Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen
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kulturen verschwunden sind, kann die alternative Sprachform nur als<br />
Ausgleichssprache entstehen, welche die neu entstandenen und entstehenden<br />
„Kommunikationsregionen“ überdeckt. Da diese Regionen<br />
nur schwach ausgeprägt und wegen der Bevölkerungsfluktuation<br />
vage begrenzt sind, können die entstehenden Regionalsprachen auch<br />
nicht dem Ideal/Zerrbild der homogenen/standardisierten Sprache mit<br />
fixierter und von Institutionen kontrollierter Grammatik entsprechen<br />
(vgl. Bechert und <strong>Wildgen</strong>, 1981, Kap. 1).<br />
d) Die Hauptschwierigkeit bei der Stabilisierung einer Zweisprachigkeit<br />
Platt-/Hochdeutsch liegt gerade in dem Fakt begründet, dass das<br />
Plattdeutsche (trotz aller Varietäten) als eine Sprache behandelt wird<br />
und man dafür einen hohen Preis bezahlt: die in Hochdeutsch sozialisierten<br />
Sprecher lernen die Sprache nur mit großer Mühe, und da das<br />
Plattdeutsche nur noch selten als dominante Sprache an die Kinder<br />
weitergegeben wird, nimmt die Anzahl aktiver Sprecher rapide ab.<br />
Hier tut sich nun ein eigenartiges Dilemma auf, das Walter Haas (in<br />
Speckmann, 1991: 203) auf einen einfachen Nenner gebracht hat.<br />
Während in der deutschen Schweiz (nach Haas) keiner sagt, das<br />
Schweizerdeutsche sei eine Sprache, obwohl jeder diese Sprache<br />
spricht, ist es umgekehrt beim Niederdeutschen so, dass „alle glauben,<br />
es handele sich hier um eine Sprache — aber keiner spricht sie“.<br />
Nun ist für den Norddeutschen meist der Vergleich mit der Schweiz<br />
nicht so naheliegend; immerhin wird er sicher wahrnehmen, mit welcher<br />
Selbstsicherheit in München und Stuttgart deutlich vom Hochdeutschen<br />
abweichende Varietäten den Alltag bestimmen und dass<br />
dies die kulturelle, ökonomische und technische Entwicklung in keiner<br />
Weise behindert. In den großen Städten Norddeutschlands, z.B.<br />
in Hamburg und <strong>Bremen</strong>, wird der Besucher aber sogar die Existenz<br />
einer ausgeprägten Regionalsprache anzweifeln; nur ganz leichte<br />
Färbungen, welche einen niederdeutschen Hintergrund ahnen lassen,<br />
treten ans Licht der Öffentlichkeit. Was hilft da schon die Behauptung,<br />
Niederdeutsch (Hamburgisch, Bremisch) sei eine Sprache,<br />
wenn in der Praxis dieser „erhabene“ Status doch verleugnet wird, da<br />
man das ererbte Kulturgut im Privaten versteckt und es selbst dort<br />
den Kindern nicht weitergibt. Man denkt unwillkürlich an jene<br />
verstaubten Erbstücke, welche man nicht wegwerfen will, weil sie<br />
irgendwie wertvoll sind, gebrauchen kann man sie für die moderne<br />
Einrichtung aber auch nicht. Aber Sprachen brauchen viel Pflege, sie<br />
sind keine Möbelstücke, sondern eher wie Kinder, die Zuwendung<br />
und Liebe fordern.