WGT-Arbeitsheft 2014 - ÄgyptenDie Anfänge des Mönchtums in ÄgyptenVäter und Mütter <strong>der</strong> Wüste„Wer in <strong>der</strong> Wüste sitzt und die Stille übt, wird frei von Kämpfen: vom Kampf desHörens, vom Kampf des Sprechens, vom Kampf des Sehens. Nur noch eineneinzigen Kampf hat er zu kämpfen: den des Herzens.“ (Antonios, ApophthegmataPatrum 11/11)„Wir brauchen nichts als einen wachsamen Sinn.“ (Poimen, Apophthegmata Patrum135/709)Ägypten gilt - wie allgemein die Gebiete <strong>der</strong> Levante und Kleinasiens - als eine <strong>der</strong>bedeutendsten Geburtsstätten des christlichen Mönchtums. Für die ersten Mönchestand am Beginn die Bewegung, ja <strong>der</strong> Drang des Weggehens, des Sich-Entfernensund Distanzierens von den kultivierten Dörfern und Städten. Sie durchbrachen damitden gewohnten Lebenskreis und zogen aus dieser Welt aus hinein in unbewohntesLand, das - damals wie heute - <strong>der</strong> Inbegriff des Ausgeliefertseins und <strong>der</strong> Gefahr,aber auch <strong>der</strong> absoluten Stille und Ruhe war: Sie zogen aus in die Wüste, um dortein einfaches, Gott ergebenes Leben zu führen. Die ersten Mönche waren Einsiedlerohne übergeordnete Strukturen, die ihren Lebensrhythmus bestimmten o<strong>der</strong> dasZusammenleben mehrerer Gleichgesinnter beabsichtigten und regelten. In losemKontakt zu Gleichgesinnten lebten die Einsiedler in einfachen Hütten, überdachtenErdlöchern o<strong>der</strong> kleinen Höhlen, die mit dem Sammelbegriff kellia (griech. „Zellen“)bezeichnet wurden. Die Form des gemeinschaftlichen Lebens ‚unter einem Dach‘,wie es heute von Orden und Klostergemeinschaften praktiziert wird, entstand kurzeZeit später und war als Alternative eine Reaktion darauf, dass die radikaleLebensweise als Einsiedler eine überaus große Herausfor<strong>der</strong>ung darstellte undstrenge Disziplin erfor<strong>der</strong>te.Anhand <strong>der</strong> Lebensbeschreibung des Antonios (+ ca. 357 n. Chr.), <strong>der</strong> als einer <strong>der</strong>ersten und sogar als <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong> Wüstenmönche“ gilt, soll im vorliegenden Beitragzunächst die Bewegung in die Wüste thematisiert werden: Welche Motive führten dieMenschen in die Wüste? Wie lebten sie und welche Ziele verfolgten sie? Wiegestaltete sich ein spiritueller Weg in <strong>der</strong> Wüste? Damit verbunden werden in einemzweiten Schritt die sogenannten Apophthegmata Patrum, die „Sprüche <strong>der</strong> Väter[und Mütter 3 ]“ vorgestellt. Sie sind die erste und reichste Quelle, aus <strong>der</strong> wir über dieSpiritualität und das Leben <strong>der</strong> Männer und <strong>Frauen</strong> in <strong>der</strong> Wüste erfahren. Zuletztsoll ein Ausblick auf die Formen des Mönchtums und des klösterlichen Lebensgegeben werden, die sich aus dem ägyptischen Mönchtum heraus in weiterer Folgeentwickelt haben.3 Drei Wüstenmütter mit <strong>der</strong> Ehrenbezeichnung Amma (in Vergleich zum männlichen Abba) sind namentlich inden Apophthegmata Patrum erwähnt: Sarrha, Synkletike und Theodora. Ihre Existenz und die Aufnahme ihrerSprüche in die Apophthegmata Patrum zeigen, dass <strong>Frauen</strong> bereits von Beginn <strong>der</strong> Wüstenbewegung an das Bilddes Wüstenmönchtums geprägt haben. Die Aussprüche, die von ihnen überliefert sind, lassen jedoch erkennen,dass Weiblichkeit auch den <strong>Frauen</strong> selbst als Schwachheit und als etwas zu Überwindendes gegolten hat. Indiesem Sinn bekräftigt Sarrah, dass sie zwar körperlich eine Frau sei, dem Denken nach aber ein Mann.-20-
