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Foto: Edi Frei Ein Meister aus Deutschland Philosophie beginne erst, wenn wir den Mut haben, das Nichts begegnen zu lassen. Das Nichts ist nicht nichts, sondern etwas, das wir nicht zu fassen vermögen. Dem gegenüber sei der Mensch etwas Schöpferisches, wo aus nichts etwas und aus etwas nichts wird. Das sei das Positive der Lebensangst: Sie führt uns zur Möglichkeit der Gestaltung, sie führt uns zur Eigentlichkeit, zur Offenbarung, dass die Flucht vor dem Selbst ins Bodenlose führt. Man muss den Schock der Zufälligkeit zulassen, um der Neigung zur Flucht den Weg abzuschneiden. Heidegger und seine Zeit Nach R. Safransky, Hanser, 1994 die Mehrheit. Bei uns ist eine Matura 18 Jahre jung; vor zwei Jahrzehnten brauchte es noch 20 Jahre bis zu dieser Reife. Die religiöse Reife jedoch erreichen alle ohne Leistung mit 16. In Deutschland heissen die Lern-Reifen Abiturienten. Und politisch reif wird man in der Schweiz mit 18, auch ohne Anstrengung. Man muss nur die Jahre an<strong>wachsen</strong> lassen. Die Frage sei erlaubt, ob man in diesem Alterssegment bereits reif, das heisst emanzipiert, ist? Emanzipation bedeutet nämlich Besitzübernahme, man erreicht einen Zustand, in dem man sich in der Hand hält. Ein Fuhrhalter würde sagen, man halte fortan die Zügel in den Händen. Vorne am Zaumzeug sind die Pferde, die es zu zügeln gilt. Die Gereiften sind in der Lage, ihre Triebpferde selber zu zügeln, die Energie in vernünftige Bahnen zu lenken. Individuelles und politisches Ziel der Emanzipation ist die Befreiung von Fremdbestimmung. Der Weg dazu ist das Bewusstsein von Abhängigkeit, damit die Menschen fähig werden, die Freiheit für sich und die Gesellschaft gestalten zu wollen. Frage: Wie lange dauert der Weg der Befreiung? Mehr Ausdruck verschafft uns der Terminus der «Mündigkeit». Wer mündig ist, hat keinen Vormund, er darf seinen Mund selber brauchen und seinen Willen kundtun. Niemand steht ihm vor dem Mund. Er ist seines Wortes selber mächtig. Seit der Aufklärung kennen wir das berühmte Wort von Kant vom «Ausbruch aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit». Kant ersetzte die seit Aristoteles gesetzte Frage nach dem, was gut ist für mich, «durch die moralisch-politische Frage nach den Regeln eines gerechten Zusammenlebens, das gleichermassen gut ist für alle. Als gerecht gelten diejenigen Normen, die im gleichmässigen Interesse eines jeden liegen und daher auf die allgemeine Zustimmung vernünftiger Subjekte rechnen dürfen.» (J. Habermass, Wahrheit und Rechtfertigung, 1999) Zur Reife des Einzelnen wie der Gesellschaft gehört folglich die Autonomie, der autonome Lebensvollzug. Das bedeutet weder Willkür noch Egoismus, sondern ist die Fähigkeit, den eigenen Willen den Gesetzen zu unterwerfen, die aus der Vernunft des allgemeinen Willens entstanden sind. Rousseau hat diese Gesellschaftsvorstellung im «Contrat social» grundgelegt, was bedeutet, dass es sich um einen Vertrag unter mündigen Menschen handelt, um einen Vertrag auf Zeit, der auch gekündigt werden kann und somit der Willkür des damals geltenden Gottesgnadentum entzogen war. Wir können uns vorstellen, welche Sprengkraft in solchen Ideen angelegt war. Damals führte die Idee der Autonomie zur französischen Revolution, und heute sorgt sie in der Erziehungsdebatte noch immer für rote Köpfe. Erziehung zur