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Vietnam
Vertrauen in die überlieferte Heilkunst
Zum Verhältnis von traditioneller und westlicher Medizin
Seit Jahrhunderten wird in Vietnam
traditionelle Medizin praktiziert. Sie ist neben
der modernen Medizin fest etabliert und genießt
bei der Bevölkerung nicht nur hohes Ansehen,
sondern wird auch rege in Anspruch genommen.
Die traditionelle Medizin macht heute dank
staatlicher Förderung ungefähr ein Drittel der
gesamten medizinischen Versorgung des Landes aus.
Die überlieferte Medizin in Vietnam besteht aus
der Südmedizin (Thuoc Nam), der eigentlich
vietnamesischen Medizin, und der Nordmedizin
(Thuc Bac), der traditionellen chinesischen Medizin.
Beide Medizintraditionen werden unter Dong Y (östlicher
Medizin) zusammengefasst und komplementär
angewandt. Thuoc Nam baut auf das chinesische Yin
und Yang-Prinzip auf und verfolgt einen holistischen
Ansatz. Wie in allen asiatischen Medizintraditionen
wird der Mensch als eine unzertrennliche Einheit von
Körper und Seele betrachtet. Bei einer Erkrankung gilt
es, das harmonische Gleichgewicht der Lebensenergien,
khi, wieder herzustellen.
Es gibt Prioritäten bei der Inanspruchnahme beider
Traditionen. „Ich habe großes Vertrauen zu vietnamesischen
Ärzten. Wenn ich Beschwerden habe, die im Körperinnern
sind, dann suche ich einen Doktor auf, der
vietnamesische Medizin verabreicht. Die macht den
Körper kühl. Die chinesische Medizin ist für allgemeine
Krankheiten gut“, informiert mich Frau Thu.
Es gibt keine Familie in Vietnam, die keinen traditionellen
Arzt oder Heiler kennt. Doch es sind besonders Menschen
mittleren Alters und Ältere, die traditionelle Praktiker
aufsuchen. „Die jungen Leute haben keine Zeit für
langwierige Behandlungen. Sie wollen ganz schnell gesund
werden, aber die Behandlung mit traditionellen
Kräutern braucht Geduld. Der Kundenstamm, der zu
uns kommt, fängt erst mit der Altersgruppe ab 30 Jahren
an“, klagt Herr Ngoc, der traditionelle Arznei verkauft.
Ebenso wenig gibt es Vietnamesen, die nicht ergänzend
westlich ausgebildete Ärzte konsultieren. Bei akuten Erkrankungen,
wie Atemnot oder Fieber, ist das moderne
Krankenhaus die erste Anlaufstelle. Steht die Diagnose
fest, wechseln die Patienten häufig zu einem traditionel-
© Joyce Dreezens-Fuhrke
Heilkräuterladen in der Pho Lan Ong-Straße in Hanoi.
len Heilkundigen (Luong Y) und lassen sich auf eine lang
andauernde Behandlung ein. Der Luong Y wird auch zu
Rate gezogen, wenn der Schulmediziner versagt. Bei
nicht eindeutigen Symptomen und chronischen Erkrankungen
wird der Heiler als erste Wahl bevorzugt. Dies ist
auch der Fall, wenn es darum geht, den Körper wieder
aufzubauen oder das Immunsystem zu stärken, etwa
nach einer Geburt oder nach einer schweren Krankheit.
Gegenüber allopathischer Medizin (Schulmedizin) ist
Skepsis verbreitet. „Normalerweise nehme ich nur traditionelle
Medizin. Die westlichen Medikamente nehme
ich höchstens einen Tag. Wenn es mir wieder gut geht,
höre ich mit der Einnahme sofort auf, da ich Angst vor
Nebenwirkungen habe“, vertraut mir Frau Thu an. Den
Heilkräutern werden im Allgemeinen keine negativen
Nebenwirkungen zugeschrieben.
Traditionelle Behandlungen sind billiger
Das tiefe und langjährige Vertrauen zum Doktor ist ein
wichtiger Aspekt. Seit über 20 Jahren lassen sich Frau
Nguyet und ihre Familie bereits von dem über neunzigjährigen
Arzt Thien Tich und dem über achtzigjährigen
Arzt Nguyen Thien Quyen behandeln, die ihre Ausbildung
in China und in Hongkong absolviert haben.
Eine entscheidende Rolle bei der Heilerwahl spielen die
im Vergleich zur modernen Medizin niedrigen Behandlungskosten
zwischen 60.000 und 200.000 Dong (25.000
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