Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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628 Ralf Kessler und Hartmut Rüdiger Peter<br />
Vorschlosser, als Schutzmann oder Bürobote unterzukommen oder mit sonstigen untergeordneten<br />
oder unterbezahlten Stellen abgespeist zu werden". Der Autor des<br />
Briefes räumte zwar ein, daß schon aufgrund unterschiedlicher Fähigkeiten nicht jeder<br />
Regierungsrat werden könne. Andererseits war in seinen Augen aber nicht zu<br />
verkennen, daß die Widerstandskämpfer als „lästige Bittsteller" betrachtet würden,<br />
als „Mohren [...], die ihre Schuldigkeit getan haben". „Winkelträger 'fressen' höhere<br />
Zuteilungen [...] und sind also eine Art Parasiten. So sind die abfälligen Einschätzungen<br />
durch eine breite Masse." Demgegenüber sei infolge „der lauen Abwicklung" der<br />
Entnazifizierungsdirektiven und „durch die fast generelle Rehabilitierung der Faschisten<br />
durch Befehl 201 [...] eine durchaus kritische Lage <strong>für</strong> die Kämpfer entstanden.<br />
[...] Nazis können aufgrund ihrer akademischen Bildung oder sonstige[r] Fachkenntnisse<br />
jetzt oder später wichtige Posten einnehmen, die aber jetzt schon Widerstandskämpfern<br />
eben wegen im Augenblick mangelnder Fachkenntnisse versperrt sind und<br />
bleiben." Als Alternative entwickelte dieser ehemalige Regimegegner ein ganzes<br />
Schulungsprogramm <strong>für</strong> OdF und verband damit Vorschläge <strong>für</strong> dessen Finanzierung.<br />
Für ihn hieß die zentrale Aufgabe: „Zur Verankerung der Ziele, <strong>für</strong> die sich<br />
die Kämpfer unter ungeheuren Verlusten an Leben und Gut einsetzten, müßte es<br />
eine elementare Forderung sein, daß alle OdF restlos in die leitenden oder entscheidenden<br />
Stellungen bei Verwaltung, Wirtschaft und Industrie gebracht werden. Sämtliche<br />
Einwendungen irgendwelcher Art fallen weg, wenn es sich darum handelt, einem<br />
Neofaschismus den ,Weg in die Macht' zu verlegen." 52<br />
Zweifellos spricht aus derartigen Äußerungen auch Enttäuschung über nicht erfüllte<br />
persönliche Erwartungen. Immer wieder niedergeschriebenes Unbehagen über<br />
Zustände in der ostdeutschen Nachkriegsgesellschaft wirft aber die Frage auf, wie<br />
sich die „einfachen" OdF, die meist aus der Arbeiterschaft stammten und der KPD<br />
angehört hatten, eine Alternative dazu vorstellten. Eine befriedigende Antwort auf<br />
diese Frage wird man wohl kaum geben können. Programmatische Positionen zu<br />
formulieren, lag den meisten von ihnen fern. Dies war schon in der NS-Zeit und davor<br />
anderen vorbehalten geblieben und von ihnen - so sie derartige Dokumente<br />
überhaupt kannten - höchstens ansatzweise rezipiert und akzeptiert worden. Aber<br />
kritische Äußerungen, wie sie eben zitiert wurden, liefern Indizien da<strong>für</strong>, welche<br />
Entwicklungen anders (oder nicht) erwartet und angestrebt worden waren.<br />
Schon die Haltung vieler „Politischer" zu den Alliierten war zwiespältig. Deren<br />
Besatzungspolitik setzte dem eigenen kollektiven Führungsanspruch in der Nachkriegsgesellschaft<br />
enge Grenzen. Das dabei aufkommende Gefühl, an den Rand gedrängt<br />
zu werden, führte (neben anderen Faktoren) zu einer gewissen Distanz gegenüber<br />
der Deutschlandpolitik der Alliierten, die gelegentlich selbst von politischen<br />
Repräsentanten der OdF recht offen zum Ausdruck gebracht wurde. Karl Raddatz,<br />
später Generalsekretär der VVN, sagte im Frühjahr 1946 auf einer Arbeitstagung:<br />
„Wir wissen, daß Deutschland in 4 Besatzungszonen zerrissen ist und daß die volle<br />
52 LA Magd., Rep. KMW 10448, Bl. 20 ff., Artur M., Kreis Bitterfeld, an Ottomar Geschke, unda<br />
tiert, Ende 1947 oder Anfang 1948.