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Mythologie Titelblatt - Gymnasium Interlaken

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Mythen und Mythendeutung Narziss und Echo 25<br />

Narziss und Echo<br />

15) Ovid: Narziss und Echo<br />

Schwanger geworden, gebar sie ein Kindlein, welches schon damals 345<br />

Liebe verdiente, und nannt' es Narcissus; und als man den<br />

Schicksal-Seher [Teiresias] befragte, ob je dieser Knabe zu hohem<br />

Alter gelange, da gab er zur Antwort: “Ja, wenn er sich fremd bleibt!”<br />

Lang schien nichtig das Wort des Propheten, doch bracht' es der Ausgang<br />

Endlich zu Ehren: ein seltsames Rasen, ein sonderbar Sterben! 350<br />

Sechzehnjährig war er geworden, der Sohn des Cephisus,<br />

Und bald schien er ein Knabe zu sein, bald wieder ein Jüngling.<br />

Liebende Sehnsucht erregt' er bei vielen, bei Jünglingen, Mädchen;<br />

Doch es beseelte den zärtlichen Körper die sprödeste Härte:<br />

Niemand vermochte den Schönen zu rühren, kein Jüngling, kein Mädchen. 355<br />

Jetzt, als er flüchtige Hirsche in Netze zu jagen versuchte,<br />

Sah ihn die klangreiche Nymphe, die niemals schwieg, wenn ein andrer<br />

Sprach, doch niemals begann, die wiederertönende Echo.<br />

Damals war Echo ein körperlich Wesen und nicht eine Stimme<br />

Doch die Geschwätzige sprach nicht anders als heute: von vielen 360<br />

Worten vermochte sie nur die letzten wiederzugeben.<br />

Das war Junos Verhängnis: sie hätte gar manche der Nymphen,<br />

Denen ihr Jupiter sich in den Bergen gesellte, ertappen<br />

Können; doch sie hielt klüglich die Göttin in langem Geplauder<br />

Fest, bis die Nymphen entwichen. Als dies Saturnia merkte, 365<br />

Sprach sie: “Die Zunge, die so mich getäuscht hat, du darfst sie von jetzt an<br />

Wenig gebrauchen; es soll dir nur kürzeste Rede gewährt sein.”<br />

Und sie erfüllt ihre Drohung; doch jene vermag zu verdoppeln<br />

Was man am Ende gesprochen: zurück ertönt das Gehörte.<br />

Diese erblickte Narcissus – er schweifte durch weglose Fluren. 370<br />

Heiss überfällt sie die Liebe: sie folgt seinen Spuren verstohlen,<br />

Und je mehr sie ihm folgt, je heisser erglüht sie in Flammen<br />

Ebenso reisst der lebendige Schwefel – man hat ihn um Fackel-<br />

Spitzen gestrichen – die Flamme an sich, die ihm nahe gebracht ward.<br />

Ach, sie wollte so oft mit schmeichelnden Reden ihm nahen, 375<br />

Weich liebkosend ihn bitten! Ihr Wesen verweigert's: beginnen<br />

Ist ihr verwehrt; doch ist sie gerüstet zu dem, was ihr zusteht:<br />

Tönen zu lauschen, um dann ihre Worte zurückzuentsenden!<br />

Einmal verlor der Knabe durch Zufall sein treues Gefolge<br />

Und so rief er: “Ist jemand zugegen?” “Zugegen!” sagt Echo. 380<br />

Staunend steht er und schaut nach allen Seiten; dann ruft er<br />

Laut und deutlich: “So komm!” – den Rufenden ruft sie desgleichen.<br />

Um sich blickt er; doch niemand erscheint. “Warum denn”, so spricht er,<br />

“Meidest du mich?” und gleichviel Worte ertönen ihm wider.<br />

Nicht ablassend, getäuscht durch den Widerhall, ruft er: “Wir wollen 385<br />

Hier uns vereinigen!” Gab's einen Laut, dem Echo so freudig<br />

Jemals erwiderte? “Hier uns vereinigen!” rief sie zur Antwort;<br />

Und sie trat aus dem Wald, getreu ihren Worten, und wollte

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