Das Magazin 1/2004 - Evangelische Heimstiftung
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Die junge christliche Gemeinde in Korinth<br />
hatte überwältigende spirituelle Erfahrungen<br />
gemacht. Dabei war nach dem Urteil<br />
des Paulus Gottes Geist ganz vital am<br />
Werk. Der Apostel hätte es freilich zu<br />
schätzen gewusst, wenn es ruhiger zugegangen<br />
wäre, wenn mehr Ordnung geherrscht<br />
hätte. Seit seinem Brief war die<br />
Christenheit denn auch fast 2000 Jahre<br />
lang bemüht, der vom Apostel kritisierten<br />
und vom Geist Gottes umgetriebenen<br />
Gemeinde in Korinth nach Möglichkeit<br />
nicht zu gleichen. – Gottes Geist? Ja!<br />
Aber bitte, nicht zu viel davon.<br />
Mir fällt dazu die Geschichte von der<br />
Kirchenmaus ein:<br />
Eine Kirchenmaus – wie sich versteht, ein<br />
armes Tier mit niedrigem Lebensstandard<br />
– kam eines Morgens in die Sakristei und<br />
fand dort von der letzten Abendmahlsfeier<br />
her noch ein paar Oblaten und ein<br />
Gläschen Wein. Sie fing an zu schmausen<br />
und zu trinken, bis sie nicht mehr konnte,<br />
und dann torkelte sie, schwer geladen,<br />
durch die Tür zur Kirche, bestieg fröhlich<br />
pfeifend die Stufen des Altars und suchte<br />
am Ende mit großer Mühe den Eingang<br />
zu ihrer Behausung hinten im Chor. Der<br />
Erzengel Gabriel, der das vom Himmel<br />
aus sah, knirschte mit den Zähnen: „Ich<br />
werde sie umbringen!“ Warum, fragte<br />
Gottvater gelassen. Millionen von<br />
Christen verlassen das Abendmahl nüchtern<br />
und gelangweilt, und wenn nun einmal<br />
einer verwandelt und erhoben von<br />
meinem Tisch geht, willst du ihn töten!<br />
Die christliche Gemeinde in Korinth war<br />
sozusagen betrunken von religiösen Erlebnissen<br />
und Visionen. Sie war wie von Sinnen<br />
unter der Macht des Geistes und der<br />
Erfahrung der unmittelbaren Nähe Christi.<br />
16 Aus der <strong>Heimstiftung</strong> Juni <strong>2004</strong><br />
Gedanken zur Pfingstlosung.<br />
„Gott ist nicht ein Gott der Unordnung,<br />
sondern des Friedens.“ 1. Korinther 14,33<br />
Dekan Dr. Karl-Heinz<br />
Schlaudraff ist Beiratsvorsitzender<br />
im Pflegezentrum<br />
Hansegisreute<br />
in Heidenheim<br />
Man kam in Gottesdiensten zusammen,<br />
und ehe einer die Veranstaltung eröffnen<br />
konnte, riefen die Prophetinnen und Propheten<br />
ihre Eingebungen durcheinander,<br />
beteten und sangen von allen Seiten.<br />
Was dort in Korinth durcheinander<br />
lärmte, war auch nach dem Urteil des kritischen<br />
Paulus Geist von Gott. Da lärmte<br />
nicht die geistige Verwirrung, da zeigten<br />
sie einander vielmehr, was sie geschaut<br />
hatten, da wiederholten sie, was sie von<br />
Gott gehört hatten, und ließen sich von<br />
der Erfahrung, dass das Geschaute nicht<br />
vorzeigbar, das Gehörte nicht aussagbar<br />
war, durchaus nicht irritieren.<br />
Ich möchte hier zunächst einmal entschlossen<br />
für die Seite der Korinther Partei ergreifen.<br />
Wenn ich unsere nüchternen Gottesdienste<br />
betrachte, mit Orgelvorspiel<br />
und Orgelnachspiel, mit einer mehr oder<br />
minder bewegenden Predigt, mit Gebeten,<br />
