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In der Moralphilosophie Kants («Grundlegung zur Metaphysik der Sitten», 1785) hat die Menschenwürde einen ausgezeichneten Rang erhalten. Mit «Würde» bezeichnet Kant das, was keinen relativen Wert, d.h. bezogen auf Äquivalente, darstellt. Würde ist ein absoluter, innerer Wert, unter dem allein etwas als Selbstzweck aufgefasst werden kann – und dies ist die Moralität. Der Grund dafür ist die Autonomie des Menschen, die Fähigkeit, sich selbstgegebenen und dennoch allgemeinen Gesetzen zu unterwerfen. Nach Kant bedeutet die Menschenwürde demnach eine aus der Autonomie hervorgehende Selbstgesetzgebung des vernünftigen Menschen, durch die er sich verbindlich in seinem Handeln beschränkt. Im Horizont dieser Diskurse stehen die verschiedenen Menschenrechtserklärungen in der Folgezeit. Stellvertretendes Handeln – das Konzept für die Pfl ege In den philosophischen Zeugnissen werden Würde und Gleichheit aufeinander bezogen oder eine autonome Gesetzgebung und die freie Entscheidung mit der personalen Würde identifi ziert. Da die Würde unteilbar und unaufhebbar ist und von keiner menschlichen Autorität verliehen oder entzogen werden kann, bedeutet dies bei Einschränkungen der Entscheidungsmöglichkeiten wie bei Demenz, dass die persönliche Begleitung dafür zu sorgen hat, dass stellvertretend für die betreffende Person, in ihrem Sinne, gehandelt werden muss. Gespräche, Biografi e- und Angehörigenarbeit oder Patientenverfügungen sind einige der Informationsquellen. Dabei müssen elementare Bedürfnisse garantiert erfüllt werden: ein angemessenes Mass einer ressourcenorientierten Grundversorgung, die Wahrung der Intimsphäre, ein Verbot jeder Instrumentalisierung, Schutz und Sicherheit für den Patienten. Daraus ergibt sich die ethische Fundierung der Pfl ege. Die Wahrung der Intimsphäre, diese im engeren wie im weiteren Sinne verstanden, bedeutet, vor allem das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz zu fi nden, dabei Schamgrenzen und Tabus zu beachten, die nicht nur alters-, sondern auch kulturabhängig sind. Dies ist ein wichtiges Thema, bereits in der Ausbildung der Pfl egenden. Gerade dort, wo Ältere und Jüngere miteinander umgehen müssen, sind Stilfragen, Höfl ichkeit, Respekt oder die richtige Ansprache ein erster Prüfstein für das pfl egende Handeln. Die Mitwirkung der Angehörigen ist unverzichtbar und für diese eine grosse Herausforderung und Anstrengung. Aber dabei geht es nicht um ihre personale Würde, sondern mehr um eine Entlastung, damit sie ihren Alltag und die Pfl ege eines Angehörigen vereinbaren können. Diese Herausforderungen betreffen insbesondere Frauen, ob Ehefrau, Partnerin oder Tochter, denn der grösste Teil der Pfl ege erfolgt in familialen Netzwerken. Der Sozialethiker Hans Ruh plädierte bereits vor einigen Jahren (vgl. NZZ, 22.3.2005) mit Blick auf das Alter für eine «Würde der Abhängigkeit», denn unsere Gesellschaft sei nicht nur eine Arbeits- und Lebensgemeinschaft, sondern auch eine Abhängigkeits- und Gebrechlichkeitsgesellschaft. Daran zu er- innern ist verdienstvoll, denn oft wird Würde nur mit Autonomie und freien Entscheidungsmöglichkeiten in Beziehung gesetzt. Die Anerkennung der Begrenztheit des Menschen und damit seiner Abhängigkeit sind jedoch der eigentliche Inhalt der Humanitätsidee. Unteilbar, unaufhebbar Die Würde, die mit der menschlichen Existenz gleichursprünglich und unveräusserlich gegeben ist und über den Tod hinaus wirkt, ist keineswegs etwas, das ein Mensch verlieren kann, schon gar nicht aus bloss empirischen Bedingungen wie Krankheit oder Alter. Auch Menschen mit einer Demenz-Erkrankung können noch im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln und damit etwas zum Ausdruck bringen. Wird ihnen dies abgesprochen oder in Frage gestellt, dann verlieren sie ihre Menschheit. Es gibt also keine graduellen Unterschiede von mehr oder weniger würdig, sondern nur die eine innere Würde. Heinz Rüegger (NOVA 11/2004) stellte dazu in kluger Voraussicht fest: «Die Frage, ob und wie Demenzkranke in ihrer bleibenden Würde geachtet werden, könnte in den kommenden Jahrzehnten zum Testfall für die Humanität unserer Gesellschaft werden.» Dies ist plausibel angesichts von gegenwärtig ca. 100 000 Menschen in der Schweiz, die an Alzheimer oder einer anderen Form einer Demenz leiden. Der Demenzpatient verkörpert