LANDLEBEN«Zuhause sind wir da, wo die Kühesind und wir die Arbeit haben.»STUFENBETRIEBE zu bewirtschaften sind eine Herausforderung. Wieso nehmen dieFamilien diese Strapazen und die finanziellen Mehrfachbelastungen auf sich? Antwortendarauf gibt es in einer Studie der Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon.ChristineJurtRuthRossierIsabelHäberliZwei bis zwölf Mal pro Jahr packendie Stufenbetriebsfamilien ihre Kistenund ziehen mit ihrem Vieh sowieHab und Gut eine Stufe hinaufoder hinunter, stets dem Futter für dieTiere hinterher. Oft werden die Tiere zuFuss zur nächsten Stufe gebracht, dieMaterialkisten können je nach Möglichkeitmit dem Auto, dem Traktor oderder Seilbahn transportiert werden. DasHeu wird dort gelagert und verfüttert,wo es geschnitten wurde. Aufgrund fehlenderErschliessung ist es oft nichtmöglich, die oberen Stufen vom Tal herzu bewirtschaften.Tradition oder nachhaltige Bewirtschaftung?Einige Stufenbetriebewerden schon seit Generationenvon den gleichen Familien betrieben,wobei die Landstücke immer wieder dieBesitzer gewechselt haben und neu verteiltwurden (Erbschaften, Zu- und Verkauf).Andere sind in ihrer eigentlichenForm jedoch relativ neu, also im Besitzder ersten oder zweiten Generation. Siesind ein Produkt der Anpassung an dienatürlichen, strukturellen und sozialenBedingungen.Die Arbeit auf verschiedenen Höhenstufenbringt Vorteile mit sich. Aufgrundder unterschiedlichen Schnittzeitpunkteje nach Stufe kann mit derselben AnzahlArbeitskräfte mehr Land bewirtschaftetwerden, als dies auf einer einzigen Höhenstufemöglich wäre.Die Bewirtschaftung ist ausserdemden herrschenden Besitzverhältnissenangepasst. Sie erlaubt den Familien amsozialen Leben in den unteren Lagenteilzunehmen und ihren Kindern denZugang zu einer Ausbildung zu erleichtern.Die Familien definieren ihre Lebensweisenicht über den Stufenbetrieb alssolchen, sondern in erster Linie über dieLandwirtschaft. Was und wie sie produzieren,ist so unterschiedlich wie ihre Betriebsstrukturenauf zwei bis vier Stufen.Während einige auf konventionelleMilchproduktion setzen oder Kälbermästen, gibt es auch Familien, denen dieBIO-Produktion wichtig ist oder die neueWege gehen, zum Beispiel mit Ziegen.Zügeln Die ständigen Umzüge sindarbeitsaufwändig, wetterabhängig undnicht auf den Tag vorauszusagen. Dienotwendigen Helferinnen und Helfer,meistens Verwandte und Nachbarn,müssen kurzfristig verfügbar sein. Dasstetige Zusammenpacken ist eine grosseBelastung vor allem für die Frauen.Umziehen hat aber auch seinen Reiz.Es sei schön und abwechslungsreich hinaufzuziehen.Das ganze Jahr oben bleibenzu müssen, wäre oft einsam und zubelastend. Kompliziert wird das Lebenauf den oberen Stufen, wenn beispielsweisedie Seilbahnen wegen Wind nichtfahren und die Teilnahme am Schulunterrichtoder das Ausführen des Nebenerwerbsim Tal erschweren oder unmöglichmachen. Wäre man das ganze Jahrüber oben, würde sich diese Problematiknoch zuspitzen, erklärt beispielsweiseFritz (39):«(…) wenn du oben auf 1700 Meterndas ganze Jahr bist und drei Buben hast,die alle in die Lehre gehen. Wohin gehensie nach Hause, wenn es windetund das Wetter schlecht ist? Viele Politikermachen sich darüber keine Gedanken,sonst würden sie vielleicht auch sagen,dass Stufenbetriebe noch Sinnmachen. Wenn wir nur zwei MonateStufenbetriebeStufenbetriebe bestehen aus zwei odermehr Produktionsstätten (ohne Alp).Diese sind voneinander so weit entfernt,dass zwei oder mehr Betriebszentren mitÖkonomiegebäuden und meist je einerWohngelegenheit notwendig sind(Definition in Anlehnung an daslandwirtschaftliche Strukturleitbild desKantons Uri).Experten schätzen, dass im Kanton Urirund 11 % aller Betriebe Stufenbetriebe(ca. 70 − 80 Betriebe) sind. Für die ART-Studie wurden neben Stufenbetriebenaus dem Kanton Uri auch solche ausBern, Glarus, Graubünden, Nidwalden,Obwalden, Schwyz und dem Tessineinbezogen.oder drei Monate im Winter oben sind,lassen sich solche Probleme für die Familieüberbrücken.»Politischer Druck Stufenbetriebegeraten zunehmend unter Druck. Währendihre spezifischen Anliegen in derDiskussion um die Landwirtschaft imBerggebiet untergehen, wird ihre Strukturim Zusammenhang mit anfallendenInfrastrukturkosten von der Verwaltungkritisiert.