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Shakespeares „Hamlet“ aus der<br />
„Sickster“-Perspektive am Theater<br />
Bremen<br />
Text: Sven Garbade<br />
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ohnE ZiEl<br />
auch wenn das Bremer Schauspiel<br />
vorrangig mit zeitgenössischen<br />
Dramen in die neue Ära stürmen<br />
will, so dürfen profunde Klassiker doch<br />
nicht fehlen. „Woyzeck“ von Büchner und<br />
die immerlauten „Räuber“ von Schiller<br />
hat man sich für die zweite Jahreshälfte<br />
vorgenommen, wobei die Auswahl als<br />
nicht besonders originell empfunden werden<br />
kann, da sich doch an beiden Polit-<br />
Klassikern bereits die Vorgänger etwas<br />
mühevoll abgearbeitet hatten.<br />
Bereits im Oktober wird zudem ein neuer<br />
„Hamlet“ durch das dann renovierte Kleine<br />
Haus geschickt. In der Inszenierung von<br />
Alexander Riemenschneider stürzt sich das<br />
Ensemble um Nikolai Plath in der Titelrolle<br />
mit allem gebotenen Eigensinn in das Grübel-Drama,<br />
geht den Fragen nach Sinn und<br />
Zweck, Wesen und Form des menschlichen<br />
Daseins nach – so wie diese vor rund 400<br />
Jahren mit der Zauberfeder eines William<br />
Shakespeares skizziert wurden. Gleichzeitig<br />
will man aus der Perspektive der „Sickster“<br />
auf Hamlet blicken. Denn auch in Thomas<br />
Melles Roman verkümmern ein paar<br />
aktivistische Zweifler bis hin zu komplett<br />
handlungsunfähigen Problemfällen.<br />
Nun ist Shakespeares „Hamlet“ von einer<br />
sonderbaren dramaturgischen Stagnation<br />
umflort, die einerseits die Tatkraft seines<br />
Helden zur philosophischen Generalpause<br />
befördert, andererseits kaum greifbare<br />
Deutungen in der Schwebe hält. In keinem<br />
seiner Stücke scheint der elisabethanische<br />
Meister sein magisches Stilprinzip<br />
Schloss Hedingham Castle<br />
so konsequent anzuwenden wie hier: Alle<br />
Rätsel der Welt, sämtliche menschlichen<br />
Affekte und zahlreiche relevante Konflikte<br />
werden zwar vorgespielt, doch niemals<br />
lässt sich eine eindeutige Position aus dem<br />
Gezeigten ableiten. Immer scheinen zwei<br />
gegensätzliche Kräfte an beiden Armen<br />
des Protagonisten zu zerren; Hamlet, das<br />
ist ein Riss ohne Bewegung.<br />
Und dann dieser lästige Zwang zur Rache!<br />
Der Welt seines Vaters, die einer mittelalterlichen<br />
Burgen- und Ritterzeit entstammt,<br />
galt die blutige Vergeltung noch<br />
als formgebend und sinnstiftend. Die Rachetragödie<br />
war das gängige Schema, dem<br />
englischen Publikum seiner Zeit in derber<br />
Schwarz-Weiß-Zeichnung vertraut. Den<br />
Blutdurst der Schaulustigen kannte Shakespeare<br />
gut, und so stellt er die morschen<br />
Kulissen von Brudermord und Rachedurst<br />
auf, wie es dem Volk gefiel.<br />
Aber Shakespeare lässt in alten Gemäuern<br />
einen neuen Geist frei laufen; einen Geist<br />
ohne Taten, einen Helden ohne Ziel, einen<br />
Sprecher mit Toten. Es scheint, als hätte<br />
dieser Shakespeare, dem man kaum einen<br />
persönlichen Bezug zu seinem größten Stoff<br />
nachweisen kann, hier die offene Dramaturgie<br />
erfunden: Jede denkbare Bewertung<br />
wird an den Betrachter zurück gereicht. Was<br />
wir im Hamlet sehen, ist stets unser eigenes<br />
Problem. Hamlet ist der Spiegel.<br />
Premiere am 11. Oktober im Kleinen<br />
Haus, Theater Bremen. Regie: Alexander<br />
Riemenschneider, Ausstattung: Rimma<br />
Starodubzeva.<br />
thEatER iM nORDEn Hamlet 9 foyer<br />
Inhaberin: Hildegard Christiansen<br />
Fon 0421 - 25 57 35<br />
Oberneulander Heerstraße 26 - 28<br />
28355 Bremen<br />
Mo. - Fr. 10.00 - 18.30 Uhr<br />
Sa. 10.00 - 13.30 Uhr