eigentlich – so Rüegger – gerade das Gegenteil des heute favorisierten Menschenbildes, bei dem das Gewicht auf Rationalität, Autonomie und Produktivität liegt. Abhängigkeit, kognitive Einschränkungen, mangelnde Selbstgestaltung des Lebens gehörten jedoch auch zum Menschsein. Menschenwürde und Rechtsgleichheit in der Verfassung Die Eidgenössische Bundesverfassung regelt in Art. 7: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.» Und in Art. 8 wird die Rechtsgleichheit festgeschrieben: «(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» Mit diesen kategorischen Feststellungen wird der Unteilbarkeit und Unaufhebbarkeit der Würde das entsprechende verfassungsmässige Fundament gegeben. Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie steht unter verfassungsmässigem Schutz. Zur Würde gehört, dass jeder in seiner Freiheit und in seinen Lebensentwürfen geachtet wird, dass Unversehrtheit garantiert werden muss. Würde und Achtung sind im Alter dann besonders hohe Güter, wenn Einschränkungen und Gebrechen dem Menschen die Selbstgestaltung seines Lebens kaum mehr möglich machen. Jeder Hilfl ose hat Anspruch auf Würde und Achtung. Dies ist mehr als blosser Respekt, nämlich jemanden in seinem So-Sein anzuerkennen. Diese Anerkennung garantiert dem anderen die Würde. ■ NOVAcura 10|09 Menschenrechtserklärungen Erklärung der Rechte von Virginia, 12.6.1776 Artikel 1: Alle Menschen sind von Natur aus gleichermassen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte, deren sie, wenn sie den Status einer Gesellschaft annehmen, durch keine Abmachung ihre Nachkommenschaft beraubt oder entkleidet werden können, und zwar den Genuss des Lebens und der Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu besitzen und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen. Erklärung der Menschenund Bürgerrechte, 26.8.1789 Artikel 1: Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, 10.12.1948 Artikel 1: Alle Menschen werden frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen sich zueinander im Geist der Brüderlichkeit verhalten. 27
Herausfordendes Verhalten Eine Aufforderung an Institutionen und Pfl egende Verhaltensauffälligkeiten, die sich im Laufe einer demenziellen Erkrankung zeigen können, stellen eine grosse Herausforderung für die Einrichtungen und das Pfl ege- und Betreuungspersonal dar. Institutionen und Pfl egende haben aber durchaus Möglichkeiten, um damit in der Praxis konstruktiv und positiv umzugehen. Die Zahl der Personen im Altersheim, die an einer Demenz erkranken, steigt, da sich das Risiko, neu an einer Demenz zu erkranken, mit zunehmendem Alter erhöht. Wie sich die Situation in den Altersheimen der Stadt Zürich darstellt und wie sie mit dieser Herausforderung umgehen, wurde im Rahmen einer Masterarbeit erfasst. Jasmin Kleiner Jasmin Kleiner, Pfl egewirtin FH,M.Sc. Gerontologie, ist Leiterin Betreuung und Pfl ege im Altersheim Mittelleimbach in Zürich. jasmin.kleiner@zuerich.ch Verhaltensauffälligkeit und herausforderndes Verhalten beinhalten folgende Veränderungen und Probleme zusammengefasst: Persönlichkeitsveränderungen, Schlafstörungen, Wahnsymptome, Halluzinationen, Psychomotorische Unruhe und Weglauftendenz, aggressives Verhalten und Enthemmungssymptome. Der Begriff «herausfordernd» kennzeichnet, dass das Verhalten nicht alleine die Demenzbetroffenen betrifft, sondern dass auch bestimmte Anforderungen an das Verhalten der Pfl egenden und die Umgebung gestellt wird. Das gezeigte Verhalten von demenzerkrankten Bewohnenden zeigt auch häufi g die Grenze an, was andere Menschen privat oder berufl ich dauerhaft zu ertragen vermögen. 28 NOVAcura 10|09 Häufi gkeit des herausfordernden Verhaltens In den befragten Altersheimen wird der gestörte Tag-/ Nachtrhythmus der Bewohner/innen von insgesamt 17 Einrichtungen am häufi gsten als herausfordernde Verhaltensweise benannt. Am zweithäufi gsten kommt die Teilnahmslosigkeit/Apathie vor. Das ziellose Herumwandern und die Unruhe von Bewohner/innen wurde von 16 Einrichtungen angegeben und steht somit an dritter Stelle, gefolgt von den Wahnvorstellungen mit 14 Nennungen (Abb. 1). Betreuungs- und Wohnformen In fünf der befragten Altersheime werden die Bewohner/innen mit herausforderndem Verhalten, wie alle anderen Bewohner/innen auch, räumlich im Altersheim be- Foto: © irisblende.de
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