Entwickeln, wachsen, reifen ... - bops
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Thomas Hax-Schoppenhorst<br />
ist pädagogischer<br />
Mitarbeiter an der LVR-<br />
Klinik Düren (D) und<br />
Lehrer an Schulen für<br />
Pfl egeberufe sowie Sachbuchautor.<br />
Thascho@gmx.de<br />
nannt, weil es sich (…) auf die nächste Generation<br />
richtet.» Generativität ist also das Interesse an der<br />
Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation.<br />
Doch nicht nur Eltern zeigen dieses Interesse, denn<br />
es gibt auch Menschen, die «wegen unglücklicher<br />
Umstände oder aufgrund besonderer Gaben diesen<br />
Trieb nicht auf ein Kind, sondern auf eine andere<br />
schöpferische Leistung richten, die ihren Teil an elterlicher<br />
Verantwortung absorbieren kann.» Menschen,<br />
die keine Generativität entwickeln, «fallen<br />
oft sich selbst gegenüber dem Gefühl anheim, als<br />
seien sie ihr eigenes, einziges Kind: sie beginnen sich<br />
selber zu verwöhnen.» Das Stadium der Generativität<br />
gilt es jedoch zu entwickeln bzw. zu gestalten!<br />
Blosse Elternschaft bzw. blosses Tun ohne ein Ziel<br />
vor Augen genügen nicht. Der Mensch braucht nach<br />
Erikson schon ein stabiles «Vertrauen in die Gattung»,<br />
um nicht bis zum Lebensende nur mit sich<br />
beschäftigt zu sein.<br />
Ist es gelungen, dem Leben ein ganz individuelles,<br />
markantes Profi l zu geben, konnten Spuren hinterlassen<br />
werden, denen andere interessiert folgen,<br />
so erreicht in späten Lebensjahren der Mensch Integrität<br />
(Stadium 8). «Nur wer einmal die Sorge für<br />
Dinge und Menschen auf sich genommen hat, wer<br />
sich den Triumphen und Enttäuschungen angepasst<br />
hat, (…) – nur dem kann allmählich die Frucht dieser<br />
[vorausgehenden, d. V.] sieben Stadien heran<strong>wachsen</strong>.<br />
Ich weiss kein besseres Wort dafür als Integrität»,<br />
fasst Erikson zusammen. Dieser seelische<br />
Zustand «bedeutet die Annahme seines einen und<br />
einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in<br />
ihm notwendig da sein mussten und durch keine<br />
anderen ersetzt werden können. Er bedeutet eine<br />
neue, andere Liebe zu den Eltern, frei von dem<br />
Wunsch, sie möchten anders gewesen sein als sie waren,<br />
und die Bejahung der Tatsache, dass man für<br />
das eigene Leben allein verantwortlich ist. Er enthält<br />
ein Gefühl von Kameradschaft zu den Männern und<br />
Frauen ferner Zeiten und Lebensformen, die Ordnungen<br />
und Dinge und Lehren schufen, welche die<br />
menschliche Würde und Liebe vermehrt haben.»<br />
Gandhi und Luther waren für Erikson exemplarische<br />
und überlebensgrosse Gestalten, an denen sich<br />
der Kampf um Identität und Generativität gut verdeutlichen<br />
lässt: Sie hielten unbeirrbar an ihrem eingeschlagenen<br />
Weg fest, sie waren von ihrem Tun fest<br />
überzeugt, sie rissen die Menschen mit und zeigten<br />
sich kämpferisch und altruistisch zugleich.<br />
Grossvaters Schreibtisch Kurz vor meiner Einschulung<br />
besuche ich gemeinsam mit meiner Mutter<br />
meine Grosseltern. Mein Grossvater, ehemaliger<br />
Schulrektor, ist ein imposanter Mann. Aus Erzählungen<br />
weiss ich, dass er als guter Lehrer und bei Kollegen<br />
und Schülern geachtet, dass er mit Leib und<br />
Seele Pädagoge war. Sein Auftreten besteht in meiner<br />
kindlichen Wahrnehmung aus einer angenehmen<br />
