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Ungefähr zur gleichen Zeit spricht Genet zum ersten<br />

Mal über ihren Status mit einem Fremden. Ein älterer<br />

Mann macht sie im Minibus an und lädt sie zu einem<br />

Kaffee ein. Er eröffnet ihr, dass er gerne mit ihr schlafen<br />

würde, da sie jung und hübsch sei und seine eigene Frau<br />

alt und hässlich. Genet erklärt sich. Zunächst ist der<br />

Mann geschockt. Genet: „Ich sagte ihm, dass ich wie<br />

seine Frau bin. Er solle aufhören, anderen Frauen nachzusteigen<br />

und seine Frau zu gefährden. Er verstand mich<br />

und hatte Mitleid mit mir. Nach diesem Tag habe ich das<br />

allen Männern erzählt, die mit mir schlafen wollten.“<br />

2003 outet sich Genet zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit.<br />

Sie fängt an, verschiedene Iddir zu besuchen<br />

und dort ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Ein Iddir<br />

ist eine lokale, meist informelle soziale Sicherungsstruktur,<br />

der üblicherweise 200–300 Haushalte angehören.<br />

Im Todesfall wird die in Äthiopien sehr teure Beerdigung<br />

von den Iddirs ausgerichtet und bezahlt, die Hinterbliebenen<br />

bekommen eine Abfindung. Einmal im<br />

Monat findet eine Mitgliederversammlung statt, zu der<br />

verpflichtend alle Haushalte kommen müssen. Eine<br />

gute Möglichkeit also auch über HIV zu sprechen.<br />

Genet: „Eines Tages habe ich eine Veranstaltung in<br />

einem Iddir gemacht. Jeder fühlte sich schlecht, einige<br />

haben auch geweint. Als ich nach Hause kam, fand ich<br />

alle meine Sachen auf der Straße. Die Hausbesitzerin<br />

war in dem Iddir. Ich habe sie gefragt: ,Warum?‘ Sie<br />

sagte: ,Weil Du HIV-positiv bist.‘“<br />

Die Diskriminierung von HIV-Positiven war zu jener<br />

Zeit enorm stark in der äthiopischen Gesellschaft. Jeglicher<br />

Körperkontakt wurde vermieden, sei es das Händeschütteln<br />

als Begrüßung, sei es das gemeinsame Essen.<br />

HIV-Positive wurden in Cafés nicht geduldet, das Virus<br />

könne ja vom Stuhl auf andere Gäste „überspringen“.<br />

Fast alle HIV-Positiven verloren zu dieser Zeit ihre<br />

Wohnung.<br />

Aufklärungsarbeit von HIV-Positiven<br />

in ihrer Nachbarschaft<br />

Fünf Jahre später hat sich die Situation deutlich verbessert.<br />

Die Diskriminierung ist durchaus noch vorhanden,<br />

doch die Menschen sind besser aufgeklärt, haben eine<br />

viel genauere Vorstellung von den Übertragungswegen.<br />

Der zwischenmenschliche Umgang beginnt sich zu<br />

normalisieren, aber nach wie vor ist es schwierig, eine<br />

Wohnung zu finden. So gut wie alle erwachsenen<br />

Obdachlosen in Addis sind<br />

HIV-positiv!<br />

Besonders in den letzten zwei Jahren ist<br />

eine deutliche Veränderung insofern zu erkennen,<br />

als dass die Menschen viel offener<br />

über HIV und auch über Sexualität sprechen<br />

können. Großen Anteil an dieser<br />

Veränderung haben Ansätze auf Gemeindeebene.<br />

Insbesondere durch das Outing von<br />

HIV-Positiven und ihre Aufklärungsarbeit<br />

bei den Nachbarn, das heißt in einer Sprache<br />

und Form, die die Bevölkerung versteht,<br />

bekommt die Zielgruppe einen eigenen<br />

Zugang.<br />

Empirische Untersuchungen über einen<br />

Zeitraum von drei Jahren zeigen, dass insbesondere<br />

Genet und ihre NRO viel dazu<br />

beigetragen haben, dass die Menschen<br />

in Genets Viertel Mekanisa viel offener über HIV reden,<br />

als die in anderen Vierteln. Mittlerweile wird diese Idee<br />

auch von anderen Organisationen umgesetzt: Seit etwa<br />

drei Jahren gibt es in allen Stadtvierteln Home-Based-<br />

Care-Gruppen. Das sind Gruppen von Freiwilligen, meist<br />

jungen Erwachsenen, die sich für 18 Monate verpflichten,<br />

bettlägerige Kranke in ihrem Stadtteil zu versorgen. Sie<br />

werden zum Arzt gebracht; es wird aufgepasst, dass sie<br />

ihre Medikamente regelmäßig einnehmen; es wird aber<br />

auch gekocht, geputzt, gefüttert und eingekauft. Ursprünglich<br />

wurden diese Gruppen als Reaktion auf AIDS<br />

eingerichtet, mittlerweile werden jedoch auch andere<br />

Bettlägerige versorgt. Der Home-Based-Care-Ansatz stellt<br />

ein Novum für die äthiopische Gesellschaft dar: Hauptsächlich<br />

kümmert sich die Familie um Kranke, auch die<br />

enge Nachbarschaft und Freunde helfen mit. Nun kümmern<br />

sich zum ersten Mal Fremde ehrenamtlich um<br />

Fremde. Eine so intensive Versorgung bleibt natürlich<br />

auch von den Nachbarn nicht unbeobachtet. Um Gerüchte<br />

zu vermeiden, wird die Nachbarschaft von der<br />

Home-Based-Care-Gruppe zu einer traditionellen Kaffeezeremonie<br />

eingeladen. Bei frisch gebrühtem Kaffee und<br />

Popcorn wird ungezwungen über HIV aufgeklärt, die<br />

Übertragungs- und Vermeidungswege werden diskutiert<br />

und auch schon mal gezeigt, wie ein Kondom verwendet<br />

wird. Zu diesen Treffen werden häufig HIV-Positive aus<br />

anderen Vierteln als Gäste geladen, um aus ihrem Leben<br />

© Till Winkelmann<br />

28 29<br />

Die Ärmsten der Armen<br />

haben häufig keinen<br />

Zugang zu Aufklärungsmedien.

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