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foyer 56 litERatUR Kronhardt<br />
: Literatur<br />
Text: Inge Zenker-Baltes<br />
Die Leiden des jungen Willem<br />
Ralph Dohrmanns druckfrischer Bremen-<br />
Roman „Kronhardt“<br />
Gibt es neben dem ultimativen Wende-<br />
vielleicht auch den ultimativen Bremen-<br />
Roman, und hat den nicht schon Sven Regener<br />
mit seinem fast 600 Seiten starken<br />
Buch „Neue Vahr Süd“ verfasst? Ralph<br />
Dohrmann, 1963 in Bederkesa geboren und<br />
in Bremen aufgewachsen, übertrifft ihn mit<br />
seinem Erstling – zumindest was den Umfang<br />
anbelangt. Auf sage und schreibe 920<br />
Seiten lässt der Autor seinen introvertierten<br />
Helden in Bremen von der Wirtschaftswunderzeit<br />
bis in die Gegenwart hinein reflektieren,<br />
leiden und schließlich lieben.<br />
„Kronhardt“ ist ein ambitionierter, vielschichtiger<br />
und gesellschaftskritischer<br />
Entwicklungsroman. Im Zentrum steht<br />
eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die in<br />
ihrem wechselvollen Werdegang hin zum<br />
gestandenen Mann hält, was der Junge von<br />
einst versprach. Willem Kronhardt wächst<br />
als einziger Erbe einer traditionsreichen<br />
Bremer Stickerei-Manufaktur auf. Früh ist<br />
sein Vater gestorben, der, weit entfernt von<br />
jeglichem Profitdenken, als Künstler und<br />
Fotograf tätig war und von dem Knaben<br />
schmerzlich vermisst wird.<br />
Über des Vaters mysteriösen Tod darf nicht<br />
gesprochen werden, nur mit dem etwas ver-<br />
schrobenen zynischen Hausarzt Doktor<br />
Blask – wie der progressive Erdkundelehrer<br />
eine Vaterfigur – kann Willem reden. Seine<br />
Mutter hatte sich vom Bruder ihres Ehemanns<br />
heiraten lassen, wie dieser hegt sie<br />
nationalsozialistisches Gedankengut und<br />
nimmt dem sensiblen Sohn mit leistungsorientierter<br />
Dominanz fast die Luft zum Atmen.<br />
Dohrmann porträtiert die beiden „Alten“<br />
und ihren rückwärtsgewandten dümmlichen<br />
Opportunismus in beißender Schärfe,<br />
begleitet die Entwicklung des Jungen<br />
mit verständnisvoller, ja zärtlicher Ironie.<br />
Brav tritt Willem nach dem Studium in die<br />
elterliche Firma ein, findet in der Tuchhändlerin<br />
Barbara die große Liebe und<br />
ideale Geschäftspartnerin, die auch seinen<br />
Hunger nach Büchern und seine intellektuelle<br />
Neugier unterstützt. Und als die<br />
Mutter stirbt, kann er mit Hilfe eines Detektiv-Duos<br />
endlich das Rätsel um den Tod<br />
seines Vaters lösen.<br />
Besondere Stärken dieses brillanten Romandebüts<br />
sind die Gestaltung schillernder<br />
Charaktere vor dem Hintergrund eines<br />
unaufdringlichen Bremer Lokalkolorits<br />
und seine präzise Einbettung in die Zeitgeschichte,<br />
auch wenn manchen akribischen<br />
Beschreibungen und ausufernden Reflexionen<br />
eine leichte Straffung nicht geschadet<br />
hätte. Wirklich außergewöhnlich aber<br />
ist des Autors mal altmodisch verschnörkelter,<br />
dann wieder sprudelnd sprachverliebter<br />
Stil, der sich im Laufe der Lektüre