Kleine und mittlere UnternehmenLeidensdruck des Mittelstandes ist Motor für InnovationenStandpunkt: Wirtschaftsforscher Prof. Bernd Kriegesmann zum fehlenden Mut im deutschenTopmanagementVDI nachrichten, Bochum, 16. 01. <strong>2004</strong>Wenn deutsche Unternehmer nicht umdenken, führen Technologielastigkeit, Fachkräftemangel und Besitzstandswahrungweiter in die Innovationskrise, befürchtet Prof. Bernd Kriegesmann, Vorstandsvorsitzender des <strong>Institut</strong>s für <strong>angewandte</strong>Innovationsforschung (IAI) der Ruhr-Universität Bochum, im folgenden Interview.VDI nachrichten: Die Innovationskraft deutscher Firmen sinkt. Wo liegendie Ursachen dieser Entwicklung?Kriegesmann: In den letzten Jahren hat sich eine Managementkultur entwickelt,die hauptsächlich Bestehendes bewahrt. Viele Großunternehmenerschöpfen sich darin, ihr aktuelles Geschäft weiter zu optimieren, zurationalisieren und sich auf Kernkompetenzen zurückzuziehen. Impulse füroffensive Innovationen kommen heute vor allem aus dem Mittelstand.VDI nachrichten: Woran liegt diese unterschiedliche Vorgehensweise?Kriegesmann: In Großunternehmen wirken die für Routinen bewährtenKontrollmechanismen häufig extrem störend. Sie lassen Ausbrüche ausgewohnten Bahnen kaum zu. Man drängt zu einem Zeitpunkt auf Erfolgsnachweise,zu dem die Innovationsidee noch gar nicht klar umschriebenund der Markt nicht abgeschätzt werden kann. Man erlebt eine deutlicheDiskrepanz zwischen Innovation als Lippenbekenntnis und dem wirklichenTun. Aber das ist zutiefst menschlich. Nehmen Sie die Situation einesVertriebsmitarbeiters. Der vertreibt sein Standardprodukt und verdientnicht schlecht an den Provisionen dafür. Jetzt soll er ein völlig neues Produktvermarkten. Das geschieht zulasten der gewohnten Verkäufe. JedeMinute seiner Arbeitszeit, die er nun mit der Innovation zubringt, schmälertzwangsläufig seine Brieftasche.Das lässt sich auf die Firmen insgesamtübertragen. Die Ursachen fürden Rückgang an Innovationenliegen vor allem in einem Mangel an Mut und in der Sorge um die eigenewirtschaftliche Position. Wenn dennoch Innovationen versucht werden,orientiert man sich gern an scheinbar abgesicherten Pfaden. DieBesitzstandswahrer behalten Oberwasser.VDI nachrichten: Wie muss man sich das konkret vorstellen?Kriegesmann: Die Optimierung des Bestehenden hat dazu geführt, dass dieMitarbeiter in den Unternehmen zu 120 % ausgelastet sind. Dauerroutineaber und Arbeitsüberlastung ersticken die Innovationspotenziale. Mit einersolchen Entwicklung, wie wir sie bei sehr vielen, gerade großen Unternehmenbeobachten, wird der höchste Grad innovativer Inkompetenz erreicht.Es ist ein Teufelskreis, der Innovation letztlich verhindert, weilUnternehmen nur noch rationalisieren oder sich im Rückzug auf Kernkompetenzenbefinden. Firmen investieren euphorisch in vermeintlicheZukunftsmärkte - wie viele ihrer Konkurrenten auch. Addiert man aber dieEinzelumsatzerwartungen der Betriebe in solchen Feldern, so sind sie ofthöher als die kühnsten Marktprognosen. Die Firmen bewegen sich damitauf Märkten mit der größtmöglichen Wettbewerbsintensität.VDI nachrichten: Dennoch gibt es eine ganze Reihe von interessantenInnovationen in Deutschland.Kriegesmann: Sicherlich. Doch bleibt festzustellen, dass viele Innovationenextrem technologielastig sind. Es wird zu wenig in Anwendungszusammenhängengedacht. Ich spreche damit nicht nur den Fall Toll Collectan, der geradezu ein Paradebeispiel für diese Art des innovativen Denkensin Deutschland ist. Man kennt nicht die Einsatzbedingungen des Kundenund entwickelt trotzdem eine Lösung. Hier muss ein Umdenken stattfinden.Und auch die Trennung der meisten Betriebe zwischen Technologieentwicklungauf der einen Seite und Personalentwicklung auf der anderensignalisiert