WGT-Arbeitsheft 2014 - ÄgyptenVom Müllviertel zum RecyclingviertelManschiyyet Nasserist ein informeller Stadtteil von Kairo am Fuße des Muqattam-Hügels. Die „Zabbalin“(Müllsucher) leben dort. Diese etwa 60.000 Menschen, meist koptischen Glaubenssorgen mit ihren hoch beladenen Eselskarren und Kleinlastwagen nicht nur für einesehr zuverlässige Müllabfuhr in Kairo, son<strong>der</strong>n auch für eine sehr umfassendeMüllsortierung und ein Recycling vieler Materialien. 80% des anfallenden Müllswerden hier bearbeitet. Die meisten Familien haben sich auf die Sortierung einerbestimmten Abfallart spezialisiert.Früher war diese Gegend eine grüne, fruchtbare Oase. Daranerinnert heute nur noch <strong>der</strong> Name: Espet El Nakhl, Ort <strong>der</strong>Palmen. Aus den ersten Zelten und Wellblechhüten sindHochhäuser aus dem Boden geschossen, die bis zu 15Stockwerken erreichen können.Die Bewohner <strong>der</strong> Müllsammlergemeinde stammen ursprünglich aus Oberägypten.Vor etwa 50 Jahren mussten sie ihre Oasen verlassen, nachdem es jahrelang nichtmehr ausreichend geregnet hatte. Die Kopten aus Oberägypten wollte hier niemand,es gab auch keine Arbeit für sie, so begannen sie Müll zu sammeln. Inzwischen istaus den ersten wirtschaftlichen Erfolgen eine Recyclingindustrie entstanden.Gearbeitet wird rund um die Uhr, <strong>der</strong> Sonntag ist frei. Ausden 7000 t Müll täglich werden Rohstoffe produziert, die nachKanada, China und afrikanische Staaten exportiert werden.Mit ausländischer Unterstützung haben die Kopten das„Lichtprojekt“ (Straßen sollen beleuchtet, sauberer undsicherer werden) ins Leben gerufen. Sie wollen dasMüllmanagement effizienter gestalten und gleichzeitig zurVerbesserung <strong>der</strong> Lebensbedingungen beitragen. Beson<strong>der</strong>sdie <strong>Frauen</strong> engagieren sich in diesem Projekt und stellen Straßenbeleuchtung ausgesammeltem Aluminiumabfall her. Dazugekauft wird nichts. Die <strong>Frauen</strong> erhaltendadurch einen höheren Stellenwert und eine gewisse Unabhängigkeit.Bis vor kurzem war eine <strong>der</strong> wichtigsten Einkommensquellen auch die Schweinezucht,denn an<strong>der</strong>s als Muslime dürfen die Christen Schweine mästen. Im Mai 2009ordnete die ägyptische Regierung die Tötung sämtlicher Schweine im ganzen Landan, da die Tiere im Verdacht standen, Auslöser <strong>der</strong> sogenannten „Schweinegrippe“zu sein. Dadurch ging ein Teil <strong>der</strong> Existenzgrundlage verloren.Im „Friedenszentrum“ einer koptischen Ordensgemeinschaft gibt es die MöglichkeitKin<strong>der</strong> in einem Kin<strong>der</strong>garten unterzubringen und die Schule bietet Ausbildungsplätzefür etwa 1600 Mädchen und Buben.Die Höhlenkirche St. Sama’an, die von den Kopten in <strong>der</strong> Müllstadt genutzt wird, istdie größte Kirche im Nahen Osten mit einer Kapazität für 20.000 Gläubige.Maria SchachamayrQuellen: wikipediaFotos: wikipedia-16-
