Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Klaus Hentschel und Monika, Renneberg<br />
Diese Selbstdefinition über die reine Wissenschaft erlaubt die Ausblendung politischer<br />
Realitäten und ein Selbstverständnis als unpolitischer Wissenschaftler, auch<br />
wenn die daraus resultierenden Handlungen offenbar systemstabilisierend wirkten<br />
und insofern hochgradig politisch waren 139 . Diese politische Einbindung der Disziplinen<br />
wie auch der Wissenschaftler, wie sie nicht nur unser Beispiel des Astronomen<br />
Heckmann zeigt, wird durch dieses Selbstverständnis auf spezifische Weise ausgeblendet.<br />
Daß eine disziplinäre Interessenpolitik nötig ist, wird in keiner naturwissenschaftlichen<br />
Disziplin bestritten, doch wird ihr auf der Grundlage der restriktiven<br />
Selbstdefinition eine untergeordnete Rolle zugedacht, die streng an der unmittelbaren<br />
Produktivität des Faches orientiert ist. Politische Handlungen werden als lästiges,<br />
doch notwendiges Übel angesehen und gleichzeitig als anrüchig betrachtet, die<br />
aber der reinen Wissenschaft nichts anhaben können. Damit wird eine Interessenpolitik<br />
gerechtfertigt, die eine Anpassung an jede konkrete politische Situation erlaubt.<br />
Insofern politische Handlungen eine üble Notwendigkeit bleiben, ist es - überspitzt<br />
formuliert - belanglos, in welchem politischen System man sich die Hände schmutzig<br />
macht. Daß sich mit dem Übergang von einem zum anderen politischen System<br />
die Maßstäbe ändern, macht Umdeutungen notwendig, die Heckmann mühelos vollzog,<br />
weil sie nicht den vermeintlichen Kern der Wissenschaft berührten. Eine wissenschaftliche<br />
Disziplin, die mit der geschilderten restriktiven Selbstdefinition und der<br />
daraus gerechtfertigten Interessenpolitik ausgestattet ist, bietet die Möglichkeit zu<br />
nachträglichen Umdeutungen, die ohne politische und moralische Reflektionen auskommt.<br />
139 Daß dieses Selbstverständnis sehr resistent gegen politische Veränderungen ist, hat schon Freise,<br />
Autonomie und Anpassung, vermutet.