WGT-Arbeitsheft 2014 - ÄgyptenNicht trotz <strong>der</strong> lebensfeindlichen Bedingungen in <strong>der</strong> Wüste zog es die erstenMönche dorthin, son<strong>der</strong>n vielmehr wegen ihnen: Die Wüste war ein Ort, <strong>der</strong> mitUnfruchtbarkeit, Hitze, Tod, mit wilden Tieren und mit Dämonen in Verbindunggebracht wurde. Doch gerade dort könnte am ehesten gelingen, was die Mönche alsgottgemäßes Leben ansahen: das Loslösen von eigenen, beherrschendenInteressen und Wünschen; ein Leben ohne Güter und Besitz; ein Leben ohne dieGelegenheit zum Ausleben sexueller Triebe. Was blieb, waren die Versuchungen,die einen wachen Sinn erfor<strong>der</strong>ten. Mit strenger Askese und im Kampf „gegen dieDämonen o<strong>der</strong>, psychologisierend betrachtet, gegen die eigenen Wünsche,Triebkräfte und Emotionen“ 4 gestalteten die Väter und Mütter sich einen Ort in <strong>der</strong>Wüste, <strong>der</strong> es ermöglichte, „authentisch als Mönch“ 5 zu leben und <strong>der</strong> „Sehnsuchtnach Gott“ 6 Ausdruck zu verleihen. Der Gang in die Wüste als neues Lebensumfeldwar allerdings kein Selbstzweck: Die Mönche empfanden die Wüste nicht in ersterLinie als Ort des Rückzugs, son<strong>der</strong>n als Ort <strong>der</strong> Bewährung. Sie setzten sich denPrüfungen aus, die die Wüste für sie bereithielt, um auf diese Weise - nach einemWort des Matthäusevangeliums (Mt 7,14) - den „schmalen Weg“ zu gehen und das„enge Tor“ zu durchqueren, das sie in das Reich Gottes führen würde.Aus <strong>der</strong> - nach heutigem Verständnis mit vielen stilistischen Gestaltungselementenversehenen - Biographie des Mönchsvaters Antonios werden die verschiedenenStufen <strong>der</strong> Askese deutlich, die er exemplarisch beschreitet: Die Stationen seinesWeges (Elternhaus - vor dem Elternhaus - am Rand des Dorfes - bei den Gräbern -an <strong>der</strong> Schwelle zur Wüste) stehen für das Wachsen und Reifen seiner Spiritualität,<strong>der</strong> Askese und letztendlich des Gottesvertrauens. Er betritt nach anfänglichemZögern schließlich die Wüste, in <strong>der</strong> er 20 Jahre lang bleibt, bevor er „eingeweiht inheilige Geheimnisse und Gott erfüllt“ 7 zurückkehrt in die lose Gemeinschaft <strong>der</strong>Einsiedler. Von da an wurde er bekannt als geistlicher Lehrer und Begleiter, zu demviele Menschen pilgerten und auf dessen Erfahrung sie hofften, wenn sie ihn um Ratin geistlichen und existentiellen Fragen baten.Die Antworten und Richtungsweisungen, die die Wüstenmönche diesen fragendenund suchenden Menschen gaben, sind in den bereits genannten ApophthegmataPatrum bis heute bewahrt und nachzulesen. Es handelt sich dabei um kurzeAnekdoten, manchmal auch um die Schil<strong>der</strong>ung prophetischer Zeichen o<strong>der</strong>Wun<strong>der</strong>taten, außerdem um knappe Erzählungen über die Lebensweise <strong>der</strong> Mönchein <strong>der</strong> Wüste. Beson<strong>der</strong>s die Frage, was <strong>der</strong> Mensch tun könne, um gerettet zuwerden und in das Reich Gottes zu gelangen, wird in den Apophthegmata Patrumausführlich behandelt, womit viele Bereiche <strong>der</strong> Lebensführung und <strong>der</strong> religiösenGrundeinstellung angesprochen werden. Diese Spruchsammlung aus dem Mund <strong>der</strong>ersten Väter und Mütter des Mönchtums wurde zum „Schlüsselbuch für das früheMönchtum“ 8 , weil in ihr authentische Antworten auf die Fragen jüngerer Mönche o<strong>der</strong>pilgern<strong>der</strong> Menschen gegeben wurden, die zukunftsweisenden undzukunftsbegleitenden Charakter hatten.4 Brunert, Maria-Elisabeth: Die Bedeutung <strong>der</strong> Wüste im Eremitentum, in: Lindemann, Uwe / Schmitz-Emans,Monika (Hg.): Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annährungen an einen interkulturellen Topos, Würzburg:Königshausen & Neumann 2000 (= Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft12), 59–69, hier: 60.5 Schulz, Günther / Ziemer, Jürgen: Mit Wüstenvätern und Wüstenmüttern im Gespräch. Zugänge zur Welt desfrühen Mönchtums, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 23.6 Ebd.7 Ebd., 28.8 Lilienfeld, Fairy von: Art. Mönchtum II. Das erste Mönchtum, in: TRE 23 (1994) 152–157, hier: 153.-21-