Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Ralf Kessler und Hartmut Rüdiger Peter<br />
daß es sehr wenige gibt, die so konsequent und aktiv eintreten <strong>für</strong> Gerechtigkeit, wie<br />
wir es bis zur Stunde getan haben." 18<br />
Die Widerstandskämpfer sahen sich aufgrund ihrer Erfahrungen nicht nur in einer<br />
Sonderstellung gegenüber Bekannten, Freunden und letztlich der Mehrheit der Bevölkerung,<br />
die passiv geblieben war. Auch gegenüber anderen NS-Verfolgten wollten<br />
sie sich als bewußte Antifaschisten hervorgehoben wissen. Eines der ersten nach<br />
dem Krieg zum Thema Wiedergutmachung in der preußischen Provinz Sachsen verfaßten<br />
Dokumente vom September 1945 (die Autoren kamen aus dem Kreis der<br />
„Politischen") enthält die charakteristische Passage: „Opfer des Faschismus sind alle<br />
Personen, die als Kämpfer gegen den Faschismus sich in Strafhaft, Untersuchungshaft,<br />
Schutzhaft oder sonstiger Haft befunden haben." 19 Und in einer Richtlinie liest<br />
man zwei Monate später: „Schuld an dem Kriege ist das Deutsche Volk. Ausgenommen<br />
von der Schuld sind die Kinder. Unmittelbar neben den Kindern stehen die Opfer<br />
des Faschismus. Opfer des Faschismus ist ein Ehrentitel, der nur demjenigen verliehen<br />
wird, der unter der Nazizeit gekämpft, verfolgt und nachweisbar wegen seiner<br />
Einstellung gegen das Naziregime Freiheitsstrafen verbüßt hat." 20 Politisch motivierte<br />
Aktivität bildete also die Scheidelinie zu anderen NS-Opfern. Das gemeinsame Erlebnis<br />
der Verfolgung war somit von vornherein ein außerordentlich dünnes Band<br />
der Einigung.<br />
Rückkehr ins „normale" Leben: Ab- und Ausgrenzungen<br />
Bestand über die Erfahrung des gemeinsamen Leides in der NS-Zeit hinaus unter allen<br />
OdF eine weitere Gemeinsamkeit, so war es der Wunsch nach Menschlichkeit<br />
und Gerechtigkeit in einer besseren Zukunft, der sich mit der Forderung „Nie wieder<br />
Krieg und Faschismus" verband. Eine Jüdin hielt dazu fest: „Diese Kulturschande<br />
darf nie wieder kommen. [...] Diesmal muß es uns gelingen, allen Kriegstreibern<br />
zum Trotz ein einheitliches und friedliches Deutschland zu schaffen." 21 Und ein als<br />
„Arier in Mischehe" Verfolgter, der in der NS-Zeit Frau und Kind verloren hatte,<br />
schrieb gleichermaßen repräsentativ: „Ich schließe meinen kurzen Bericht mit dem<br />
Gedenken an die beiden durch Mörderhand gefallenen Toten und in der Hoffnung,<br />
daß das deutsche Volk einig und geschlossen gegen nur jeden erdenklichen Versuch,<br />
diese Zeit je wieder auferstehen zu lassen, fest zusammenstehen möge zum Wohle aller<br />
Menschen und aller Rassen unserer Erde." 22 Wie sich solche Vorsätze auf das persönliche<br />
Engagement im Nachkriegsdeutschland auswirkten, hing in hohem Maße<br />
davon ab, wie die Zeit unmittelbar nach dem Mai 1945 erlebt und empfunden wurde.<br />
18<br />
LA Magd., Rep. K MW 11153, Bl. 151, Erlebnisbericht des Bruno W. aus Zeitz, 22.4. 1949.<br />
19<br />
LA Magd., Rep. K MW 9646, Bl. 125, Verordnung zur Wiedergutmachung <strong>für</strong> die „Opfer des Faschismus"<br />
in der Provinz Sachsen, 9.9. 1945 (Hervorhebung im Original gesperrt).<br />
20<br />
LA Magd., Rep. K MW 9760, B1.35, Richtlinien <strong>für</strong> die Betreuungsstellen der Provinz Sachsen,<br />
2. 11. 1945 (Hervorhebung d. A.).<br />
21<br />
LA Magd., Rep. K MW 11153, B1.297, Erlebnisbericht der Klara D. aus Magdeburg, 20.4. 1949.<br />
22<br />
SAPMO-BA, ZPA, V 278/4/96, B1.38, Erlebnisbericht des Alfred L. aus Magdeburg, 14.2. 1948.