foyer 48 KUnSt Kunsthalle Bremen Friedensreich Hundertwasser – ein Tausendsassa, naturverbunden, skurril, exzentrisch. Irgendwann ist er hineingeraten in einen Strudel aus Kunst, Kitsch und Kommerz. Christoph Grunenberg wagt trotzdem eine große Sonderausstellung mit zwischen 1949 und 1970 entstandenen Arbeiten des Österreichers, denn: „Gerade seine frühen Werke sind eine absolute Offenbarung.“ „Hundertwasser ist ein bekannter und gleichzeitig ein erstaunlich unbekannter Künstler“, sagt der Direktor der Kunsthalle Bremen. Problematisch sei in der Tat sein Spätwerk. Die bisweilen oberflächliche Fassadenarchitektur mit ihren schönen Farben, bunten Fliesen und verspielten Säulchen überschatte die eigentliche Bedeutung des Künstlers. Die Bremer Ausstellung geht hier auf Distanz. „Friedensreich Hundertwas- Anzeige 53°8‘N 8°13‘O WWW.HORST-JANSSEN-MUSEUM.DE Paul Wunderlich Zwischen Provokation und Poesie Frühe Lithografien 23.9.2012 – 6.1.2013 üBErfälligE EntdEcKungEn ser: Gegen den Strich“ konzentriert sich auf den jungen Pionier und sein vielfältiges, feinfühliges Frühwerk. Grunenberg findet diese Wiederentdeckung überfällig: „Wenn es in jüngster Zeit Präsentationen gab, dann in etwas seltsamen Häusern und Institutionen, nicht unbedingt in wichtigen Museen. Aber es lohnt sich, einen frischen Blick auf sein Werk zu werfen.“ Die chronologische Bilderschau ordnet Hundertwasser (1928-2000) als wichtiges Mitglied der internationalen Avantgarde der 50er und 60er Jahre ein. Der Rundgang beginnt mit frühen geometrischen Arbeiten und der Auseinandersetzung mit Informel und Taschismus in Paris. Es folgen Bilder zum Thema der Spirale sowie auf Reisen entstandene Artbooks. Fotos und Videos zeigen Hundertwassers Nackt-Reden. Das „Verschimmlungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ von 1958 erinnert an seinen Feldzug gegen die gerade Linie. Im Fokus aber stehen die Bilder. Rund 100 Groß- und Kleinformate sind auf hellem Grund inszeniert. Darunter die Collage „Die Werte der Straße“ von 1952. Hundertwasser hat Fundstücke wie Verpackungen, Etiketten, Zigarettenschachteln, Fahrscheine und Papierschnipsel aufgehoben und neu zusammengesetzt. So ist eine Momentaufnahme eines Ortes entstanden. Grunenberg spricht von „Poesie der Armut“. Auch bei Arbeiten wie „Lineare Strukturen mit grauem Zentrum“ von 1952 geht der Künstler sehr sorgfältig mit Bildgrund und Materialien um. Er aquarelliert auf Packpapier, verschwendet keinen Tropfen Farbe zu viel. Farbe ist für ihn kostbar wie ein Laib Brot zu Zeiten des Krieges. Hundertwasser: „Es ist erstaunlich, mit wie wenig man auskommen und unabhängig sein kann.“ Und dann ist da natürlich die Auseinandersetzung mit der Wiener Moderne, mit Gustav Klimt, mit Ornament und Oberflächenästhetik. Hundertwasser, der die gerade Linie verteufelt, entdeckt 1953 für sich das Motiv der Spirale, dieses Jahrhunderte alte Symbol für Leben und Tod. In seiner Arbeit „Garten der glücklichen Toten“ taucht es auf. Es ist der Blick von oben auf einen ganz besonderen Friedhof. Auf den Gräbern wachsen Bäume. Ihre Kronen, einige sehen aus wie Spiralen, stehen für üppiges Wachstums. Die Toten, so Hundertwassers prophetisches Konzept, können in den auf ihren Gräbern gepflanzten Bäumen weiter leben. Auch in den Körper seiner „Politischen Gärtnerin“ von 1954 schreibt der Maler Spiralen ein. Zudem Fenster und Gesichter. In den Armbeugen tauchen politische Symbole wie Hammer und Sichel und Hakenkreuz auf. Hundertwasser will solche Politsymbole durch diese Ästhetisierung entschärfen. Das Hakenkreuz soll wieder als Ornament gesehen werden oder aber in seiner Bedeutung als Lebensrad. Der Mann mit den jüdischen Wurzeln konnte es sich leisten, dieses extrem belastete Motiv wieder zu beleben. „Gerade seine frühen Werke sind eine absolute Offenbarung.“ Dieser scharfsinnige Beobachter ist gegen ein Nachkriegs-Österreich, in dem so viele Menschen so vieles verdrängen und vergessen wollen und sich alles nur um Konsum und Wirtschaftswunder dreht. Dazu passt, dass er sich mit vielen erzieherischen Institutionen anlegt. 1959 überrascht er mit der Aktion „Die Linie von Hamburg“. Zwei Tage lang legen er, Freunde und einige Studenten ohne Unterbrechung mit Pinsel und Farbe los. Zum Schluss sind Wände, Fenster, Türrahmen und Waschbecken im Atelier 213 mit einer endlosen Linie überzogen. Die unangemeldete Aktion endet mit einem Polizeieinsatz und einem Eklat. Hundertwasser tritt zurück. Grunenberg spricht heute von der Geburtsstunde der europäischen Aktionskunst. Diese Performance wird in Bremen neu inszeniert. Im Geiste des Originals ziehen Kunststudenten in einer etwa 50 Stunden dauernden Aktion erneut eine Linie über Wände, Türen und Fenster der Großen Galerie der Kunsthalle. So lange, bis die Menschen mittendrin von einer dreidimensionalen Spirale umgeben sind, die an Höhlenmalerei und Graffiti erinnert, ohne Anfang und Ende und damit weltumspannend.
Detail aus „178 Die politische Gärtnerin“, Melun, April 1954 Die Kunsthalle Bremen zeigt vom 20. Oktober bis 17. Februar frühe Werke von Friedensreich Hundertwasser Text: Sabine Komm KUnSt Kunsthalle Bremen 49 foyer