Unverständnis über die Rolle des Faktors Personal. Der Verzichtauf die Verzahnung von Innovationsbemühungen und Personalentwicklungverkennt, dass es letztlich die Mitarbeiter mit ihren Potenzialensind, die ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung garantieren.Mitarbeiter und Kunden werden so zur Anpassungsreserve an vollzogeneEntwicklungen.VDI nachrichten: Wo sind Innovatoren anzutreffen?Kriegesmann: Es sind immer einzelne Gründer oder Firmen, meist Mittelständler,die aus geordneten Bahnen ausbrechen. Innovationsmotor istdabei oft der Leidensdruck. So hatten wir Ende der 90er Jahre eine hoheAkademikerarbeitslosigkeit bei Ingenieuren und Naturwissenschaftlern.Viele von ihnen fragten sich, was sie mit ihren Potenzialen neben denverstopften klassischen Karrierewegen anfangen könnten. Ein Window ofCompetence tat sich auf. Und genau in dieser Zeit sehen wir die größteGründungsdynamik im Biotechnologiebereich. Die Entwicklung bei arbeitslosenChemikern und Gründungsraten verliefen fast völlig parallel.Als sich das Fenster schloss, war es auch mit der Gründungsdynamik vorbei.Für mich ist klar, dass mit wachsendem Leidensdruck auch die Innovationsbereitschaftund die Bereitschaft zu Veränderungen steigt.VDI nachrichten: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Mangelan Fachkräften namentlich für den Hightech-Mittelstand? Zwei Drittelder Unternehmen befürchten nach Auskunft des VDI inzwischen, dassihnen bald die Ingenieure fehlen.Kriegesmann: Der Fachkräftemangel in Deutschland ist die am bestenprognostizierbare Innovationskrise. Seit vielen Jahren ist diese Entwicklungbekannt. Trotzdem ist es überraschend, wie wenig getan wird, um dasKompetenzreservoir der Wirtschaft zu erweitern. In so manchem ingenieurwissenschaftlichenStudiengang sitzen heute in einzelnen Fächern nurdrei bis vier Köpfe. Daran kann man abschätzen, wie viele Absolventendem Arbeitsmarkt in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen. Diesewenigen Ingenieure in spe werden dann noch weitgehend von der Großindustrieabsorbiert. Der Mittelstandkann hier nicht mithalten. Paralleldazu kommt der verhängnisvolleAnreiz, den der Staat bei der Frühverrentungälterer Arbeitnehmer gesetzt hat. Dabei sind gerade diese Mitarbeiterzukünftig für die Unternehmen das Kernreservoir an technischerIntelligenz. Durch den aktuell noch von der konjunkturellen Lage verdecktenFachkräftemangel eskaliert die Situation entscheidend. Unsere Innovationskrisewird sich verschärfen. Die Ursachen dafür sind hausgemacht.VDI nachrichten: Welche Folgen für den Arbeitsmarkt hätte diese Entwicklung?Kriegesmann: Die Arbeitslosenzahlen würden weiter steigen, wenn man inDeutschland an der Defensivhaltung festhielte. Gut gemeinte Aktionenreduzieren sich dann auf das permanente Umverteilen immer kleiner werdenderStücke von einem schrumpfenden Kuchen. Ich bin allerdings einOptimist und setze auf die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft. Der Leidensdruckwird so weit anwachsen, dass einzelne Unternehmen den Ausbruchaus den gewachsenen Strukturen wagen werden. Neue Beschäftigungwird über solche Innovationen generiert. Aber Innovation setzt Kompetenzvoraus.VDI nachrichten: Was können oder müssen die Unternehmer tun, um einKlima der Innovation in ihren Firmen zu schaffen?Kriegesmann: Wir brauchen eine Kultur der Ermutigung zum Handelnanstatt einer Kultur der Abstrafung von Versuchen. Fehler muss man zulassen,um daraus zu lernen. Die meisten Anreizsysteme in deutschenUnternehmen sind jedoch immer erfolgs- und vergangenheitsbezogen. EinInnovator steht deshalb meist schlechter als Mitarbeiter da, die sich imRoutineverhalten ihre Meriten erwerben. Innovationen laufen aber überkreative Köpfe. Die Innovationsführer, die es durchaus gibt, schaffen