Entwickeln, wachsen, reifen ... - bops
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Fotobüchsen sind wie<br />
Pralinenschachteln …<br />
Bildhaft gesprochen besteht die durchschnittliche Lebensdauer eines in der Schweiz<br />
lebenden Menschen aus 2 Milliarden 554 Millionen und 416 000 Augenblicken. Nur Bruchteile<br />
dieser Momente werden in Bildern festgehalten. Dennoch haben Bilder vielfältige<br />
Funktionen in unserem Leben und unserer Entwicklung, die es im Folgenden exemplarisch<br />
darzustellen und zu deuten gilt. Jürgen Georg<br />
Jürgen Georg (MScN) ist<br />
Pfl egefachmann, -lehrer,<br />
-lektor und Hobbyfotograf.<br />
juergen.georg@hanshuber.<br />
com<br />
Abb. 1: Mit Fotos Gespräche<br />
beginnen und aufrechterhalten.<br />
Abb. 2: Fotobüchsen sind<br />
wie Pralinenschachteln,<br />
man weiss nie, was<br />
einem darin erwartet.<br />
Fotos: Jürgen Georg<br />
Bilder als Einsteig und Basis für Gespräche Beim<br />
letzten Besuch meiner 87-jährigen Grossmutter<br />
hatte ich eine ganze Reihe von Fotos mit, welche ich<br />
in den vergangenen Wochen von Menschen fotografi<br />
ert hatte, die in ihrem unmittelbaren dörfl ichen<br />
Umfeld lebten. Nach der anfänglichen Freude des<br />
Wiedersehens und Fragen nach dem Befi nden zeigte<br />
ich ihr diese, worauf rasch ein angeregtes Gespräch<br />
und ein reger Austausch über die alten und neue<br />
«Originale» aus dem Dorf entstanden. Diese Situation<br />
zeigt, dass man alte und aktuelle Fotos gut nutzen<br />
kann, um in ein Gespräch einzusteigen. Wenngleich<br />
meine Grossmutter manche der Bilder immer<br />
wieder betrachtete und häufi g ähnliche Fragen dazu<br />
stellte, zum Beispiel, wer die Person auf dem Porträt<br />
sei, wo dieses Foto entstanden sei, so konnte ich<br />
durch variierende Antworten für beide Seiten das<br />
Gespräch interessant halten, zumal meine Grossmutter<br />
immer wieder kleine Geschichten zu den Personen<br />
parat hatte.<br />
Tipp: Achten Sie bei der Begegnung mit Bewohnern<br />
auf Bilder und Fotos in der Umgebung und probieren<br />
Sie, ob sich über diese Bilder ein Gespräch<br />
entwickeln lässt (Abb. 1).<br />
Erinnerungen auslösen, wiederbeleben, erhalten<br />
und stützen Im Laufe des Gesprächs brachte meine<br />
Mutter eine Büchse mit Fotos herbei, in der ältere<br />
und neuere Bilder aus der Familie meiner Grossmutter<br />
kunterbunt versammelt waren. Die Büchse erinnerte<br />
mich etwas an einen Ausspruch von Forrest<br />
Gump: «Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel.<br />
1 2<br />
22 NOVAcura 10|09<br />
Man weiss nie was man bekommt.» Trotz der offensichtlichen<br />
Unordnung dieses Panoptikums an fotografi<br />
schen Erinnerungen ergab diese Sammlung<br />
doch ein facettenreiches Bild der Entwicklungen<br />
und Rollenveränderungen im Leben meiner Grossmutter.<br />
Von der Tochter, Schwester, Geliebten,<br />
Ehefrau, Freundin, Bäuerin, Mutter, Tante, Schwiegermutter,<br />
Witwe bis hin zur Grossmutter und Urgrossmutter.<br />
Wie von allein lösten diese Bilder Erinnerungen<br />
aus, lebten kleine Anekdoten wieder auf,<br />
wurden Personen, Situationen und Emotionen in<br />
der dargestellten Situation erinnert.<br />
Tipp: Fragen Sie Angehörige, ob sie Fotoalben<br />
oder -schachteln eines Bewohners mitbringen können,<br />
und nutzen Sie diese für Gespräche und Erinnerungsarbeit<br />
(Abb. 2).<br />
Erinnerungen an geliebte Menschen wach halten<br />
Immer wieder tauchten auch alte Bilder von Freundinnen,<br />
Geschwistern und ihrem Ehemann auf.<br />
Beim Blick auf ein Foto mit ihren guten Freundinnen<br />
entfuhr meiner Grossmutter ein trauriges «die leben<br />
alle nicht mehr». Da wurde mir klarer, wie schmerzhaft<br />
es für viele alte Menschen sein muss, wenn allmählich<br />
ihr Freundeskreis im Himmel grös ser als auf<br />
Erden wird. Ähnlich war es bei ihren drei Geschwistern,<br />
die sie alle bis auf ihren Bruder überlebt hatte.<br />
– Fotos können die Erinnerungen an geliebte Menschen<br />
wach halten, aber sie bewahren nicht davor,<br />
dass diese Erinnerungen mitunter sehr wehtun.<br />
Beim weiteren Stöbern in der Fotokiste stiess<br />
meine Grossmutter, neben feschen Jugendfotos mei-