrunken, hörten wir in der Wohnung ihre erhobene St<strong>im</strong>me so lange, bis das Lokal geräumt war. <strong>Wir</strong> Kinder besuchten sie oft. Nach einem kleinen Gespräch <strong>und</strong> einem Bonbon in der Hand verließen wir zufrieden das Lokal. Da meine Eltern meinten, ich sei ein schlechter Esser, kam ich <strong>im</strong> Mai 1943 zarten Kindergartenalter alleine nach Bad Wildungen zur Erholung. Mein He<strong>im</strong>weh war schl<strong>im</strong>m <strong>und</strong> ich aß noch weniger als zuhause. Die Möhne-Talsperre musste erst bombardiert werden, um aus diesem Erholungshaus heraus zu kommen. Ich kann mich schwach erinnern, dass wir in einer Nacht- <strong>und</strong> Nebelaktion aus den Betten geholt wurden. Ein Zug brachte uns Kinder Richtung Schwerte. Gut erinnern kann ich mich, dass in Schwerte auf dem Bahnsteig viele Mütter waren, die nach ihren Kindern riefen. Als meine Mutter mich fand, rief sie <strong>im</strong>mer: „Ich habe mein Kind wieder!“ Bis dahin wusste ich nicht, was geschehen war <strong>und</strong> warum diese große Aufregung. Auf dem Weg nach <strong>Ergste</strong>, den wir zu Fuß gehen mussten, weil der Zugverkehr <strong>zum</strong> Erliegen kam, erfuhr ich dann so viel, wie in meinen kindlichen Kopf hineinging. Ich sah dann auch die überfluteten Ruhrwiesen <strong>und</strong> die vielen toten Rinder <strong>und</strong> Pferde. Ein grausamer Anblick. Ich war etwa 4 Jahre alt als ich mir ein kleines Schwesterchen wünschte. Als ich mit meiner Bitte an meine Mutter herantrat, bekam ich zur Antwort: „Babys bekommt man auf dem Amt“. So zog ich eines Tages mit meinem leeren Puppenwagen <strong>zum</strong> Amt um mir ein schö- nes Baby auszusuchen. In dem dunklen Raum beugte sich der sehr erstaunte Beamte über den Thekenrand, sah zu mir herunter <strong>und</strong> fragte nach meinen Wünschen. Ich brachte mein Anliegen vor, mit der Bitte das Baby aber selbst aussuchen zu dürfen. Höflich aber best<strong>im</strong>mt bekam ich zu hören, dass man auf dem Amt keine Babys bekommen kann. Noch heute weiß ich, wie schrecklich enttäuscht ich war. Der etwas hilflose Beamte konnte mich nicht trösten. Er fragte nach meinem Namen <strong>und</strong> meinem Wohnort. Danach benachrichtigte er telefo- <strong>Ergste</strong>r Bahnhof um 1927. Hier wurden Gäste für die Steigerturm Einweihung der Feuerwehr abgeholt. nisch meinen Vater <strong>im</strong> Büro. Dieser kam seiner traurigen <strong>und</strong> enttäuschten Tochter auf der Landstraße entgegen. Ob ich dann aufgeklärt wurde, weiß ich nicht mehr. Siegfried <strong>und</strong> ich waren noch <strong>im</strong> Kindergartenalter, als wir Weihnachten d. h. die Bescherung ganz alleine feierten. Wie kam es dazu? Bis zu diesem Weihnachtsfest war die Bescherung bei uns nicht Heiligabend, sondern am 1. Weihnachtstag morgens. Da ich in der Nacht zur Toilette musste, <strong>und</strong> der Weg durch das Wohnz<strong>im</strong>mer dorthin führte, stolperte ich schlaftrunken über einen Puppenwagen. Ich konnte kaum glauben was ich sah. Mutter sagte einmal: „Man kann auch mit offenen Augen träumen“ Aber was ich sah, konnte man anfassen: Der geschmückte Weihnachtsbaum, die vollen Teller mit süßen Sachen, eine riesengroße Lampe lag auf dem Sofa <strong>und</strong> die Spielsachen. Die volle Blase war vergessen. Ich weckte meinen Bruder <strong>und</strong> rief: „Das Christkind war da!“ Dann folgte eine selbstvergessene Bescherungsnacht. <strong>Wir</strong> zitterten <strong>und</strong> das nicht nur vor Aufregung, nein, es war eiskalt. Die Plätzchen, die wir eifrig vom Teller naschten, wärmten uns auch nicht. Ich weiß nicht, wie lange wir in unserem Bescherungsrausch alleine waren, bis ich Vaters St<strong>im</strong>me sagen hörte: „Ja Mutter, da werde ich wohl den Ofen anheizen müssen <strong>und</strong> dann feiern wir alle zusammen Weihnachten.“ Fortsetzung nächste Ausgabe Nr. 10
ERGSTE . . . UND WIR IM RUHRTAL! Das Bürgermagazin für die Bürger des <strong>Ruhrtal</strong>s November 2011 Ihr <strong>Ergste</strong>r Weihnachtsgeschenk Der leckere Senf aus der Schwerter Senfmühle 67