Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen
Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen
Wolfgang Wildgen - Fachbereich 10 - Universität Bremen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
82<br />
Reformation, die Weserbegradigung im 19. Jahrhundert usw. Sicher wird<br />
vielen, etwa beim Lesen von Inschriften an Bauten, auch klar, dass in<br />
historischer Zeit <strong>Bremen</strong> eine Niederdeutsch sprechende Stadt war. Zum<br />
regionalen Bewusstsein in <strong>Bremen</strong> gehört sicher die von den Politikern<br />
häufig erwähnte und schon durch den Namen markierte „Freie<br />
Hansestadt“, wobei „frei“ zumindest für die Gebildeten auf die Reichsunmittelbarkeit,<br />
den nicht feudalen Charakter und eine liberale Verfassung<br />
verweist. „Hansestadt“ verweist auf eine mittelalterliche Großregion<br />
und <strong>Bremen</strong> teilt diese Benennung mit Hamburg, Lübeck, Rostock u.a.,<br />
d.h. eine norddeutsche Küstenregion wird durch diese Anbindung an die<br />
spätmittelalterliche Hanse evoziert (dass auch Köln und viele heute in<br />
Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Polen, Lettland usw.<br />
liegende Städte dazugehören ist wohl nur wenigen Personen bewusst).<br />
Jedenfalls wird eine Region auch historisch zu definieren sein, wobei<br />
darauf zu achten ist, dass eigentlich das noch vorhandene, eventuell das<br />
wieder belebbare, historische Bewusstsein in der Bevölkerung und nicht<br />
die von den Historikern gesammelten Fakten zählen.<br />
Sehr häufig kommen als Inhalte eines National- oder Regionalbewusstseins<br />
fiktive Elemente oder gar Geschichtsfälschungen hinzu. Man weiß<br />
heute, dass sogar die Reichsunmittelbarkeit <strong>Bremen</strong>s mittels einer historischen<br />
Fälschung „bewiesen“ wurde. Die in Bremer Sagen berichtete Ursprungssage<br />
<strong>Bremen</strong>s ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts (vom Verfasser<br />
der Sage, Wagenbach), die Rathausfassade ist ein allegorisches<br />
Bilderbuch des Manierismus (16<strong>10</strong>), mit dem das Bewusstsein der damaligen<br />
Bürgerschaft dokumentiert wird und weder der historische Roland<br />
noch derjenige des Roland-Liedes hat etwas mit <strong>Bremen</strong> oder der Hanse<br />
zu schaffen. Das regionale oder nationale Bewusstsein ist also selbst symbolisches<br />
Medium, das mit gewissen politischen Absichten hergestellt<br />
oder zumindest mit weiteren Details ausstaffiert wurde.<br />
Für die Mitglieder einer Regional- oder National-Kultur ist übrigens<br />
deren Existenzweise ebenso vage und problematisch wie für den Analysierenden.<br />
Klar und scharf wird diese erst in der ideologischen Borniertheit<br />
von Nationalisten, Separatisten oder professionellen Traditionalisten.<br />
Es wäre also inadäquat, wenn die Wissenschaft einen glasklaren<br />
und fest umrissenen Begriff davon entwickeln würde.<br />
Die Region ist ein Begriff, der soziale Gruppen größer als die Familie,<br />
als den Ort (Stadt, Dorf) umfasst. Größere Einheiten sind in Deutschland<br />
die Flächenstaaten, die mehrere Regionen enthalten können, die Nation,<br />
der Völkerbund (z.B. die EU), der historische Großraum, etwa Europa,<br />
der Kontinent (z.B. Eurasien), die Weltgemeinschaft.