Menschlichkeit Seit dem späten Mittelalter steht der Mensch im Zentrum der philosophischen Debatte. Im Humanismus wird versucht, die menschliche Selbstbestimmung zu defi nieren, Ziele und Werte aus der Sicht des Menschen zu formulieren. Diese kopernikanische Wende in der Philosophie wurde von R. Descartes eingeleitet. Der Mathematiker und Philosoph schrieb im «Discours de 8 NOVAcura 10|09 la méthode», 1637, dass sein Denken zuerst alles gemeinhin Angenommene radikal in Frage stelle bis zu einem Punkt, da er auf den eigenen Grund stosse und nicht weiterkomme. Auf diesem Grund angekommen, sagte er: «cogito, ergo sum», das heisst «ich denke, also bin ich». Und denken heisst bei Descartes zweifeln. Das Zweifeln war seine Methode, nicht das Ziel, denn er wollte verlässliche Antworten. Es galt, die Humanität in Konzepte zu fassen, human zu defi nieren, um ein Leben in Selbstbestimmung zu führen. Der heutige Philosoph Peter Sloterdijk (Regeln für den Menschenpark, 1999) wird bei der Humanismusdiskussion etwas polemisch. Er schreibt von Domestikation, von Selbstzähmung und Züchtung, lies Machtergreifung von Menschen über Menschen. Menschen seien Tiere, von denen die einen lesen und schreiben können. Das bedeute auch auslesen, die andern züchten, es gebe Züchter und Gezüchtete. Der Mensch als «animal rationale» habe nur eine erweiterte Animalität mit kulturellem und metaphysischem Überbau, der es erlaube, den Menschen zu entbestialisieren. Was kommt nach der Reife? 250 Jahre vorher heisst es bei Voltaire, wir lebten in den besten aller Welten. Am Schluss eines Lebens mit Katastrophen zu Hauf landet Candide bei einem orientalischen Weisen, der ihm folgenden Rat gibt: «Man muss seinen Garten besorgen.» Vor dem Haus sitzen und dem Wachsen zuhören. Das ist die Bescheidenheit, zu der der Weise gefunden hat. Sich und das Leben annehmen, das Werden und das Vergehen, die Vergänglichkeit, das Schrumpfen, die Runzeln und den Tod. Im Garten wird es wieder <strong>wachsen</strong>. Mit dieser Aussicht auf die Existenz ist der 1959 verunfallte Albert Camus nicht einverstanden. Er fi ndet, der Tod sei der Skandal des Lebens, sich auf den Tod hin zu entwickeln, zur Vernichtung, sei absurd. Der Mensch befi nde sich in totaler Orientierungslosigkeit. Dazu ein Bild: Der Mensch ist irgendwo in einem Raum, der mit Chaos aufgefüllt ist. Um sich in diesem Absurdum einigermassen zu orientieren, kann er versuchen, das Chaos etwas zurückzudrängen und auf diese Weise einen relativen Raum der Ordnung zu schaffen. Das Ganze bleibt aber im Chaos gefangen, und die Kräfte des Absurden dringen dauernd in die mühsam erworbene Ordnung ein. Der Mensch ist wie der antike Held Sisyphus, der den Stein auf den Hügel trägt, obwohl er weiss, dass er oben wieder hinunterkollert. Sisyphus ist stark, er gibt nicht auf; ein ewiger Rebell. Könnte man sagen, in der Zeit nach der biologischen Reife wächst die Einsicht in das Ungewisse? M. Heidegger sagte, die Philosophie beginne erst, wenn wir den Mut haben, das Nichts begegnen zu lassen. Ich muss gestehen, auf dieser Höhe wird mir schwindlig. Ich respektiere die Dimension des Tragischen im Menschen, Voltaires Garten steht mir aber näher. Die Aussicht auf den ewigen Kreislauf eröffnet die Versöhnung. Nach der biologischen Reife kommt die Zeit des Friedens mit der Vergänglichkeit. ■
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