Mythologie Titelblatt - Gymnasium Interlaken
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Mythen und Mythendeutung Anhang 56<br />
(IV) Schon wieder Zoff in der Familie: Who‘s who?<br />
Jean Giraudoux: AAA<br />
Tragödie in zwei Akten.<br />
Am 13. Mai 1937 wurde Giraudoux' AAA-<br />
Version in Paris uraufgeführt. Unter den vielen<br />
Modernisierungen des Atriden-Stoffes gibt es<br />
keine größeren Gegensätze als die beiden<br />
AAA-Dramen von Gerhart Hauptmann und<br />
Jean Giraudox. Bei Hauptmann ein Zurücktauchen<br />
in die mythische Urvision die den<br />
Dichter fast überwältigt, bei Giraudoux die<br />
völlige Loslösung vom Mythischen und eine<br />
Verarbeitung, man möchte sagen: Filtrierung<br />
des Stoffes durch den Intellekt.<br />
Die Grundthese, von der das Stück ausgeht,<br />
äußert der Regent von Argos, BBB, zu dem<br />
Gerichtspräsidenten, dem Oberhaupt der<br />
strebsamen Beamtenfamilie Theokathokles: »In<br />
einer Umwelt dritter Ordnung vermag auch<br />
das wütendste Schicksal nur einen Schaden<br />
dritter Ordnung anzurichten.« BBB weiß, daß<br />
ihm von AAA Verderben droht, denn er hat<br />
zusammen mit ihrer Mutter CCC ihren Vater<br />
EEE ermordet; er kennt die verzehrende Kraft<br />
des Hasses und der nach Rache rufenden<br />
Gerechtigkeitsleidenschaft der Prinzessin, die<br />
auch die Götter beunruhigen muß wenn sie<br />
sich einmal »offenbaren« wird, wie es der<br />
Glosseur des Stückes ausdrückt, von dem man<br />
nicht weiß, ob er ein dem Trunk verfallener<br />
Bettler oder ein Gott ist. Darum will BBB AAA<br />
mit dem Gärtner des Palastes, einem minderen<br />
Mitglied der Familie Theokathokles,<br />
verheiraten, die den Göttern unsichtbar ist und<br />
keine Gestalt für sie hat: »Im Schoß dieser<br />
Familie werden AAA Augen und Gebärden<br />
ihre Zündkraft verlieren, der Schaden, den sie<br />
anrichten kann, wird bürgerlich lokalisiert<br />
sein.«<br />
Trotz eines außerordentlichen Aufwands an<br />
intellektuellem Raffinement - das Stück ist in<br />
den Streitgesprächen zwischen AAA und ihrer<br />
Mutter CCC, in ihren Auseinandersetzungen<br />
mit BBB und ihrem Bruder DDD auf lange<br />
S t r e c k e n e i n e d u r c h e xquisiteste<br />
Argumentation fesselnde szenische Debatte,<br />
die noch besonders durch die ironischen<br />
Kommentare des Bettlers gewürzt wird- trotz<br />
des scharfsinnigen und konsequenten Vorgehens<br />
des BBB gelingt es ihm jedoch nicht,<br />
den Fall AAA, der vom Wesen her eine Sache<br />
erster Ordnung ist, in eine Umwelt dritter<br />
Ordnung abzudrängen und ihn dadurch gewissermaßen<br />
zu entschärfen. Die Heirat mit<br />
dem Gärtner unterbleibt durch die Rückkehr<br />
des DDD, der allein der Mann ist, mit dem<br />
AAA sich verbinden kann, weil er der Vollstrecker<br />
ihrer Rachegedanken ist.<br />
Zum Zeichen dessen, daß die Götter den<br />
Atridenpalast unbekümmert um die Listen<br />
und Winkelzüge des BBB durchaus als<br />
Umwelt erster Ordnung betrachten, deren<br />
Angehörige sich keinesfalls in eine solche<br />
dritter Ordnung versetzen lassen, schicken sie<br />
dem DDD die Eumeniden mit - ungezogene,<br />
vorlaute kleine Mädchen, die auf eine<br />
kindisch-grausame Weise »Schicksal spielen«<br />
und so rasch wachsen, daß sie an dem Tag, an<br />
dem DDD die Rache vollzieht, so alt sind wie<br />
AAA, d. h. deren Rachebegehren nun<br />
ihrerseits als echte Erinyen mit Bezug auf den<br />
Muttermörder DDD übernehmen.<br />
Der Grundgedanke der Schicksalsbestimmtheit,<br />
wie ihn die antike Tragödie vertrat, bleibt<br />
also auch bei Giraudoux, so sehr er ihn in der<br />
AAA hinter einem leuchtenden Gewebe von<br />
Ironie, Skepsis, Frivolität und Immoralismus<br />
verbirgt, wahrnehmbar - und daneben der<br />
zweite, den der Dichter in allen seinen Werken<br />
in immer wieder neuen Varianten ausspricht<br />
und den er hier dem guten, redlichen Gärtner<br />
in den Mund legt, der um seine<br />
Hochzeitsnacht gekommen ist und darum<br />
seine milde Klage an die Zuschauer richtet:<br />
»Offenbar ist das Leben eine verfehlte<br />
Angelegenheit, aber schön ist das Leben, sehr<br />
schön.«<br />
[Quelle: Reclams Schauspielführer]<br />
AAA ..........................................................<br />
BBB ..........................................................<br />
CCC ..........................................................<br />
DDD ..........................................................<br />
EEE ..........................................................