daherandere organisatorische Rahmenbedingungen in ihren Unternehmen, umdiese Köpfe zu unterstützen. Sie lösen Innovationsteams aus der Organisationheraus, Partisanenteams sozusagen, die auch gegen Regeln arbeiten.Sie erhalten Handlungsfreiräume und werden völlig vom Routinegeschäftentbunden, haben Budgetfreiräume und, was ganz entscheidend für denErfolg ist, sie haben volle Rückendeckung von Machtpromotoren im Unternehmen.Nur so schafft man echte Sprunginnovationen. Nun wäre esaber falsch zu glauben, so zu innovieren sei eine Daueraufgabe. Vielmehrgeht es um die Schaffung von Parallelorganisationen, die einerseits dasBasisgeschäft, in dem Geld verdient wird, absichern, aber auch Neuesermöglichen.Das Interview wurde geführt von REINHARD MYRITZ70
Kleine und mittlere Unternehmen• Der Beitrag der Weiterbildung zur Personal-, Organisations- und UnternehmensentwicklungNach einem gängigen Vorurteil investieren Großunternehmen mehr in ihre Mitarbeiter als kleineund mittelständische Unternehmen. Die großbetriebliche Personalentwicklungspraxis mit ihrenüppig ausgestatteten Weiterbildungsbudgets gilt deshalb vielen als Maßstab und Vorbild fürKMU. Doch während sich die herkömmliche betriebliche Weiterbildung zur Reproduktion vonWissen für bekannteund stabile An-externe Weiterbildung25,0%forderungsprofileinterne Weiterbildung18,4%als sinnvoll und67,3%Unterweisungnützlich erwiesenZuweisung von37,3%hat, stößt sie in betrieblichenVerän-46,2%SonderaufgabenFördern durch Fordernderungsprozesseninformeller62,5%an ihre Grenzen. ErfahrungsaustauschDynamische Mittelständlersetzen da-34,1%zeitliche FreiräumeDelegation von23,5%VerantwortungMaßnahmen mit hoher Bedeutungher – das zeigt eineBefragung von4.500 UnternehmenKompetenzentwicklung in dynamischen KMUaus unterschiedlichen Branchen – zur Initiierung und Umsetzung von Innovationen auf andereFormen der Kompetenzentwicklung. Die Impulsgeber der deutschen Wirtschaft gewähren ihrenMitarbeitern den nötigen Raum, im Rahmen anspruchsvoller Aufgaben eigene Ideen zu verfolgenund Lösungen auszuprobieren. Angesichts dieser Befunde stellt sich die Frage, ob KMU zuRecht Objekt von Missionierungsversuchen in Sachen Weiterbildung sind oder ob deren Kompetenzentwicklungnicht eher als Lernfeld für Großunternehmen dienen kann.Veröffentlichungen: STAUDT, E.; SCHWERING, M. G.: Kompetenzentwicklung als Engpass- und Schlüsselfaktorfür Innovationen in KMU der New Economy – dargestellt am Beispiel junger Telekommunikationsunternehmen, in:Meyer, J.-A. (Hrsg.): New Economy im Kontext kleiner und mittlerer Unternehmen – Jahrbuch der KMU-Forschung 2002, München 2002, S. 221–238; KRIEGESMANN, B.; GROTH, T.: Weiterbildungsabstinenz von KleinundMittelbetrieben? – Eine sekundärstatistische Bestandsaufnahme, Bochum 2002; KRIEGESMANN, B.; LAMPING,S.; SCHWERING, M. G.: Kompetenzentwicklung und Entwicklungsdynamik in KMU und Großunternehmen – primärstatistischeErgebnisse zu Differenzen und Defiziten, Bochum 2002; KRIEGESMANN, B.; SCHWERING, M. G.;LAMPING, S.: Dynamische Mittelständler gehen eigene Wege, in: Späth, L. (Hrsg.): TOP 100 2003 – AusgezeichneteInnovatoren im deutschen Mittelstand, Frankfurt, Wien 2003, S. 172–176; KRIEGESMANN, B.; LAMPING, S.;Schwering, M. G.: Innovationsorientierte Kompetenzentwicklung in kleinen und mittelständischen Unternehmen –Eine empirische Untersuchung von Unterschieden in der Personal- und Organisationsentwicklung dynamischer undstatischer KMU, in: IGA – Zeitschrift für Klein- und Mittelunternehmen, Internationales Gewerbearchiv, 51. Jg.,4/2003, S. 221–236; SCHWERING, M. G.: Kompetenzentwicklung in Veränderungsprozessen, Bochum <strong>2004</strong>;KRIEGESMANN, B.; SCHWERING, M. G.: Die Kompetenz für den Erfolg, in: Personalwirtschaft, 12/<strong>2004</strong>, S. 12–15.71