WGT-Arbeitsheft 2014 - ÄgyptenDie Kirchen des christlichen OstensDas Christentum in ÄgyptenEinleitungDas Erscheinungsbild des Christentums in Ägypten führt uns in die Welt <strong>der</strong>Ostkirchen. Gerade Ägypten spielt für die Entwicklung <strong>der</strong> christlichen - und speziell<strong>der</strong> ostkirchlichen - Konfessionen, wie sie sich uns heute präsentieren, eine wichtigeRolle. Ägypten mit seinem frühchristlichen Zentrum Alexandrien ist außerdem einesjener Län<strong>der</strong>, in denen alle drei ostkirchlichen Konfessionen (orthodox,altorientalisch, mit Rom uniert) 1 vor dem Hintergrund einer langen, traditionsreichenund bisweilen nicht konfliktfreien Geschichte neben- und miteinan<strong>der</strong> existieren. Indiesem Beitrag werden zunächst in einem konfessionskundlichen Überblick die dreigenannten Kirchenfamilien des christlichen Ostens vorgestellt. Danach folgt eineRückschau in die Geschichte des Christentums in Ägypten. Zuletzt sollen dieSpiritualität und die pastoralen Tätigkeiten des ägyptischen Christentums, wie esheute existiert und erfahrbar ist, in den Blick genommen werden.Kleine KonfessionskundeSo wie die Mitglie<strong>der</strong> einer Familie zusammengehören, in Beziehung zueinan<strong>der</strong>stehen und miteinan<strong>der</strong> verbunden sind, so können auch die einzelnen Kirchen einerKirchenfamilie gesehen werden: Es gibt Elemente in Vergangenheit und Gegenwart,die all diesen Kirchen gemeinsam sind, auf die sie sich stützen und die zu ihremWesen gehören. In Bezug auf die Ostkirchen gibt es drei Kirchenfamilien, die jeweilsuntereinan<strong>der</strong> - wie eine Familie - in Gemeinschaft stehen: Erstens die Familie <strong>der</strong>Orthodoxen (auch Byzantinisch-Orthodox genannten) Kirchen, zweitens die Familie<strong>der</strong> Altorientalischen (auch Orientalisch-Orthodox genannten) Kirchen, und drittensdie Familie <strong>der</strong> mit Rom unierten, katholischen Ostkirchen 2 . Innerhalb dieser dreiKirchenfamilien gibt es im Wesentlichen jeweils drei Elemente, die das Bindegliedzwischen den einzelnen Kirchen sind: (a) <strong>der</strong> gemeinsame Glaube bzw. dasgemeinsame Bekenntnis, das in <strong>der</strong> Lehre zum Ausdruck kommt, (b) diegemeinsame Liturgie, die nach einem bestimmten Ritus gefeiert wird, und (c) diegemeinsame kirchenrechtliche Grundlage, die in den canones (lat. „Rechtssätze“)des Kirchenrechts zum Ausdruck kommt. Auf die Ostkirchen treffen zwei weitereMerkmale zu: Sie sind zum einen als Landeskirchen organisiert und haben damiteinen starken Bezug zu den jeweiligen staatliche Strukturen, in die sie eingebettetsind. Je nach Rangfolge steht einer Ostkirche entwe<strong>der</strong> ein Patriarch o<strong>der</strong> einErzbischof, in jedem Fall aber ein geweihter Bischof, vor. Zum an<strong>der</strong>en sind dieOstkirchen „liturgische Kirchen“, womit die hohe Stellung <strong>der</strong> Liturgie nicht nur impraktischen Leben <strong>der</strong> Kirche, son<strong>der</strong>n auch in ihrer Theologie zum Ausdruckkommt.1 Siehe Tabelle im Anhang.2 Die dritte Gruppe <strong>der</strong> katholischen Ostkirchen nehmen gewissermaßen eine Son<strong>der</strong>position unter denOstkirchen ein, da sie Teil <strong>der</strong> katholischen Kirche sind. Bedingt durch geschichtliche Begebenheiten anerkennensie den römischen Papst als ihr Oberhaupt und stehen so mit <strong>der</strong> römisch-katholischen Kirche in Gemeinschaft.-17-