Ökonomische SchwierigkeitenDer finanzielle Druck bereitet kleinenBetrieben weit mehr Sorgen als die ständigenUmzüge. Aufgrund von fehlendenWegerschliessungen sind Maschinenmehrfach anzuschaffen, was kostspieligist. Zudem erfordern Änderungen vonVorschriften (Tierschutz) Investitionennicht nur auf einer Stufe, sondern aufmehreren. Mit Eigenleistung und der82 10 2012 · <strong>UFA</strong>-REVUE
LANDLEBENDer Agrarpolitik wird auch für Stufenbetriebe eine wichtige Rolle zugeschrieben.Bild: SRF/Emanuel AmmnonJeder Umzug ist eine logistischeHerausforderung, erfordertOrganisationstalent, Erfahrung undFlexibilität.Bild: SRF/Emanuel AmmnonHilfe von Freunden und Verwandten,werden die Kosten möglichst tief gehalten,doch die Arbeitsbelastung steigt.Zusätzliches Einkommen mittels Nebenerwerbzu generieren, ist im Berggebietzwar üblich, die spezielle Betriebsformauf verschiedenen Stufen ist jedochschwieriger mit einer auswärtigen Arbeitsstellevereinbar.Geforderte Betriebsvergrösserungenzur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeitwerden von den Stufenbetriebenals unrealistisch erachtet, besonderswenn es sich um einen Zuwachs anSteillagen handelt, deren BewirtschaftungHandarbeit bedürfen. Die Zahl derfamiliären Arbeitskräfte ist beschränktund die Arbeitsbelastung bringt viele anihre Grenzen. Schwierig wird es, wenneine Familienarbeitskraft nicht (mehr)mitarbeiten kann.Bei steigendem Druck, so befürchtenviele Betriebsleiter von Stufenbetrieben,können in Zukunft die höher gelegenenFlächen nicht mehr bewirtschaftetwerden. Aus ihrer Sicht wird dies zuernsthaften Problemen im Bereich derVergandung sowie im Umgang mit Naturgefahrenführen.Fazit Stufenbetriebe sind in ihrerForm, Grösse (10 bis 40ha), Entstehungsowie in ihrer Bewirtschaftung undwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unterschiedlich.Dennoch haben sie Gemeinsamkeiten.Eine beliebige Vergrösserungist aufgrund der Steillagen nichtmöglich. Die familiären Arbeitskräftenehmen stetig ab, nicht zuletzt aufgrunddes sozialen und kulturellenWandels, der auch im Berggebiet voranschreitet.Ein Problem stellen auch dieInvestitionen auf verschiedenen Stufendar, die unter Umständen die nachfolgendeGeneration belasten. Auch wenndie Familien ihre Betriebsform als sinnvollund an die Landwirtschaft angepassterachten, hätte kaum eine Familieetwas gegen eine Erschliessungsstrasse,die ihr die Bewirtschaftung und auchdas soziale Leben erleichtern würde.Ohne Stufenbetriebe würden Flächenim Berggebiet aufgegeben und verganden.Den Familien ist es wichtig, dassStufenbetriebe nicht nur als Kostenfaktordiskutiert werden, sondern ihr Beitragzur Erhaltung der Kulturlandschaft,besonders der Bewirtschaftung der steilenFlächen mittels Handarbeit, aberauch im Bereich des Naturgefahrenmanagementsanerkannt und in der Politikwahrgenommen wird.Autorinnen Dr.Christine Jurt (Ethno -login), Ruth Rossier(Dipl. Ing.-Agr. ETH)und Isabel Häberli(Ethnologin M.A.) sindmit dem Arbeits -schwerpunkt «LändlicheLebensverhältnisse» ander ForschungsanstaltAgroscope Reckenholz-Tänikon tätig.www.agroscope.chINFOBOXwww.ufarevue.ch 10 · 12<strong>UFA</strong>-REVUE · 10 2012 83