Mischung aus Güte, Weisheit und Strenge. In<br />
seiner Nähe zu sein, löst in mir Respekt aus – es ist<br />
mir aber keineswegs unangenehm. Eines Morgens –<br />
meine Mutter ist mit meiner Grossmutter beim Einkaufen<br />
– schellt der Postbote, um neben einem Brief<br />
auch eine Barauszahlung abzugeben. Mein Opa<br />
10 NOVAcura 10|09<br />
nimmt diese an und verabschiedet den Boten freundlich.<br />
Danach geht er mit mir in das Arbeitszimmer<br />
an einen grossen, sehr alten Schreibtisch, öffnet die<br />
Schublade und legt die Geldscheine und einige Münzen<br />
sorgfältig und sichtlich mit Stolz hinein. Auf<br />
meine Frage, wer denn das Geld wofür geschickt<br />
habe, informiert mich mein Grossvater bereitwillig:<br />
Er war, auch noch längere Zeit über seine Pensionierung<br />
hinaus, für einen Schulbuchverlag als Autor tätig.<br />
Sein grosses Wissen und seine Fähigkeit, jungen<br />
Menschen komplizierte Sachverhalte anschaulich zu<br />
vermitteln, liessen dem Verlagsleiter meinen Opa als<br />
Autor geeignet erscheinen. Für die verkauften Bücher<br />
bekommt er seit Jahrzehnten zum Jahresbeginn<br />
etwas Geld – nicht viel, aber darum scheint es ihm<br />
auch nicht zu gehen. Er steht auf, geht zum Regal,<br />
zieht ein Buch hervor, öffnet es, wendet sein Inneres<br />
mir zu und zeigt auf einer der ersten Seiten geradezu<br />
andächtig auf seinen Namen. Mein Grossvater,<br />
ein frommer, höchst bescheidener und zurückhaltender<br />
Mensch, strahlt! Er setzt sich zurück an den<br />
Schreibtisch, legt die Hände auf die abgenutzte lederne<br />
Schreibtischunterlage und schaut mich an.<br />
«Das Schreiben macht mir Spass», sagt er. «Wenn Du<br />
etwas Sinnvolles schreibst, tust Du der Menschheit<br />
etwas Gutes und berührst mit der Spitze eines Fingers<br />
ein Zipfelchen von der Ewigkeit.» Obwohl ich<br />
sehr jung war, ahnte ich, was er meinte. Mein Grossvater<br />
hat nicht nur bei seinen Kindern, er hat auch<br />
bei mir Eindruck hinterlassen! Auch ich wurde<br />
Pädagoge, seit 20 Jahren schreibe ich … Mein Grossvater<br />
war ein höchst generativer Mensch!<br />
« Wenn Du etwas Sinnvolles<br />
schreibst, tust Du der Menschheit<br />
etwas Gutes und berührst mit<br />
der Spitze eines Fingers ein Zipfelchen<br />
von der Ewigkeit.»<br />
Persönliches Profi l Nun können nicht alle Menschen<br />
leben wie Gandhi oder Luther bzw. Bücher<br />
schreiben. Generativität und Integrität lassen sich<br />
zwar recht gut mit diesen exponierten Beispielen erklären,<br />
letztlich aber ist der von aussen erkennbare<br />
Erfolg nicht das entscheidende Kriterium. Wer in die<br />
Jahre gekommen ist, schaut – manchmal gelassen,<br />
mitunter nachdenklich – auf das zurück, was war;<br />
zugleich kann damit die Frage verbunden sein, was<br />
es noch zu tun gilt. Im Zusammensein mit den Kindern<br />
erleben die älter gewordenen Eltern, was diese<br />
von ihnen übernommen haben und was sie von ihnen<br />
unterscheidet. Sie sind voller Hoffnung, dass der<br />
eingeschlagene Weg ihrer Kinder der richtige ist, geben<br />
Unterstützung und Rat und erfahren im Idealfall<br />
im Gegenzug Dankbarkeit, Anerkennung und<br />
Zuwendung. Prägt ein insgesamt gutes Gefühl diese<br />
Beziehung, können die alt Gewordenen leichter loslassen;<br />
sie haben die Gewissheit, dass ein Teil ihres<br />
Schaffens und Strebens in der nachfolgenden Generation<br />
weiterlebt.