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Mythologie Titelblatt - Gymnasium Interlaken

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18 Oedipus Mythen und Mythendeutung<br />

Oedipus<br />

11) Sigmund Freud: Der Oedipuskomplex<br />

Nach meinen bereits zahlreichen Erfahrungen spielen die Eltern im Kinderseelenleben aller späteren Psycho-<br />

neurotiker die Hauptrolle, und Verliebtheit gegen den einen, Hass gegen den andern Teil des Elternpaares gehören<br />

zum eisernen Bestand des in jener Zeit gebildeten und für die Symptomatik der späteren Neurose so bedeutsamen<br />

Materials an psychischen Regungen. Ich glaube aber nicht, dass die Psychoneurotiker sich hierin von anderen nor-<br />

mal verbleibenden Menschenkindern scharf sondern, indem sie absolut Neues und ihnen Eigentümliches zu schaf-<br />

fen vermögen. Es ist bei weitem wahrscheinlicher und wird durch gelegentliche Beobachtungen an normalen<br />

Kindern unterstützt, dass sie auch mit diesen verliebten und feindseligen Wünschen gegen ihre Eltern uns nur<br />

durch die Vergrösserung kenntlich machen, was minder deutlich und weniger intensiv in der Seele der meisten<br />

Kinder vorgeht. Das Altertum hat uns zur Unterstützung dieser Erkenntnis einen Sagenstoff überliefert, dessen<br />

durchgreifende und allgemeingültige Wirksamkeit nur durch eine ähnliche Allgemeingültigkeit der besprochenen<br />

Voraussetzung aus der Kinderpsychologie verständlich wird. Ich meine die Sage vom König Oedipus und das<br />

gleichnamige Drama des Sophokles. [Inhaltsangabe] Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als<br />

in der schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung - der Arbeit einer Psychoanalyse vergleich-<br />

bar -, dass Oedipus selbst der Mörder des Laios, aber auch der Sohn des Ermordeten und der Iokaste ist. Durch sei-<br />

ne unwissentlich verübten Greuel erschüttert, blendet sich Oedipus und verlässt die Heimat. Der Orakelspruch ist<br />

erfüllt. (...) Wenn der König Oedipus den modernen Menschen nicht minder zu erschüttern weiss als den zeitge-<br />

nössischen Griechen, so kann die Lösung wohl nur darin liegen, dass die Wirkung der griechischen Tragödie nicht<br />

auf dem Gegensatz zwischen Schicksal und Menschenwillen ruht, sondern in der Besonderheit des Stoffes zu su-<br />

chen ist, an welchem dieser Gegensatz erwiesen wird. Es muss eine Stimme in unserem Innern geben, welche die<br />

zwingende Gewalt des Schicksals im Oedipus anzuerkennen bereit ist, während wir Verfügungen wie in der Ahn-<br />

frau [von Grillparzer] oder in anderen Schicksalstragödien als willkürliche zurückzuweisen vermögen. Und ein sol-<br />

ches Moment ist in der Tat in der Geschichte des Königs Oedipus enthalten. Sein Schicksal ergreift uns nur darum,<br />

weil es auch das unsrige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch über uns ver-<br />

hängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten<br />

Hass und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten; unsere Träume überzeugen uns davon. König Oed-<br />

ipus, der seinen Vater Laios erschlagen und seine Mutter Iokaste geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unse-<br />

rer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns seitdem, insofern wir nicht Psychoneurotiker geworden sind,<br />

gelungen, unsere sexuellen Regungen von unseren Müttern abzulösen, unsere Eifersucht gegen unsere Väter zu<br />

vergessen. Vor der Person, an welcher sich jener urzeitliche Kindheitswunsch erfüllt hat, schaudern wir zurück mit<br />

dem ganzen Betrag der Verdrängung, welche diese Wünsche in unserem Innern seither erlitten haben. Während<br />

der Dichter in jener Untersuchung die Schuld des Oedipus ans Licht bringt, nötigt er uns zur Erkenntnis unseres<br />

eigenen Innern, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch immer vorhanden sind.<br />

Dass die Sage von Oedipus einem uralten Traumstoff entsprossen ist, welcher jene peinliche Störung des Ver-<br />

hältnisses zu den Eltern durch die ersten Regungen der Sexualität zum Inhalte hat, dafür findet sich im Texte der<br />

Sophokleischen Tragödie selbst ein nicht misszuverstehender Hinweis. Iokaste tröstet den noch nicht aufgeklärten,<br />

aber durch die Erinnerung der Orakelsprüche besorgt gemachten Oedipus durch die Erwähnung eines Traums,<br />

den ja so viele Menschen träumen, ohne dass er, meint sie, etwas bedeute:<br />

Denn viele Menschen sahen auch in Träumen schon<br />

sich zugesellt der Mutter: doch wer alles dies<br />

für nichtig achtet, trägt die Last des Lebens leicht. [Verse. 981 ff.]<br />

Der Traum, mit der Mutter sexuell zu verkehren, wird ebenso wie damals auch heute vielen Menschen zuteil,<br />

die ihn empört und verwundert erzählen. Er ist, wie begreiflich, der Schlüssel der Tragödie und das Ergänzungs-

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