Ansagen, fast alles gestaltet und festgelegt<br />
vom Pfarrer, dann wünsche ich mir den<br />
Einbruch dieses erregenden Geistes, dann<br />
wünsche ich mir, dass unsere vernünftige<br />
und doch manchmal so leere Sprache<br />
einmal wieder Gefäß wäre für etwas zu<br />
Großes und zu Fremdes, von dem sie<br />
gesprengt würde. Deshalb möchte ich<br />
auch das, was Paulus den Korinthern ins<br />
Stammbuch schreibt, nicht einfach<br />
wiederholen.<br />
Ich möchte an einigen Punkten sogar das<br />
Gegenteil sagen. Damit sage ich nichts<br />
gegen den Apostel, sondern versuche, nur<br />
das zu tun, was auch er tat, nämlich in<br />
seiner Situation das Notwendige sagen.<br />
Nun kann man der Kirche der letzten 2000<br />
Jahre beim besten Willen nicht vorwerfen,<br />
sie habe es mit dem Gehorsam gegenüber<br />
dem Wort der Bibel immer allzu wörtlich<br />
genommen. Wenn es etwa um so unpraktische<br />
Forderungen ging, wie die Liebe<br />
zum Feind oder den Verzicht auf Gewalt<br />
oder den Verzicht auf Titel und Würden,<br />
hat man die Worte Jesu nie besonders<br />
wörtlich genommen.<br />
Einige andere Forderungen der Bibel hat<br />
die Christenheit hingegen mit vorzüglichem<br />
Eifer erfüllt. Zu ihnen gehören all<br />
jene, in denen es um die Ordnung und das<br />
Maßhalten geht. <strong>Das</strong>s Paulus gegenüber<br />
dem Überschwang der Gefühle und der<br />
Eingebungen zum nüchternen Gebrauch<br />
des Verstandes aufruft, das wird uns in<br />
der Regel einleuchten. <strong>Das</strong>s Ordnung<br />
und Verantwortung den Geist und seine<br />
Unberechenbarkeit eingrenzen soll, das<br />
leuchtet nicht nur Königen und Präsidenten,<br />
Bischöfen und Dekanen ein, sondern<br />
den meisten. Und so hat man seit Paulus<br />
immer wieder gerade dessen Forderung<br />
nach einem geordneten Gottesdienst<br />
erfüllt – bis zum Einschlafen erfüllt.<br />
Da nach allgemeiner Überzeugung Gott<br />
kein Gott der Unordnung ist, sondern<br />
des Friedens, haben wir eine – im Allgemeinen<br />
– gut verwaltete Kirche, an der<br />
freilich nur eines merkwürdig bleibt:<br />
dass ihre Ordnung ihr noch nicht zum<br />
Frieden verholfen hat.<br />
Auch wir haben zumeist unseren normalen<br />
christlichen Lebenslauf, in dem<br />
von der Taufe über die Konfirmation/<br />
Firmung, die Trauung, die Taufe der<br />
Kinder bis hin zur Bestattung alles seine<br />
Ordnung hat. <strong>Das</strong> ist gut so. Nur, bei<br />
allem gut geordneten kirchlichen Leben,<br />
bleibt die Frage: Hat die Liebe Christi<br />
uns ergriffen? Hat sie in unserem Leben<br />
Einzug gehalten?<br />
Oder haben wir uns längst damit abgefunden,<br />
dass wir uns auch als Christen letztlich<br />
nur auf uns selbst verlassen können,<br />
auf unsere bürgerliche Ordentlichkeit, auf<br />
unsere Pflichtgefühl. Vielleicht erahnen<br />
wir auch an uns selbst: Auch wenn vieles<br />
seine Ordnung hat, seinen Frieden hat es<br />
damit noch lange nicht.<br />
Nun möchte ich das, was Paulus den<br />
Korinthern sagte, nicht nur umkehren,<br />
sondern ich möchte dem Apostel auch<br />
ein ganzes Stück weit folgen.